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Die Menschen organisieren, ausbilden und ermächtigen

USA 50er/60er Jahre: Ella J. Baker - gewaltfreie Bürgerrechtlerin

Renate Wanie

Über den Einfluss der afro-amerikanischen Bürgerrechtlerin Ella Baker im gewaltfreien Widerstand gegen Rassismus in den USA der 60-er Jahre und die Diskriminierung von Frauen in den eigenen Reihen.

Wo sind die Frauen in der politischen Geschichtsschreibung über die schwarze US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung (BB)? Schon wieder diese ermüdende Frage nach dem Verbleib von Frauen! Angesichts der beiden einflussreichen afro-amerikanischen Aktivistinnen Ella Josephine Baker und Fanny Lou Hamer in den 1950-er und 1960-er Jahren ist das keine überflüssige Frage. Trotz der herausragenden Leistungen von schwarzen Frauen ist ihre Rolle wie auch die Bedeutung in der BB von der Forschung lange vernachlässigt worden. Die meisten Darstellungen konzentrieren sich auf bekannte "Helden" des schwarzen Protestes, wie z.B. Martin Luther King oder Malcolm X. Der Wissenschaftlerin Britta Waldschmidt-Nelson ist es zu verdanken, dass sie mit ihrer Studie "From Protest to Politics" auf die einflussreiche Rolle von Frauen in der schwarzen BB hingewiesen hat. Repräsentativ für die Frauen in der BB hat sie die Mitwirkung von Ella Jo Baker und Fanny Lou Hamer untersucht.

Auf dem Studientag der Ev. Landeskirche in Baden zum 75. Geburtstag Martin Luther Kings diente mir die Studie von Britta Waldschmidt-Nelson als Grundlage für den Workshop: "Der Einfluss von schwarzen Frauen in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und Parallelen in den sozialen Bewegungen in der BRD." Im Folgenden schildere ich exemplarisch das politische Engagement von Ella Jo Baker im gewaltfreien Widerstand gegen Rassismus und Diskriminierung.

Die Entdeckung der politischen Lebensgeschichte der für mich bisher unbekannten Bewegungs-Aktivistinnen der 1950er und 60er Jahre, hat mich sehr gefreut. Begeistert hat mich, dass sie in besonderer Weise Vorläuferinnen der heutigen "gewaltfreien Bewegungen" sind. Denn Ella Baker und Fanny Hamer praktizierten bereits zu ihrer Zeit eine nicht-hierarchische "Politik von unten", bauten alternative Programme auf und setzten sich für gewaltfreie Strategien ein, wie wir sie auch heute vertreten. Sie lebten, was sie dachten. Insbesondere Ella Baker engagierte sich dafür, Frauen in den Bürgerrechtsorganisationen stärker in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen. Dabei kam auch eine Kritik am Führungsstil von Martin Luther King nicht zu kurz.

Maßgeblichen Einfluss auf Strukturveränderungen

Ella Baker hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklungen innerhalb der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Menschen, die mit ihr zusammenarbeiteten, bezeichneten sie als eine der bedeutendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Bewegung. Geboren 1903 wuchs Ella Josephine Baker in einer Familie mit ausgeprägtem sozialen Bewusstsein auf. Ihre Mutter und Großmutter beschrieb Baker als starke und unabhängige Persönlichkeit. Die ihr in der Familie vermittelten und vorgelebten Werte und Ideale waren eine wichtige Motivationsquelle für den späteren Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit. Aus finanziellen Gründen schloss sie nur das Grundstudium in Soziologie ab. Schon in jungen Jahren als begabte Rednerin bekannt, begann sie bald mit der Umsetzung ihrer Theorien von Gerechtigkeit und engagierte sich in mehreren Projekten und organisierte vielfältige Protestaktionen, z.B. gegen die Brutalität weißer Polizisten und für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Ella Baker galt als Organisationstalent. Hervorgehoben wird ihr Einsatz für eine der großen schwarzen Bürgerrechtsorganisationen, die NAACP - National Association for the Advancement of Coloured People wie auch für die SCLC - Southern Christian Leadership Conference und insbesondere für das studentische gewaltfreie Komitee SNCC - Student Nonviolent Coordinating Committee. Ella Baker wurde mit der Durchführung einer Crusade for Citizenship (Kampagne) beauftragt, die im ganzen Süden stattfinden sollte. Ziel war es, die Anzahl der registrierten schwarzen WählerInnen zu erhöhen. Im Kampf gegen die Segregation in allen öffentlichen Bereichen entwickelte sie erfolgreiche Selbsthilfeprogramme, organisierte Spendengelder und sorgte für Mitgliedergewinnung.

In verschiedenen Funktionen, z.B. als Assistant Field Secretary, Field Organizer (Organisatorin von Kampagnen) oder in der Leitungsfunktion verschiedener Organisationen nahm Ella Baker über dreißig Jahre lang wesentlich Einfluss auf Methoden und Zielsetzungen innerhalb der Bewegung. Auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen als junge Frau in einer Kooperative, die basisdemokratisch und vollkommen von der Gleichberechtigung der Frauen geprägt war, engagierte sie sich in den Organisationen der BB für eine gerechte und gewaltfreie Zusammenarbeit.

Ella Baker lehnte das hierarchische Organisationsprinzip, das Einzelinitiativen zu ersticken droht, ab. Die Entwicklung der individuellen Führungsqualitäten aller Mitglieder stellte sie immer über das persönliche Geltungsbedürfnis. Mit ihrer eigenen Persönlichkeit wirkte sie dabei als Inspiration und Vorbild. Baker hielt es für den schwarzen Widerstand am wichtigsten, die Menschen in den Basisgemeinden zu organisieren, sie auszubilden und schließlich zu befähigen, die Lösung ihrer Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Deshalb setzte sie z.B. Ende der 50-er Jahre dem bisher praktizierten Konzept der schwarzen Organisationen (NAACP, SCLC), das sie "leader-centered-group" (Strategie der auf Führungspersonen orientierte Gruppe) nannte, das Konzept des "group-centered-leadership" (Strategie der auf Gruppen orientierten Führung) entgegen. Bakers Ziel war es, eine fundierte Basisorganisation aufzubauen, die in der Lage sein sollte, längerfristig gleichberechtigt zusammenzuarbeiten. Sie drängte zudem auf mehr Dynamik statt der "Slow preachers methods" ("mehr Taten als Worte!") und forderte mehr "direct action" (z.B. die direkte Provokation der Weißen in ihren Strukturen, z.B. mit sit-ins.) Mit diesen Vorschlägen geriet sie in Konflikte mit den konservativen Organisationsleitungen (W-N: 46).

Kritik an Kings Führungsstil

Bei der Organisierung des Bus-Boykotts von Montgomery lernte Ella Baker Martin Luther King näher kennen. Die Berufsaktivistin unterstützte Kings Bus-Boykott. Ella Baker war es, die später King davon überzeugte, den psychologischen Moment des erfolgreichen Boykotts zu nutzen und den schwarzen Widerstand überregional zu organisieren.

Schon bald geriet Ella Baker in Konflikt mit dem Führungsstil Martin Luther Kings. In einem Interview kritisierte sie ihn als charismatische Leitfigur, die im Zentrum aller Aktionen gestanden und sich nicht für einen Dialog innerhalb der Gruppen engagiert habe. Er habe z.B. bestimmt, "welche Widerstandsmaßnahmen die Organisation wann und wo durchführen sollte, wobei seine eigene Präsenz als Garant für Publicity und Erfolg stand." (W-N, 49) In Widerstreit mit King geriet Baker auch bezüglich der Vorstellung von Leitung und der Rolle von Frauen, z.B. bei der konkreten Organisierung des Projektes "Crusade for Citizenship".

King kommentierte, dass eine Frau nicht effektiv arbeiten könne und die Geschäftsleitung besser mit einem Pfarrer ausgestattet sei (W-N: 45). Schließlich konnte sie sich durchsetzen und wurde später Executive Secretary - allerdings nur kurzfristig, Eine Frau an der Spitze der Organisation wurde auch von anderen Pfarrern langfristig nicht gewollt. Ella Baker: "(...) The role of the women in their church setups is taking orders, not providing leadership." (Die Rolle der Frauen in ihren Kirchen ist, sich nach Anordnungen zu richten und nicht die Leitung zu übernehmen.) (W-N: 47) Diskriminierung von Frauen wie auch die Widerstände gegen eine nichthierarchische Binnenorganisation bewogen Ella Baker, die traditionellen Organisationen zu verlassen und selbst eine basisdemokratisch orientierte Organisation, (mit)aufzubauen - die "Student Nonviolent Coordinating Committee" (SNCC), eine Koordinierungsstelle für gewaltfreie Aktionen.

Gründung einer basisdemokratischen StudentInnen-Organisation

Eine neue Form der direkten gewaltfreien Aktion brachte im Februar 1960 einen neuen politischen Aufbruch in die studentische Bewegung gegen den Rassismus in den USA - die Sit-ins. Dieses Erwachen mündete in der Neugründung des SNCC. Ab jetzt entwickelte sich die Protestbewegung zu einer breiten und dauerhaften Bewegung für grundlegende soziale Reformen (Carson 2004: 64).

Zu der Gründungskonferenz hatte Ella Baker, gemeinsam mit King eingeladen. Ihr Ziel war es, mit einer neuen basisdemokratisch organisierten Organisation eine vereinte und gemeinsame Grundlage für Training und Aktion im gewaltfreien Widerstand zu schaffen (Carson: 65). Dabei achtete sie wieder darauf, die Unabhängigkeit der lokalen StudentInnen-Organisationen nicht zu beschneiden und sie selbstständig agieren zu lassen. Das bedeutete, die SNCC wurde nicht zur Jugendorganisation der SCLC, die King leitete. "Bakers Opposition war zu groß", äußerte sich M.L. King, und ihr Ansehen in der Bewegung hoch, so dass er seinen Plan aufgab, die neue Bewegung in seine bestehende Organisation einzubinden (W-N: 52). Er blieb jedoch im konstruktiven Dialog mit ihr. "Ohne das Organisationstalent und die neuen Führungsstrategien einer Ella Baker (wäre) wahrscheinlich weder die Gründung der SCLC - Southern Christian Leadership noch die Entwicklung der Studentenbewegung in der bekannten Form möglich gewesen" (W-N: S.18).

Einfluss auf andere Bewegungen

Von der 57-jährigen Ella Jo Baker ermutigt gründete sich dann im Mai 1960 das unabhängige SNCC - auf philosophischen, libertären und religiösen Grundlagen der Gewaltfreiheit und der US-amerikanischen Tradition des Pazifismus. Die demokratische und gleichberechtigte Beziehung der Geschlechter untereinander wie auch die Rolle der Frauen war beeinflusst von Ella Jo Baker und trug maßgeblich zum Erfolg der StudentInnen- Bewegung bis Mitte der 60-er Jahre bei. Auch für die Ende der 1960-er Jahre entstehende Frauenrechtsbewegung war das nach Bakers Prinzipien der anti-hierarchischen Führungsstrukturen operierende Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) eine bedeutende Impulsquelle (W-N: 58).

Ella Jo Bakers Arbeit war für die Öffnung des politischen Systems für Schwarze in den Südstaaten von entscheidender Wichtigkeit. In höherem Maße als ihre männlichen Mitstreiter verstanden die am schwarzen Widerstand beteiligten Frauen wie Ella Baker die Bürgerrechtsbewegung auch als Teil einer Menschenrechtsbewegung und waren stets an einer konstruktiven Kooperation mit anderen unterprivilegierten Minderheiten und Weißen interessiert.

Ein Buch als aktuelles Lehrstück

Geprägt durch das SNCC hat Clayborne Carson, ehemaliges Mitglied des SNCC, ein Buch über die Geschichte des studentischen gewaltfreien Koordinierungskomitees (SNCC) geschrieben. Carson ist heute Professor für Geschichte an der Stanford University und Direktor des Martin Luther King jr. - Papers Project. Sein Buch ist ein Lehrstück über Erfolge und Abwege sozialer Bewegungen bis zur heutigen Zeit. Und deshalb so aktuell.

Waldschmidt-Nelson, Britta : From Protest to Politics. Frauen in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und im Kongress der Vereinigten Staaten. Nordamerikastudien. Campus Verlag. Frankfurt/M 1998

Carson, Clayborne: Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren. Verlag Graswurzelrevolution. Münster, 2004. 638 S., 28.80

Leseempfehlung: Waldschmidt-Nelson, Britta: Gegenspieler. Martin Luther King und Malcolm X. Fischer Verlag. Frankfurt/M 2000



Renate Wanie ist hauptamtliche Mitarbeiterin in der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden (Büro Heidelberg).
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