Netzwerk Friedenskooperative



FF1/2002


vom:
Februar 2002


 vorheriger

 nächster
 Artikel

FF1/2002:

  "Gewaltspirale duchbrechen"

Der 11. September und seine Ursachen aus globalisierungskritischer Sicht

Christoph Bautz

Die Ereignisse des 11. September haben viele Fragen nach den gesellschaftlichen Bedingungen aufgeworfen, die Terrorismus und Fundamentalismus entstehen lassen und ihm einen Nährboden liefern. Auch wenn die aus dem saudi-arabischen Raum stammenden Attentäter selber aus einer zum Teil sehr säkularisierten Oberschicht stammen, so sind doch ihre terroristischen Aktionen ohne eine gewissen Rückhalt ihrer extremistischen Ideen in den verarmten Schichten der islamischen Welt kaum denkbar. Attac hat daher den Zusammenhang von globaler Ungleichheit und der Entstehung von Terrorismus und Fundamentalismus immer wieder in die aktuelle öffentliche Debatte eingebracht. Die Bekämpfung der im Zuge der neoliberalen Globalisierung weltweit zunehmenden sozialen Ungleichheit muss integraler Bestandteil einer wirksamen Strategie gegen Terrorismus sein.


Der Anschlag bietet einen Vorgeschmack auf die Konflikte des 21. Jahrhunderts. Die Illusion, die Metropolen könnten sich von den Problemen des Rests der Welt abschotten und sich hinter einen sicheren Limes zurückziehen, hat sich spätestens in die Rauchschwaden von New York und Washington aufgelöst. Noch so ausgeklügelte Abhörpraktiken der Geheimdienste und die hochfliegenden Pläne für ein hunderte Milliarden teuren (und praktisch wohl gar nicht zu realisierendes) Raketenschutzschild können letztlich keine Sicherheit bieten.

Es stellt sich die Frage nach den Ursachen dieses Terrorismus in einem Ausmaß, wie ihn die Welt bisher nicht gekannt hat. Verschiedene Ursachengeflechte greifen hier ineinander und verstärken sich wechselseitig. Sie sind kultureller, politischer und sozioökonomischer Natur.

Auf kultureller Ebene ist eine wichtige Ursache in der Arroganz des Westens zu suchen, mit der das angelsächsische Kulturmodell als universalistisch geltend und Formel zum guten Leben darstellend angepriesen wird. Andere Kulturen werden als rückschrittlich betrachtet und dem westlichen Kulturmodell nachgeordnet betrachtet. Dies ist in Bezug auf die arabische Kultur nirgendwo besser zu sehen, als im Herkunftsland Bin Ladins, in Saudi-Arabien. Ein rückständiger, puritanischer und konservativer Islam prallt mit einer aus Petrodollars finanzierten US-amerikanische Billigkultur verbunden zusammen. Das Selbstbewusstsein, mit der der arabische Raum in früheren Jahrhunderten auftrat, wurde zerstört. Ein Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen macht sich breit, wie es der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk in mitnehmenden Worten umreißt: "Der Westen hat keine Vorstellung von dem Gefühl der Erniedrigung, das eine große Mehrheit der Weltbevölkerung durchlebt und überwinden muss, ohne den Verstand zu verlieren oder sich auf Terroristen, radikale Nationalisten oder Fundamentalisten einzulassen. Heute ist das Problem des Westens weniger, herauszufinden, welcher Terrorist in welchem Zelt, welcher Gasse, welcher fernen Stadt seine neue Bombe vorbereitet, um dann auf ihn Bomben regnen zu lassen. Das Problem des Westens ist mehr die seelische Verfassung der Armen, Erniedrigten und stets im Unrecht stehenden Mehrheit zu verstehen, die nicht in der westlichen Welt lebt."

In einer Region voller regionaler Krisenherde, deren Wurzeln meist bis in die Zeiten des Kolonialimus zurückreichen, gibt es natürlich eine Fülle von politischen Gründen, die zu Ursachen von Terrorismus werden können. Gerade die intensive Parteinahme des Westens und insbesondere der USA für bestimmte Konfliktparteien und deren Verknüpfung mit macht- und wirtschaftspolitischen Zielen hat zu einer Herauskristallisation eines häufig monolithisch wahrgenommenen Feindbildes beigetragen. Hier sei nur auf den Israel-Palästina-Konflikt, den Golfkrieg und das elfjährige Embargo gegen Irak, den Afghanistan-Krieg in den Achtzigern und Kaschmir-Konflikt verwiesen.

Die soziale Ungleichheit sowohl zwischen dem Norden und dem Süden als auch innerhalb der einzelnen Staaten hat im Zuge der neoliberalen Globalisierung weltweit zugenommen. Gerade in vielen arabischen Ländern, die nicht umfangreiche Öleinnahmen haben (Ägypten, Libanon, Irak, Palästina), hat die soziale Polarisierung weiter zugenommen. Viele regionale Produktionszyklen und Märkte werden durch das Primat der internationalen Konkurrenz und die zunehmende Liberalisierung der Märkte für Güter, Kapital und Dienstleistungen zerstört. Ein weltweiter Freihandel, wie er in diesen Tagen wieder auf der Ministertagung der Welthandelsorganisation WTO im saudiarabischen Katar proklamiert wurde, kann nicht funktionieren, wenn die daran Beteiligten mit völlig verschiedenen Startbedingungen miteinander in Konkurrenz treten. Plötzlich soll der indische Reisbauer mit dem US-amerikanischen Agrarmulti konkurrieren. Wer hier den Kürzeren zieht, liegt auf der Hand. Freihandel ist unter diesen Bedingungen so fair wie ein Fußballspiel an einem steilen Hang - oben spielt der Norden, unten der Süden. In vielen Entwicklungsländern gehen durch die Zerstörung regionaler Märkte und die dann häufig einsetzenden Landflucht die Slums der großen Städte soziale Bezüge und traditionelle Verbundenheiten verloren. Die Folgen sind für viele Menschen Perspektivlosigkeit, regionale Entwurzelung und Individualisierung. Der einzelne ist durch die Demontage von - wenn überhaupt vorhandenen - sozialen Netzen in einem globalen Manchasterkapitalismus zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen.

 zum Anfang


FF1/2002
Gerade in solchen Krisenzeiten erscheint die Hinwendung zu extremistischen Ideologien vielen Menschen besonders verlockend. So hat beispielsweise die Asienkrise 1997/98, während der Finanzanleger ihr Kapital panikartig aus den vorher scheinbar florierenden Volkswirtschaften Südostasiens abzogen und die ganze Region in eine Krise stürzten, zur Ausbreitung der Islamismus in der Region maßgeblich beigetragen. Im Zuge der ökonomischen Zerwürfnisse und der sich ausbreitenden Arbeitslosigkeit und Armut nahmen ethnische Konflikte weiter zu - so etwa der Osttimor-Konflikt, die Verfolgung christlicher Minderheiten in Indonesien und die Abu Sayaf-Rebellenbewegung auf den Philippinen. Auch wenn Teile der Krisen sicherlich durch Korruption und Misswirtschaft hausgemacht waren, so hat doch die massive Liberalisierung der südostasiatischen Kapitalmärkte und die Öffnung der Gütermärkte sehr zu dieser Entwicklung beigetragen.

In den letzten Wochen wird in der Öffentlichkeit immer wieder die Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung thematisiert. Attac versteht hierunter vor allem eine Rückeroberung von Gestaltungsspielräumen der Politik gegenüber der Wirtschaft. Nicht Finanzanleger und multinationale Konzerne dürfen die Politik in ihrem Sinne instrumentalisieren und bei Nichterfüllung ihrer Forderungen - niedrige Umwelt- und Sozialstandards, niedrige Steuern und Staatsausgaben, hohe Zinsen - mit Kapitalabzug drohen. Vielmehr muss die Politik der Globalisierung des Kapitals und der Konzerne einen internationalen Ordnungsrahmen entgegensetzen.

Besonders die internationalen Finanzmärkte sollten wieder stärker reguliert werden. So soll durch die Einführung der Tobin-Steuer Sand ins Getriebe der internationalen Spekulation gestreut werden. Spekulative Geschäfte um Kursdifferenzen von der dritten Stelle nach dem Komma werden durch diese geringe Steuer unrentabel, während mit den Steuereinnahmen Gelder für Entwicklungsländer zur Verfügung stehen würden. Weitere Schritte müssten folgen, etwa die Schließung von Steueroasen, der selektive Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen während dem Ausbruch von Finanzkrisen und die Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den Leitwährungen.

Attac wird als Teil der globalisierungskritischen Bewegung die Dynamik der letzten Monate nutzen und Druck für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung entfalten. Die sozioökonomischen Ursachen von Terrorismus müssen bekämpft werden, statt weiter an der Spirale der Gewalt zu drehen. Sehr wichtig erschien Attac, einen Brückenschlag der globalisierungskritischen Bewegung mit der neu erstarkenden Friedensbewegung einzugehen und eine globalisierungskritische Perspektive in die Bewegung einfließen zu lassen. In Kooperation mit dem Netzwerk Friedenskooperative haben wir daher die Kampagne "Gewaltspirale durchbrechen" initiiert. 20.000 Menschen haben den Aufruf dieser Kampagne innerhalb weniger Wochen unterzeichnet. Ein großer Erfolg in Zeiten "uneingeschränkter Solidarität".








  
Attac

Globalisierung ist kein Schicksal

Attac - die französische Abkürzung für "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen" - wurde 1998 in Frankreich gegründet. Lag der ursprüngliche Fokus von Attac in dem Eintreten für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte und der Einführung der Tobin-Steuer, so haben wir uns mittlerweile der gesamten Problematik neoliberaler Globalisierung angenommen. Mit über 55.000 Mitgliedern in 30 Ländern ist Attac Teil der globalisierungskritischen Bewegung. Auch in Deutschland bildet Attac ein breites gesellschaftliches Bündnis, das von ver.di über den BUND und Pax Christi bis zu kapitalismuskritischen Gruppen unterstützt wird. Immer mehr Menschen unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Herkunft werden in den mittlerweile über 70 Attac-Gruppen vor Ort aktiv. Attac versteht sich als Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise. Über Vorträge, Publikationen, Podiumsdikussionen und eine intensive Pressearbeit werden die komplexen Zusammenhänge der Globalisierungsthematik einer breiten Öffentlichkeit vermittelt und Alternativen zum neoliberalen Dogma aufgezeigt. Mit Aktionen soll der notwendige Druck auf Politik und Wirtschaft zur Umsetzung der Alternativen erzeugt werden. Ein wissenschaftliche Beirat wird in Zukunft die Arbeit von Attac inhaltlich begleiten. Attac setzt darauf, möglichst viele Menschen zu gewinnen und mit ihnen gemeinsam zu handeln.








Kontakt: Attac-Deutschland, Artilleriestr. 6, 27283 Verden, Tel. 04231-957591, Fax. 04231-957594, e-mail: info@attac-netzwerk.de. Nähere Informationen auch unter: http://www.attac-netzwerk.de


Christoph Bautz ist Öffentlichkeitsreferent im Attac-Bundesbüro

E-Mail:   info@attac-netzwerk.de
Internet: http://www.attac-netzwerk.de
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       

Bereich

FriedensForum

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk  Themen  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell