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FF5/2001 - Inhalt


vom:
Oktober 2001


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  Hintergrund

Medien in Mazedonien

Zwischen Kriegshetze und Friedensförderung

Claude Nicolet

Mazedonien taumelt zwischen Krieg und Frieden, zwischen ethnischem Hass und multiethnischem Zusammenleben, zwischen rechtsstaatlicher Integration und radikalem Separatismus. Welchen Weg Politik und Gesellschaft in Mazedonien einschlagen werden, beeinflussen die Medien entscheidend mit.


Am 14. März beschossen und zerstörten albanische Rebellen in Tetovo die Sendeanlagen der regionalen Radio- und Fernsehstationen. Sie verursachten damit während Tagen ein Nachrichten-Blackout. Bei der Zerstörung handelte es sich nicht um einen sogenannten "Kollateralschaden", sondern um eine gezielte Aktion der Rebellen. Das Nachrichtenloch beschleunigte die Flucht der lokalen Bevölkerung, sah diese doch keine Möglichkeit mehr, Gerüchte über eine unmittelbar bevorstehende Einnahme der Stadt durch die Rebellen zu überprüfen. Verunsicherung und Angst durch Informationsnotstand waren Teil der Kriegsstrategie.

Internationale Organisationen, die im Bereich Medienentwicklung in Mazedonien tätig sind, beschlossen gemeinsamen Beistand und die Beschaffung neuer Sendeanlagen. Ein gemeinsamer International Media Fund (IMF) und staatliche Mittel erlaubten schnelles Handeln. Am 1. Mai konnten die betroffenen Radio- und Fernsehstationen in der Region Tetovo wieder auf Sendung gehen.

Druck auf Minderheiten

Inzwischen ist die Gesellschaft in Mazedonien entlang ethnischer Linien gespalten. Dies ist nicht nur in den Medien, sondern auch in den Kontrollinstanzen sichtbar. Der dem Verkehrs- und Transportministerium unterstehende Macedonian Broadcasting Council (MBC) waltet als Aufsichtsbehörde. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt allerdings, dass das Monitoring, auf dem die Ermahnungen und Warnungen an die Medien beruhen, selber eher Teil des Problems als der Lösung ist. Der zentrale MBC beauftragt in den Regionen des Landes Freiwillige, Programme aufzuzeichnen, die ihrer Meinung nach gegen Gesetze und Bestimmungen verstoßen. Die Auswahl der Programme und damit der gemeldeten möglichen Verstöße wird so Leuten überlassen, die nach Gutdünken handeln und nicht die professionellen Voraussetzungen mitbringen. Obwohl diese Freiwilligen keine Entscheidungsgewalt haben, können sie dem MBC Ratschläge erteilen und auf angebliche Gesetzesverletzungen hinweisen.

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Es überrascht nicht, dass sich die Quote der ermahnten und gewarnten Stationen während der letzten Monate zu Ungunsten der albanisch-sprachigen Medien verschoben hat. Auch wenn etliche dieser Interventionen des MBC gerechtfertigt waren, ist es beunruhigend zu sehen, was in mazedonischsprachigen Medien erlaubt bleibt. Als eine Journalistin von Channel 5 vor laufender Kamera eine Granate gegen eine UCK-Stellung bei Tetovo abfeuerte - mit dem Kommentar, dies sei die Antwort der Mazedonier auf die Rebellen -, verweigerte der MBC eine Verurteilung. Es habe sich dabei nur um einen Witz gehandelt, lautete die höhnische Rechtfertigung. Der "Witz" muss wohl eher als grober Verstoß gegen journalistische Professionalität bezeichnet werden.

Professionalität als Risiko

Professionelle Berichterstattung direkt aus dem Krisengebiet ist nur möglich, wenn Medienschaffende entsprechend ausgebildet und geschützt sind. Der International Media Fund hat sich dies als eine der höchsten Prioritäten gesetzt. Aus Großbritannien wurden für fünf Ausbildungskurse Experten eingeflogen, die knapp 100 Medienschaffende von 38 Medien in allen Sprachen des Landes über Minengefahren und Waffensysteme, Erste-Hilfe-Maßnahmen, Verhaltensregeln im Kriegsgebiet sowie Rechte und Pflichten gegenüber Militär, Polizei und Behörden unterrichteten. Zusätzlich werden aus dem Fonds kugelsichere Westen und Helme gekauft, die über den Journalistenverband Medienschaffenden für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt werden.

Medienschaffende treffen weitere Gefahren an. Medienteams oder -besitzer wurden verschiedentlich mit Erpresserbriefen und Todesdrohungen gewarnt, gewisse Reportagen nicht zu senden. Ein sozusagen umgekehrtes Schicksal erfuhr ein Fernsehsender der Roma-Minderheit. Die größte und nationalistische Regierungspartei der slawischen Mazedonier, VMRO-DPMNE, versuchte den Besitzer der Station zu einer Reportage zu zwingen, die das angeblich friedliche Zusammenleben der Roma mit den slawischen Mazedoniern in der Tetovo-Region unterstreichen sollte. Die Reportage hätte den slawischen Sicherheitskräften und Parteien als Propaganda gegen den albanischen Separatismus dienen sollen. Der Besitzer der Station befürchtet aber wohl zurecht, dass sich ein ähnliches Verhaltensmuster wie im Kosovo entwickeln könnte: Roma wurden zuerst zur Kooperation mit dem serbischen Regime genötigt, um danach von der ethnisch-albanischen Bevölkerung als Sündenbock vertrieben zu werden. Noch ist es ihm gelungen, den Druckversuchen zu widerstehen.

Ethnisch verzerrte Wahrnehmung

Kurz nachdem die Verhandlungen zu einer politischen Lösung des Konfliktes begannen, wurde der Parteipräsident der größten ethnisch albanischen Partei DPA als "Engelsgesicht des Teufels" bezeichnet. Es verging kein Tag, an dem nicht ein albanisches Regierungsmitglied des Hochverrats bezichtigt wurde.

Die Ungeheuerlichkeit der Beschuldigungen stieg proportional mit der Eskalation der Krise. Als westliche Truppen den Rückzug ethnisch albanischer Kämpfer aus dem Ort Aracinovo eskortierten, veröffentlichte die wohl meistgelesene mazedonisch-sprachige Zeitung "Dnevnik" die Behauptung eines ehemaligen Beamten. Danach sei die Rückzugsoperation von westlichen Diplomaten aufgezwungen worden, um Drogenlabore zu schützen, die Drogen an Kinder abgeben würden.

Die Trennung zwischen "eigen" und "fremd" ist ein weiteres Phänomen der Medien in Mazedonien heute. Vor kurzem fragte ein Journalist der albanischsprachigen Zeitung Flaka einen UCK-Kommandanten: "Sind sie Optimist, dass wir bald in Tetovo Kaffee trinken werden?" "In Tetovo Kaffe trinken" stand bildlich dafür, dass die Stadt von der UCK kontrolliert werde. Vor allem die Bezeichnung "wir" ist aber bedeutend: Die Verbrüderung des Journalisten mit dem Kommandanten war sprachlich vollzogen.

In Zeitungen wird auch mit Hilfe von Bildern auf die Emotionen der Leserschaft gesetzt. Einige Publikationen sind voll mit Fotografien von geschwollenen Gesichtern, die von Folterungen des Kriegsgegners stammen sollen. Von all den slawisch-mazedonischen Flüchtlingen, die Ende Juli mit Bussen nach Skopje vor das Parlamentsgebäude gefahren wurden, wurde immer wieder dieselbe Mutter mit ihrem Sohn auf dem Arm abgebildet. Das Kind lag scheinbar regungslos mit offenem Mund an die Schulter der Mutter gelehnt. Fast kein Blatt erwähnte, dass es sich dabei um ein zerebralgelähmtes Kind handelte. Eine Zeitung ging soweit, den Knaben als ein unter den Strapazen bewusstlos gewordenes Opfer zu bezeichnen. Solche Manipulationen sind Teil ethnischer Propaganda, der wir mit unserer Unterstützung für professionelles Medienschaffen entgegentreten.

Friedensbildende Maßnahmen

Die Medienhilfe Ex-Jugoslawien leistet im Rahmen des International Media Fund (IMF) in Mazedonien Nothilfe gegen Kriegshetze. Die schnellstmögliche Errichtung neuer Sendeanlagen in Tetovo und das Sofortprogramm zur Verbesserung der Sicherheit der Medienschaffenden mit Kursen und Ausrüstung wurden erwähnt. Die wichtigste Maßnahme besteht aber in direkter Unterstützung, um das Überleben der neun beteiligten Radio- und Fernsehsender zu sichern. Angesichts des krisenbedingten Zusammenbruchs der Werbeeinnahmen hängt die Existenz unabhängigen Medienschaffens davon ab. Ein gemeinsames Crisis Assistance Program bildet seit April dieses Jahres den Schwerpunkt des IMF. Gleichzeitig muss jedoch nach Perspektiven gesucht werden, um diese Medien längerfristig von Unterstützung unabhängig zu machen.

Es ist wichtig, der zunehmenden Polarisierung von Politik und Gesellschaft mit interethnischen Kooperationsprojekten entgegenzutreten. Ein Grundsatz muss bleiben, keine Projekte gegen lokale Medienpartner zu erzwingen, wenn diese dazu (vorläufig) keine Möglichkeit sehen. Geplant ist zum Beispiel der Aufbau eines Fernsehverbundes, der beteiligten Fernsehstationen über Internationalen Austausch von Bildern und Berichten aus diversen Landesregionen ermöglicht.

Das Abwägen zwischen momentan prioritärer finanzieller Unterstützung und der Ermutigung zur Lancierung längerfristiger, kooperativer Projekte ist eine Herausforderungen für unsere internationale Medienhilfe, aber vor allem für die lokalen Medienpartner.

Alle Bemühungen zielen darauf ab, professionellen Medien zu ermöglichen, mit vertrauens- und friedensbildender Berichterstattung ihre Verantwortung im Aufbau der Zivilgesellschaft wahrzunehmen.

Claude Nicolet arbeitet für die Medienhilfe Ex-Jugoslawien als Koordinator des International Media Fund (IMF) in Mazedonien. Sein Text ist ein Auszug aus einem längeren Artikel, der auf der Website der Medienhilfe unter www.medienhilfe.ch/news zu finden ist.

Kontakt: Medienhilfe Ex-Jugoslawien Postfach, 8031 Zürich, Tel.: +41/1/272 46 37, Fax: +41/1/272 46 82, e-mail: info@medienhilfe.ch, http://www. medienhilfe.ch

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