Netzwerk Friedenskooperative



FF2/2002


vom:
Mai 2002


 vorheriger

 nächster
 Artikel

FF2/2002:

  "Freiheit stirbt mit Sicherheit"

PRO ASYL zum Terrorismusbekämpfungsgesetz

Gläserne Flüchtlinge - verdächtige Ausländer

Pro Asyl

Am 7. November 2001 hat die rot-grüne Bundesregierung den Entwurf für ein "Terrorismusbekämpfungsgesetz" beschlossen. In einem notstandsähnlichen Eilverfahren soll nun der Gesetzentwurf durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden - ohne eine sorgfältige Prüfung. Mit dem Gesetz werden grundlegende Freiheits- und Bürgerrechte beschnitten. Fraglich ist, inwieweit sich die Maßnahmen überhaupt zur Bekämpfung von Terrorismus eignen. Und: Viele der Bestimmungen richten sich in unverantwortlicher Weise pauschal gegen Migranten und Flüchtlinge.


Ungehemmter Datenfluss

Ab jetzt wird hemmungslos vermessen, registriert, gesammelt und verglichen: Im Ausweis dürfen über Foto und Unterschrift hinaus bestimmte "biometrische Merkmale" (von Fingern, Händen oder Gesicht) gespeichert werden. Hier geht es nicht nur um die zweifelsfreie Zuordnung Person - Pass. Zu befürchten ist die Einrichtung einer Referenzdatenbank, in der unverwechselbare Daten jedes Menschen abgespeichert sind und über die jede/r identifizierbar wird. Migranten werden zusätzlich diskriminiert: Für Deutsche werden die genauen Regelungen zu den gespeicherten Daten per Gesetz festgelegt, für Ausländer genügt schon eine Rechtsverordnung des BMI. Im Gegensatz zu Deutschen sind die verschlüsselt angebrachten Daten von Migranten und Flüchtlingen auch nicht an den Zweck der Identitätsfeststellung gebunden, sondern können von allen Behörden verwendet und weitergegeben werden. Bei Ausländern fehlt überdies das für Deutsche vorgesehene Recht zu erfahren, welche Daten gespeichert sind. (§ 4 PassG, § 1 PersAuswG, §§ 5, 39, 56a AuslG)

  strukturell rassistisch

Migranten im Visier der Ermittler

Schon heute kann die Polizei bei Vorliegen konkreter Gefahr auf das Ausländerzentralregister (AZR) zugreifen, in dem nicht nur die Migranten gespeichert sind, die schon jahre- oder jahrzehntelang in Deutschland leben, sondern auch Personen, die früher in Deutschland gelebt haben und längst ausgewandert sind. Die Daten von mehr als 10 Millionen Menschen sind im AZR registriert. Zukünftig soll die Polizei den gesamten Datenbestand in einem automatisierten Verfahren per Rasterfahndung auswerten können - auch ohne dass eine konkrete Gefahr erkennbar ist. Die bisherige Erfahrung mit Rasterfahndungen zeigt: Fast immer sind Unschuldige von schweren Eingriffen in ihre Persönlichkeitsrechte betroffen. (§ 12 Abs. 1 AZRG)

 zum Anfang


FF2/2002
  unpraktikabel, datenschutzrechtlich bedenklich

Flüchtlinge unter Generalverdacht

Flüchtlinge sind heute die am penibelsten erfasste Bevölkerungsgruppe. Im Fingerabdrucksystem AFIS werden ihre Daten gespeichert. Darauf kann die Polizei bislang bei begründetem Verdacht auf eine Straftat zugreifen. Zukünftig sollen die Daten einem automatischen Abgleich mit polizeilichen Tatortspuren unterzogen werden. Auf 10 Jahre soll die Speicherungsdauer ihrer Daten verlängert werden, sogar über die Anerkennung als Flüchtling hinaus. Die geplante zweckentfremdete Verwendung dieser Daten ist datenschutzrechtlich bedenklich und stellt Flüchtlinge unter Generalverdacht. (§ 16 Abs. 5 u. 6 AsylVfG)

  datenschutzrechtlich bedenklich, strukturell rassistisch

Missbrauch von Asylinformationen

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge soll verpflichtet werden, Informationen aus der Anhörung an den Verfassungsschutz weiterzuleiten. Ein faires Asylverfahren ist aber kaum möglich, wenn Flüchtlinge sich auf die Vertraulichkeit des Gesprächs nicht mehr verlassen können: Denn die persönlichen und und teils hochsensiblen Informationen können auf Geheimdienstkanälen in den Verfolgerstaat gelangen. Der Verrat des "Asylgeheimnisses" durch deutsche Behörden kann für Flüchtlinge und deren Angehörige im Herkunftsland lebensgefährlich sein. (§ 18 BVerfSchG)

  rechtsstaatlich unverantwortlich

Pauschalangriff auf Ausländische Vereine

Vereine von Migranten werden zukünftig noch stärker vom Verfassungsschutz überwacht, wenn sie sich gegen "den Gedanken der Völkerverständigung" oder "das friedliche Zusammenleben der Völker richten". Darüber hinaus sollen sie leichter verboten werden können, z.B. wenn sie Gewaltanwendung befürworten oder androhen, auch wenn sich dies nicht auf Deutschland, sondern auf ihr Herkunftsland bezieht. Was sich nach Terrorismusbekämpfung anhört, ist in der Praxis hochproblematisch: Exilvereinen, die sich politisch gegen Unrechtsregime in ihren Herkunftsstaaten engagieren, droht die Verbotsverfügung. Soll ein afghanischer Verein, der in Deutschland zum gewaltsamen Sturz der Taliban aufruft, verboten werden? Aus der Perspektive von Verfolgerstaaten sind Oppositionelle oft Terroristen. Eine Gleichsetzung zwischen Terrorismus und dem Kampf gegen diktatorische Regime darf es nicht geben! (§ 3 BVerfSchG, § 14 Abs. 2 VereinsG)

  missbrauchsanfällig

Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen

Die Ausweisungstatbestände sollen erheblich verschärft werden. Dabei wird mit unscharfen Generalklauseln hantiert: Gründe für eine Ausweisung sind z.B. schon die Drohung mit Gewalt oder die Unterstützung bestimmter verdächtigter Vereinigungen (s.o.). Eine genaue Abgrenzung zum Terrorismus ist auch hier kaum möglich. Selbst nicht gewalttätige Unterstützer von politischen Exilgruppen könnten betroffen sein. Klagen dagegen stellen nicht automatisch die aufschiebende Wirkung mehr her, d.h. die Betroffenen müssen u.U. die ausländerrechtlichen Folgen tragen, bevor ein Gericht die Entscheidung überprüfen kann. (§§ 8, 47 Abs.2, § 72 Abs.1 AuslG)

  missbrauchsanfällig, rechtsstaatlich bedenklich

Sprachanalysen

Menschen im Asylverfahren und bestimmte Ausreisepflichtige sollen sich Sprachanalysen "zur Bestimmung der Herkunftsregion" unterziehen. In der Gesetzesbegründung wird erläutert, dass es sich um eine Maßnahme zur Erleichterung der Abschiebung Ausreisepflichtiger handelt. Damit wird eine Praxis, die PRO ASYL schon lange als wissenschaftlich fragwürdig kritisiert, aus der rechtlichen Grauzone heraus geholt und in Gesetzesform zementiert. Mit Terrorismusbekämpfung hat dies offensichtlich gar nichts zu tun. (§ 16 Abs. 2 AsylVfG)

  unzweckmäßig

Visumantragsteller: Behandelt wie Kriminelle

Die Visadatei soll ausgebaut werden, u.a. durch die Speicherung von Fotos. Visumantragsteller müssen unter Umständen auch ihre Fingerabdrücke abliefern, die dann für alle Behörden zugänglich sind. Sogar die Daten derjenigen, die die Menschen nach Deutschland einladen, können registriert und weitergeleitet werden. Das Auswärtige Amt hat die Behandlung von Visumantragstellern als "nicht akzeptabel" beurteilt: Die Vorschrift "kollidiert erheblich mit dem ... Interesse an einer Präsentation Deutschlands als weltoffenes und gastfreundliches Land" und könnte "grundsätzliche politische und wirtschaftspolitische Interessen Deutschlands dauerhaft ... beeinträchtigen." (§ 29 AZRG, §§ 41, 64 a AuslG)

  ineffektiv, datenschutzrechtlich bedenklich

Der BGS: Auf Grenzpatrouille im Inland

Schon jetzt darf der BGS im 30 km-Raum von der Grenze sowie u.a. an Flughäfen, Bahnhöfen und in allen Zügen Personen kontrollieren und ggf. die Sachen durchsuchen. Zukünftig soll der BGS-Zugriffsbereich im Küstenbereich auf 50 bis 80 km ausgedehnt werden. Große Teile der Nord-Bundesländer, Städte wie Hamburg, Bremen oder Schwerin müssten nun mit permanenter BGS-Präsenz rechnen. Mit Grenzüberwachung hat das wenig zu tun, wohl aber mit Rassismus: Denn die Auswahl der Kontrollierten orientiert sich an rassistischen Kriterien: Betroffen sind fast ausnahmslos (vermeintliche) Flüchtlinge und Migranten. Für sie ist, z.B. am Bahnhof, das Landesinnere schon längst "Grenzgebiet". Je dunkler die Hautfarbe, desto verdächtiger. Die in Deutschland lebenden Attentäter von New York hätte man mit Kontrollen an jeder Straßenecke übrigens nicht gefunden: Sie hatten fehlerfreie Papiere. (§ 2 Abs. 2 BGSG)

  unzweckmäßig, rechtsstaatlich fragwürdig, im Ergebnis rassistisch

Nicht nur die Grundrechte von Flüchtlingen und Migranten werden durch das "Terrorismusbekämpfungsgesetz" drastisch beschnitten. Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützer weisen immer wieder auf den Verlust an Freiheit hin, die jeder Bürger und jede Bürgerin hinnehmen soll. Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, allgegenwärtige Überwachung, fließende Grenzen zwischen Polizei und Verfassungsschutz, unkontrollierbare Datenflüsse: Der Staat sichert sich den Zugriff auf seine Bürgerinnen und Bürger. Indes: Mit überhasteten Eingriffen in Personen- und Freiheitsrechte fängt man keine Terroristen. Aber man fügt der freiheitlichen Demokratie einen irreparablen Schaden zu.


(26.11.2001
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       

Bereich

FriedensForum

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk  Themen  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell