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FF6/2000
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vom:
01.12.2000


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  Hintergrund

Bundeswehr? Nein, danke!

Ellen Diederich

Die frühere Bundeswehrärztin Martina Wilmes-Link und ich trafen uns im Januar 2000 bei der WDR-Sendung: "Hallo, Ü-Wagen" zum Thema Frauen und Militär.


Ellen Diederich: Wie bist du zur Bundeswehr gekommen?

Martina Wilmes-Link: Ich habe 1986 mein 3. Staatsexamen in Medizin an der Bonner Universität gemacht. Zu dem Zeitpunkt war ich verheiratet, hatte zwei Kinder und suchte eine Stelle im Umland von Bonn. Ich habe etwa 100 Bewerbungen abgeschickt, mir wurde schnell klar, dass meine Aussichten im Alter von 35 Jahren nicht gerade sehr aussichtsreich waren. Oft lautete die Argumentation für die Ablehnung: "Sie sind ja verheiratet und haben zwei Kinder". Eine Mutter aus dem Kindergarten meiner Tochter erzählte mir, ihr Mann sei Truppenarzt, so eine Art Hausarzt bei der Bundeswehr. Dort habe man sehr viel Freiraum und könne als Arzt gut arbeiten. Ich habe mich beworben und bin sofort angenommen worden.

E.D.: Die Bundeswehr ist ja kein gewöhnlicher Arbeitsplatz, sie ist eine Armee und der Soldatenberuf ist ein spezifischer Beruf. Hast du dir Gedanken über die Funktion des Militärs gemacht?

M.W-L.: Zu dem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was eine Bundeswehr eigentlich ist. Soldaten kannte ich keine, ich hatte keine Vorbilder, weder Feind- noch Freundbilder in der Richtung. Ich habe mir nicht genau überlegt, was ein Soldat wirklich macht. Ich merkte dann aber sehr schnell, dass ich in einem System scharfer Kontrolle und militärischen Welt im Grunde nicht zurecht kommen würde. Schon die Uniform konnte ich gar nicht verinnerlichen. Ich war eigentlich der Anti-Typ, der dort hineingegangen ist. Bald empfand ich, dass es dort, wo ich gearbeitet habe, bedrohlich für mich war. Wenn morgens der Schlagbaum runterging und ich musste den ganzen Tag in der Kaserne bleiben, so war das für mich wie ein Gefängnis.

E.D.: Abgesehen davon, dass die Funktion von Soldaten immer irgendwann sein kann, zu töten, sind die Armeen ja die Institutionen in der Gesellschaft, die am strengsten hierarchisch organisiert sind. Wie bist du damit zurecht gekommen?

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M.W-L.: Am Anfang hatte ich keine Probleme damit, ich empfand mich gar nicht als Teil einer solchen Hierarchie. Ich hatte ja auch als Ärztin von Anfang an einen Dienstgrad als Offizierin. Viele Soldaten, die sich mühsam hochgearbeitet haben, empfinden das als Auszeichnung. Ich hatte keine Schwierigkeit damit, meine Meinung auch gegenüber anderen, die höhere Dienstgrade hatten, zu sagen. Damit bin ich natürlich überall angeeckt. Es wurde mir dann systematisch vermittelt, dass mir Gefahr drohen oder meiner Freiheit irgendwas geschehen könne, falls ich mich diesem System oder höheren Dienstgraden widersetze oder sogar anprangere, wenn diese Dinge tun, die nicht richtig oder gerecht sind.

E.D.: Hierarchie heißt ja noch etwas anderes: Es gibt Arbeitsanweisungen oder beim Militär sogar Befehle, denen du nicht widersprechen kannst.

M.W-L.: Im Militär kann ein Vorgesetzter dir etwas befehlen. Es können allerdings nur solche Befehle sein, die unseren gesellschaftlichen Normen oder Gesetzen nicht widersprechen. Es kann mir z.B. niemand befehlen, jemanden einfach zu töten. Ich kann natürlich einen Befehl verweigern oder mich darüber beschweren, aber es gibt bestimmte Reglements: Ich muss das erst mal ausführen und dann kann ich dagegen mit einer Beschwerde angehen. Mir ist später erst bewusst geworden, warum das so ist. Die Armee ist eben auf den Ernstfall ausgerichtet. Im Ernstfall, sprich Krieg, sind die Fäden zentral so geregelt, dass jeder Befehl von oben auszuführen ist.

Im medizinischen Bereich hatte ich eigentlich nur die Vorschriften, die für ÄrztInnen gelten, so war der Spielraum ziemlich groß. Andererseits wurde immer wieder versucht, bei Befreiungen oder Krankschreibungen von jungen Rekruten massiv einzugreifen. Da waren die Entscheidungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Hier habe ich gemerkt, dass ich durch dieses ständige Eingreifen in meine Entscheidungen in dieser Männerwelt stark verunsichert wurde.

E.D.: Die meisten jungen Frauen, die jetzt zum Militär kommen wollen, werden nicht den Rang einer Offizierin haben. Wie schätzt du die Möglichkeiten dieser Frauen ein?

M.W-L.: Ich habe das ja zunächst mal im Sanitätswesen gesehen. Es gibt Frauen da, die glücklich sind. Denen stinken zwar die Machtstrukturen, sobald sie aber Unteroffizierin oder Feldwebel geworden sind, spielen sie das Spiel perfekt mit. Die haben dann ihr "Mächtele" und benehmen sich auch entsprechend. Ich glaube schon, dass es Menschen, ich muss das ganz direkt mal sagen, mit nicht all zu großer Intelligenz, anmacht, Macht haben zu können. Das ist gerade attraktiv für Frauen, die normalerweise ja die Macht nicht haben. Ich glaube, der Reiz liegt in der Möglichkeit, an männlichen Machtstrukturen teilzuhaben.

E.D.: Ein Argument, das von verschiedener Seite her für Frauen ins Militär votiert, heißt: "Durch Frauen wird die Welt des Militärs menschlicher." Deckt sich das mit deinen Erfahrungen?

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M.W-L.: Als ich zum Militär ging, habe ich immer gedacht, hier kann ich etwas verändern. Hier kannst ich einen weiblichen Faktor hineinbringen, der diesem kriegerischen und zerstörerischem Element etwas entgegensetzt. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich solche Gedanken hatte. Was passiert ist, ist aber, dass die Armee mich sehr stark in vielen Dingen verändert hat. Ich habe auf Grund dessen, was mir alles im Laufe der Zeit so begegnet ist, wahnsinnige Ängste entwickelt. Es wurde systematisch versucht, mich mundtot zu machen. Ich merkte, wie ich im Laufe der Zeit immer stiller wurde. Bis ich mir eines Tages sagte, dass geht so nicht weiter. Du kannst hier nicht ständig etwas von dir verleugnen oder zu etwas werden, was du eigentlich gar nicht bist. Ich wäre zu einer Marionette geworden. Das wollte ich nicht mit mir machen lassen.

E.D.: Du hattest dich auf 12 Jahre verpflichtet und bist ein halbes Jahr vorher ausgeschieden. Wie kam es dazu?

M.W-L.: Der Kosovo Krieg war die entscheidende Erfahrung. Ich war zu dieser Zeit bestimmt nicht zufällig krank und habe etwas gemacht, was ich sonst nie tat, ich sah tagsüber fern. Ich hatte zu dieser Zeit noch Kabelfernsehen, konnte durch die Programme zippen, sah diesen Blair in England und die ganzen Offiziere, die jedes ihrer Erfolgserlebnisse mit einem Ausdruck von Hass in den Augen verkündeten, ich kann es kaum beschreiben. Ich spürte auch etwas wie Freude bei ihnen, anderen Leid beizubringen. Da habe ich gedacht, das kann nicht sein, das kann nicht Europa sein, wo sie sich nach außen hin als Friedensbringer dokumentieren und präsentieren und dann diesen Ausdruck in den Augen haben und mein eigenes Land beteiligt sich auch noch daran. Das war für mich so etwas entsetzliches, dass ich dachte, damit kann ich nicht konform gehen. Ich fühlte mich gelähmt, weil ich nicht verstehen konnte, mit welcher Freude Jugoslawien bombardiert wurde. Das war Europa? Die ganzen Militärs haben sich gefreut, ihre Bomben da runterschmeißen zu können. Das war blankes Entsetzen für mich. Und da habe ich gesagt: Jetzt musst du raus.

Mir wurde dann sofort von der Bundeswehr angeboten, ich könnte raus gehen. Da waren die finanziellen Interessen des Militärs wichtig, sie hatten wieder jemanden gefunden, der endlich dazu bereit war, die Kostenausgaben zu senken und dann ging das relativ schnell. Für mich war es schon eigenartig, wie sang- und klanglos diese Entlassung ging, es war, als hätte ich nie existiert.

Ich war regelrecht eine unerwünschte Person geworden. Mit dem Gedanken, bei der Bundeswehr unerwünscht zu sein, kann ich sehr gut leben.

(Das Interview musste aus Platzgründen stark gekürzt werden. Wer Interesse am ganzen Interview hat, kann es beim IFFA anfordern)

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Kontakt: Internationales Frauenfriedensarchiv, Lothringer Str. 64, 46045 Oberhausen, Tel.: 0208/853607, Fax: 853716 - email: Friedens@AOL.Com


Ellen Diederich leitet das Internationale Frauenfriedensarchiv Fasia Jansen e.V. in Oberhausen.

E-Mail:  friedensa@aol.com
Internet: http://www.frauennews.de/themen/weltweit/frieden/iffa.htm
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