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FF4/2000
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August 2000


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  Im Blickpunkt

Berliner Richter verurteilt NATO-Krieg als völkerrechtswidrig

Mehrfach berichteten wir im Friedensforum über die Berliner Prozesse gegen KriegsgegnerInnen, die während des NATO-Krieges zur Verweigerung aufgerufen hatten. Inzwischen stehen 31 Freisprüchen 7 Verurteilungen entgegen. Das erste Landgerichtsurteil (2. Instanz) lautete ebenfalls auf Freispruch. Wir dokumentieren aus dem "besten" - weil politischsten - Urteil auszugsweise aus der Begründung. Aktuelle Prozesstermine sowie eine ausführliche politische Bewertung der bisherigen Prozesse kann angefordert werden: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln.


Urteil

Der Angeklagte war aus Rechtsgründen freizusprechen, da das ihm vorgeworfene Handeln nicht strafbar ist. Der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gemäß § 111 Abs. 1 und 3 StGB war weder im Fall I.1. noch im Fall I.2. erfüllt. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Rechtswidrig ist eine Tat nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nur dann, wenn sie den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Diese Voraussetzung war hier nicht gegeben. Wären die angesprochenen Soldaten der Bundeswehr dem Aufruf gefolgt, so hätten sie sich weder wegen Fahnenflucht noch wegen Gehorsamsverweigerung strafbar gemacht. Die Tatbestände der Gehorsamsverweigerung und der Fahnenflucht waren nicht eröffnet, weil der Einsatz der Bundeswehr gegen die Bundesrepublik Jugoslawien rechtswidrig war.

1. Ein Soldat ist nicht strafbar, wenn er die Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz ablehnt oder sich von der Truppe entfernt, um sich der Teilnahme an diesem Einsatz zu entziehen.

a) Ein Soldat ist nach § 20 Abs. 1 WStG wegen Gehorsamsverweigerung zu bestrafen, wenn er sich mit Wort oder Tat gegen einen Befehl auflehnt oder darauf beharrt, einen Befehl nicht zu befolgen, nachdem er wiederholt worden ist. Nach § 22 Abs. 1 WStG handelt der Untergebene jedoch nicht rechtswidrig, sofern der Befehl nicht verbindlich ist. Die Verbindlichkeit fehlt unter anderem dann, wenn der Befehl gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstößt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Befehl im Rahmen eines völkerrechtlich unzulässigen Einsatzes erteilt wird. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Erteilung des Befehls in subjektiver Hinsicht als kriminelles Unrecht darstellt. Ein völkerrechtswidriger Befehl ist auch dann unverbindlich, wenn er in bester Absicht erteilt wird. Grund der Unverbindlichkeit ist nicht ein etwaiger Schuldvorwurf gegen den Befehlsgeber, sondern der objektive Unwert der angesonnenen Handlung.

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b) Wegen Fahnenflucht macht sich ein Soldat nach § 16 Abs. 1 WStG strafbar, wenn er seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen. Auf eine Fahnenflucht, mit der die dauernde Vereitelung der Wehrpflicht oder der Abbruch des Wehrdienstverhältnisses erstrebt wird, richtete sich der Aufruf nicht. Die betroffenen Soldaten sollten sich von der Truppe lediglich in der Absicht und zu dem Zweck entfernen, die Teilnahme am bewaffneten Einsatz gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu vermeiden. Ein Verlassen der Truppe, das zu dem begrenzten Zweck erfolgt, einem bestimmten Kampfeinsatz fernzubleiben, ist jedoch nur dann als Fahnenflucht strafbar, wenn dieser Einsatz selbst rechtmäßig ist.

Daran ändert es nichts, dass § 16 WStG nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Einschränkung kennt, die dem § 22 WStG entspricht. Die Systematik des Gesetzes erlaubt es auch nicht, den § 22 WStG unbesehen auf die Tatbestände des § 16 Abs. 1 WStG zu übertragen. Die Einschränkung ergibt sich vielmehr unmittelbar aus der Vorschrift des § 16 Abs. 1 WStG selbst. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist die Rechtmäßigkeit des bewaffneten Einsatzes als ungeschriebene objektive Bedingung der Strafbarkeit wegen Fahnenflucht im Gesetz enthalten. Mit dem Straftatbestand der Fahnenflucht verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, das Interesse des Staates an der ungeschmälerten Kampfkraft und Einsatzfähigkeit der Truppe zu schützen. Dieses Interesse ist aber nicht schutzwürdig, wenn der Staat die Truppe zur Durchführung eines Einsatzes benützen will, den er von Rechts wegen nicht durchführen darf. Ein rechtswidriger Kampfeinsatz ist kraft objektiven Rechts zu unterlassen. Es besteht kein gesetzgeberisches Bedürfnis, seine Durchführung durch Strafandrohung zu fördern. Eine solche Absicht könnte dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es erforderlich wäre, die Strafbarkeit auf diesen Fall zu erstrecken, um die Verfügbarkeit der Truppe für rechtmäßige Einsätze nicht zu gefährden. Der Soldat, der sich von der Truppe löst, um die Teilnahme an einem Kampfeinsatz zu vermeiden, tut das auf eigenes Risiko. Er kann lediglich dann nicht wegen Fahnenflucht bestraft werden, wenn feststeht, dass der Einsatz nicht stattfinden durfte, weil er objektiv rechtswidrig war.

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Zum gleichen Ergebnis führt die verfassungskonforme Auslegung des § 16 Abs. 1 WStG. Der Staat ist durch die subjektiven Rechte der Soldaten gehindert, ihre Teilnahme an einem rechtswidrigen Kriegseinsatz unter Strafandrohung durchzusetzen. Im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes greift der Staat so intensiv wie irgend möglich in die Grundrechte der beteiligten Soldaten ein. Den Soldaten wird zugemutet, für die Zwecke des Staates andere Personen zu töten und im äußersten Fall ihr eigenes Leben zu opfern. Die strafrechtliche Bewehrung dieses Eingriffs ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn mit dem Eingriff rechtmäßige Ziele verfolgt werden. Der Staat ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt berechtigt, einen Soldaten zu zwingen, gegen seinen Willen und unter Einsatz seines Lebens bei völkerrechtlich unerlaubten Handlungen mitzuwirken. Das gilt auch für die Soldaten, die nicht unmittelbar an der Kriegsfront eingesetzt werden. Unter den Bedingungen der modernen arbeitsteiligen Kriegführung leisten die in der Logistik eingesetzten Soldaten einen für den militärischen Erfolg ebenso wichtigen Dienst wie die Kampftruppen selbst. Schon die Anwesenheit des Soldaten bei der Truppe und seine ständige Einsatzbereitschaft kann für den Erfolg eines Krieges von Bedeutung sein. Der einzelne Soldat braucht sich infolgedessen auch nicht darauf verweisen zu lassen, einzelne als unverbindlich erkannte Befehle zu verweigern, sondern ist berechtigt, sich straflos von der Truppe zu entfernen, sobald ihm angesonnen wird, an einem rechtswidrigen Kriegseinsatz teilzunehmen. Anders verhielte es sich allenfalls dann, wenn sich aus Art 4 Abs. 3 GG das Recht ergäbe, den Kriegsdienst nicht nur allgemein, sondern situationsbedingt im Hinblick auf bestimmte Einsätze zu verweigern und sich dadurch der Teilnahme an einem rechtswidrigen Einsatz sofort kraft Rechtsaktes zu entziehen. Das aber ist nach allgemeiner Auffassung nicht der Fall.

2. Der Einsatz der Bundeswehr gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war objektiv rechtswidrig, da er dem geltenden Völkerrecht zuwiderlief. Der Verstoß berührte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts.

a) Der Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verletzte das absolute Gewaltverbot aus Art 2 Nr. 4 UN-Charta. Das Gewaltverbot umfasst jede Art der Anwendung von Waffengewalt, die sich gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates richtet oder sich mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht verträgt. Die von der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannten Rechtfertigungsgründe für gewaltsames militärisches Handeln waren nicht gegeben. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte keine Ermächtigung zur Durchführung des Einsatzes nach den Art. 39, 42 UN-Charta erteilt. Ein Fall der kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta lag ebensowenig vor, da die Bundesrepublik Jugoslawien keinen bewaffneten Angriff gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen geführt hatte. Daran vermochte auch das gewaltsame Vorgehen des jugoslawischen Staates gegen die albanische Volksgruppe im Kosovo nichts zu ändern. Menschenrechtsverletzungen, die ein Staat gegen seine eigenen Bürger verübt, lassen sich nach herkömmlichem Völkerrecht nicht mit einem Angriff auf einen fremden Staat gleichsetzen. Weitere Ausnahmen vom Gewaltverbot kennt die UN-Charta nicht.

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b) Der Krieg gegen Jugoslawien war auch nicht durch ungeschriebenes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht gedeckt. So weit versucht wird, den Einsatz mit der Untätigkeit oder auch Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrates zur Einleitung von Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zu rechtfertigen, fehlt es bereits an den tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Rechtfertigungsgrundes. Der Krieg wurde begonnen, ohne die Beschlussfassung des Sicherheitsrates auch nur abzuwarten. Im übrigen ist es nicht richtig, die Verhinderung der erwünschten Beschlüsse durch das Veto eines ständigen Mitglieds nach Art. 27 Abs. 3 UN-Charta gleichsam als Rechtsmissbrauch zu werten, der die übrigen Staaten berechtigen soll, die Prärogative des Sicherheitsrates zu übergehen und selbst die für notwendig gehaltenen Maßnahmen zu ergreifen. Die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und das Vetorecht der ständigen Mitglieder wurden ganz im Gegenteil bewusst geschaffen, um zu verhindern, dass kriegerische Auseinandersetzungen über den Kopf der wichtigsten Staaten hinweg angezettelt werden.

Weitere Infos entweder unter:
http://www.userpage.fu-berlin.de/~ami/extra/prozesse oder unter: http://www.kampagne.de

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