Netzwerk Friedenskooperative



FF2/2001


vom:
April 2001


 vorheriger

 nächster
 Artikel

FF2/2001:

  Initiativen

Für eine Kampagne gegen Rüstungsexporte

G36 - Rot-Grüne Beihilfe zum Völkermord?

Jürgen Grässlin

"In a world of compromise some don`t" Werbeslogan der Waffenschmiede Heckler & Koch

Handfeuerwaffen sind Prestigeobjekte von Rüstungsbossen, Militärs und Verteidigungspolitikern. Mehr als das aber sind sie das gebräuchlichste Mittel der Kriegführung. Handfeuerwaffen - neben Landminen - sind "konventionelle" Waffen und fordern dennoch weitaus mehr Tote als diejenigen Waffen, die gemeinhin als Massenvernichtungswaffen gelten. Kein bundesdeutscher Regierungsvertreter - gleich welcher parteipolitischen Couleur - hat es bislang gewagt, ein Export- geschweige denn ein Produktionsverbot dieser Massenvernichtungswaffen zu fordern.



Dabei ist Deutschland eines der wenigen Länder, deren Gewehre über Direktexporte und Lizenzvergaben das Morden rund um den Globus ermöglichen. Bis heute wurden rund 10 Millionen G3-Gewehre produziert, exportiert und eingesetzt. Inzwischen hat die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch die Bundeswehr mit dem Nachfolgemodell G36 ausgerüstet.

Opfer der Rot-Grünen Rüstungsexportpolitik?

Sollte die jetzige Bundesregierung wie ihre Vorgänger verfahren, droht die Fortsetzung der tödlichen "Erfolgsstory" aus Oberndorf - und das Massenmorden mit deutschen Handfeuerwaffen geht in die nächste Runde. Der erste Schritt ist bereits getan: Mit Zustimmung des Bundessicherheitsrats erhält das türkische Militär im Jahr 2001 eine Munitionsfabrik - optimal geeignet zur Fortsetzung des Bürgerkriegs in Kurdistan. Wann folgen die ersten G36-Gewehre? Mit welchen Argumenten will man Gewehrexporte versagen, wenn man zuvor die entsprechende Munitionsfabrik geliefert hat?

Die G3-Story - Weltmeister aus Oberndorf

Am 28. Dezember 1949 wurde das Unternehmen Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar gegründet. Noch in den 50er Jahren entwickelten die Waffentechniker die neue Standardwaffe für die Bundeswehr - das Schnellfeuergewehr G3. Die 60er Jahre waren geprägt von der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte und dem Ausbau eigener Produktionskapazitäten. Die H&K-Waffen"familie" wurde um die Maschinenpistole MP5 ergänzt.

 zum Anfang


FF2/2001
Gerade die Serienfertigung des G3 entpuppte sich als wahre Goldgrube. Nach der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte mit der "Braut des Soldaten", so die makabre Bezeichnung für das Gewehr aus Oberndorf, erschloss die H&K-Geschäftsführung neue Absatzmärkte. Dabei profitierten die schwäbischen High-Tech-Produzenten von der Tatsache, dass der Verkauf angesichts von weltweit mehr als 350 Kriegen und Bürgerkriegen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts boomte. In nur wenigen Jahren avancierte das schwäbische Unternehmen zum größten deutschen Hersteller von Handfeuerwaffen. Kaum eine kriegerische Auseinandersetzung fand und findet ohne den mörderischen Einsatz der H&K-Handfeuerwaffen statt.

Gemessen an der Zahl der Empfängerländer ist Heckler&Koch bis heute unangefochtener deutscher Rüstungsexportmeister. Auf Bundestagsfragen sah sich Willy Wimmer, früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, zum Eingeständnis gezwungen, dass für G3-Gewehre "bis 1988 für über 80 Länder Ausfuhrgenehmigungen erteilt" wurden. Während die Bundesregierung unter Helmut Kohl gebetsmühlenartig die Leier einer "restriktiven Rüstungsexportpolitik" wiederholte, erteilte sich H&K zugleich einen Freilieferschein für Waffenexporte an nahezu alle Scheindemokratien und Diktaturen.

Folgenschwerer noch als die Direktexporte aus Oberndorf haben sich die Lizenzvergaben ausgewirkt. Nach 1961 genehmigten die Bundesregierungen (bei wechselnder parteipolitischer Besetzung) die Vergabe der Nachbaurechte und den Verkauf entsprechenden Know-hows an die Lizenznehmer im Ausland: So sind G3-Lizenzen 1961 an Portugal, 1963 an Pakistan, 1964 an Schweden, 1967 an Norwegen, den Iran und die Türkei, 1969 an Saudi-Arabien, 1970 an Großbritannien und Frankreich, 1971 an Thailand, 1977 an Griechenland, 1979 an Mexiko und 1981 an Burma vergeben worden.

Wiederholt erfolgte die Lizenzvergabe sogar auf Betreiben der Regierung. Längst ist der Interessenverband Heckler&Koch & Bundesregierungen zum Weltmeister der Lizenzvergaben im Handfeuerwaffenbereich aufgestiegen: Über 20 Nachbaurechte für H&K-Waffen sind bislang vergeben worden - mehr als bei der russischen Kalaschnikow oder der US-amerikanischen M16.

G3-Gewehre sowie MP5-Maschinenpistolen werden in den Fabrikationsstätten in Lateinamerika, im Nahen Osten oder in Südostasien produziert. Bis heute zählt das G3 - von dem insgesamt zwischen 7 und 10 Millionen Exemplare zumeist in Lizenz gefertigt worden sind - neben der Kalaschnikow AK47, der M16, der israelischen Uzi und der belgischen FN FAL zu den meist eingesetzten Gewehren auf den Schlachtfeldern in aller Welt.

Die Folgen sind katastrophal: Abgesehen von wenigen Regionen - der Arktis, der Antarktis, den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts und China - finden sich Heckler&Koch-Gewehre im mörderischen Dauerfeuer. Bis zum heutigen Tag sind Hunderttausende von Menschen von H&K-Waffen getötet worden - mehr Menschen, als Oberndorf seit seiner Stadtgründung im Jahre 1251 insgesamt an Einwohnern gehabt hat.

 zum Anfang


FF2/2001
In Oberndorf am Neckar werden diese Fakten bis heute verdrängt, nur allzu gern verschanzt man sich hinter einer Mauer des Schweigens. Bei den vereinzelten Gesprächen, die im Laufe der Jahre zwischen Friedensbewegten und Firmenvertretern stattgefunden haben, konnte keinerlei Konsens herbeigeführt werden. Für die H&K-Repräsentanten gilt die immerdar propagierte Schutzbehauptung: "Alles läuft ausschließlich über die Bundesregierung!" Tatsächlich steht vereinzelten illegalen Exporten eine weit überwiegende Zahl legaler Waffenausfuhren gegenüber. Moralisch mitschuldig sind sie dennoch alle: Die Oberndorfer Profiteure der Kriege und die politischen Entscheidungsträger der vergangenen Jahrzehnte. An ihren Händen klebt das Blut der Opfer ihrer Geschäftspolitik.

Dreißig Jahre nach seiner Einführung war der G3-Markt gesättigt, die Schnellfeuergewehre entsprachen längst nicht mehr den High-Tech-Ansprüchen der NATO-Kampftruppen. Als die Bundesregierung den bereits erteilten Großauftrag für das neu entwickelte G11-Gewehr stornierte, stand Heckler & Koch vor dem Konkurs. (1) Rückwirkend zum 1. Januar 1991 wurde H&K zu hundert Prozent von Royal Ordnance übernommen, einem Tochterunternehmen des größten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns British Aerospace. RO befand sich bereits im Besitz einer G3-Lizenz. (2) Die Zielsetzung der Londoner Geschäftsführung war eindeutig: H&K sollte über eine weitere Waffenentwicklungen wieder in die Spitzengruppe der Handfeuerwaffenfirmen geführt und erneut zu einem hoch profitablen Unternehmen gemacht werden.

Fortgesetzter Völkermord mit deutschen Waffen?

Am 8. Mai 1995 erteilte der General der Heeresrüstung die Einführungsgenehmigung für das Heckler&Koch-Gewehr HK50, im Bundeswehrjargon G36 genannt. Nur sechzehn Monate später (September 1996) wurde das erste Fertigungslos des G3-Nachfolgers an die Krisenreaktionskräfte ausgeliefert. Zuvor musste die Güteprüfstelle der Bundeswehr per Abnahmebeschluss bestätigen, dass der mittlere Treffpunkt auf hundert Meter in einem 12 Zentimeter umfassenden Kreis liegt. Die Streuung darf 20 Zentimeter nicht überschreiten, ansonsten würden die "Weichziele" - so die bei Militärs übliche Bezeichnung für Menschen - zu selten getroffen werden.

Gegenüber dem überalterten G3 mit seinem 7,62 mm x 51 Kaliber verspricht das G36 nicht nur eine erhöhte Trefferquote, sondern auch die Erfüllung der Kriterien zur Teilnahme an allen Out-of-area-Kampfeinsätzen der NATO. Seit Jahren verwenden verschiedene Mitglieds- bzw. assoziierte Staaten im Bereich der Handfeuerwaffen das NATO-Kaliber 5,56 mm x 45: Großbritannien beim SA80, Belgien beim FNC und Frankreich beim FAMAS.

 zum Anfang


FF2/2001
Zur eigentlichen Neuorientierung im Munitionsbereich kam es aufgrund der Marktauseinandersetzung mit der US-amerikanischen Firma der Firma Colt, deren M16 das US-Militär verwendet. Die 5,56 mm-Munition ist halb so schwer wie die des G3 und weist einen um 50 Prozent geringeren Patronenimpuls auf. Die H&K-Techniker erkannten, dass ihr Unternehmen nur dann auf dem internationalen Waffenmarkt bestehen kann, wenn sie sich der US-Norm anpassen: Kein Wunder also, dass das G36 bei einer um rund 50 Prozent erhöhten Feuerkraft aufgrund des leichten und zugleich hitzeresistenten Kunststoffs sowie der neuen 5,56 mm-Munition immer noch über ein Kilo leichter als das G3 ist - auf dem Schlachtfeld ein entscheidender Vorteil in Sachen Beweglichkeit und Nachschub.

Mit dem G36, zu einem Stückpreis von 1200,- DM 170.000 mal für das bundesdeutsche Heer geordert (3), verfügt H&K über einen Gewehrtyp, der wie sein Vorgängermodell zum Global Seller werden soll. Die Rahmenbedingungen dafür scheinen - dank einer weiterhin hemmungslos praktizierten Rüstungsexportpolitik - bestens. Und alles spricht dafür, dass die Türkei einer der ersten Abnehmer sein wird.

Munition für das türkische Militär

Vor Jahren behauptete Ursula Seiler-Albring, damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt: "Die Bundesregierung hat sich von der türkischen Regierung wiederholt ausdrücklich versichern lassen, dass deutsche Waffen vertragsgemäß nicht im Rahmen der Terrorismusbekämpfung (gemeint waren Kurden, Anm. des Verfs.) verwendet werden." Wie falsch derlei Aussagen sind, weiß jeder, der den Einsatz türkischer Kampfeinheiten - auch gegen Zivilisten - in der Vergangenheit verfolgt hat. Seit Jahrzehnten setzen türkische Militäreinheiten bei ihren Vernichtungsaktionen gegen Kurdinnen und Kurden H&K-Waffen "Made in Turkey" ein: Die Lizenzvergabe der H&K-Maschinenpistole MP5 an die Türkei erfolgte 1983, die des Schnellfeuergewehrs G3 bereits 1967. Seither hat der Lizenznehmer Makina ve Kimya Endustrisi Kurumu (MKEK) aus Ankara pro Jahr bis zu 40.000 G3-Gewehre gefertigt - genug um das Oberndorfer G3 zur Standardwaffe der türkischen Streitkräfte werden zu lassen.

Rechtlich wäre die Rücknahme der Handfeuerwaffenlizenz möglich. Doch noch nie hat irgendeine Bundesregierung eine vergebene G3-Lizenz zurückgezogen. Warum sollte sie auch? Bislang lagen Lizenzvergaben immer im "vitalen Interesse" der deutschen Christ- & Sozialdemokraten.

Wo die Rot-grüne Bundesregierung steht, hat sie im Sommer mit der Mehrheitsabstimmung im geheim tagenden Bundessicherheitsrat zur Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei gezeigt: Die Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH im hessischen Geisenheim, ein Tochterunternehmen von Ferrostaal, erhielt die Genehmigung, im Jahr 2001 gemeinsam mit französischen und belgischen Partnern eine Munitionsfabrik für das NATO-Kaliber 5,56 mm zu errichten.

 zum Anfang


FF2/2001
Das 5,56 mm-Kaliber der Munitionsfabrik von Fritz Werner ist auch für das neue G36 geeignet. Was liegt näher, als sich an die G3-"Erfolgs"story zu erinnern: Der Bewaffnung der Bundeswehr folgten die Direktexporte und Lizenzvergaben in alle Welt. Wollen wir verhindern, dass auch das G36 zum weltweiten Verkaufsschlager wird und erneut Hunderttausende von Opfern zu beklagen sind, müssen wir jetzt eine breit angelegte Kampagne gegen G36-Direktexporte und -lizenzvergaben initiieren.

Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK); Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) und Mitglied im Vorstand des Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg e.V.

Anmerkungen:

(1)Kersten, Manfred und Walter Schmid: Heckler & Koch. Die offizielle Geschichte der Oberndorfer Firma Heckler & Koch. Verlag Udo Weispfennig, Wuppertal 1999, S. 29.

(2)Ebd., S. 33.

(3)SZ 21.08.97.

(4)Kersten/Schmid, ebd. S. 5.



E-Mail:   j.graesslin@gmx.de
Internet: http://www.dfg-vk.de/dfg-vk/ver004.htm
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       
Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema
Rüstungsexporte
Inhalt Rüstungsexport
R-exp.: Presse zu Entscheidungen des BSR
FF2/2001: Scharpings Fuchs-Panzer-Lüge
Panzerexp: Türkei hat kein Geld mehr ...
Presse zu EU-Richtlinien R-export
Die Woche zu Rüstungsindustrie

Bereich

FriedensForum

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk  Themen  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell