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 Herausforderung Terrorismus?

Der Krieg der Al Qaida

Gerhard Piper

,Al Qaida" heißt im Arabischen "Basis" oder "Regel". In der Umgangssprache heißt "Al Qaida" aber auch "das Scheißhaus". Warum sollte also jemand, der eine Terroristengruppe gründen will, diese ausgerechnet nach einer Toilette benennen? Des Rätsels Lösung ist einfach: "Al Qaida" ist kein Eigenname, sondern eine Fremdbezeichnung!

Der Name "Al Qaida" tauchte erstmals Anfang der neunziger Jahre auf dem Titelblatt eines afghanischen Buches auf, das eine Anleitung zum Bombenbau war. Aber soweit bekannt hat Scheich Abdullah alias Osama bin Mohammed bin Awad bin Laden seine Organisation noch nie mit diesem Namen benannt; und mancher Attentäter der "Al Qaida" hat tatsächlich noch nie etwas von "Al Qaida" gehört.

Osama bin Laden gründete die Gruppe wahrscheinlich 1988. Damals legte er eine Daten-Basis mit den Personalinformationen über Mitglieder der Muhajedin in Afghanistan an, um daraus seine zukünftigen Mitstreiter auszusuchen. Dabei konnte er auf seine Erfahrungen aus dem Afghanistankrieg gegen die Sowjettruppen aufbauen, als er für die Rekrutierung und Ausbildung der Muhajedin zuständig war. Dazu baute er in Pakistan Rekrutierungsbüros auf, zum Beispiel Maktab al-Khidmat lil-mujahidin al-Arab (MAK) oder Beit al-Ansar. Rund 100.000 Kämpfer wurden durch diese Ausbildungslager geschleust. Damals wurden diese Camps noch vom CIA finanziert, nachdem US-Präsident Ronald Reagan im März 1985 die National Security Decision Directive 166 ausgegeben hatte. Ein Teil der CIA-Rekruten wurde später Mitglied von AQ, zu den Übrigen bestehen zumindest alte Kontakte.

Als Untergrundgruppe hat AQ keine Mitgliedsausweise. Vielmehr basiert die Mitgliedschaft auf einem Treueschwur (,Bayaat al Maout") gegenüber Osama bin Laden, der zur Integration des Rekruten in die Organisationsstruktur führt. Über die Zahl der Mitglieder gibt es höchst unterschiedliche Schätzungen, weil einzelne zu ihrer Tarnung (,Takiya") über fünfzig Pseudonyme benutzen. Der harte Kern bestand vermutlich aus 2.700 Mitgliedern.

Die Rekrutierungspolitik von Bin Laden, die nicht nur AQ-Mitgliedern, sondern auch den Muhajedin befreundeter Gruppen eine kostenlose Guerrilla-Ausbildung in den afghanischen Camps ermöglichte, zahlte sich für AQ aus. Heute zählen zu ihrem Umfeld zahlreiche Regionalorganisationen im Terrorbogen von Marokko bis zu den Philippinen: u.a. die marokkanische Al Oussououd Al Khalidine, die algerische Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), die ägyptische Al Gamaá Al-Islamijah, die palästinensische Harakat al-Muqawamah al-Islamijah (Hamas), die irakische Tawhid wal-Jihad, die afghanische Al Ansar und die philippinische Abu Sayyaf-Gruppe (ASG). Eine UN-Liste vom Dezember 2002 umfasste 92 Organisationen in 40 Staaten. Diese Gruppen haben rund 20.000 Kämpfer.

In Deutschland hatten die Sicherheitsbehörden im Mai 2003 rund 200 Terrorverdächtige im Visier. Gegen 154 Personen liefen Ermittlungsverfahren, vierzig Personen waren wegen des Verdachts von Straftaten in der BRD inhaftiert. Zu den in der BRD aktiven islamistischen Gruppen zählten u.a. die Groupe Islamique Armé (GIA), die GSPC, die Hizbut ut Tahrir und die am 23. April 2002 verbotene Al-Tawhid.

Wegen ihrer ausgefransten Organisationsstruktur wird AQ in der Regel als Dachorganisation oder Netzwerk beschrieben. "Franchise-Terrorismus" und "globalisierter Terror" lauten die modernen Etiketten. Schließlich hatte Bin Laden auch noch entscheidenden Anteil an der Gründung einer echten Dachorganisation der moslemischen Fundamentalisten. Im Februar 1998 wurde die "Internationale Front für den Heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzfahrer" gegründet. So verschieden wie ihre Geographie sind auch die ethnischen, kulturellen, historischen und politischen Charakteristika dieser Gruppen, aber sie alle eint eine gemeinsame religiöse Basis. Der Islam und der illusorische Gedanke an die Einheit aller 1,3 Milliarden Moslems (die sogenannte Umma) dient ihnen sowohl als Legitimation als auch als Programm.

Die Rede ist vom "weltweiten islamischen Aufstand" gegen die Ungläubigen im Westen, deren Leben "unwert" sein soll. Nach dem Motto "viel Feind, viel Ehr" hat man eine machtvolle Phalanx zum Feind erklärt: die USA wegen ihrer Plünderungspolitik im Nahen Osten, Russland wegen seiner Unterdrückung des tschetschenischen Unabhängigkeitskampfes und die Volksrepublik China wegen ihrer Diskriminierung der Uiguren. Nachdem man die einstige Supermacht Sowjetunion aus Afghanistan vertrieben hat, ist man siegessicher. Aber der Kampf wird lange dauern. Der Führer der Taliban, Mullah Mohammed Omar Akhund, spricht von hundert Jahren. Als historisches Vorbild gilt ihnen der Kriegsheld Sultan Saladin, der im Jahre 1187 in der Schlacht bei Hattin die Kreuzritter vernichtend geschlagen und Al Quds (= Jerusalem) befreit hat. Dabei übersehen Islamisten leicht, dass Saladin seine Schlacht gegen den christlichen König Guido von Lusignan, einen ausgesprochenen militärischen Idioten, geführt hat.

Die Theorie und Praxis des Guerillakrieges hat AQ mit quasi wissenschaftlicher Akribie erforscht. Ihre Erkenntnisse fasste die Gruppe Anfang der neunziger Jahre in mehreren Terrorhandbüchern zusammen. Die mehrbändige Enzyklopädie Mawsuát al-Jihad al-Afghani hat einen Umfang von insgesamt 8.000 Seiten. Durch das Internet weltbekannt wurde das "Training Manual" (über 100 Seiten), das im Jahr 2000 bei einer Zelle in Manchester sichergestellt wurde. Ein Strategiepapier vom Oktober 2003 trägt den Titel "Der Irak im Dschihad - Hoffnungen und Risiken" (42 Seiten). Mittlerweile produziert AQ sogar eigene Zeitschriftenreihen, wie z. B. Mu…skar al-Battar und sogar eine Frauenzeitschrift Al-Khansa.

Nachdem AQ vermutlich im Jahre 1990 ihren ersten Anschlag gegen einen US-Staatsbürger in Somalia verübt hatte, folgten zahlreiche weitere Attentate, u.a. Nationalgarde in Saudi-Arabien (13.11.95), US-Botschaften in Kenia und Tansania (7.8.98), US-Zerstörer Cole im Hafen von Aden (12.10.00), Pentagon und World Trade Center in Washington bzw. New York (11.9.01), Synagoge in Djerba (11.4.02), US-Konsulat in Karatchi (14.6.02), Diskothek auf Bali (12.10.02), Ausländer-Siedlung in Riad (13.5.03), Bahnhof Atocha in Madrid (11.3.04), Ausländer-Siedlung in Khobar (29.5.04) und nicht zuletzt zahlreiche Aktionen gegen die US-Besatzungstruppen im Irak (seit 20.3.2003). Der Anschlag auf das World Trade Center war mit rund 2.800 Toten und einem Schaden von schätzungsweise 95 Milliarden Dollar der bisher schwerste Terrorakt. Mittlerweile sind schon fünfzig deutsche Bundesbürger bei Anschlägen im Ausland umgekommen.

Nach unbestätigten Pressemeldungen hat AQ siebenmal versucht, Atomwaffen aus der früheren Sowjetunion zu erwerben. Zwar wurden AQ gute Verbindungen zu russischen Mafiosi (Victor Anatoliyevich Bout, SemyonYokovich Mogilevich) nachgesagt, aber alle Atomambitionen scheiterten. Daraufhin initiierte Osama bin Laden 1998 ein Programm zur Entwicklung biologischer und chemischer Waffen, das den Kodenamen ZABADI erhielt. Zum Leiter dieses Projektes wurde Midhat Mursi ernannt, der im afghanischen Terrorcamp Darunta ein Labor einrichtete. Hier wurde im November 2001 ein Behälter mit dem hochgiftigen und krebserregenden Hydrazinhydrat aufgefunden, der von dem Chemieunternehmen Honeywell Specialty Chemicals aus Seelze bei Hannover stammt. Später wurden wiederholt geringe Mengen des Bio-Toxins Rizin oder des Giftstoffs Kaliumzyanid bei AQ-Kommandos sichergestellt.

Seit dem Kampf der Muhajedin gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan gab es Versuche der Nachrichtendienste, diese Gruppen zu unterwandern. Dies war auch den Militanten um Osama bin Laden von Anfang an bekannt, schließlich wurden ja diese Camps von der CIA finanziert und vom pakistanischen Geheimdienst ISI aufgebaut. Auch die Geheimdienste der arabischen Nachbarstaaten unterhielten Kontakte zur AQ, darunter der irakische Mukhabarat, der saudi-arabische Mukhabarat und der iranische VEVAK. Noch Ende der neunziger Jahre unterstützten CIA und BND die moslemische Ushtria Clirimtare E Kosoves (UCK) im Kosovo, zu deren Umfeld ebenfalls Mujahedin aus dem Nahen Osten gehörten. Wiederholt konnten westliche Geheimdienste AQ-Mitglieder als Agenten anwerben, so z. B. L`Houssaine Kherchtou, oder sie wurden als Lockvogel benutzt, wie z. B. Mohammed Naeem Khan. Andere stellten sich nach ihrer Gefangennahme als Kronzeugen zur Verfügung, wie z. B. Jamal al-Fadl (USA) oder Shadi Abdallah (BRD).

Mit dem Beginn des Anti-Terror-Krieges machen militärische Sonderkommandos (Task Forces 5, 20 und 121) Jagd auf AQ-Mitglieder. Bisher ist der Anti-Terror-Krieg von Präsident George W. Bush und seines Beraters Donald Rumsfeld kaum erfolgreich, wie beide eingestehen mussten. Zwar konnte ein Nachfolgeanschlag in den USA (bisher) verhindert werden, aber die Zahl der AQ-Attentate zeigt, dass deren Zahl seit dem Beginn des Anti-Terror-Krieges im Oktober 2001 zu- und nicht abgenommen hat.

Aber auch die Muhajedin müssen sich dem verstärkten Druck und den Veränderungen der Lage anpassen. Zu den über 2.000 Todesopfern und Gefangenen auf Seiten der AQ und ihres Umfeldes gehören Verteidigungsminister Mohammed Atef und Operationschef Khalid Scheich Mohammed. An ihre Stelle rückten neue Figuren wie Abu Musab al-Zarkawi oder Sicherheitschef Saif al-Adell. Schon wird zwischen der "alten AQ" und der "neuen AQ" unterschieden: Durch den weltweiten Anti-Terror-Krieg seien zahlreiche Mitglieder getötet und alte Strukturen zerschlagen worden, die heutigen Kommandos würden autonomer entscheiden und es seien neue Aktionszentren entstanden. Andererseits plane AQ den Aufbau eines neuen Führungszentrums Majlis Al-Hall wa Al-Aqd. Unklar ist, wo die zeitliche Grenze zwischen alt und neu verläuft. Einige nennen den 11. September 2001, andere machen den Beginn des Dritten Golfkrieges am 20. März 2003 als Stichtag aus.

Derweil setzt die rot-grüne Bundesregierung weiterhin darauf, dass die BRD nur "Ruheraum" für extremistische Islamisten ist. Bundesinnenminister Otto Schily ereifert sich mit medienwirksamen Reformmaßnahmen, die die bürgerlichen Freiheitsrechte aushöhlen, aber vor terroristischen Anschlägen nur einen kosmetischen Schutz bieten. Zum Opfer eines Terroranschlags zu werden, gehört heute zum allgemeinen Lebensrisiko, urteilte am 27. Oktober 2004 das Landgericht Hannover.



Gerhard Piper ist Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS)

E-Mail: bits@bits.de

Website: www.bits.de
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