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 Nie wieder Krieg ...

Wie der Hitlerismus zu bekämpfen ist(1)

Mohandas K. Gandhi

Wie auch immer die Persönlichkeitsentwicklung Hitlers weiter verlaufen wird, wir wissen bereits, was wir unter Hitlerismus zu verstehen haben. Es handelt sich um nackte, rücksichtslose Gewaltanwendung, die exakt funktioniert und mit wissenschaftlicher Präzision ausgeübt wird, Es scheint von ihm eine unwiderstehliche Wirkung auszugehen.

In den Anfangstagen der Satyagraha-Methode - damals sprach man noch von "passivem Widerstand" - veröffentlichte die Johannesburger Zeitung "The Star" eine Karikatur, welche die Unterschrift trug "Unwiderstehliche Kraft". Die unwiderstehliche Kraft der Regierung wurde dargestellt als Dampfwalze, und dieser gegenüber saß gemütlich und unbewegbar in einem Sessel ein Elefant. Dabei hatte "The Star" als Kontrahenten auf der einen Seite die überwältigend bewaffnete Regierung vor Augen und auf der anderen Seite eine Handvoll Inder, die überhaupt keine Waffen hatten und auch zur organisierten Gewaltanwendung ganz und gar unfähig waren, selbst wenn sie hätten zu ihr greifen wollen. Der Karikaturist hatte begriffen, worum es bei diesem Duell zwischen einer unwiderstehlichen und einer unbewegbaren Kraft ging. Es handelte sich allem Anschein nach um eine Patt-Situation. Doch wir wissen, wie es ausgegangen ist. Was der Karikaturist als unwiderstehlich dargestellt hatte, erwies sich als durchaus beeinflussbar durch die standhafte Kraft der Satyagraha-Methoden. Die Kraft der Satyagraha lag in der Bereitschaft zum Leiden ohne Vergeltung.

Was damals sich als wahr erwies, kann sich auch heute wieder als Wahrheit erweisen. Der Hitlerismus wird niemals besiegt werden durch einen ihn übertrumpfenden Gegenhitlerismus. Auf diese Weise kann nur ein hochgradig potenzierter Hitlerismus entstehen. Was sich jetzt vor unseren Augen abspielt, ist eine Demonstration der Vergeblichkeit von Gewaltanwendung und auch der Vergeblichkeit des Hitlerismus selbst. Lassen Sie mich erklären, was ich unter dem schließlichen Scheitern des Hitlerismus verstehe. Er hat kleinen Nationen ihre Freiheit geraubt. Er hat Frankreich gezwungen, um Frieden zu bitten. Vielleicht wird England zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Artikel erscheint, bereits auf demselben Wege sein. Doch die Kapitulation Frankreichs ist bereits eine ausreichende Basis für meine Argumentation. Ich denke, dass die französischen Staatsmänner durch ihre Bereitschaft, zu kapitulieren und sich in das Unvermeidliche zu fügen, eine seltene Form des Mutes gezeigt haben. Sie haben sich geweigert, sich an einem sinnlosen gegenseitigen Abschlachten zu beteiligen. Es hätte keinen Sinn gehabt für Frankreich, aus diesem Konflikt als Sieger hervorzugehen, wenn dadurch die Wahrheit selbst verloren gegangen wäre. Die Sache der Freiheit wird zu einer Farce, wenn der Preis, der für die Freiheit bezahlt werden muss, darin besteht, diejenigen, welche sich der Freiheit erfreuen sollen, in größtem Umfang zu vernichten. Dann wird der Kampf um die Freiheit zu einer ruhmlosen Befriedigung von Ehrgeiz. Die Tapferkeit des französischen Soldaten ist weltbekannt. Doch die Welt soll auch wissen, dass die größere Tapferkeit der französischen Staatsmänner darin bestanden hat, um Frieden nachzusuchen. Ich habe angenommen, dass die französischen Staatsmänner diesen Schritt auf völlig ehrenhafte Weise getan haben, wie sich dies für wahre Soldaten gehört. Lasst uns hoffen, dass Hitler keine demütigenden Forderungen stellen, sondern zeigen wird, dass er zwar ohne Gnade für den Sieg kämpfen kann, dass er aber zumindest beim Friedensschluss auch rücksichtsvoll verfahren kann.

Doch um nun den Faden des Argumentes aufzugreifen: Was wird Herr Hitler mit seinem Sieg anfangen können? Kann er eine solche Machtfülle überhaupt verdauen? Ganz persönlich wird er die Welt mit so leeren Händen verlassen wie sein gar nicht allzu ferner Vorfahr Alexander der Große. Er wird den Deutschen nicht das Vergnügen an einem mächtigen Weltreich hinterlassen, sondern die Last, dieses Weltreich, das unter seinem eigenen Gewicht zusammenzubrechen droht, aufrechtzuerhalten. Sie werden nicht in der Lage sein, all die eroberten Nationen in einem Zustand ständiger Unterwürfigkeit zu halten. Ich bezweifle, dass die Deutschen künftiger Generationen in unverbrüchlicher Bewunderung der Taten gedenken werden, für welche der Hitlerismus verantwortlich ist. Möglicherweise werden sie Herrn Hitler als ein Genie bewundern, als einen tapferen Mann, als einen vorzüglichen Organisator und dergleichen mehr. Doch ich hoffe, dass die künftigen Deutschen es auch lernen werden, sich ihre Helden etwas genauer anzusehen. Jedenfalls denke ich, dass eingesehen werden wird, dass all das Blut, das von Hitler vergossen worden war, nicht ein millionstel Millimeter zur moralischen Größe der Welt hinzugefügt hat.

Dagegen möge man sich einmal vorstellen, wie Europa heute aussehen würde, wenn die Tschechen, die Polen, die Norweger, die Franzosen und die Engländer alle zu Hitler gesagt hätten: Sie brauchen sich keine Mühe zu geben bei der wissenschaftlichen Vorbereitung auf die Zerstörung. Wir werden Ihren Gewaltmitteln gewaltfrei begegnen. Sie werden darum in der Lage sein, unsere gewaltlose Armee ohne Panzer, Schlachtschiffe und Flugzeuge zu zerstören. Man könnte dagegen einwenden, dass der einzige Unterschied zum gegenwärtigen Zustand dann sein würde, dass Herr Hitler ohne Gefecht errungen hätte, was er nun in einem blutigen Kampf erreicht hat. Genauso ist es. Die Geschichte Europas würde dann anders aussehen. Er hätte möglicherweise - aber eben doch nur möglicherweise - Europa unter anhaltendem gewaltfreiem Widerstand in Besitz genommen. Dann wäre von vornherein das geschehen, was nun auch geschieht, nachdem bereits eine unbeschreibliche Barbarei sich ausgebreitet hat. Im Falle von gewaltlosem Widerstand wären nur diejenigen getötet worden, welche sich darauf vorbereitet hatten, getötet zu werden. Wenn es nicht anders möglich gewesen wäre, hätten sie den Tod ertragen, ohne jemanden zu töten und ohne Hass gegen irgendjemanden zu empfinden. Ich wage zu behaupten, dass in diesem Falle Europa nicht bloß einige Millimeter, sondern mehrere Handbreit seiner moralischen Statur hinzugefügt hätte. Letzten Endes - davon bin ich überzeugt - wird es allein auf den moralischen Wert der Politik ankommen. Alles andere ist wertlose Schlacke.

Ich habe diese Zeilen für die europäischen Mächte geschrieben, doch sie richten sich auch an uns selbst. Wenn meine Argumentation hierzulande beherzigt wird, ist es dann nicht an der Zeit, dass wir uns für einen festen Glauben an die Gewaltlosigkeit der Starken aussprechen und dass wir es kundtun, dass wir unsere Freiheit nicht mit Waffengewalt, sondern mit der Kraft des gewaltlosen Widerstandes verteidigen wollen?

Sevagram, 18.6.1940

Anmerkung



1M. K. Gandhi: How to combat Hitlerism. In: Harijan, 6.6.1940. In: M. K. Gandhi: Non-Violence in Peace and War, Vol. II, Ahmedabad 1942, S. 288-290 (Übersetzt von Theodor Ebert)


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