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FForum 3/2003


vom:
Juli 2003


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  Vergessene Kriege

Der US-Fahrplan in die Krise

Nordkorea - Nächstes US-Angriffsziel oder perfides taktisches Kalkül?

Jürgen Wagner

Bereits 1993 drohten die Konflikte zwischen den USA und Nordkorea in einen Krieg zu eskalieren, was erst in letzter Sekunde durch ein Rahmenabkommen verhindert werden konnte. Pjöngjang sagte, im Austausch für die Einstellung seines Atomprogramms, "Schritte in Richtung einer vollständigen Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen", inklusive Öllieferungen, zwei Leichtwasserreaktoren (bis 2003) sowie eine Nichtangriffsgarantie zu. Obwohl unter Bill Clinton keine dieser Zusagen erfüllt wurde, hatte die damalige US-Regierung wenigstens noch eine gewisse Verhandlungsbereitschaft an den Tag gelegt.


Sein Nachfolger George W. Bush hingegen ließ die Situation gezielt eskalieren. Kurz nach Amtsübernahme wurden die diplomatischen Beziehungen komplett eingestellt und Nordkorea, trotz verzweifelter Annäherungsversuche sowie eindeutiger Liberalisierungstendenzen, "zum Dank" in die "Achse des Bösen" aufgenommen.

Nachdem das Land dann auch noch als Ziel möglicher (atomarer) US-Präventivschläge benannt wurde, entschloss sich Staatschef Kim Jong-Il, der laut US-Geheimdiensten der festen Überzeugung ist, er werde nach dem Irak das nächste Ziel der US-Regierung sein, die "atomare Karte" als seinen einzigen Trumpf zum Schutz vor einer US-amerikanischen Aggression zu ziehen. Die Versuche Nordkoreas, an Massenvernichtungsmittel zu gelangen, wurden in der Folge massiv intensiviert.

Die Situation spitzte sich nach dem Besuch des zuständigen Staatssekretärs im US-Außenministerium, James Kelly, im Oktober 2002 dramatisch zu. Kelly beschuldigte Pjöngjang, sein Atomprogramm wieder aufgenommen zu haben, und ging dabei laut Anwesender "äußerst grob" und auf eine "extrem drohende und arrogante Weise" vor. Da die USA das Rahmenabkommen verletzt sahen, stoppten sie im November die Öllieferungen. Im gleichen Monat schloss George Bush militärische Aktionen gegen Pjöngjang nicht mehr aus und verkündete, dass die versprochenen Leichtwasserreaktoren, wenn überhaupt, erst im Jahr 2008 geliefert werden sollen - ein Schlag ins Gesicht für das von einer schweren Energieknappheit gebeutelte Land.

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Daraufhin wurden im Dezember die internationalen Inspektoren aus Nordkorea ausgewiesen, was von Washington mit erneutem Säbelrasseln beantwortet wurde. Nach der Ankündigung neuerlicher Raketentests, stellte Pjöngjangs Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag am 10. Januar 2003 den vorläufigen Höhepunkt der Krise dar. Gleichzeitig betonte Nordkorea aber, jederzeit zur kompletten Rücknahme dieser Schritte bereit zu sein, wenn es dafür die 1994 ausgehandelten Zusagen, vor allem eine Nicht-Angriffsgarantie erhalte, was von Washington aber kategorisch abgelehnt wurde.

Vor diesem Hintergrund dachten viele, dass sich die Bush-Administration zu einer schrittweisen Eskalation entschieden hatte, um sich nach dem Irak einen weiteren "Schurkenstaat" vom Hals zu schaffen. Der Konflikt sollte zwar für die Zeit des Irak-Krieges erst einmal heruntergekocht werden, aber nur um dann später "in Ruhe" zuschlagen zu können. "Temporary Appeasement" nannte Charles Krauthammer diese Strategie. Dieser Verdacht wurde bspws. durch die Aussage eines US-Geheimdienstoffiziers gegenüber dem New Yorker erhärtet: "Bush und Cheney wollen seinen [Kim Jong-Ils] Kopf auf einem Tablett. Lassen sie sich nicht von dem ganzen Gerede über Verhandlungen ablenken. Es wird Verhandlungen geben, aber sie haben einen Plan, und sie werden diesen Typen nach dem Irak kriegen. Er ist ihr Modell eines Hitlers."

Doch weit gefehlt. Obwohl Pjöngjang - im Gegensatz zum Irak - aller Wahrscheinlichkeit nach bereits über Massenvernichtungsmittel verfügt und offen deren Einsatz gegen die USA androht, zeigt die US-Regierung auch nach Beendigung des Irak-Krieges, entgegen allen Erwartungen, derzeit wenig Interesse an einem Regimewechsel. Selbst der Kopf der neokonservativen Hardliner - der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz - schloss im Juni umfangreiche militärische Maßnahmen gegen das Land aus.

Wie erklärt sich diese hundertachtzig-Grad Wendung?

Das eigentliche Ziel: China

Schon vor seiner Wahl wurde China von Bush als "strategischer Konkurrent" bezeichnet. Demzufolge verwundert es auch nicht, wenn Zalmay Khalilzad, einer der wichtigsten Strategen der Bush-Administration, ganz offen propagiert, das Ziel der US-Politik solle es sein, "ein relatives Anwachsen chinesischer Macht im Vergleich zu den Vereinigten Staaten zu verhindern, oder zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern. Selbst wenn Chinas Aufstieg unvermeidlich ist, später ist besser als früher. Die Eindämmungsstrategie würde generell Anstrengungen beinhalten, Chinas ökonomisches Wachstum zu schwächen, da dies die wichtigste Basis nationaler Macht darstellt, und speziell eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten zu verhindern. Sie würde auch Versuche umfassen, der Ausdehnung des chinesischen Einflusses über die eigenen Grenzen hinaus entgegenzuwirken."

Hierfür hat Washington derzeit über 100.000 SoldatInnen in Ostasien stationiert, allein 37.000 davon in Südkorea. Angeblich soll diese Präsenz Südkorea vor einem Angriff aus dem Norden schützen. Eine Studie, an der mehrere heutige Regierungsmitglieder beteiligt waren, gibt allerdings andere Gründe hierfür an: "Dies sind nun die einzigen permanent auf dem asiatischen Kontinent stationierten Kräfte. Sie werden weiterhin für den Fall einer koreanischen Wiedervereinigung und eines Anstiegs der chinesischen Militärmacht eine entscheidende Rolle in der amerikanischen Sicherheitsstrategie spielen müssen. [...] Wenn die USA der Sicherheitsgarant in Nordostasien bleiben und eine de-facto-Allianz, dessen andere Säulen Korea und Japan sind, zusammenhalten wollen, ist die Aufrechterhaltung vorwärts-stationierter Truppen von entscheidender Bedeutung. [...] Eine steigende militärische Stärke der USA in Ostasien ist der Schlüssel, mit Chinas Aufstieg zu einem Großmachtstatus umzugehen. [...] Keine US-Strategie kann eine chinesische Herausforderung für Amerikas regionale Führung einschränken, wenn unsere Sicherheitsgarantien für Südostasien vorübergehend sind und die US-Militärpräsenz eine befristete Angelegenheit ist."

Jegliche Normalisierung der Beziehungen Nordkoreas zum Süden und seinen Nachbarn gefährden aber diesen Plan, wie eine Studie der dem Pentagon nahestehenden National Defense University bestätigt: "Die weitverbreitete Euphorie über eine neue Ära auf der koreanischen Halbinsel, [...] erodiert gleichzeitig die öffentliche Unterstützung für die US-Militärpräsenz im Süden. In einer jüngsten Umfrage meinten nahezu 65% der Südkoreaner, dass die US-Streitkräfte reduziert werden sollten. [...] Wenn es eine wirkliche Veränderung auf der koreanischen Halbinsel gibt - und selbst wenn diese Veränderung nur eine scheinbare bleibt - wird es dort und eventuell auch in Japan erheblichen Druck geben, die US-Truppen zu reduzieren. Peking wird tun, was es kann, um eine solche Entwicklung zu fördern."

Tatsächlich ist davon auszugehen, dass ein Abzug aus Südkorea einen "Dominoeffekt" auslösen würde, wie es Henry Kissinger ausdrückte, also auch den Verlust der US-Truppen in Japan nach sich ziehen und damit Chinas Position in Ostasien erheblich stärken würde.

Torpedo gegen die Sonnenscheinpolitik

Man benötigt demzufolge die "nordkoreanische Krise", um die dortigen Truppenstationierungen weiterhin als Schutz Südkoreas verkaufen zu können. Aus diesem Grund spricht der Politikwissenschaftler Christopher Layne Washington jegliches Interesse an einer Entspannung ab: "Obwohl beispielsweise die meisten Amerikaner glauben könnten, dass ein wiedervereinigtes, demokratisches Korea unzweifelhaft im Interesse Amerikas wäre, erklärte der ehemalige Nationale Sicherheitsberater, Zbigniew Brzezinski, in seinem 1997 erschienenen Buch "Die einzige Weltmacht" (wahrscheinlich die freimütigste Darlegung der amerikanischen Globalstrategie nach dem Kalten Krieg) wiederholt, wie eine solche Entwicklung tatsächlich die unipolare US-Strategie gefährden würde: Sie würde, so Brzezinski, [...] die vorgeschobene Notwendigkeit von US-Truppen auf der Halbinsel vor Augen führen, was zu einem US-Rückzug von Ostasien und daraufhin zu einem militärisch mehr auf sich selbst vertrauenden Japan führen würde. Dies würde politische, militärische und ökonomische Rivalitäten unter den Staaten der Region auslösen. Deshalb sei der status quo in Korea, der es den US-Truppen erlaubt, dort zeitlich unbegrenzt stationiert zu bleiben, die beste Situation."

Aufgrund der strategischen US-Interessen besteht somit an einem Regimewechsel in Nordkorea ebenso wenig Interesse, wie an Verhandlungen und einer Normalisierung der Beziehungen. Gefährdet wurde der "status quo" vor allem durch die überaus erfolgreiche "Sonnenschein-Politik", die auf eine Aussöhnung und langfristige Wiedervereinigung beider Koreas abzielt. Es passt ins Bild, dass Washington alles tut, um diesen Prozess ebenso zu torpedieren wie jegliche Annäherungsversuche Nordkoreas an seine Nachbarn. Die gezielte Eskalation seitens der USA dürfte eine Entspannung auf der koreanischen Halbinsel auf Jahre hinaus erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht haben. Gleichzeitig konnte so auch das Pentagon-Budget für die dortigen US-Truppen um 11 Mrd. Dollar erhöht werden.

Washington ist darüber hinaus natürlich trotzdem bestrebt, zu verhindern, dass Nordkorea durch Massenvernichtungsmittel ein Abschreckungspotenzial erlangt. Man erhofft sich, durch Drohungen Kim Jong-Il zum Einlenken bewegen zu können. Falls dies aber scheitern sollte, scheint ein gezielter Angriff auf nordkoreanische Anlagen, insbesondere den Yongbyon-Reaktor, derzeit ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden - "chirurgische Schläge" wie es der Pentagon-Berater Richard Perle bezeichnete. Besorgniserregend ist in diesem Kontext der Abzug amerikanischer Truppen aus dem Grenzgebiet zwischen Nord- und Südkorea, die hiermit besser vor der nordkoreanischen Artillerie geschützt werden sollen, denn Pjöngjang drohte für diesen Fall bereits mit umfassender Vergeltung.

Die Weigerung der Bush-Administration, dem Land diplomatisch entgegenzukommen, könnte somit zu einer Katastrophe führen. Nach Angaben des US-Kommandeurs in Korea würde ein dortiger Krieg einer Million Menschen das Leben kosten.


Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (www.imi-online.de) und Autor des Buches "Das ewige Imperium - Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor".

E-Mail:   imi@imi-online.de
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