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 Hintergrund

Von Johannes Paul II. zu Benedikt dem XVI.

Wenig Hoffnung auf befreiende Theologie aus Rom

Ludger Weckel

Kirchenpolitisch war Johannes Paul II. nicht nur der fürsorgliche Hirte und beliebte, charismatisch begabte Seelsorger, als der er heute, kurz nach seinem Tod verkündet wird und mit der sogar seine "sofortige Heiligsprechung" gefordert wird. Die konfliktreiche Beziehung von Johannes Paul II mit der befreiungstheologischen Kirche Lateinamerikas bleibt weder dort noch hier vergessen. Und auch Benedikt XVI. lässt nicht auf eine Renaissance der "Option für die Armen" hoffen.

Eine Flut von Bildern von Papst Johannes Paul II. ging im April um die Welt: Bilder, die einen Mythos zu spinnen beginnen. Ein etwas anderes Bild, das mir, wie vielen ZeitzeugInnen der Lateinamerika-Solidarität der 80er Jahre, wohl unvergesslich in Erinnerung bleiben wird, zeigt Johannes Paul II. im Jahr 1983 im revolutionären Nicaragua. Einem Land, das sich in jahrelangem Kampf vier Jahre zuvor von einer Diktatur befreit hatte. In diesem Kampf hatten auch ChristInnen mitgekämpft und mehrere Priester waren in die sandinistische Regierung eingebunden, was so gar nicht im Sinne des Papstes und der konservativen Kirchenleitung war. Der Priester Ernesto Cardenal war einer von ihnen. Er wollte den Papst begrüßen. Was dann geschah, beschreibt er selbst so: "Ich nahm ehrerbietig die Baskenmütze ab und kniete nieder, um ihm den Ring zu küssen. Er erlaubte nicht, dass ich den Ring küsste, und während er den Zeigefinger wie einen Stock schwang, sagte er in vorwurfsvollem Ton: `Sie müssen Ihre Situation in Ordnung bringen.`" Dieses Bild ging um die Welt. Und es charakterisiert sehr gut die andere Seite des "Fürsorglichen Hirten" Papst Johannes Paul II.

Option für die Armen

Der 1980 ermordete Erzbischof von San Salvador, Oscar A. Romero, hatte immer wieder betont, dass es die Menschen sind, insbesondere die Armen und Ausgeschlossenen, die es als "Kinder Gottes" Wert seien, im Mittelpunkt der Kirche zu stehen. Er plädierte dafür, dass sich die Kirche nicht nur entschieden an ihre Seite stellt, sondern auch ihre eigene Existenz um des Lebens der Armen willen aufs Spiel setzt. Romero hat dies nicht nur gesagt, sondern auch getan. Hierin liegt eine der entscheidenden Differenzen zwischen traditioneller kirchlicher Hierarchie und konsequent befreiungstheologischem Engagement. Papst Johannes Paul II. hat den Ansatz Romeros und anderer lateinamerikanischer Bischöfe wahrscheinlich nie wirklich verstanden. Sein Ziel war es, der katholischen Kirche als Institution im internationalen Machtgefüge einen einflussreichen Platz zu sichern und sie weiter zu etablieren. Nach diesem Credo richtete er seine Reisen, sein politisches Wirken und seine Kirchen- und Personalpolitik aus.

Mit der lateinamerikanischen Kirche hat er sich dabei in besonderer Weise auseinandergesetzt, wie seine vielen Reisen in lateinamerikanische Länder - es dürften 15 oder 16 gewesen sein - belegen. Eine seiner ersten Amtsreisen führte ihn 1979 zur Versammlung der lateinamerikanischen Bischöfe ins mexikanische Puebla. Dort formulierten die Bischöfe eine "vorrangige Option für die Armen" als offizielle kirchliche Linie für Lateinamerika. Der Papst musste diese damals unwillig passieren lassen, hatte er zu jener Zeit doch noch nicht die Macht, sie zu verhindern. Das hatte sich 1992 bei der Versammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Santo Domingo jedoch grundlegend geändert: Über eine kontinuierliche Personalpolitik in den Vorjahren, über direktes personalpolitisches Eingreifen in die Vorbereitungen der Konferenz, durch gezielte Interventionen und Kontrolle der Arbeitsabläufe während der Versammlung und durch redaktionelle Eingriffe in die Veröffentlichung der Beschlüsse wurden die Positionen der lateinamerikanischen Bischöfe passend gemacht. Von der Option für die Armen keine Spur mehr.

Im Kampf gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie und ihre AnhängerInnen war der Vatikan nicht zimperlich. Unter der Federführung von keinem anderen als Joseph Kardinal Ratzinger wurde 1984 die "Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über einige Aspekte der Theologie der Befreiung" formuliert. Sie spielte zeitlich und inhaltlich genau jenen Strategiepapieren amerikanischer Militärs in die Hände, die die Befreiungsbestrebungen und die Befreiungstheologie in Lateinamerika als "kommunistische Strategien" gegen Privateigentum und Kapitalismus verstanden. So heißt es in in einem dieser Papiere: "Die amerikanische Außenpolitik muss beginnen, die Befreiungspolitik, so wie sie in Lateinamerika von einem Teil des Klerus betrieben wird, zu bekämpfen und nicht nur auf sie zu reagieren (...) Unglücklicherweise haben die marxistisch-leninistischen Kräfte die Kirche als eine politische Waffe gegen das Privateigentum und den produktiven Kapitalismus instrumentalisiert, indem sie die religiöse Gemeinschaft mit Ideen infiltriert haben, die weniger christlich als kommunistisch sind." Die vermeintliche Bestätigung dieses Vorwurfes durch die vatikanischen Instruktionen von 1984 und 1986 haben einigen engagierten ChristInnen in Lateinamerika das Leben gekostet.

Personalpolitik

In den 29 Jahren, die das Pontifikat von Papst Johannes Paul II. dauerte, hatte dieser ausreichend Zeit, um mittels konsequenter Personalpolitik befreiungstheologische Bischöfe durch konservative zu ersetzen. Wo dies aus Altersgründen nicht schnell genug ging, scheute man im Vatikan auch nicht davor zurück, massiv in die Angelegenheiten der Ortskirchen einzugreifen, so zum Beispiel durch die Aufteilung des Bistums Sao Paulo in Brasilien in fünf kleinere Bistümer, um den bekannten Everisto Kardinal Arns die Basis zu entziehen.

Eine ähnliche Absicht - die Welt in Ordnung zu bringen - wie sie Johannes Paul II. im revolutionären Nicaragua im Sinn hatte, dürfte ihn Ende der 90er Jahre auch nach Kuba geführt haben. Hier allerdings hatte sein Besuch eher eine gegenteilige Wirkung: Sie führte - zumindest kurzfristig - zur Auflockerung der Blockade und der Isolierung Kubas.

Benedikt XVI: Kein unbeschriebenes Blatt

Vom Papst Benedikt XVI., seit 20 Jahren Leiter der Glaubenskongregation, ist nicht zu erwarten, dass sich die kirchenpolitische Linie in Bezug auf die Lateinamerika ändert. So führte zum Beispiel ein gravierender Konflikt zwischen Joseph Kardinal Ratzinger und dem brasilianischen Befreiungstheologen und späteren alternativen Nobelpreisträger Leonardo Boff 1984 dazu, dass letzterer wegen seiner Schriften zur Theologie der Befreiung zu einem Jahr des Schweigens verurteilt wurde und temporär alle kirchlichen Funktionen verlor. Auch Benedikt XVI. wird bestrebt sein, der katholischen Kirche ihren Platz im weltweiten Machtgefüge zu sichern. Wenn man es positiv formulieren will, könnte man sagen: Seit Jahrhunderten ist die Kirche Teil der Machtstrukturen, aber es hat dabei immer wenigstens kleine Nischen gegeben, in denen sich auch Engagement für Gerechtigkeit - manchmal nur als subversive Strömung - entwickeln konnte.

Aus: Lateinamerika Nachrichten 371, Mai 2005



Ludger Weckel ist Mitarbeiter des Instituts für Theologie und Politik, Münster.

E-Mail: itpol@muenster.de

Website: www.itpol.de
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