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FF3/2002


vom:
Juli 2002


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FF2002-3:

  Friedensbewegung und 11.September

Neue Weltordnung: Unordnung herrscht

Werner Rätz

Eine neue Friedensordnung hatten viele erhofft, als die Zeit der Abschreckung und der einander waffenstarrend gegenüberstehenden Blöcke zu Ende ging. Die gegenseitige Bedrohung mit atomarer und konventioneller Hochrüstung hielten viele für anachronistisch. Soziale Belange schienen in Ost und West halbwegs gesichert. Aus der militärischen Abrüstung sollte eine Friedensdividende entspringen, die an menschenwürdige Zustände weltweit denken ließ.


George Bush, der damalige US-Präsident und Vater des heutigen, sprach von einer Neuen Weltordnung. Der erste Akt dieser neuen Ordnung war der zweite Golfkrieg. Es war ein "Krieg für Öl", wie er damals bezeichnet wurde, aber auch ein Krieg um seiner selbst und der direkten militärischen Kontrolle willen. Die Neue Weltordnung definiert weltweite Macht wieder viel mehr militärisch als wirtschaftlich oder politisch.

Alle wichtigen Länder folgten diesem Kurs. Auch Deutschland, das damals lediglich zahlen durfte, ist heute wieder auf den Schlachtfeldern präsent. Der Nato-Vertrag, dessen vorgeblich defensiver Ausrichtung Friedensbewegungen nie getraut hatten, ist geändert und erlaubt nunmehr fast jede Interessenswahrnehmung fast überall auf der Welt.

Das Prinzip machte Schule. Bei der Zerlegung des ehemaligen Jugoslawien, wo es nicht zuletzt um einen Platz innerhalb oder außerhalb der Reichtumsgrenze um die Europäische Union herum ging; beim Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien um wenige Quadratkilometer Wüste; beim am Rande des Atomkriegs stehenden Konflikt zwischen Indien und Pakistan: Mit aller Gewalt konkurrieren die Großen wie die Kleinen um ihren Platz in der neuen Welt-Unordnung.

Dabei lassen sich vor allem die Großen nicht lumpen: Keinerlei Abweichungen würden mehr toleriert, verkündete der neue Bush. Wer nicht ganz und gar nach unserer Pfeife tanzt, dem bringen wir die Flötentöne schon bei! Und nicht etwa aus Unterwürfigkeit oder Dummheit oder Opportunismus stimmt ihm die Machtelite weltweit zu. Bundeskanzler Schröders Wort von der bedingungslosen Solidarität drückt genauestens eigene Interessen aus: Es ist auch für "uns" nützlich, wenn wir selbst bestimmen können, was unsere Interessen, wer unsere Freunde sind und wie die sich zu verhalten haben. Und wenn nicht, dann holen wir uns, was wir für nötig, und setzen durch, was wir für richtig halten. Kosovo und Mazedonien lassen grüßen!

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FF3/2002
Bei diesem Machtspiel können einige Gruppen nicht mithalten. Nicht zuletzt in der arabischen Welt gibt es Teile der Geld- und Machteliten, die sich als zu kurz gekommen erleben. Der Name des saudischen Milliardärs Osama bin Laden steht stellvertretend für sie. Diese Gruppen werfen den Herrschenden vor allem vor, dass sie selbst gerne an ihrer Stelle wären. Da alle Gewalt einsetzen, warum sie dann nicht auch? Verbrecherische Akte wie die Terroranschläge vom 11. September oder die Selbstmordattentate in Israel erschrecken in ihrer Dimension, sind aber eben auch Ausdruck dieser gewalttätigen Konkurrenz.

Man sollte sich nicht täuschen: Konkurrenz als Gestaltungsprinzip gesellschaftlicher Verhältnisse hat immer eine Dimension, die zur Gewalt drängt. Wer auf einer Ebene ins Hintertreffen zu geraten droht, aber noch über Gewaltmittel verfügt, ist in Versuchung, diese einzusetzen, wer ohnehin verliert, aber wenigstens über Gewaltmittel verfügt, ebenfalls.

"Globalisierung" ist ein durchaus ungenauer Begriff, ein Containerwort, in das alles und jedes hineinpasst. Ganz sicher aber beschreibt es einen Vorgang der weltweiten Verallgemeinerung von Konkurrenz in allen Bereichen. Beschönigende Begriffe wie "Eigenverantwortung", "Selbsttätigkeit", "aktivierender Sozialstaat", "Wahlfreiheit" können nicht darüber hinwegtäuschen: Aus der verallgemeinerten Konkurrenz entstehen gewaltförmige Verhältnisse auch dort, wo nicht unmittelbar physischer Zwang herrscht:

Nach wie vor sterben Menschen an Hunger, obwohl noch nie so viele Nahrungsmittel produziert wurden wie heute. Aber die befinden sich in der Hand von immer weniger Konzernen und sind nur für Geld zu haben. Viel technologischer, politischer und finanzieller Aufwand wird betrieben, damit das so bleibt. Saatgut, das nicht mehr keimen und sich selbst vermehren kann, geistige Eigentumsrechte und Patente nicht nur auf Nahrungsmittel, sondern auf Lebewesen und ihre Teile selbst und - wenn das alles nichts nützt - auch mal handfeste Erpressung ganzer Staaten sind gängige Mittel.

Die neue Welthandelsrunde und die weiteren Liberalisierungsbestrebungen im Rahmen des Allgemeinen Dienstleistungsabkommens (GATS) sollen einen "rechtlichen" Rahmen für dieses Unrecht festschreiben. Dabei geht es darum, tendenziell sämtliche Elemente von Daseinsvorsorge zur "Dienstleistung" zu erklären. Altersversorgung, medizinische Hilfe bei Krankheit, Nahrungssicherheit unterscheiden sich unter diesem Gesichtspunkt dann nicht mehr vom Frisörbesuch oder der Autowäsche. Wie diese sollen auch jene frei handelbar sein.

Garantiert werden soll das Recht der Investoren, überall auf der Welt zu gleichen Bedingungen ihr Geld in diesen Bereichen anzulegen: Lauter freie Füchse im freien Hühnerstall.

Nicht garantiert wird dagegen das Recht der Menschen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Wer sich Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und andere Überlebensmittel nicht leisten kann, muss auf sie verzichten. Wenn die Armen der Welt dann weggehen, um anderswo eine Zukunft zu suchen, hindert man sie mit Gesetzen, Schikanen und offener Gewalt. Für Polizei, Militär und Repression ist immer Geld genug da.

Die neoliberale Globalisierung schafft inzwischen auch in den Gesellschaften des Nordens Sektoren, deren Lebensverhältnisse denen der Mehrheit im Süden ähnlich sind. Zuallererst betrifft das die Illegalisierten, denen Menschenrechte in Serie vorenthalten werden. Aber auch legale MigrantInnen haben kaum Rechte. Weder erhalten sie das von der Sozialhilfe definierte Existenzminimum, noch dürfen sie sich frei bewegen. Sogenannte "Ausreisepflichtige" werden in den Knast, in manchen Ländern auch in menschenunwürdige Lager gesperrt, bei der Abschiebung auch schon mal umgebracht. Erbärmliche Produktionsstätten, wo die Allerärmsten schuften müssen wie in Zeiten des Frühkapitalismus und auch so entlohnt werden, gibt es inzwischen in London, Amsterdam, New York so gut wie in Freien Produktionszonen in Asien.

Die Abwärtsspirale erfasst immer mehr Menschen: Wohnungslose, Drogenabhängige, pflegebedürftige Alte und Kranke ohne familiäre, freundschaftliche oder finanzielle "Ressourcen", Langzeitarbeitslose finden immer weniger Möglichkeiten, ihre Verhältnisse zu verbessern. Die Arbeitslosigkeit wächst, und immer öfter werden die Arbeitslosen auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht. Die Umwelt gerät unter die Räder des Standortwettbewerbs. Alter und Krankheit könnten bald wieder zu Armutsrisiken werden.

Das alles ist nicht nur eine unvorstellbare Vergeudung von menschlichen Möglichkeiten, Arbeitskraft, Phantasie, Intelligenz. Es ist auch eine immense Verschwendung von Reichtum; diese Bedingungen entwickeln sich nicht einfach so, von allein. Sie herzustellen und aufrechtzuerhalten, kostet viel Geld und Personal. Da steht kein machtloser, schlanker Staat daneben und schaut zu. Nein, da agiert ein starker Staat im Interesse seiner Klientel. Für Polizei, Grenzsicherung, Knastsystem ist immer genug Geld da.

Diese globalisierte Unordnung muss immer wieder neu durchgesetzt werden. Dazu dienen Welthandelsrunden und Kriege, Gipfeldiplomatie und Migrationsregimes, polizeiliche Kontrolle und Spaltung der Proteste. Die neue EU-Definition von "Terrorismus" ist so vage und umfassend, dass sie sehr wohl auch auf Antikriegs- oder globalisierungskritische Akteure angewandt werden könnte. Ein Muster von absolut Gut und absolut Böse einschließlich inzwischen einer ganzen Zahl neuer Hitlers begleitete die Kriege der Neuen Weltordnung.

Wir werden uns als Bewegungen, die an unterschiedlichen Punkten der beschriebenen Entwicklung ansetzen, darauf einstellen müssen, dass wir uns - je einzeln - plötzlich auf der bösen Seite wiederfinden könnten.

Dort dürfen wir einander nicht allein lassen. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, wir müssen verstehen, dass die Kriege der Aufrechterhaltung der globalisierten Unordnung dienen und die globale Unordnung Kriege produziert. Damit verschwindet nicht die Eigenheit zweier Bewegungen, aber es ist in ihrem je eigenen Interesse, die andere zu stärken.

Und das Dritte ist: Die wichtigste, fundamentalste, umfassendste Konsequenz von Krieg und Globalisierung ist die Migration. Wer die MigrantInnen aus dem Blick verliert oder gar nicht erst hineinbekommt, ist schon zu kurz gesprungen. Dabei erreicht nur ein kleiner Teil dieser Migration Europa oder die USA. Wir werden also genau und weltweit hinschauen müssen, wer sich wie bewegt, organisiert und nach Partnerschaft sucht. Auch die dürfen wir, wenn sie dämonisiert werden, nicht alleine lassen

Womit sich der Kreis schließt.


Werner Rätz ist aktiv u.a. bei der Informationsstelle Lateinamerika (Bonn) und im Koordinierungskreis von ATTAC Deutschland.

E-Mail:   werner.raetz@t-online.de
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