Netzwerk Friedenskooperative



FF5/2001 - Inhalt


vom:
Oktober 2001


 vorheriger

 nächster
 Artikel

FF5/2001:

  Friedensbewegung International

Beiträge deutscher und mazedonischer NGOs zur Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung in Mazedonien

Roland Wünsch

Seit dem Ende des Kosovo-Krieges verschärfen sich in der Republik Mazedonien die politischen, ethnischen und religiösen Spannungen. Es scheint geradezu, als habe die damalige Flüchtlingswelle aus dem Kosovo und der enorme Druck der internationalen Staatengemeinschaft auf die mazedonische Politik, das Land aus den Kriegen der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien herauszuhalten, den Boden für die jetzigen Konflikte geschaffen.


Dieser Eindruck täuscht: Die jetzigen innermazedonischen Konflikte haben ältere, teils strukturell denen in anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens vergleichbare und Jahrhunderte alte Wurzeln, teils sind sie im Rahmen der Unabhängigkeit "hausgemacht", wie z. B. das mazedonische Staatsbürgerschaftsrecht, das ethnische Minderheiten bei der Einbürgerung massiv benachteiligt. Gleichwohl sind sie im Gefolge der Kosovo-Krise an die Spitze der innenpolitischen Agenda gelangt: Die politische, militärische und finanzielle Unterstützung der UCK während des Kosovo-Krieges durch westliche Staaten, das bisherige Scheitern aller Bemühungen, ein multiethnisches und multikulturelles Kosovo zu bewahren, haben dazu beigetragen, großalbanische Phantasien und Ängste in der mazedonischen Gesellschaft zu beflügeln. Vorhandene Konflikte sind somit nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschärft worden. Mazedonien steht an der Schwelle zu einem offenen Bürgerkrieg.

Um eine weitere Eskalation in Mazedonien zu verhindern, setzt die bundesdeutsche Politik bislang auf 3 Ebenen an:

 Mit diplomatischen Mitteln, insbesondere der Einsetzung des EU-Sonderbeauftragten Leotard, soll politische Hilfestellung gegeben und im aktuellen Konflikt vermittelt werden. Ziel ist es, den interethnischen Dialog aufrechtzuerhalten, und einen politischen Prozess zur Berücksichtigung der Interessen der albanischen Bevölkerungsminderheit zu unterstützen.

 Auf der europäischen Ebene, indem mit Mazedonien als erstem Nachfolgestaat Jugoslawiens eine EU-Assoziierung vereinbart wurde. Durch direkte finanzielle Hilfen - sowohl der BRD wie der EU - soll Mazedonien darüber hinaus ökonomisch gestützt werden. Im Rahmen des Stabilitätspaktes werden z. Zt. 76 Projekte im Umfang von rd. 187 Mio. Euro in den Bereichen Infrastruktur, Demokratie, Menschenrechte und Erziehung gefördert. Den Verbesserungen der wirtschaftlichen Beziehungen stehen allerdings erhebliche Anpassungsleistungen gegenüber, die Mazedonien im Rechts-, Wirtschafts- und Sozialsystem erbringen muss. Solche Transformationsprozesse belasten die soziokulturelle Basis von Gesellschaften in beträchtlichem Maße. In der derzeitigen Situation besteht die Gefahr, dass sie darüber hinaus konfliktverschärfend wirken.

 Im Kontext der NATO, in dem mit der Operation "Essential Harvest" symbolisch zur Entwaffnung der National Liberation Army (NLA) beigetragen und damit der Grundstock für eine politische Verhandlungslösung in den innermazedonischen Konflikten beigetragen werden soll. Zusätzlich sollen verschärfte Grenzkontrollen den Waffen- und Materialnachschub aus dem Kosovo erschweren.

Auf der Ebene staatlicher Akteure konnte bislang mit diesen Ansätzen durchaus zur Deeskalation des Konflikts beigetragen werden. Fraglich ist aber, ob hierdurch die Grundlage für eine dauerhafte Konfliktlösung geschaffen werden kann: Zum einen zielen die genannten Ansätze als aktives Konfliktmanagement auf die derzeitigen staatlichen und politischen Eliten und daher nicht auf breite Bevölkerungskreise und die Stärkung ihrer Kapazitäten in Ziviler Konfliktbearbeitung und soziokultureller Gemeinsamkeiten. Zum zweiten basieren die bisherigen Verhandlungserfolge im wesentlichen auf massivem politischen und wirtschaftlichen Druck auf die mazedonischen Hauptkontrahenten. Dies birgt die Gefahr der Delegitimierung der Verhandlungsparteien gegenüber ihrer gesellschaftlichen Basis, da "nur" die Forderungen des Auslands umgesetzt werden. Splittergruppen wie der Albanian National Army (ANA), aber auch radikalen mazedonischen Gruppierungen, wird dadurch Raum zur politischen Profilierung und Verschärfung der Konflikte gegeben.

Die Felder der Versöhnungsarbeit zwischen den ethnischen Gruppen, des Wiederaufbaus eines multiethnischen Zusammenlebens, des interkulturellen Dialogs und der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen können mit den Mitteln traditioneller Diplomatie nicht oder nur in geringem Umfang bearbeitet werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob deutsche und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) über Erfahrungen, Möglichkeiten und Kapazitäten verfügen, um einen weitergehenden Beitrag zur Konfliktlösung zu leisten.

An diesem Punkt setzt das Projekt ZIVIK des ifa an: Am 21. September fand in Berlin das Werkstattgespräch "Mazedonien: Deeskalierende und friedenskonsolidierende Handlungsoptionen der Zivilgesellschaft" statt, auf dem Handlungsoptionen und Konzepte mazedonischer, deutscher und internationaler NGOs ausgelotet wurden. Beteiligt wurden maßgebliche deutsche und internationale NGOs, die bereits in Mazedonien mit Projekten im Feld der Zivilen Konfliktbearbeitung tätig sind. Die Aktivitäten reichen von der Unterstützung bzw. Durchführung humanitärer und Not-Hilfe-Projekte mit konfliktbearbeitenden Elementen über sozial-caritative Projekte des community-building und Jugendarbeit bis zu Frauen- und Umweltprojekten.

Zahlreiche Trägerorganisationen von ehemals humanitär oder auf Nothilfe ausgerichteten Projekten bereiten eine Neuausrichtung ihrer Projekte und eine Ausweitung ihrer Aktivitäten im Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung vor, da nur so tragfähige Arbeitsbedingungen geschaffen werden können. Im breiten Spektrum der Aktivitäten deutscher NGOs in Mazedonien finden sich Schwerpunkte im Bildungsbereich und im Bereich der Förderung demokratischer Strukturen, der besonders von den deutschen Parteistiftungen betreut wird.

Noch im Aufbau befinden sich die Projekte des Zivilen Friedensdienstes. Das Forum Ziviler Friedensdienst bereitet die Entsendung zweier Friedensfachkräfte nach Mazedonien vor: Im Rahmen des ersten Projektes soll das interkulturelle, multiethnische Centre for Childrens Theatre Skopje durch professionelle theoretische und methodische Beratung sowie friedenspädagogische Weiterbildung der Schauspieler in den Bereichen Konfliktprävention und -management sowie Ausbildung praktischer Kompetenz im Umgang mit Konflikten unterstützt werden. Das international bekannte Centre for Childrens Theatre Skopje arbeitet an der Überwindung von Kriegstraumata und der Bewältigung des schwierigen Alltags in den Flüchtlingslagern bei Flüchtlingskindern. In einem zweiten Projekt wird das Institute for Promotion of Culture, OXO, ebenfalls in Skopje, unterstützt. Auftrag ist es, die MitarbeiterInnen sowie Vertreter anderer NGOs in ziviler Konfliktbearbeitung zu schulen. Aus beiden Projekten sollen gemeinsam Trainingsprogramme in ziviler Konfliktbearbeitung entwickelt und die Vernetzung friedenspolitisch aktiver NGOs gefördert werden.

Die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) e.V. bereitet für Herbst/Winter diesen Jahres die Entsendung zweier Friedensfachkräfte nach Skopje vor. Eine Friedensfachkraft soll eine Gastdozentur am Institute for Social Work and Social Policy der Philosophischen Fakultät der "St. Cyril und Methodeus" der Universität Skopje wahrnehmen. Ihre Aufgabe ist die Entwicklung und Durchführung von Lehrveranstaltungen zu den Themen : "civil peace initiatives / cross-cultural relations / inter-ethnic tolerance and values". Die zweite Friedensfachkraft wird als "Consultant Social Worker" (integrierte Praxisanleiterin / NRO Beraterin) ebenfalls am Institute for Social Work and Social Policy arbeiten. Schwerpunkt ist die Entwicklung und Durchführung praxisorientierter Feldstudien mit Praxisanleitung von Studierenden in Feldprojekten. Darüber hinaus soll sie in Zusammenarbeit mit der Roma NGO "Nadez" mazedonische NGOs beraten und deren MitarbeiterInnen in der Sozialarbeit fortbilden.

Die Kurve Wustrow verfügt bereits seit längerem mit ihrem Projektbüro CNA (Zentrum für gewaltfreie Aktion) in Sarajevo über Kontakte in der Region. Der Aufbau eines weiteren CNA-Büros in Skopje ist geplant. Aktuell werden in Mazedonien folgende Projekte vorbereitet:

 Entsendung einer Friedensfachkraft zu "Medjashi - First Childrens Embassy", Skopje, im Rahmen eines einjährigen sozialen Lerndienstes;

 Entsendung einer Friedensfachkraft nach Tetovo. Ziel des Projektes ist der Aufbau von Beratungs- und Trainingsnetzwerken für NGOs, die im Bereich der interethnischen Konfliktbearbeitung tätig sind, sowie Erstellung von Trainingsmaterialien und Durchführung von Trainings für MitarbeiterInnen von NGOs. Darüberhinaus soll Beratung im Bereich Organisationsstrukturen und Strategieentwicklung für mazedonische NGOs angeboten werden.

Während das Feld der deutschen NGOs mit rd. 30 aktiven Organisationen weitgehend überschaubar ist, erweist sich ein Überblick über die im Feld der Zivilen Konfliktbearbeitung, der interkulturellen Kommunikation und des peace-building tätigen mazedonischen NGOs aus einer Vielzahl von Gründen als schwierig:

Mazedonien verfügt über eine ausgeprägte NGO-Landschaft. 1998 waren 6526 NGOs aus den unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen registriert, von denen nur rund 25% laut UNDP National Human Development Report 1999 aktiv sind. Diese Zahl hat sich im Gefolge des Kosovo-Krieges in den Bereichen Flüchtlingsarbeit, humanitäre bzw. Not-Hilfe, Soziales, Frauen und soziokultureller Fragen sprunghaft vermehrt. Viele dieser Projekte besitzen lokalen und/oder ethnischen Charakter und dienen bzw. dienten der Bewältigung der aktuellen Notlage sowie der Kanalisierung der ausländischen Hilfsgelder.

In Mazedonien existiert eine Vielzahl von "business-NGOs". Einen organisierten Austausch hierüber zwischen deutschen NGOs gibt es bislang nicht. Gleiches gilt für den Bereich Korruption.

Das Gros der mazedonischen NGOs orientiert und formiert sich entlang folgender Dimensionen:

 Ethnisch (Mazedonen, Albaner, Roma, Serben, Bosniaken, Türken und Vlachen)

 Religiös (mazedonisch-orthodox, serbisch-orthodox, muslimisch, katholische sowie protestantische Minderheiten)

 Politisch (Zuordnung zu den ihrerseits ethnisch orientierten Parteien)

 Regional (mit einer starken Bindung an ethnische Kriterien)

Im Falle der Roma NGOs tritt häufig noch eine starke Orientierung an Familien- bzw. Clan-Strukturen hinzu.

Dieses Bild einer stark fragmentierten NGO-Landschaft spiegelt weitgehend den Zustand der mazedonischen Gesellschaft. Kooperationen zwischen NGOs bzw. gesellschaftlichen Gruppen sind - selbst auf lokaler Ebene - über die genannten Grenzen hinweg selten, die bürgerkriegsartige Lage hat viele Kooperationen zerschlagen. Ansätze zur Bewegungsbildung sind kaum vorhanden, da gemeinschaftliche Interessen und Benefits sowie gesamtgesellschaftliche Ziele nicht identifiziert werden.

Eine gewisse Ausnahme bildet hier der Umweltbereich, da Umwelt-NGOs in Mazedonien über eine vergleichsweise lange Tradition, z. T. große Mitgliederzahlen und übergeordnete, "neutrale" Ziele verfügen. Im Umweltbereich haben sich daher sowohl grenzüberschreitende wie interethnische Projekte entwickeln können, die auf kommunaler bzw. regionaler Ebene Unterstützung finden.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig sinnvoll, Partnersuche von Deutschland aus zu betreiben. Lokale Recherchen sind unerlässlich. Hierbei und auch bei der Suche nach potentiellen Partnern kann und sollte auf in Mazedonien ansässige, international operierende NGOs wie das Institute for Sustainable Communities Macedonia (ISC), das Macedonian Center for International Cooperation (MCIC), das Nansen Dialogue Centre, Search for Common Ground Macedonia (SFCG) und die Soros-Foundation / Open Society Institute Macedonia (OSI) zurückgegriffen werden. Bei diesen Organisationen handelt es sich um nationale Zweige internationaler NGOs, die langjährig mit eigenem Programm und Konzepten sowie mit lokalem Mitarbeiterstamm in Mazedonien tätig sind. Sie treten sowohl als Geldgeber bzw. Fundraiser für mazedonische NGOs auf, führen aber auch eigene Projekte durch und fungierten de facto als Vernetzungs- und Koordinierungsgremien in der mazedonischen NGO-Landschaft.

Nähere Hinweise zu den Schwerpunkten dieser NGOs sowie deren Adressen können beim Netzwerk Friedenskooperative erfragt werden.

Roland Wünsch ist Politikwissenschaftler und ist seit vielen Jahren sowohl ehrenamtlich wie beruflich in der Friedensbewegung engagiert. Aktuell: Studie zur Rolle von deutschen und mazedonischen NGOs bei der Zivilen Konfliktbearbeitung in Mazedonien für das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa).



E-Mail:   roland.wuensch@web.de


 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       

Bereich

FriedensForum

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk  Themen  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell