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Befehlsverweigerung, Kriegsdienstverweigerung und Desertion in der Bundeswehr

Stefan Philipp

Die Bilanz des Zweiten Weltkriegs war - und ist - entsetzlich. Auch für diejenigen, die auf deutscher Seite Widerstand gegen diesen verbrecherischen Angriffskrieg leisteten. Mehr als 30.000 Menschen wurden von Militär- und Sondergerichten und dem "Volksgerichtshof" wegen Kriegsdienstverweigerung, Befehlsverweigerung, Desertion und "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt. Mindestens 20.000 dieser Todesurteile wurden vollstreckt.

Das "neue (West-)Deutschland" hat mit dem Grundgesetz und zahlreichen gesetzlichen Regelungen die Konsequenzen aus der Verfolgung von Kriegsgegnern und diesem staatlichen Massenmord an "War Resisters" gezogen: Die Gewissensfreiheit ist unverletzlich und der Zwang zum bewaffneten Kriegsdienst ist verboten, wenn jemand dagegen Gewissensgründe geltend macht. Beides ist als Grundrecht garantiert (Art. 4 Grundgesetz - GG) und bindet Legislative, Exekutive und Judikative als "unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 GG). Ebenfalls garantiert ist die "freie Meinungsäußerung" (Art. 5 GG; als "Wehrkraftzersetzung" wurden bereits bloße Meinungsäußerungen verfolgt und mit dem Tode bestraft), der Angriffskrieg ist verboten (Art. 26 GG), Militär ist ausschließlich "zur Verteidigung" vorgesehen (Art. 87a GG), Ausnahmegerichte sind generell, militärische Strafgerichte in Friedenszeiten verboten (Art. 101 und 96 GG), die Todesstrafe ist abgeschafft (Art. 102 GG), zum Schutz der Grundrechte von Soldaten wurde ein Wehrbeauftragter als parlamentarisches Hilfsorgan installiert (Art. 45b GG). Soldaten müssen die "freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes" anerkennen und für ihre Erhaltung eintreten (§ 8 Soldatengesetz. Befehle müssen nicht befolgt werden, wenn sie die Menschenwürde verletzen (§ 11 SG) oder durch ihre Befolgung eine Straftat begangen würde (§ 22 Wehrstrafgesetz - WStG), und dürfen keine rechtswidrigen Taten anordnen (§ 22ereitung eines Angriffskrieges ist verboten und wird schwer bestraft (§ 80 Strafgesetzbuch - StGB), ebenfalls verboten und mit schwerer Strafe bedroht sind Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), gefährliche und schwere Kö(§§ 223a, 224 StGB).

"... Konsequenzen gezogen ..." - in der Theorie: ja. Die Realität sieht, wie man weiß, anders aus: Deutschland führt mit seiner Bundeswehr selbst Krieg oder beteiligt sich mittelbar daran.

Am NATO-Krieg gegenn hat die Bundeswehr mit der Beteiligung von Luftwaffenpiloten direkt teilgenommen und logistische Hilfe geleistet. Dieser Krieg war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, mithin auch durch das Grundgesetz ausdrücklich verboten und nach deutschem Recht mit Strafe bedroht.

Den angloamerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak hat Deutschland zwar offiziell abgelehnt, aber auf der Ebene von Hilfsmaßnahmen, beispielsweise durch die Bewachung von US-Kasernen in Deutschland durch Bundeswehrsoldaten, womit US-Kräfte für den Krieg freigesetzt wurden, mittelbar unterstützt. Auch dieser Krieg war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, der deutsche Staatsanwälte gegen die Bundesregierung hätte auf den Plan rufen müssen.

Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung wurde tausendfach dadurch missachtet und ausgehöhlt, dass es nur auf Antrag gewährt wird und das Anerkennungsverfahren schikanös ausgestaltet war, so dass viele Kriegsdienstverweigerer abgelehnt wurden und Soldat werden mussten. Die grundgesetzliche Ermächtigung zur Einführung der Wehrpflicht - von manchen als "verfassungswidriges Verfassungsrecht" bezeichnet - mit der Folge einer Ersatzverpflichtung für Kriegsdienstverweigerer hat tausende nicht anerkannter Kriegsdienstverweigerer und Totalverweigerer in Arrestzellen, vor Gericht und manche ins Gefängnis geführt. Die Freiheit des Gewissens ist in der Praxis sehr verletzlich und verletzt.

Pazifisten, Antimilitaristen, Kriegsgegner haben es also schwer in Deutschland - die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sie tendenziell auf ihrer Seite, aber die staatliche Praxis massiv gegen sich. Das gilt besonders für diejenigen, die Teil des militärischen Apparates sind, also Wehrdienstleistende, Zeit- und Berufssoldaten. Für Wehrpflichtige sind durch das Grundgesetz selbst die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit sowie das Petitionsrecht eingeschränkt (Art. 17a GG), ganz abgesehen davon, dass die Wehrpflicht an sich mit dem in Art. 12 GG garantierten Recht der freien Arbeitsplatzwahl und dem Verbot von Zwangsarbeit inkompatibel ist. Für Soldaten generell gilt als "Grundpflicht", "treu zu dienen" (&s7 SG), und gehorsam zu sein (§ 11 SG). Ihre Möglichkeiten, sich gegen eine aus ihrer Sicht falsche Politik zu wehren, sind äußerst beschränkt.

Was ihnen bleibt, ist, jederzeit einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. Minds der direkte Einsatz an der Waffe dürfte so schnellstens vermieden werden können. Bei Wehrpflichtigen kann davon ausgegangen werden, dass über den Antrag relativ schnell positiv entschieden wird - nicht zuletzt deshalb, weil die Bundeswehr für einen "geordneten Dienstbetrieb" letztlich kein Interesse an "Wehrunwilligen" hat, und weil wegen reduzierter Personalstärke ein "Überangebot" an Wehrpflichtigen besteht. Etwas schwieriger ist die Kriegsdienstverweigerung bei Zeit- und Berufssoldaten, weil hier die Bundeswehr in der Regel ihre Möglichkeiten im Verfahren nutzt und dieses damit mindestens in die Länge zieht. Zudem müssen Zeit- und Berufssoldaten in manchen Fällen damit rechnen, bei der Entlassung aus der Bundeswehr nach erfolgter Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erhebliche Ausbildungskosten zurückerstatten zu müssen.

Für den Fall von Desertion oder Befehlsverweigerung müssen Soldaten in jedem Fall mit disziplinarischen Maßnahmen - bis hin zu Arrest (§ 26 Wehrdisziplinarordnung - WDO), Dienstgradherabsetzung (§ 62 WDO) und "Entfernung aus dem Dienst" (§ 63 WDO) - und der Einleitung eines Strafverfahrens wegen "Gehorsamsverweigerung" (§ 20 WStG) oder "WStG) rechnen, der Strafrahmen reicht dabei bis zu 5 Jahren Gefängnis. Voraussetzung für eine Verurteilung im Strafverfahren ist aber neben der Tatbestandserfüllung auch die Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit des Tuns. Bei der Verweigerung von Befehlen in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beispielsweise dürfte eine Verurteilung mindestens nicht so ohne Weiteres möglich sein. (Aber wie lautet der alte Merksatz: "Vor Gericht und auf hoher See ist man nur in Gottes Hand.")

Nun ist es für Pazifisten und Antimilitaristen zwar schwer vorstellbar, aber es gibt Soldaten, die ihre vornehmlichste Aufgabe darin sehen, die Friedensverpflichtung des Grundgesetzes ernst zu nehmen, Krieg zu verhindern und sich strikt an nationales und internationales Recht zu halten, sich also in keinem Fall an einem Angriffskrieg zu beteiligen. Für diese ist das Verlassen der Bundeswehr durch Kriegsdienstverweigerung oder einen Entlassungsantrag kein gangbarer Weg, da sie ja bewusst Soldaten sind und bleiben wollen. Ihnen bleibt letztlich nur das Remonstrieren gegen rechtswidrige Befehle und, wenn das keinen Erfolg hat, das Verweigern solcher Befehle mit der Folge disziplinarischer Ahndung und strafrechtlicher Verfolgung. In den entsprechenden Verfahren müssen sie dann die juristischen Möglichkeiten - Verbot der Erteilung und der Befolgung rechtswidriger Befehle, Berufung auf die Gewissensfreiheit - nutzen, um eine Verurteilung zu vermeiden. Daneben sollten sie sich mit gleichgesinnten "Kameraden" solidarisieren und organisieren, z.B. im "Darmstädter Signal".

In der Solidarität liegt aber auch eine Aufgabe der Friedensbewegung. Auch wenn man Militär grundsätzlich kritisch oder ablehnend gegenüber steht, sollte man erkennen, dass es - solange es noch Militär gibt - besser ist, möglichst viele kritische Soldaten zu haben, als blinde Befehlsempfänger. Dies gilt umso mehr, als damit zu rechnen ist, dass die Wehrpflicht bald fallen wird und die Bundeswehr dann ausschließlich aus rein freiwilligen Soldaten bestehen wird.



Stefan Philipp ist stellvertretender Vorsitzender der Zentralstelle KDV und aktiv in der DFG-VK.

E-Mail: stefan_philipp@t-online.de

Website: zc@dfg-vk.de
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