Netzwerk Friedenskooperative



FF2/2001


vom:
April 2001


 vorheriger

 nächster
 Artikel

FF2/2001:

  Im Blickpunkt

Kosovo, Mazedonien.... und wie weiter?

Andreas Buro

Der berühmte Satz des aus Frankreich stammenden Philosophen René Descartes "Cogito, ergo sum" (Ich denke, also bin ich) muss in unserer schnelllebigen Zeit mit ihren PR-Regeln dringend neu formuliert werden. Mein Vorschlag: "Ich schieße, also bin ich". Denn wer nicht schießt, wird von den Medien nicht wahrgenommen und wer nicht medial erscheint, existiert für die Weltöffentlichkeit nicht.


Die Probe aufs Exempel liefern gerade in diesen Tagen die albanischen UCK-Freischärler, die mit ihrer Schießerei in Mazedonien eine neue Runde im Kampf um die albanische Sache einzuleiten versuchen. Die Methode ist nicht neu, denn sie führte schon 1999 am 24. März zu dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien in Sachen Kosovo. Hier war es der kosovo-albanischen UCK gelungen, die NATO zu ihrer Luftwaffe umzufunktionieren, um die repressive serbische Herrschaft im Kosovo abzuschaffen.

Der Unterschied zwischen den Kämpfen im Kosovo und in Mazedonien darf jedoch nicht übersehen werden: Damals war der NATO-Westen, weil er unter anderem die Regierung Milosevic stürzen wollte, bereit die ihm zugedachte Funktion als Luftwaffe der UCK zu übernehmen, obwohl er nicht die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo auf seine Bomben geschrieben hatte. Heute in Mazedonien hat er jedoch kein Interesse an dem Sturz der Regierung in Skopje, vielmehr wünscht er eine Stabilisierung des Balkans und damit auch Mazedoniens als einem Schlüsselland in dieser Hinsicht. Hatte der NATO-Westen damals mehr oder weniger die Kosovo-UCK unterstützt und mit ausgerüstet, so kann die Mazedonien-UCK solche Unterstützung nicht erwarten. Dementsprechend gibt sich die mazedonische Regierung in Skopje trotz des Drängens der EU zurückhaltend in Bezug auf Reformen zur Durchsetzung tatsächlicher Gleichberechtigung für den großen Anteil (25-30%) der dort lebenden albanischen Bevölkerung.

Vor lauter Detailberichten darüber, welcher Kommandant das oder jenes gesagt habe und welche Granaten wo eingeschlagen sind, darf das grundsätzliche Problem, das erst eine Sinndeutung des Konflikts ermöglicht, nicht vergessen werden. Bei den Albanern, übrigens wie auch bei den Kurden, handelt es sich um ethnische Großgruppen, deren Nachbarvolk oder -völker früher als sie den Prozess der Nationalstaatbildung eingeleitet haben. Dabei haben diese in ihre Nationalstaaten Gebiete einbezogen, die von anderen Völkern bewohnt waren. Ihre aufkommenden nationalen Aspirationen wurden jedoch systematisch unterdrückt. Unterdrückung reichte vom Völkermord (Armenier in der Türkei 1915), der Aberkennung der kulturellen Identität (Kurden seien Bergtürken), der Zwangsassimilierung (z.B. Sprachverbot für Kurdisch) bis zur politischen Entrechtung (Aufhebung des Autonomie-Status des Kosovo durch Belgrad). In diesen Prozessen hatten meist, aber nicht nur, die Kolonial-Großmächte ihre Finger mit im Spiel. So bei der Aufstückelung des kurdischen Siedlungsgebietes auf die Türkei, den Irak, Iran und Syrien, so auch bei der Aufteilung der Albaner, die heute in den Staaten Albanien, Serbien, Montenegro, Nord-Griechenland und in Mazedonien leben.

Die Repressionspolitik der Titularnationen war und ist in der Regel mit einer wirtschaftlichen Benachteiligung verbunden, so dass die "zu spät gekommenen Völker" zu armen Bewohner des Nationalstaates, in dem sie leben, wurden. Die nationale Frage wurde so auch zur sozialen. Der Kosovo war das Armenhaus Jugoslawiens, ebenso wie das kurdisch besiedelte Gebiet in der Türkei verarmt ist. Vor diesem hier nur schematisch benannten Hintergrund ist es verständlich, dass bei den "zu spät gekommenen Völkern" immer wieder die nationale Frage aufkommt und zu Aufständen führt, die von den Titularnationen meist mit Zustimmung der Großmächte, die keine Grenzveränderungen wünschen, als terroristischer Separatismus verurteilt und bekämpft werden.

Zutiefst tragisch an diesen Konstellationen ist, dass sie oft genug als ethnisch-rassistische Konflikte ausgefochten werden und so zu tiefem Hass zwischen den Völkern führen können. Tragisch ist aber auch, dass diese Kämpfe um eine nachholende Nationalstaatbildung zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem in Integrationszonen wie der EU die Nationalstaaten bereits selbst große Teile ihrer Souveränität an supra-nationale und internationale Institutionen abgeben. Die Globalisierung der Ökonomie, die von den dominierenden Industriegesellschaften ausgeht tut ein übriges, um formal eigenständige Staaten in einer Fülle von Abhängigkeiten zu verstricken und ökonomischen Gesetzen zu unterwerfen. Der Kampf um den eigenen Nationalstaat ist also anachronistisch und kann nicht die Lösung für die "zu spät Gekommenen" sein. Nur der zivile Konfliktaustrag zur Durchsetzung ihrer kulturellen und politischen Rechte und ihrer wirtschaftlichen Gleichberechtigung bietet ihnen eine Perspektive. Dies erfordert gleichzeitig einen Kampf um die Demokratisierung der Gesellschaften und um Versöhnungspolitik, sprich Überwindung von Feindbildern innerhalb der jeweiligen Staaten.

 zum Anfang


FF2/2001
Doch kann dazu der bewaffnete Kampf wirklich beitragen? Alle Erfahrungen lehren, der militärische Befreiungskampf führt zu erneuter Hierarchisierung, zu Unterdrückung im eigenen Lager und zu brutalem Kampf um die Macht, denn nicht demokratische Praktiken sondern gewaltförmiger Konfliktaustrag wurden im "Freiheitskampf" eingeübt. Das Beispiel UCK im Kosovo mag hierfür, neben vielen anderen, als Beispiel gelten. Durch den Krieg wurde der Hass zwischen Kosovo-Albanern und Serben noch gesteigert. Der Vertreibung und Rückkehr von Kosovo-Abanern folgte die Vertreibung und Flucht der Serben, aber auch von Roma und Achkali. Zu den Opfern gehören auch solche Kosovo-Albaner, die sich für eine friedliche Lösung und das Zusammenleben von Albanern und Serben einsetzten. Beim Kampf um Mazedonien dürfte es, wenn er sich aufgrund einer fehlenden Präventionspolitik denn voll entwickelt, ähnlich zugehen.

Die Grundkonstellation dieses Konflikts wurde seit Beginn der 90er Jahre von Friedensbewegung und Friedensforschung vorausgesehen und eine entsprechende präventive Politik gefordert, die jedoch nie praktiziert wurde. Schade, dass man solche tödliche Fahrlässigkeit in Den Haag nicht anklagen kann. Viele NATO-Staatsmänner säßen sonst dort vor ihren Richtern, statt ihre Bombardierung Jugoslawiens mit lügenhaften Argumenten immer wieder öffentlich zu rechtfertigen.

Doch auch nach dem Ende des Krieges ist keine systematische Präventionspolitik gegenüber den absehbaren Entwicklungen entfaltet worden. Die die durch westliche Außenministerien finanzierte International Crisis Group (ICG) berichtete: Die UCK bleibt ein "mächtiges und aktives Element in praktisch allen Lebensbereichen" 55% der ausgebildeten Polizisten hat eine Verbindung zur UCK. Im "Kosovo-Schutzkorps", das angeblich dem Zivil- und Katastrophenschutz dienen soll, sind ca. 5.000 ehemalige UCK-Kämpfer versammelt und verstehen sich als Herz einer künftigen Kosovo-Armee. Die heimlichen Aktivitäten der UCK gehen auch über den Kosovo in die umliegenden Ländern hinaus, in denen es albanische Bevölkerung gibt. Zusätzlich versinken Albanien wie auch der Kosovo in einem Meer von Verbrechen und Korruption. Die Region ist zur wichtigsten Route für den Schmuggel von Menschen und Drogen nach West- und Nordeuropa geworden. Politik und Kriminalität sind miteinander verflochten.

Dieser unheilvollen Mischung steht im Westen eine gänzlich unklare Politik gegenüber. Welche Perspektive hat der Westen für sein Protektorat Kosovo und den ganzen albanisch bevölkerten Bereich? Soll der Kosovo ein autonomes Gebilde im serbischen Staatsverbund bleiben, wie der Westen immer wieder gesagt hat? Aber was macht man dann mit der nationalen Frage? Soll eine Lösung in einer balkanischen Integrationszone gesucht werden, aber hätte man dann nicht längst das Pulverfass Mazedonien mit seinen Minderheiten-Problemen entschärfen müssen, um eine Explosion zu verhindern? Eine präventive Strategie des NATO-Westens auf der Höhe der Ereignisse und Konstellation ist nicht erkennbar. Zwar ist der Stabilitätspakt ein guter Ansatz, doch müsste er in ein langfristiges präventives Gesamtkonzept für die Region eingebettet sein, an das die Menschen und Völker des Balkan glauben und an dem sie sich verlässlich orientieren könnten. Hier wäre eine Chance für eine präventive zivile Alternative, doch Rot-Grün wendet sich anscheinend lieber der Aufrüstung der schnellen EU-Eingreiftruppe zu. Dann wird es demnächst wieder frei nach Descartes heißen: "Ich schieße, also bin ich." Die Weltmedienöffentlichkeit wird es dankbar aufgreifen.

 zum Anfang


FF2/2001

Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.

E-Mail:   andreas.buro@gmx.de
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       
Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema
Ex-Jugoslawien
Friedenspolitik und Ex-Jugo-Hilfe
Ex-Jugoslawien: Links und Hinweise
Ex-Jugoslawien: Aktuelles
Ex-Jugoslawien: Einleitung
Ex-Jugo: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe
UND-Förderrichtlinien

Bereich

FriedensForum

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk  Themen  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell