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vom:
01.02.2000


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  Hintergrund

UN-Schuldbekenntnis zu Srebrenica

Helga Dieter

Mitte November 1999 veröffentlichte die UNO in Form eines umfangreichen Untersuchungsberichtes das Bekenntnis einer Mitschuld an den Massakern von Srebrenica.


Die Hoffnungen der nach Wahrheit suchenden Überlebenden und einer an Aufklärung interessierten Öffentlichkeit wurden jedoch enttäuscht. Der UNO-Bericht verschleiert weiterhin die Rolle der Staaten im Sicherheitsrat bzw. der Kontaktgruppe. Der UN-Generalsekretär Kofi Annan betreibt in seiner Präsentation der Untersuchung mehr eine Demontage der UNO als ihre Rehabilitierung.

Der Bericht ist als Protokoll der Ereignisse in Bosnien bzw. Srebrenica zwischen 1993 und 1995 verfasst. Darin wird beschrieben, dass der damalige UN-Generalsekretär Butros Ghali sich gegenüber dem UN-Sicherheitsrat strikt gegen den Einsatz der friedenserhaltenden UN-Soldaten ausgesprochen hat. "Er sagte es oft und er sagte es laut, weil er fürchtete, dass friedenserhaltende Maßnahmen in einer Kriegssituation unweigerlich fehlschlagen würden. Keine der Bedingungen für den Einsatz von Blauhelmen (peacekeepers) war anzutreffen: Keine Friedensvereinbarung, - nicht einmal ein Waffenstillstand - und kein klarer Wille zum Frieden... Trotzdem beschloss der Sicherheitsrat den Einsatz der friedenserhaltenden UN-Truppen..."

Außer diesen moderaten Sätzen gibt es auf den 150 Seiten des Berichtes keine Kritik an der Politik der Staaten im Sicherheitsrat.

Dass der UN-Generalsekretär, nach dem weiteren Beschluss des Sicherheitsrates, sechs UN-Schutzzonen einzurichten, weitere 37.000 "Blauhelme" forderte, aber aus Kostengründen nur 7.500 genehmigt wurden, obwohl dann jahrelang ein Vielfaches für Ifor und Sfor-Truppen ausgegeben wurde, wird im Bericht nicht erwähnt.

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Zwar erfährt man von einer regen Geheimdiplomatie der Staaten im UN-Sicherheitsrat und der Kontaktgruppe während der Tragödie von Srebrenica, über die das UN-Generalsekretariat jedoch nach eigener Darstellung nicht informiert wurde. Aber das scheint für Kofi Annan auch heute kein Punkt für Kritik zu sein.

Fazit: Wider besseres Wissen haben sich die "UN-Oberen" dem Druck dieser mächtigen Staaten gebeugt und damit die Demontage der "Blauhelme" selbst mit betrieben, die ihnen dann als "Versagen" der UN vorgeworfen wurde. Butros Ghali wurde wegen seines anfänglichen Mutes unter dem Druck der USA abserviert. Sein Nachfolger Kofi Annan ließ sich zum Büttel der Westmächte machen - spätestens mit diesem Bericht.

Wäre die Tragödie von Srebrenica zu verhindern gewesen ?
In dem "Schuldbekenntnis", das sich um die sachliche Form einer Dokumentation bemüht, gibt es an wenigen Stellen Spekulationen darüber, ob die Tragödie von Srebrenica zu verhindern gewesen wäre, wenn andere Entscheidungen getroffen worden wären.

Eine dieser Spekulationen, die in dem Bericht nur am Rande bemerkt wird, erscheint aufschlussreich und ist vielleicht der wichtigste Satz in dem Schuldbekenntnis: "Die Annahme, dass die Entscheidung der Serben, die Männer von Srebrenica zu töten, erst nach der Okkupation der Stadt gefallen ist."

Der serbische Angriff begann am 6. und dauerte bis zum 11. Juli 1995. An diesem Nachmittag sind über 20.000 Menschen, zumeist Frauen und Kinder, in das UN-Lager Potocari ("Dutchbat") geflüchtet. 10.000 - 15.000 Männer haben sich zur gleichen Zeit auf einem Feld am Rande der Enklave versammelt, um durch die serbischen Linien auf das Gebiet der Föderation durchzubrechen. Viele von ihnen wollten sich dort der kroatisch-bosniakischen Armee anschließen, etwa ein Drittel soll bewaffnet gewesen sein.

In dieser Situation begann die Nato am 11. Juli mittags in Srebrenica serbische Stellungen zu bombardieren. Die serbischen Militärs drohten damit, Granaten in die flüchtende Menschenmenge auf den Straßen zu werfen und die drei UN-Soldaten, die sie als Geiseln gefangen hielten, zu töten. Daraufhin wurden die Bombardierungen eingestellt.

In dieser Nacht (11.-12. Juli) gab es drei Treffen des UN-Kommandeurs mit dem bosnisch-serbischen Oberbefehlshaber Mladic. Dieser verlangte, mit zivilen und miltärischen Autoritäten der Bosniaken über die Evakuierung und Übergabe der Stadt zu verhandeln. Aber die waren alle auf dem Weg, sich durch die serbischen Linien zu kämpfen. Der Schulrektor und eine Frau kamen mit dem UN-Kommandeur zu den Verhandlungen. General Mladic soll wegen der Nato-Luftangriffe getobt und Rache angedroht haben. Der bosniakische Präsident Izetbegovic lehnte eine Evakuierung der Bevölkerung ab.

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Am nächsten Tag begannen die Massaker. Während bis zu 3.000 Männer in eine Fabrikhalle gepfercht wurden, kam Mladic ins Lager und ließ sich dabei filmen, wie er Essen und Bonbons an die Kinder verteilte. Viele Männer, auch Jungen, Kranke und Alte, wurden wahrscheinlich gleich erschossen, die meisten wurden abtransportiert.

In den nächsten drei Tagen wurden die Frauen und Kinder in Busse und auf Lastwagen gepfercht, wobei einige Säuglinge erstickten. Menschen fielen von den Wagen und wurden von den nachfolgenden überrollt.

Die meisten Opfer der Tragödie von Srebrenica gab es aber bei den Männern, die nachts versucht hatten, sich durch die z.T. verminten Felder und Wälder auf das Gebiet der bosniakisch-kroatischen Föderation durchzuschlagen. Sie mussten eine Straße überqueren, die durch bosnisch-serbisches Militär weiträumig kontrolliert wurde. Viele haben sich hier ergeben und sind wahrscheinlich gleich umgebracht worden. Nach offiziellen Angaben werden noch etwa 7.000 von ihnen vermisst.

Die Annahme in dem UN-Bericht, dass die Entscheidung der serbischen Militärs, die Männer von Srebrenica zu töten, erst nach der Okkupation der Stadt gefallen ist, heißt mit anderen Worten: Diese Männer könnten noch leben, wenn die bosnischen Serben nicht durch die Nato-Einmischung in die Enge getrieben worden wären und wenn die bosniakischen Männer im wehrfähigen Alter nicht dem Befehl ihrer Militärs gefolgt wären, auf aussichtslosem Posten zu kämpfen.

Fazit: Die militärische Einmischung der übermächtigen Nato hat in Srebrenica innerhalb kürzester Zeit die Situation extrem verschärft und wahrscheinlich den Massakern, die sie vorgeblich verhindern wollte, Vorschub geleistet.

Die Opfer von Srebrenica wurden nicht nur von Fischer, Scharping und Konsorten dazu missbraucht, die Toten der NATO-Bombardierungen im Kosovo-Krieg zu rechtfertigen, sondern nun auch vom UN-Generalsekretär. Der zieht aus der Tragödie von Srebrenica die "Lehre", dass "das Böse" in der Welt schnell und entschlossen bombardiert werden müsse und erteilt damit den UN-Segen für alle künftigen NATO-Angriffe.


Helga Dieter ist Beauftragte für die Aktion "Ferien vom Krieg" des Komitees für Grundrechte und Demokratie für Flüchtlings- und Waisenkinder aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens.
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