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 Hintergrund

Das kalte Lächeln der Condoleezza Rice oder Spekulationen über die zukünftige US-Politik

Andreas Buro

Die politische Klasse hatte den amerikanischen Präsidenten mit einem "Welcome, Mr. President" begrüßt. Von den Demonstrationen auf deutschen Straßen tönte indes eine "Not welcome, Mr. Bush" zurück. Allgemein wurde am Tag danach die Frage aufgeworfen, welche Bedeutung diesem Besuch beizumessen sei. War es nur die heiße Luft wohlklingender Reden oder war es eine grundsätzliche Wendung der US-Administration zu einer multilateralen Politik und zur Respektierung internationalen Rechts? Eine Frage, die auch die Friedensbewegungen in aller Welt interessieren muss.

Weit mehr als die eher phrasenhaften Reden des Präsidenten beeindruckte mich das Auftreten der neuen US-Außenministerin Condoleezza Rice in Europa. Sie signalisierte, die Gräben zuschütten und mit Europa zusammenarbeiten zu wollen, ohne in der Sache selbst merkliche Zugeständnisse zu machen. Ihr kaltes Lächeln schien zu sagen, Zusammenarbeit ja, aber zu unseren Bedingungen.

Selbstverständlich bin ich weit davon entfernt, die zukünftige US-Politik aufgrund von Personalanalysen deuten zu wollen. Ich betrachte vielmehr langfristige Interessen und Strukturen. Im Folgenden kann ich nur essayistisch skizzieren und nicht analytisch belegen.

Ich sehe die US-Politik in einer großen historischen Kontinuität von der Wirtschaftskrise der 30er Jahre bis heute. Damals geriet das bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsmodell in den wichtigsten industriellen Zentren, so auch in den USA, in eine schwerwiegende Krise. Sie ließ nicht zuletzt auf dem Hintergrund der Revolution in Russland und der Entstehung der Sowjetunion die Befürchtung aufkommen, das System könne insgesamt zusammenbrechen. Nur neues Wachstum könne aus dieser Gefahr hinausführen. Die New Deal Policy Roosevelts mit vielen innenpolitischen und sozialen Initiativen versuchte, eine Wende zu erreichen. Diese gelang jedoch erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges durch die riesige staatsfinanzierte Rüstungsproduktion. Die Abwärtsspirale, nicht zuletzt befördert durch die jeweiligen nationalen Schutzzollpolitiken (Protektionismus), wurde gestoppt. Seit dieser Zeit ist die Generallinie der US-Politik, Wachstumsmöglichkeiten zu schaffen und zu sichern. Es durfte und sollte keine Räume mehr geben, die sich vom Weltmarkt abschlossen und damit Wachstum verhinderten.

Unter dieser Richtlinie planten die USA bereits während des Zwewiten Weltkrieges die Öffnung der Märkte in Westeuropa. Die spätere Folge waren der Marshall-Plan und die Bildung der OEEC als Koordinierungsinstitution. Die Folge dieser Richtlinie war aber auch, dass sich die USA um die Auflösung der Kolonialreiche der europäischen Mächte bemühte. Nur dort, wo eine sozialistische Entwicklung und eine Abschließung der künftigen Märkte zu erwarten war, wie zum Beispiel in Vietnam, intervenierten die USA gegen die Dekolonisierung. Selbst nationalistisch-kapitalistische Gesellschaften, die für ihre Entwicklung auf Protektionismus setzten, gerieten wie z. B. Argentinien in Lateinamerika ins Visier der USA.

Auch der Ost-West-Konflikt steht für mich unter dem gleichen Interessenskalkül. Wollten doch die vermeintlich sozialistisch oder kommunistisch orientierten Staaten in ihrem Bereich keine freie Expansion der Marktkräfte zulassen. In allen daraus folgenden Kriegen und Konfrontationen wurde das tatsächliche Leitmotive selbstverständlich nicht öffentlich herausgestellt. Vielmehr wurde "Freiheit` zur wichtigsten Legitimationsformel.

Im Verlauf dieses Prozesses wurden die USA zur größten Militärmacht, als die Sowjetunion zerbrach. Aus der bipolaren Welt wurde eine unipolare, mit einem nicht einholbaren riesigen Militärpotential. Die Superrüstung wurde auch unter Clinton fortgeführt, ebenso der Schwenk zur "neuen NATO" mit weltweitem Aktionsradius. Im Kosovo-Krieg konnten dann lästige Bindungen durch internationales Recht, insbesondere der UN-Charta abgeschüttelt werden.

Die USA teilten die Welt in einzelne Militärkommandos ein und bauten systematisch ihre strategischen Stützpunkt, wo immer nur möglich, weiter aus. Über diese wirkliche Leitlinie der US-Politik wird mittlerweile und seit Jahren in aller Öffentlichkeit unter dem Oberbegriff Globalisierung gesprochen. Altmodische Linke sprachen schon ein gutes Jahrhundert früher über dieses Phänomen. Sie nannten es damals die Internationalisierung des Kapitals, und sie wussten damals bereits, dass Kapital ein vaterlandsloser Geselle sei. Wer gegenwärtig die hilflose Politik beobachtet, die sich von dem Götzen Wachstum die Lösung aller Probleme verspricht, erkennt, wie bitter ernst die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise des vorigen Jahrhunderts auch heute noch sind. Sie gelten nicht allein für die USA, sondern selbstverständlich für alle großen Industriezentren der Triade Nordamerika, Ostasien und Westeuropa. Dies ist die Grundlage für die beim Bush-Besuch erneut beschworene atlantische Gemeinsamkeit.

Sich andeutende Elemente der zweiten Amtszeit von Bush

Um solche Elemente zukünftiger US-Politik zu erkennen, dürfen wir uns nicht von offiziellen Reden und Medienmoden irre machen lassen. Sie deklarieren die jeweilig verwendeten Ideologien als wirkliche Politik. Ihre Stichworte lauten: Freiheit, Menschenrechte, humanitäre Intervention, Kampf der Kulturen, weltweiter Kampf dem internationalen Terrorismus (im Irak war nachweislich kein internationaler Terrorismus vorhanden!) und in jüngster Zeit Durchsetzung von Demokratie. - Es handelt sich stets um Legitimationsideolgien für weltweite Interventionen. Es ist höchst bedenklich vielleicht aber auch charakteristisch, wenn diese auch in EU-Europa übernommen werden. Wichtige Elemente für die neue Amtszeit sind:



Größere Anstrengungen im ökologischen Bereich sind nicht erkennbar, auch wenn Bush und Schröder eine Vereinbarung über technologische Zusammenarbeit in diesem Feld unterzeichneten. Die USA werden also auch weiterhin und verstärkt auf Ressourcensicherung nach außen setzen: Also Kampf um Einfluss und Marktöffnung in Nah- und Mittelost, in Asien (GUS-Staaten) und dort in Afrika, wo interessante Rohstoffvorkommen vorhanden sind oder erwartet werden.



Der Ausbau des Systems von Militärstützpunkten in vielen Teilen der Welt hält ungebrochen an. Im Irak sollen vier neue Stützpunkte hinzukommen. Die Rüstungskosten werden weiter aufgestockt. Riesige Summen werden investiert, und weitere sind erforderlich, um Schutzschilde gegen Raketen aufzubauen. In diese Schutzschildsysteme sollen auch die Triade-Länder auf lange Sicht einbezogen werden. Ihr eigentlicher Zweck ist keineswegs nur defensiver Natur. Gelingt tatsächlich ein Raketenabwehrschild, so können alle offensiven Potentiale eingesetzt werden, da "der Westen" damit unangreifbar geworden ist. Ist das Abwehrsystem allerdings nur für die USA voll wirksam, so könnte leicht der EU-Bereich zur Geisel für amerikanische Politik werden.



So wie die genannten materiellen Elemente weisen auch alle ideologischen Komponenten auf Interventionsbereitschaft (Terrorismusbekämpfung, Demokratiemissionarismus), wie auch die Bereitschaft Washingtons, gegebenenfalls außerhalb der UN-Charta zu agieren. Ernsthafte Anstrengungen zu einer multilateralen, vielleicht sogar über die traditionellen Bündnispartner hinausgehenden Politik des Ausgleichs sind nicht zu erkennen. Eine Einordnung der USA in internationales Recht und eine Tendenz, dieses zu stärken, ist nicht auszumachen.



Erstaunlicherweise wird die Interventionsbereitschaft nach außen nicht durch eine Politik der Solidarisierung nach innen abgestützt. Bush bricht mit der Tradition seiner Vorgänger, außenpolitischen Imperialismus mit sozialen Programmen nach innen zu verbinden. Dies könnte zu einem Faktor der Destabilisierung werden, und zwar besonders wenn generelle ökonomische Probleme virulent werden und den Mittelstand verstärkt in seiner sozialen Position bedrohen.


Doch was kann Bush tatsächlich durchsetzen?

Den "Möchtegern-Weltherrschaft-Phantasien" der US-Administration stehen hindernde Faktoren gegenüber. In meiner Einsicht sind die wichtigsten:



Die Gefährdung des Dollars als Leitwährung durch die großen Haushalts- und Außenhandelsbilanzdefizite. Die USA sind der Staat mit den höchsten Schulden in der Welt. Würde das Vertrauen auf den Dollar schwerwiegend beeinträchtigt und die Staaten ihre Finanzreserven nicht mehr in Dollar anlegen, so würde für die USA die wichtigste Quelle des ständigen Geldzuflusses für die Defizitfinanzierung versiegen. Übrigens besitzen gegenwärtig Japan und China die größten Mengen von US-Staatsanleihen. Dies ist ein nicht unerhebliches Drohpotential. Der Euro ist ein gewichtiger Konkurrent des Dollars auf den globalen Finanzmärkten. Sollten zunehmend Rohstoffe in Euro statt Dollar verrechnet werden, würde das den Dollar als Leitwährung gefährden.



In den USA, wie auch in der EU, wird allmählich die Globalisierung zurückschlagen, indem die Konkurrenzfähigkeit der Produkte aus der Triade sich verringert. Gegenwärtig können die Triademächte mit ihrer überlegenen Technologie und Produktivität ihre führende Position sichern. Das wird sich mit der Übernahme von modernen Technologien verändern. Die beiden Atommächte China und Indien sind durchaus auch als aufsteigende Wirtschaftsgroßmächte zu verstehen. Schon jetzt ist das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China ein erhebliches Problem.



Der Irak hat gezeigt, wie teuer eine Militärintervention und wie schwierig beherrschbar die Zeit nach dem "Sieg" ist. Wieviel solche Interventionen können sich die USA noch leisten? Oder wird es in Zukunft "nur" Raketen- und Bombeninterventionen geben? Doch ist damit Marktöffnung und Stabilisierung für wirtschaftliche Aktivitäten zu erreichen?



Der Irak hat ferner gezeigt, dass die USA "Willige" - freilich mit so wenig wie möglich Mitspracherechten - benötigen, ja sogar die Unterstützung der UN. Das zwingt sie zumindest zu etwas mehr Kooperationsbereitschaft. Ob diese Lektion von der neuen Bush-Administration allerdings gut gelernt wurde, ist bislang nicht klar.



Ein zentraler Punkt in der Nah- und Mittelostpolitik wird sein, ob die USA bereit sind, sich tatsächlich für eine angemessene Friedenslösung zwischen Israel und Palästina einzusetzen. Bisher haben sie sich nur als Bündnispartner Israels verstanden. Das Problem wird ja nicht mit dem anvisierten Rückzug aus dem Gaza-Streifen gelöst sein, sondern erfordert einen weitgehenden Rückzug Israels aus dem Westjordanland. In dieser Hinsicht sind bisher keine Ansätze erkennbar. Die Bringschuld wird einseitig den Palästinensern angelastet.


Exkurs zum USA/ EU-Verhältnis

Selbstverständlich hat das Verhältnis der USA zur EU eine sehr große Bedeutung für die Zukunft der US-Politik. Insofern hatte der Bush-Besuch durchaus seinen Stellenwert. Denn bei allen Differenzen ist nicht zu vergessen, dass die Industriezentren der Triade ein grundsätzliches gemeinsames Interesse haben, die Globalisierung asymmetrisch, also zu ihren Gunsten, weiter voranzutreiben, um Wachstum, gemeint ist die progressive Verwertung von Kapital, zu ermöglichen. Dabei muss ein Rückschlag durch aufsteigende Industriemächte wie China und Indien abgewehrt werden. Als Problem kommt hinzu, dass sich das Kapital immer stärker als "vaterlandsloser Geselle" entpuppt. Der Globalisierungsprozess kann also zunehmend zum Problem der Nationalstaaten der Triade werden. In diese Konstellation passt sehr gut, die Widersprüchlichkeit der Triade-Forderung einerseits nach Öffnung der Märkte und andererseits ihr Bemühen, ihren eigenen Protektionismus aufrechtzuerhalten.

Neben dieser Gemeinsamkeit besteht nach wie vor die Konkurrenz innerhalb der Triade-Staaten. Ja, das "atlantische Verhältnis" ist erst unter dem Aspekt dieser kooperativ-konkurrierenden Grundstruktur zu verstehen.

Die Konkurrenz wird freilich nicht nur auf der ökonomischen Ebene ausgetragen. Die USA versuchen internationale Politik vorwiegend auf der militärischen Ebene zu behandeln, wo sie haushoch überlegen sind. Kein Wunder, dass sie Schröders Vorstoß auf der jüngsten Wehrkunde-Tagung energisch zurückwiesen, internationale Fragen zwischen USA und EU künftig nicht mehr in der NATO, sondern auf einer politischen Plattform zu besprechen. Auf der politisch-diplomatischen Ebene können die EU-Staaten viel eher auf gleicher Augenhöhe mit den USA verhandeln.

Gleichzeitig treibt jedoch die EU ihren Militäraufbau - übrigens parallel dazu auch Japan - voran, um einst eigenständige Militäraktionen ausführen zu können und damit ihren Konkurrenzstatus gegenüber den USA zu verbessern. Selbstverständlich hat niemand die Illusion, die USA auf diesem Gebiet einholen zu können.

Dementsprechend findet die transatlantische Konkurrenz auch auf der Ebene von "Einflussbereichen" statt - ein sehr komplexes Feld für Diplomatie, Entwicklungshilfe und Sympathiewerbung. Die EU verwendet sehr erfolgreich das Instrument der EU-Erweiterung und der Assoziierungsverträge, das selbstverständlich nur eine begrenzte Reichweite hat.

Soft-landing in Sicht?

In keinem der angesprochenen Problemfelder sehe ich eine Bereitschaft in der US-Politik auf die grundsätzliche Lösung der Probleme hinzuarbeiten. Die angesprochenen Parameter verweisen eher auf die Tendenz zu gewaltsamen Lösungen und zur Missachtung internationalen Rechts. Gerade hat Condoleezza Rice den Super-Hardliner John Bulton zum neuen UN-Botschafter der USA ernannt. Allerdings ist zu erwarten, dass viele Faktoren die "Arroganz der Macht" (Senator Fulbright) eindämmen werden.

Gegenwärtig stützen sich die EU wegen der aktuellen ungleichen Verfügung über militärische Potentiale weit stärker als die USA auf diplomatische Mittel. Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass die EU-Europäer humaner gesinnt wären oder viel klüger. Aufrüstung und die Ausweitung des militärisch-industriellen Komplexes haben sie bereits in dem Entwurf für die EU-Verfassung verankert. Dennoch eröffnet sich für die Friedensbewegung in dieser Situation relativer militärischer Schwäche der EU ein Fenster der Möglichkeit, verstärkt für präventive zivile Konfliktbearbeitung einzutreten und vielleicht auch dann und wann sich Gehör zu verschaffen.



Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.

E-Mail: andreas.buro@gmx.de
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