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FF2004-2


vom:
April 2004


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FF2004-2:

  Krisen und Kriege

Interview mit dem israelischen Kriegsdienstverweigerer Uri Ja`acobi.

"Ich will nicht töten"

Nina Salomon, ai-Journal

ai-JOURNAL: Was hat Sie dazu bewogen, den Wehrdienst in der israelischen Armee zu verweigern?

Uri Ja`acobi: Als ich noch zur Schule ging und mein Vater in der Armee diente, erzählten meine Mitschüler oft voller Stolz von ihren Vätern beim Militär. Wenn sie dann sagten, dass ihre Väter bei einer Spezialeinheit oder Piloten seien, konnte ich nur erwidern: "Mein Vater ist Tellerwäscher." Er war auf einem Panzerstützpunkt stationiert. Eines Nachts ging er mit einer Sprühdose hinaus und sprühte auf die Panzer Parolen wie: "Soldaten, geht nicht in die besetzten Gebiete!" Später weigerte er sich ganz, seinen Dienst zu leisten, und kam ins Militärgefängnis. Als ich dann mit siebzehn zur Musterung musste, wusste ich eigentlich schon, dass ich nicht zur Armee gehen wollte.

Dafür waren vor allem zwei Gründe ausschlaggebend. Der wichtigste ist, dass ich nicht töten will. Für mich hat das menschliche Leben einen so hohen Wert, dass ich mir nicht vorstellen kann, es zu zerstören. Der zweite Grund ist die politische Situation in Israel. Die israelische Armee begeht meiner Meinung nach terroristische Angriffe auf die palästinensische Zivilbevölkerung.

Sie waren bis Anfang 2003 mehrere Monate in Haft.

Es gibt in Israel kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Nach der Einberufung ist jeder automatisch Soldat. Dagegen habe ich mich gewehrt und mich geweigert, meinen Militärdienst anzutreten. Ich habe versucht, die Armee von meiner pazifistischen Grundeinstellung zu überzeugen. Aber das hat niemanden interessiert. Schließlich wurde ich zwei Wochen lang inhaftiert. Als ich entlassen wurde, war ich immer noch Soldat, und da ich mich weiterhin weigerte, meinen Dienst zu versehen, kam ich abermals ins Gefängnis. Achtmal wurde ich für insgesamt viereinhalb Monate interniert. Danach wurde mein Fall endlich von einer so genannten "Gewissenskommission" verhandelt, die aus mehreren Offizieren besteht. Ich solle ihnen einfach nur erzählen, was ich über die Armee dächte. Das habe ich getan. Ihr Urteil lautete, dass ich nicht mit dem Militär "vereinbar" sei, weil meine Motivation zum Heeresdienst zu gering sei. Offiziell blieb ich zwar Soldat, ich wurde aber freigestellt, und das war`s. Sie haben mir sogar Sold gezahlt.

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FF2004-2
2001 schickten mehrere hundert zum Wehrdienst einberufene Israelis einen offenen Brief an Ariel Scharon, in dem sie erklärten, ihren Dienst nicht in den besetzten Palästinensergebieten zu leisten. Daraus ist eine Bewegung entstanden, die sich "Shministim" - Oberschülerbrief - nennt. Was sind die Ziele von "Shministim"?

Einige der Mitglieder sind Totalverweigerer, so wie ich, andere gehen zur Armee, weigern sich aber, in den besetzten Gebieten zu dienen. Einige gehen ins Gefängnis, andere tun so, als seien sie verrückt und vermeiden so den Wehrdienst. Manche sind Zionisten, andere Anarchisten oder Kommunisten. Die meisten gehören eher dem linken politischen Spektrum an und kommen aus Tel Aviv, Haifa oder Jerusalem. Insgesamt sind wir rund 400 junge Verweigerer. Wir haben keine feste Organisation, und alle Versuche, uns besser zu vernetzen, sind bis jetzt gescheitert.

Wie haben Sie von "Shministim" erfahren?

Als ich von der Veröffentlichung des Briefes hörte, fand ich die Idee sehr gut. Ich schloss mich an, indem ich den Brief im Internet unterzeichnete. Ein Jahr später organisierte die Bewegung eine Konferenz, um einen weiteren Brief an Ariel Scharon zu verfassen. Ich habe daran teilgenommen und bin seitdem bei "Shministim".

Was denken die Menschen in Israel über das Vorgehen der Regierung in den besetzten Gebieten?

Die Menschen wissen einerseits, dass sie nicht gleichzeitig die Palästinenser unterdrücken und ein normales Leben führen können. Ihnen ist klar, dass die Lösung darin besteht, die besetzten Gebiete zurückzugeben. Andererseits wurde ihnen über lange Zeit von der Regierung, von Religionsführern und Medien ein falsches Bild vermittelt. Palästinenser werden generell als Feinde gesehen. Manche Israelis sind offen rassistisch, andere drücken sich gewählter aus und meinen, die Palästinenser seien noch nicht reif für den Frieden.

Hat die Veröffentlichung der "Shministim"-Briefe Einfluss auf die öffentliche Meinung gehabt?

Unmittelbar danach waren wir ein Thema in den Medien. Der Tenor war jedoch eher negativ und unsere Weigerung, in den besetzten Gebieten zu dienen, stieß auf Unverständnis oder wurde als Schande abgestempelt. Die Empörung hielt nur wenige Tage an, danach waren wir aus den Medien verschwunden. Auf meiner Reise durch Europa war ich verblüfft darüber, dass über unsere Aktion auch international berichtet wurde.

Momentan reisen Sie durch mehrere europäische Länder und berichten über Ihre Erfahrungen.

Ja, wir waren auf Einladung der schwedisch-jüdischen Friedensorganisation JIPF in Stockholm und haben uns mit Vertretern der jüdischen Gemeinde getroffen. Leider war die Atmosphäre sehr feindselig. Mir scheint, dass die jüdischen Gemeinden in Europa eher geneigt sind, die offizielle israelische Haltung zu übernehmen.

Wie bewerten Sie den in der Genfer Initiative entworfenen alternativen Friedensplan?

Der schwierigste Punkt für Israel ist die Rückgabe der besetzten Gebiete. Denn das bedeutet, zurückzugeben, dass es von Anfang an ein Fehler war, sie zu besetzen. Dennoch, wenn Israel das wirklich täte, wenn es sich entschuldigen und die Gebiete zurückgeben würde, würde das mit Sicherheit Frieden bringen. Im Augenblick ist kein normales Leben für die Palästinenser möglich; es gibt massive Menschenrechtsverletzungen. Selbst wenn viele von ihnen uns noch jahrzehntelang hassen würden, sie würden uns nicht angreifen, wenn sie normal arbeiten, ihre Kinder ohne Probleme in die Schule schicken und in Frieden leben könnten.

aus. ai-Journal 3/2004


Interview: Nina Salomon

E-Mail:   info@amnesty.de
Internet: http://www.amnesty.de
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