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FF6/2000
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vom:
01.12.2000


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FF6/2000:

  Schwerpunkt: Asyl

Ein Projekt von Asyl in der Kirche Berlin zur vorübergehenden Hilfe für mittellose und obdachlose Flüchtlinge:

Die Berliner Fluchtwohnung

Hanne Garrer und Jürgen Quandt

Vor 2 Monaten kam sie zu uns, Josefine mit ihrer kleinen Tochter.

Wie so oft konnten wir ihrer komplizierten Geschichte nicht gleich nachgehen.

Aber eins war klar: Josefine war in Not, sie konnte an diesem Tag nicht mehr nach Hause zurückkehren.



Die Polizei hatte schon abschiebende Maßnahmen eingeleitet, eine Festnahme drohte.

Zum Glück haben wir in solchen Fällen eine Fluchtwohnung, eine Notunterkunft, wo Flüchtlinge zuerst mal in Sicherheit sind, während die Beratungsstelle Zeit hat, sich eingehend mit ihrer Problematik zu beschäftigen.

Josefine war verzweifelt, "verstand die Welt nicht mehr", so sagte sie.

Seit 10 Jahren hält sie sich schon in Deutschland auf. Sie war verheiratet mit einem Deutschen, diese Ehe wurde geschieden. Ihre siebenjährige Tochter wurde in Berlin geboren und hat nie die Heimat ihrer Mutter gesehen. Diese kleine Berliner "Göre" sollte jetzt abgeschoben werden, in ein afrikanisches Land, das sie gar nicht kennt. Sie möchte weiter in Berlin zur Schule gehen; sie ist eine fleißige Schülerin.

Josefine hat einen neuen Lebenspartner kennengelernt; sie wollen heiraten.

Seit 3 Jahren versuchen sie dies ohne Erfolg! Alle Papiere für die Eheschließung sind da. Diese Papiere werden bei Ehen zwischen Ausländern und Deutschen vom Kammergericht geprüft. Der zuständige Richter versucht alles zu unternehmen, um diese Eheschließung unmöglich zu machen.

Josefine ist verzweifelt, ihr Mann wütend, aber sie geben nicht auf und haben einen Rechtsanwalt beauftragt. Die Ausländerbehörde hat leider keine Geduld mehr und droht mit Abschiebung.

Hätten wir nicht die Fluchtwohnung, so wären Josefine und ihre Tochter schon längst in ein afrikanisches Land abgeschoben. In solchen Fällen nehmen wir die Menschen auf, geben ihnen 10 DM pro Tag, damit sie sich selber verpflegen können. Oftmals leben mehrere Flüchtlinge zu gleicher Zeit in einer Fluchtwohnung.

In Josefines Fall haben wir eine Kirchengemeinde gefunden, die sich des Schicksals der beiden annimmt, ihnen Sorgen abnimmt und sich für eine schöne Zukunft einsetzt.

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Seit 1995 unterhält "Asyl in der Kirche Berlin" die Fluchtwohnung, in der auch Josefine mit ihrem Kind untergebracht war. Die Überlegungen, ein solches Projekt ins Leben zu rufen, sind entstanden, als in der kirchlichen Flüchtlingsarbeit nach der Verschärfung des Asylrechts 1993 immer deutlicher wurde, dass die illegale Zuwanderung zunimmt.

Dies wurde recht bald vor allem in der Arbeit der Flüchtlingsberatungsstellen deutlich. Immer häufiger tauchten dort Menschen auf, die obdachlos waren oder es aufgrund behördlicher Maßnahmen geworden waren, die keine Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung hatten und deren rechtlliche Situation ungeklärt war.

Um diesen Menschen evtl. weiterhelfen zu können, brauchte es darum zuallererst Zeit zur Klärung vieler Fragen, und in dieser Zeit mussten die Betroffenen einigermaßen menschenwürdig und sicher untergebracht und versorgt werden. Da in diesen Fällen ein Kirchenasyl nicht oder noch nicht anstand, war es sehr schwer, Kirchengemeinden zu finden, die zur Aufnahme solcher Menschen bereit waren. Es musste also eine Zwischenlösung gefunden werden. Daraus ist das Konzept für die Fluchtwohnung entstanden.

Es handelt sich dabei um eine Wohnung in einem kirchlichen Gebäude, die von "Asyl in der Kirche Berlin" angemietet worden ist. Es besteht dort die Möglichkeit, bis zu 8 Personen zeitweilig unterzubringen. Die Aufenthaltsdauer beträgt im Durchschnitt 3-4 Wochen, was nicht ausschließt, dass in Einzelfällen sehr viel längere Aufenthalte erforderlich sind.

Oftmals handelt es sich bei den Bewohnern um Menschen, die schon sehr lange in der Stadt gelebt haben und die aufgrund ausländerrechtlicher Bestimmungen oder auch aufgrund behördlicher Willkür ihr Aufenthaltsrecht verloren haben und denen eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist oder nicht zugemutet werden kann.

Es gibt eine z.Zt. zwölfköpfige Betreuergruppe, die aus Studentinnen/Studenten und Gemeindegliedern besteht. Diese Gruppe organisiert mit den Flüchtlingen das Leben in der Fluchtwohnung. Es gibt wöchentlich zwei Besprechungen mit den Bewohnern, an denen mindestens zwei der Betreuer teilnehmen. Bei einem Treffen stehen die finanziellen und organisatorischen Fragen des Zusammenlebens in einer Wohngemeinschaft im Vordergrund. Bei dem zweiten Treffen werden die persönlichen Probleme der Bewohner/innen besprochen. Die Betreuer-/innen begleiten die Flüchtlinge auch bei Wegen außerhalb der Wohnung, z. B. bei Arztbesuchen und zu Rechtsanwälten. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsberatungsstelle von "Asyl in der Kirche" in der Heilig-Kreuz-Kirche und mit der Härtefallberatungsstelle von Pax Christ. Über diese Beratungsstellen werden auch die meisten Flüchtlinge in die Fluchtwohnung vermittelt.

Seit 1995 haben etwa 160 Personen vorübergehend Aufnahme gefunden. Davon sind ca. 1/3 anschließend zu Gemeinden ins Kirchenasyl gegangen oder wurden von Gemeinden anderweitig betreut. Ein weiteres Drittel ist mit unserer Unterstützung legal weitergewandert, entweder in andere Bundesländer, aus denen sie nach Berlin gekommen waren, oder ins Ausland bzw. ins Heimatland. Für die Übrigen konnten Aufenthaltsregelungen in Berlin erreicht werden. Einige sind auch wieder ohne Klärung ihrer Situation in die Illegalität zurückgegangen.

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Hanne Garrer und Jürgen Quandt sind Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche". + Quellenangabe
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