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FF2004-1


vom:
März 2004


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  Versöhnung

Versöhnung - Wie wäre es mit einem weniger anspruchsvollen Konzept?

Vesna Terselic

Die Beantwortung der Frage, wann und aus welchen Gründen ich angefangen habe, dem Konzept einer Aussöhnung kritisch gegenüberzustehen, erfordert etwas Nachdenken.


Um auf die Frage nach dem Zeitpunkt zu antworten: Es war in der Mitte der Neunziger. Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass irgend jemand ernsthaft Versöhnung vorgeschlagen hat, bevor die militärischen Aktionen in Kroatien im Frühjahr und Sommer 1995 stattgefunden haben oder der Vertrag von Dayton den Krieg in Bosnien-Herzegowina beendet hatte. Erst danach ließen sich von unseren Helfern aus anderen Ländern die ersten Stimmen vernehmen, die besagten, dass die Zeit für eine Versöhnung reif sein könnte. Ich habe mich in dem Moment gefragt, wer das Recht hat, den richtigen Zeitpunkt für eine Versöhnung festzulegen. Sind es die Friedensstifter?

Um die Frage nach dem Warum zu beantworten: Ich habe zwei Einwände: Der erste Einwand basiert auf meiner Sorge um Freiheit, besonders um Meinungsfreiheit und der zweite auf der Angst, dass eine Beschleunigung des Friedensprozesses durch das Verlangen nach Versöhnung kontraproduktiv sein und die Möglichkeiten auf das Erreichen eines anhaltenden Friedens einschränken könnte.

Wenn ich die Wahl hätte, würde ich weniger hochtrabende Worte nehmen. Und wenn ich die Möglichkeit hätte, festzulegen, worum es in der Friedensarbeit in Kroatien geht, würde ich mich für den Begriff des Peacebuilding entscheiden. Auch das ist kein ideales Konzept, aber es suggeriert eine offene Entwicklung, in dem die Teilnehmer selbst entscheiden können, wie viel sie miteinander kommunizieren wollen oder können. Lasst uns den Menschen die Möglichkeit geben, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen, ihre eigenen sozialen Netzwerke aufzubauen, zu wählen, wen sie begrüßen möchten, mit wem sie eine Tasse Kaffee trinken wollen und mit wem (wenn überhaupt) sie sich versöhnen möchten. Ich denke, dass die Entscheidung für eine Versöhnung eine sehr persönliche Entscheidung ist. Sie ist so persönlich, dass es besser wäre, nicht den moralischen Zeigefinger zu erheben und darauf hinzuweisen, wie wichtig sie ist.

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Nach all dem Chaos, den ein Krieg hinterlässt und der praktisch alle betrifft, sollten Menschen die Möglichkeit haben, zu trauern, und, falls sie es wollen, so wütend und so gefangen in ihrer Ablehnung sein, dass sie erst mal nicht mit der ´anderen Seite` sprechen möchten. Kommunikation entwickelt sich - da sie irgendwann nötig wird. Für manche wird diese Entwicklung ganz selbstverständlich sein, für andere wird sie erst nach viel Ablehnung möglich werden.

Wenn ich in der Bibel blättere und auf die Idee stoße, dass Versöhnung ein Befehl Gottes sei, läuft mir ein Schauer über meinen Rücken. Nicht, da ich mir nicht vorstellen kann, dass ein ehrliches Zusammentreffen zwischen ehemaligen Feinden möglich wäre, sondern da ich nicht glaube, dass man so viel von Menschen verlangen kann. Wenn jemand den Mut hat, nicht nur den Anderen zu akzeptieren, sondern auch auf ihn zuzugehen, sollte dies nicht aufgrund von Furcht vor einer Autorität, sondern aufgrund der eigenen Wahlfreiheit geschehen.

Manche Friedensstifter in Kroatien finden dies sehr hilfreich. Vor ein paar Jahren haben Katarina Kruhonja und ich in Kopernikova die Idee eines Projektes mit Namen Horizon of Reconciliation (Versöhnungshorizont) diskutiert. Da ich bei der Erstellung eines Handbuches über Gemeinschafts-Mediation beteiligt bin, stehe ich in regelmäßigem Kontakt mit Dusanka Ilic-Cica. Auch sie spricht über ihre Arbeit im Namen der Versöhnung.

Vielleicht bemerkten manche Anhänger der Friedensbewegung nicht, dass sie einen merkwürdigen Verbündeten in dem verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman gefunden hatten. Er hat zeitweise die Idee unterstützt, eine gemeinsame Erinnerungsstätte und ein Massengrab für die Opfer des kroatischen Konzentrationslagers Jasenovac und die Ustasha (Name der kroatischen Nationalsozialisten) und deren Kollaborateure, die nach dem Zweiten Weltkrieg getötet worden sind, zu bauen. Seine Idee fand nicht viele Anhänger, da er darauf bestand, die Aussöhnung inmitten der Knochen von Feinden stattfinden zu lassen. Der jetzige Präsident von Kroatien, Stipe Mesic, hat in seiner Rede im April 2003 anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Jasenovac betont, dass die Verteidiger einer allgemeinen Versöhnung das Ustasha-Quisling-Regime rehabilitieren möchten und die Geschichte verfälschen und vergessen machen. Er stellte außerdem klar, dass die Rehabilitation des Faschismus unmöglich sei.

Man könnte einwenden, dass ein Wiederversöhnungskonzept nicht anwendbar ist auf die Straftaten, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg begangen worden sind, dass es aber trotzdem wertvoll für die Versuche des Aufbaus eines anhaltenden Friedens im ehemaligen Jugoslawien sein könnte. Ich denke, dass neben den schon genannten Zweifeln an dem einschränkenden Einfluss auf die Eigenständigkeit des Einzelnen, auch der oft falsch benutzte Satz ´Man soll vergeben, aber nicht vergessen` Probleme bereitet. Ich erinnere mich noch gut an heftige Diskussionen, nachdem ich eines der Denkmäler, das den Opfern des Zweiten Weltkrieges in Paris gewidmet ist und das dieses Motto trägt, besichtigt hatte. Wer hat das Recht, so etwas zu sagen? Wer hat das Recht, Menschen, die schwer verletzt worden sind, zu sagen, was sie tun sollen? Wer hat das Recht, im Namen der Ermordeten zu sprechen? Kann irgend jemand in ihrem Namen vergeben?

Wenn man auf Versöhnung besteht, während Wunden noch so frisch und so tief sind, löst man Widerstand gegen Friedensarbeit allgemein aus. Man darf nicht vergessen, dass im ehemaligen Jugoslawien mehr als 200.000 Menschen getötet und mehr als 40.000 Menschen verschwunden sind - viele Familien wissen immer noch nicht, ob ihre Angehörigen noch leben oder schon tot sind. Diejenigen, die das Gefühl haben, dass Gerechtigkeit weder durch den Internationalen Gerichtshof, noch durch nationale Gerichtshöfe geschaffen wurde, hoffen auf die Wiederaufarbeitung der Vergangenheit, in der eine ausgleichende und wiederherstellende Gerechtigkeit garantiert werden kann. Neben Strafverfahren gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher, sind auch das Zahlen von Reparationen, eine öffentliche Entschuldigung und ein Gedenken an alle Opfer wichtig. Überlebende brauchen die Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen und auf ihre Art und Weise nach Gerechtigkeit zu suchen. Dann sind sie vielleicht auch bereit, über Versöhnung nachzudenken.

Parallel zur Aufarbeitung der Vergangenheit, sollte der Beginn eines Vertrauensaufbaus und Friedensaufbaus mit all seinen verschiedenen Facetten stehen. Dazu gehören Konflikttransformation, Handlungsunterstützung (Empowerment), direkter Schutz der Menschenrechte und Teilnahme an Entscheidungsprozessen. All diese Dinge zielen darauf ab, soziale Veränderung durch die Veränderung der momentanen Situation hervorzurufen, um in Zukunft eine breitere Teilnahme in Entscheidungsprozessen möglich zu machen. All diese Bemühungen werden irgendwann zu Versöhnung führen. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum Versöhnung nicht auf der Liste der Ziele des Friedensprozesses steht, werde ich versuchen, Ihnen weitere Gründe vorzulegen.

Aus irgendeinem Grund dominiert das Konzept der Versöhnung die Agenda, sobald es vorgestellt wird und ruft den Eindruck hervor, dass ein anhaltender Frieden innerhalb kurzer Zeit erreicht werden kann. Es nährt die falsche Annahme, die immer wieder in ehemaligen Kriegsländern bestätigt wird, dass eine Veränderung schnell vonstatten geht. Es nährt die Illusion, dass fünf Jahre reichen, um eine soziale Veränderung hervorzurufen, die vielleicht 50 Jahre braucht. Wo das Konzept der Versöhnung die Agenda dominiert, bleibt kaum Platz oder Interesse für die Aufarbeitung der Vergangenheit, da dies oft als sinnloses Wühlen in der schmutzigen Geschichte angesehen wird.

Friedensstifter, die das Konzept der Versöhnung unterstützen, sollten über den langsamen Veränderungsprozess im ehemaligen Jugoslawien oder dem noch langsameren in Afghanistan nachdenken. Der Aufbau eines anhaltenden Friedens erfordert Zeit, Energie und Geld. Die einzige Regierung, die Projekte, die sich mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigen, finanziell unterstützt, ist die Schweiz. Wenn es um die Finanzierung geht, wird plötzlich das Konzept der Versöhnung bevorzugt - leider ist es nicht unbedingt dasjenige, das zu einem anhaltenden Frieden führt.

Der Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt von Aline Sierp.


Vesna Terselic ist Mitarbeiterin des Zentrum für Friedensstudien Zagreb und eine der Gründerinnen der Antikriegskampagne Kroatien.

E-Mail:   ark@zamir.net
Internet: http://www.zamir.net/~ark
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