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FF6/2000
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vom:
01.12.2000


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  Schwerpunkt: Asyl

Residenzpflicht und rassistische Verwaltungspraxis

Jan Schallaböck

Am 12. Oktober fand vor dem AG Worbis, Thüringen, die erste Verhandlung gegen Cornelius Yufanyi wegen Verstoßes gegen die sogenannte Residenzpflicht statt. Er gehört zu den Aktiven von The Voice Africe Forum, die auf dem Jenaer Flüchtlingskongress der Karawane entschlossen haben, sich durch zivilen Ungehorsam gegen diese diskriminierende Bestimmung des Asylverfahrensgesetzes zur Wehr zu setzen. Dabei gelang es der Verteidigung, vor einer Vielzahl von Prozessbeobachtern einen Schreibtischtäter der zuständigen Ausländerbehörde vorzuführen.


Soziale Isolation

Cornelius Yunfanyi wurde im April 1996 bei einem Studentenstreik gegen die Erhöhung von Studiengebühren in Kamerun festgenommen und war über zwei Jahre inhaftiert, ohne einem Richter vorgeführt zu werden. Während der Haft wurde er gefoltert, es wurde gedroht, ihn umzubringen. Ende des Jahres 1999 gelang ihm die Flucht nach Deutschland.

Im Rahmen seines Asylverfahrens wurde er vor 18 Monaten einem sozial isolierten Asylbewerberheim im Landkreis Eichsfeld, Thüringen, zugeordnet. Neben ihm halten sich dort etwa 90 weitere Flüchtlinge aus 20 Ländern schon seit bis zu neun Jahren auf. Eine Verständigung ist ihm nur mit etwa 15 Bewohnern möglich. Die Zimmer sind klein und teilweise von Schwamm befallen, die Einkaufsmöglichkeiten beschränkt und überteuert. Getrennte sanitäre Einrichtungen gibt es nicht. Busse fahren nur dreimal täglich und sind von 80,- DM Taschengeld kaum zu bezahlen. Die Stimmung im Heim ist angespannt, vor einem halben Jahr hat sich ein Bewohner das Leben genommen.

Auf die Initiative von Cornelius Yufanyi wandten sich die Bewohner mit einem Brief an das Landratsamt, den Innenminister, die Ausländerbehörde, den Ausländerbeauftragten sowie den Flüchtlingsrat Thüringen. Sie legten die menschenunwürdigen Zustände in dem Wohnheim dar und forderten die Schließung sowie eine dezentrale Unterbringung. Cornelius Yufanyi engagiert sich in verschiedenen politischen Verbänden, wie der Voice of Africa, einer Flüchtlingsselbstorganisation, und der Kampagne "Kein Mensch ist illegal". Unter anderem hat er auch an der Besetzung des Kölner Büros der Grünen im Juni teilgenommen, bei der 15 Flüchtlinge in Hungerstreik getreten sind, um auf die flüchtlingsfeindliche Politik der rot-grünen Bundesregierung aufmerksam zu machen. Dieses vielfältige politisches Engagement erfordert es, zu verschiedenen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet zu reisen. Als Asylbewerber unterliegt er jedoch der Residenzpflicht des Asylverfahrensgesetzes (§§ 56ff).

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Hierbei handelt es sich um ein Passgesetz, das in der EU ohne Vergleich ist, international den Regelungen der südafrikanischen Apartheidsregierung nahe kommt. U.a. hat es offensichtlich den Zweck, Asylbewerber von der Einleitung ihres Asylverfahrens abzuhalten (Reisebericht des UNHCR, Zeitschrift für Ausländerrecht 1984, S. 68). Durch die Residenzpflicht werden Asylbewerber gezwungen, sich in dem Landkreis aufzuhalten, dem sie zugeordnet wurden. Ausnahmen sind möglich, aber nur auf die notwendigsten Fälle beschränkt. Die Erlaubniserteilung unterliegt teilweise einem erheblichen Ermessensspielraum der zuständigen Ausländerbehörde, dieser wird oft genutzt, um die Asylbewerber zu schikanieren. So auch im Fall Yunfanyi.

Strafbefehl ohne Verhandlung

Ohne eine mündlichen Verhandlung erließ das AG Worbis im August einen Strafbefehl gegen Cornelius Yufanyi wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen seine Residenzpflicht (§ 85 Nr. 2 iVm. § 56 I AsylVfG) und verurteilte ihn zu einem Ordnungsgeld von DM 600,- und entsprach damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Ein durchaus übliches Verfahren. Man scheint davon auszugehen, dass Asylbewerber nicht in der Lage sind, den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft etwas entgegenzusetzen. Ein ordentliches Verfahren, eine Beweiswürdigung oder zumindest eine Strafzumessung, die an den finanziellen Möglichkeiten orientiert ist, hielt man hier nicht für nötig. Gegen den Strafbefehl wurde Einspruch erhoben, so dass nun doch eine mündliche Verhandlung erforderlich wurde.

Der Termin selbst war auf eine halbe Stunde angesetzt. Obgleich der Rechtsanwalt das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass der Fall von erheblicher Öffentlichkeit begleitet wird, und obwohl der The VOICE Jena/AK Asyl aus Göttingen eine Demonstration angemeldet hatte. Man schien davon auszugehen, dass der Strafbefehl im Schnellverfahren zu bestätigen sein würde.

Massives Polizeiaufgebot

Dennoch war am Verhandlungstag ein erhebliches Polizeiaufgebot vor dem AG Worbis und in der ganzen Stadt zu verzeichnen, wobei fraglich blieb, ob man ein Zusammentreffen mit "stadtbekannten Glatzen" (Leiter des Ordnungsamtes Worbis) befürchtete oder die Demonstranten einschüchtern wollte. Die interessierten ProzessbeobachterInnen wurden vor dem Betreten gefilzt, für die beschränkten Plätze gab es Platzkarten. In den Demonstrationsauflagen hieß es unter anderem, dass die Transparente eine Größe von 1,5 m nicht überschreiten dürften.

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Nach der Verhandlungseröffnung wurde dem Angeklagten vom Staatsanwalt der Vorwurf gemacht, sowohl in Köln als auch bei der Teilnahme am Flüchtlingskongress in Jena seinen Landkreis ohne Erlaubnis verlassen zu haben und sich damit strafbar gemacht zu haben.

Verfassungswidrigkeit der Residenzpflicht

Der erste Antrag der Verteidigung, das Verfahren auszusetzen, und den Fall wegen Verfassungwidrigkeit der Residenzpflicht dem Bundeverfassungsgericht vorzulegen, wurde nach einer Pause von der Richterin mit der Begründung abgelehnt, weder das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, noch die der persönlichen Handlungsfreiheit, der Menschenwürde und der Freizügigkeit seien veletzt, das Asylverfahrensgesetz ließe hinreichende Spielräume. Man könne die Regelungen politisch für verfehlt halten, grundgesetzwidrig seien sie jedoch nicht. Auf den anschließenden Tumult im Publikum reagierte die Richterin nervös und drohte damit, das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortzuführen.

In der darauffolgenden Erklärung machte Cornelius Yufanyi deutlich, dass dieses wie viele weitere rassistische Gesetze - nämlich solche, die ausschließlich für Flüchtlinge gelten - eine Ursache für den Rechtsradikalismus in Deutschland sind. Es gehörte jedoch zur Strategie der Verteidigung, zu den konkreten Tatvorwürfen die Aussage zu verweigern. Dabei ging es jedoch nicht in erster Linie darum, eine Freispruchverteidigung zu führen. Vielmehr wollte man Staatsanwaltschaft und Gericht dazu zwingen, sich eingehend mit dem Fall zu befassen, zumal sich die Beweislage als schwierig erweisen sollte.

Denunziation auf Grund eines Zeitungsartikels

Als Zeuge zum Beweis dieser Tatsache wurde ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde gehört. Dieser hatte ein Interview mit Cornelius Yufanyi über den Jenaer Kongress in der Lokalpresse gelesen und ihn daraufhin denunziert. Auf Nachfrage des Staatsanwalts sagte der Zeuge: "Herr Yufanyi hat die Medien benutzt, um sich selber anzuzeigen. ... Ich gehe davon aus, dass das, was in der Zeitung steht, der Wahrheit entspricht." Damit war also klargestellt, dass der Zeuge nicht aus eigener Erkenntnis, sondern nur auf Grund dieses Artikels Anzeige erstattet hatte. Ein Beweis für die Teilnahme wurde somit nicht erbracht. Hierzu wird eine Vernehmung des Journalisten nötig sein.

Den verteidigenden Rechtsanwälten Klingräff und Schraage (beide Berlin) gelang es in der anschließenden Befragung des Mitarbeiters der Ausländerbehörde, weitere Punkte zu machen. So wurde unter anderem thematisiert, dass es bei der Ausländerbehörde eine Verwaltungspraxis gibt, nach der Asylbewerbern eine Erlaubnis zum Verlassen des Landkreises nur einmal im Monat erteilt wird. Dies wies der Zeuge von sich und betonte, dass er jeden Einzelfall getrennt beurteile. Gleichzeitig berief er sich auf die Weisung des Innenministeriums, nach welcher in der Regel ein bis zwei Erlaubniserteilungen pro Monat angemessen seien.

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Datenschutzverletzung und Ansammlung von Rassismen der Ausländerbehörde

Der Zeuge fing sichtlich an, sich unwohl zu fühlen, als die Verteidigung ihn zu einem Brief seines Untergebenen befragte. In diesem ersuchte die Ausländerbehörde des Landkreises Eichsfeld das Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, dem in der Asylsache entscheidenden Gericht Mitteilungen über Cornelius Yufanyi machen zu dürfen. Die Rechtswidrigkeit dieses Schreibens war im Übrigen bereits lange vor dem Strafverfahren von der Datenschutzbeauftragten des Landes festgestellt worden. Die Richterin wollte daraufhin - wohlgemerkt mitten in der Zeugenvernehmung - die Sitzung beenden, weil man doch ohnehin wegen der schwierigen Beweislage zumindest einen weiteren Termin brauche. Der verärgerten Bitte der Verteidigung, doch wenigstens diesen Punkt der Zeugenvernehmung zum Abschluss bringen zu dürfen, traute sie sich dann nicht zu widersprechen.

Peu à peu musste der Zeuge in der Befragung einräumen, dass dieser Brief belegte, dass man Cornelius Yufanyi zur Bestreitung seiner politischen Aktivitäten nur eine Erlaubnis zum Verlassen des Landkreises pro Monat erteile. Das Bundesamt wurde auch darauf hingewiesen, dass sich Cornelius Yufanyi selten im Asylbewerberheim aufhielte und ständig Anträge zum Verlassen des Landkreises stelle. Auch hielt man es für nötig, ihm vorzuwerfen, dass er seinen Aufenthalt in Deutschland vorwiegend für politische Aktivitäten nutze, und dabei (zu allem Überfluss) in ständiger Begleitung einer deutschen Studentin aus Niedersachsen sei. Auf die Frage welche Relevanz der letzte Punkt für das Verwaltungsverfahren habe, sagte der Zeuge, blass und kleinlaut "Keine".

Erst dann gelang es der Richterin, die Sitzung zu beenden. Das Verfahren wurde ausgesetzt. Mit einem Neubeginn ist nicht vor Anfang nächsten Jahres zu rechnen. Vermutlich wird die Richterin diesen Fall jedoch erst mal ganz nach hinten legen. Aufgrund des Verlaufes ist dennoch die Hoffnung angebracht, dass sich auch die nächste Verhandlung hoher Beteiligung erfreuen wird. Es ist jedoch wichtig, dass dies auch gelingt, und zwar nicht nur hier, sondern auch in den vielen anderen Fällen, die in nächster Zeit von Flüchtlingen und Rechtsanwälten betrieben werden. Eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes wird höchstwahrscheinlich nur auf politischem Wege möglich sein. Dafür braucht es Druck.

Erste Bilanz

In diesem Prozess ist es gelungen, exemplarisch die skandalöse, rassistische Verwaltungspraxis im Asylverfahren offenzulegen. Nicht nur haben die zuständigen Mitarbeiter der Ausländerbehörde Cornelius Yufanyi mehrfach bei verschiedenen Stellen ohne Not denunziert, sie haben auch - in vermutlich rechtswidriger Praxis - versucht, seine politischen Aktivitäten zu behindern. Leichtfertig haben Staatsanwaltschaft und Gericht eine Strafbefehl herbeigeführt, ohne eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Es ist auch erfolgreich gelungen, die Residenzpflicht zum Thema zu machen, dies spiegelt auch die bisherige Presseberichterstattung wider.

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Doch die allermeisten vergleichbaren Fälle finden ohne Strafverteidigung und ohne öffentliche Aufmerksamkeit statt. Dem entgegenzuwirken ist auch das Ziel der Kampagne von The Voice und von Cornelius Yufanyi, der in seiner Erklärung zu Beginn der Verhandlung sagte: "Die Anerkennung einer menschlichen Rasse sollte Gesetzen den Weg öffnen, die Einheit, Integration und Kooperation zu fördern, und nicht Gesetze hervorbringen, die die Trennung, Klassifizierung, Folterung und Zerstörung von Menschen verstärken."






  
Kastenüberschrift

Die Kampagne gegen die Residenzpflicht braucht Unterstützung: Prozessbeobachter, Aktive und Geld. Beiteiligt sind unter anderem folgende Organisationen:

-The VOICE e.V. Africa Forum, Human Rights Group, Schillergässchen 5, 07745 Jena, Tel.: 03641-665214 / 449304, Fax:03641-423795 / 420270, e-mail: the_voice_jena@gmx.de

Bankverbindung: Kto.Nr.: 0231 633 905, BLZ: 860 100 90, Postbank Leipzig

-Karawane Koordination, Internationaler Menschenrechtsverein Bremen e.V., Wachmannstr. 81, 28209 Bremen, Tel.: 0421/5577093, Fax: 0421/5577094, http://www.humanrights. de

-Kein Mensch ist illegal, c/o Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, Tel.: 0172/8910825, mail: grnze@ibu.de







Jan Schallaböck arbeitet als Praktikant bei den Anwälten von Cornelius Yufanyi.
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