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FF1/2003


vom:
Februar 2003


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FF2003-1:

  Den Irak-Krieg verhindern!

Irak: 12 Jahre Embargo - 12 Jahre Krieg gegen die Bevölkerung

Joachim Guilliard

Am 21. Juli 1990 versicherte die US-Botschafterin April Glaspie der irakischen Regierung, die USA hätten "keine Meinung zu den Arabisch-Arabischen Konflikten, wie zu Ihren Grenzstreitigkeiten". Zehn Tage später marschierten irakische Truppen in Kuwait ein und nach weiteren vier Tage setzten die USA am 6. August 1990 (dem Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima) mit der Resolution 706 im UNO-Sicherheitsrat die umfassendsten Wirtschaftssanktionen durch, die jemals verhängt wurden. Obwohl formal ausgenommen, waren davon auch die Importe von Medikamenten, Hospitalbedarf und Lebensmitteln betroffen, da der Irak aufgrund der gesperrten irakischen Auslandskonten zahlungsunfähig war.


Die Sanktionen waren allerdings nur der Auftakt zu einem Krieg, der in 43 Tagen den größten Teil der irakischen Infrastruktur zerstörte. Ende Februar 1991 kapitulierte der Irak und zog seine Truppen aus Kuwait zurück. Doch obwohl der Irak schließlich alle Forderungen des Sicherheitsrates erfüllt hatte, wurden die Sanktionen nicht aufgehoben, sondern mit neuen Forderungen verknüpft, darunter Offenlegung und Einstellung aller Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen.

Im Gegensatz zu Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg weite Teile Europas verwüstet hatte, aber dennoch nach Kriegsende internationale Aufbauhilfen erhielt, wurde der Irak gewaltsam daran gehindert, seine zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen.

Nach Vorortuntersuchungen von WHO und UNICEF brach während des Krieges im ganzen Land die Stromversorgung zusammen und blieb kein Wasserwerk funktionsfähig. Die Trinkwasserversorgung fiel fast vollständig aus, die Abwässer standen in den Straßen und auch die Gesundheitsversorgung funktionierte nur noch sehr eingeschränkt. (1)

Die Folgen vor allem für die schwächsten Glieder der Gesellschaft waren absehbar: Zuvor gut beherrschte Krankheiten breiteten sich rapide aus, die bis dahin vorbildlichen unentgeltlichen Gesundheits- und Bildungssysteme lagen am Boden - ein hoch entwickeltes Land der arabischen Welt, das bis 1990 die Grundversorgung der Bevölkerung in allen wesentlichen Bereichen hatte sichern können, wurde vollständig von Hilfslieferungen abhängig.

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Ab 1997 wurden die Sanktionen durch das "Öl-für-Lebensmittel-Programm" der UNO etwas gelockert. Der Irak darf seither Öl unter UN-Kontrolle verkaufen, der Erlös geht aber auf ein UN-Sperrkonto. Davon werden 25% (früher 30%) an einen Reparationsfonds weitergeleitet, über den Schäden und Einkommensverluste von kuwaitischen Bürgern und internationalen Konzernen durch die irakische Besetzung Kuwaits ersetzt werden. Auch die Ausgaben für die UN-Administration und Waffeninspektionen werden aus diesen Einnahmen bezahlt. Letztlich beträgt der Gesamtwert dessen, was im Irak zwischen dem 16. Dezember 1996, dem Beginn des Programms, und dem Mai 2002 angekommen ist, nur 172 US-Dollar pro Kopf und Jahr. (2) Davon müssen alle Güter, nicht nur Lebensmittel, bezahlt werden, die das Land braucht und deren Import vom Sanktionsausschuss genehmigt wurde.

Bis Bestellungen genehmigt werden, vergehen allerdings Wochen und Monate, viele bleiben durch ein Veto der USA im Sanktionsausschuss "on hold", d.h. gesperrt - aktuell betrifft dies Waren im Wert von über 5 Milliarden Dollar. Weitere Probleme entstehen dadurch, dass Lieferungen nur unvollständig ankommen und damit zunächst wertlos sind.

Obwohl sich die Grundversorgung durch das Öl-für-Nahrung-Programm deutlich gebessert hat, herrscht nach wie vor Mangel an hochwertigen Nahrungsmittel und wichtigen Medikamenten. Immer noch sterben viele Menschen an Krankheiten, die bei entsprechender Behandlung heilbar wären, wie kindliche Leukämien, die zudem nun 45 mal häufiger sind, als vor dem Krieg.

Nach einer UNICEF-Untersuchung über die Entwicklung der Kinder- und Müttersterblichkeit im Süden und Zentrum des Landes hatten sich die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren während des Embargos bis 1998 mehr als verdoppelt: 131 von 1000 Kindern starben 1998 vor Vollendung ihres fünften Lebensjahrs, gegenüber 56 im Jahr 1990. "Hätte die erhebliche Abnahme der Kindersterblichkeit in den 80er auch in den 90er Jahren angehalten, so wären insgesamt eine halbe Million weniger Todesfälle in den acht Jahren von 1991 bis 1998 bei Kindern unter fünf Jahren zu verzeichnen gewesen", schlussfolgerte daher die verantwortliche Direktorin von UNICEF, Carol Bellamy. (3)

Die WHO stellte auch 2001 den schlechten Gesundheitszustand der Kinder fest: 800.000 waren stark untergewichtig, 2.620 litten unter der massiven Eiweißmangelkrankheit Kwashiorkor, 23.577 wurden als Marasmus eingestuft (also maximale Körperschwäche), bei 162.381 Kindern wurden erhebliche Eiweiß- und Vitaminmangelzustände diagnostiziert.

Auch die Zahl der bei der Geburt gestorbenen Mütter wuchs im Zeitraum 1989-1999 auf durchschnittlich 294 pro 100.000 Geburten an. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die Müttersterblichkeit bei 8 und in den Nachbarländern Iran bei 31, in der Türkei und Syrien bei 110 pro 100.000. Tod durch Schwangerschaft oder Geburt ist mittlerweile mit 31 Prozent die Haupttodesursache bei irakischen Frauen zwischen 15 und 45.

Unmittelbare Todesursachen sind häufig Krankheiten, die auf die schlechte Trinkwasserversorgung zurückzuführen sind. Nicht mal die Hälfte der Bevölkerung hat noch Zugang zu sauberem Trinkwasser. Viele müssen auf Flusswasser zurückgreifen, dessen Wasserqualität aufgrund des stark zerstörten Abwassersystems katastrophal ist. Viele zuvor gut beherrschte Krankheiten, wie Malaria, Typhus und Cholera kehrten als Epidemien wieder und sind nun erneut weit verbreitet. Vor allem im Süden, wo die heftigsten Bombardierungen stattfanden, kommen noch Krankheiten durch die dabei freigesetzten Giftstoffe hinzu, nicht zuletzt auch durch Tonnen von uranhaltiger Munition.

Von Befürwortern des Embargos wird dem irakischen Regime häufig vorgeworfen, es würde der Bevölkerung gezielt medizinische Hilfsgüter und Lebensmittel vorenthalten. Dies wird von UN-Mitarbeitern vor Ort, wie dem ehem. UN-Koordinator der humanitären Hilfe im Irak, Hans v. Sponeck, als Propaganda zurückgewiesen. Die detaillierten Berichte, die die UN-Organisationen darüber anfertigen, was ins Land kommt und was verteilt wurde, zeigen, dass die wenigen zur Verfügung stehenden Mittel von der irakischen Regierung im großen und ganzen sehr effektiv eingesetzt werden.

Um der zunehmenden internationalen Kritik am Embargo zu begegnen, haben die UN zum 1. Juni 2002 mit der Resolution 1409 sogenannte intelligente Sanktionen beschlossen. Wenn mit dieser Resolution auch im Prinzip das Embargo auf zivile Güter aufgehoben wurde, hat sich in der Praxis wenig geändert. Auf einer 300 Seiten starken Liste sind eine große Zahl von Artikeln, Geräten, Materialien aufgeführt, die weiterhin unter Embargo stehen, da sie von den Initiatoren dieser Regelung, USA und GB als "Dual Use"-Güter eingestuft werden. Zudem sind sowohl ausländische Investitionen, wie der Export anderer Güter als Erdöl untersagt - ein Wiederaufbau des Landes ist unter diesen Bedingungen nicht möglich.

Auch wenn die Sanktionen im Lauf der Jahre gelockert wurden, forderten sie nach Schätzungen von UN-Organisationen bisher weit mehr als eine Million Menschenleben - das "stille Äquivalent zu zehn Hiroschimas" wie es der Sprecher des UN-Welternährungsprogramms, Dr. Hannusch, einst nannte.

Dieses Verbrechen vollzieht sich in aller Öffentlichkeit, dennoch dauert das Embargo an. Ihm fielen bislang mehr Menschen zum Opfer als durch alle weltweit bisher eingesetzten nuklearen, chemischen und biologischen Waffen zusammen getötet wurden. Offiziell als Maßnahme zur Beseitigung irakischer Massenvernichtungswaffen verhängt, wurden die Sanktionen selbst zur Massenvernichtungswaffe. (4)

Innerhalb der UN-Menschenrechtskommission wird daher diskutiert, ob "die Staaten, die die Sanktionen auferlegen, nicht Fragen in Bezug auf die Völkermordkonvention aufwerfen". Ein Gutachten für den Unterausschuss der UN-Menschenrechtskommission kam vor zwei Jahren zu dem Schluss, die Sanktionen gegen den Irak seien illegal. (5)

Nach der neuen Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrats arbeiten mittlerweile wieder Waffeninspekteure im Irak - mit weit größeren Vollmachten als zuvor. Dennoch droht ein neuer umfassender Krieg - von einem Ende des Wirtschaftsembargo wird gar nicht mehr geredet. Die Aufhebung des Embargos, außer auf unmittelbare Rüstungsgüter, sollte daher stets auch eine zentrale Forderung der Friedensbewegung sein.

Der Text wurde mit Einverständnis des Autor von der Redaktion leicht gekürzt.

Nähere Informationen zum Thema unter www.embargos.de
s.auch. Göbel, Guilliard, Schiffmann, "Der Irak - Ein belagertes Land", PapyRossa Verlag, Köln, Mai 2001


Anmerkungen:

1UN-Dok. S/22328, zitiert nach Werner Ruf, "Die neue Welt-UN-Ordnung", agenda-Verlag, Münster 1994, S.79

2Hans C. von Sponeck, "Irak - Vier Fragen, vier Antworten" http://www.irak-kongress-2002.de/docu/sponeck.pdf

3UNICEF Iraq Child and Maternal Mortality Surveys., Juni 1999

4Prof. John und Karl Mueller, "Sanctions of Mass Destruction", Foreign Affairs, 78 (May/June 1999)

5Marc Bossuyt: The adverse consequences of economic sanctions on the enjoyment of human rights. UN Menschenrechtskommission, 21.Juni 2000, Dokument E/CN.4/Sub.2/2000/33

Siehe auch Joachim Guilliards Zusammenfassung der völkerrechtlichen Kritik "UN-Sanktionen sind illegal" vom Januar 2001 unter http://www.embargos.de/irak/aktionen/aufruf-l.html


Joachim Guilliard ist KO-Sprecher der Initiative gegen das Irakembargo und aktiv im Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.

E-Mail:   joachim.guilliard@t-online.de
Internet: http://www.antikriegsforum-heidelberg.de
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