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 50 Jahre: Bundeswehr statt Frieden

Zapfenstreich vor dem Reichstag:

Pathos, Geschichtspolitik, religiöse Verbrämung - Warum Armeen Rituale inszenieren

Markus Euskirchen

Die Bundeswehr feiert ihr 50jähriges Bestehen mit einem Zapfenstreich vor dem Reichstag am Mittwoch, dem 26. Oktober 2005. Trotz der Befürchtungen des Bezirksamts Mitte, der Reichstagsrasen könnte beschädigt werden, wurde der "Sondernutzungsbereich" für das Ritual bereits genehmigt.(1)

Weit über die Grenzen des "befriedeten Bezirk" um das Parlament hinaus wird die Bundeswehr ihr militärisches Sperrgebiet einrichten. Mit dabei: 7.500 geladene Gäste aus aller Welt, 9.000 PolizistInnen, die das offene Terrain zwischen Tiergarten-Park und Regierungsviertel beweiden sollen. Unklar ist, in welchem Maße die Rote Zone sich auch auf die Innenstadt erstrecken wird.

Zapfenstreich?

Der Zapfenstreich stammt ab vom Signalspiel der Flöter und Trommler in den Truppenlagern des 30jährigen Krieges, mit dem am Abend der Bierausschank beendet wurde (der "Zapfen" am Fass wurde symbolisch "gestrichen"). Heute besteht er aus einer festgelegten Folge von Musikstücken: stramme Marschmusik zum Ein- und Ausmarsch, getragenes, feierliches Liedgut ("Ich bete an die Macht der Liebe"), die unvermeidliche Nationalhymne. Die Inszenierung in der Abenddämmerung besteht aus Fackelmarsch, Antreten des Wachbataillons, "Präsentiert das Gewehr" und "Helm ab zum Gebet".

Das Ritual des Zapfenstreichs ist den Sinngehalten militaristischer und christlicher Traditionen verhaftet. Es lassen sich zwar unterschiedliche - manchmal sich auch direkt widersprechende - politische Inhalte oder Ideologien über den Rahmen des Rituals transportieren (Zapfenstreich als zentrales militärrituelles Ereignis der Bundeswehr und der NVA), im Zentrum steht aber immer - unabhängig von der politischen Botschaft - die emotionale Öffnung der Einzelnen für den militärischen Gehalt im engeren Sinne, die Verkündung der absoluten Wahrheit des "gerechten Krieges". Das Ritual untermauert durch seine religiösen Anspielungen Argumentationen des "gerechten Krieges"
(2) mit einem Glaubensfundament: Kein Zweifel darf den Gerechtigkeitsanspruch der politischen Botschaft in Frage stellen. Die Herstellung dieser Zweifelsfreiheit benötigt den Rückgriff auf Mechanismen der Religiosität. Für den Zapfenstreich wird immer die Bedeutung seiner musikalischen Teile hervorgehoben und auf eine besondere Perfektion der musikalischen Darbietung Wert gelegt. Die Musik (Serenade) dient aber nur scheinbar dem Lob Gottes.

»Tatsächliche Aufgabe hingegen ist die Erbauung der Feiernden, die Schaffung festlicher, feierlicher Stimmungen und damit das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören, die den "wahren" Glauben vertritt«
(3)

Der in einem derartigen Ritual gestiftete Glaube (an den Gerechten Krieg) beinhaltet dann mindestens die Lizenz, wenn nicht sogar den Auftrag zum Töten der erklärten Feinde, seien es die imperialistischen Klassenfeinde, die geopolitischen Rivalen ("böser Russe", vielleicht demnächst wieder: "gelbe Gefahr") oder die Gegner im Kampf gegen den Terror. Das Militärritual insgesamt visualisiert diesen Auftrag und die Bereitschaft zu seiner Befolgung. Wenn im Gelöbnis die Rekruten aufs Töten und Sterben auf Befehl vorbereitet werden, dann zielt die Feierlichkeit und die religiös aufgeladene Liturgie des Zapfenstreichs auf die Verankerung dieser Militärlogik in der gesamten Gesellschaft.
(4)

Traditionslinie preußisch-deutscher Militarismus

Der Zapfenstreich ist das zentrale Ritual der preußisch-deutschen Militärgeschichte. 1726 in seinen Ursprüngen erstmals schriftlich dokumentiert, wurde er 1813 vom Preußenkönig in seiner bis heute gültigen Grundstruktur festgelegt. In diese mehr als 200 Jahre Militärtradition stellt sich die BRD und ihre Armee also mit dem Zapfenstreich: Preußischer Kadavergehorsam, bismarcksche Großmachtpolitik, wilhelminischer Kolonialwahn, blinder Hurra-Patriotismus des Ersten Weltkrieges, die paramilitärische Verfolgung republikanischer Bewegungen nach 1919, der militärische Gehorsam, der den faschistischen Vernichtungsfeldzug erst ermöglichte, die Wiederaufrüstung in den Kalten Krieg hinein, die Vorbereitung des Atomkriegs und schließlich die "Re-Verkrieglichung" deutscher Außenpolitik nach 1990. Diese Traditionslinie führt zu den Angriffskriegen, die die Bundeswehr in ihrer jüngsten Vergangenheit und gegenwärtig vorbereitet und führt.

Ausdrücklich in dieses traditionspolitische Horn bläst die Bundeswehr mit einem weiteren Zapfenstreich, der den Abschluss des Feierjahres 2005 bilden soll: Am 12. November plant das Kriegsministerium den 250sten Geburtstag des preußischen Generalstabschefs und Kriegsministers Scharnhorst an dessen Geburtsort, dem niedersächsischen Nest Bordenau. Scharnhorst hat die Wehrpflicht eingeführt. Er war maßgeblich an den Militärreformen beteiligt, mit denen im späteren Deutschland die Grundlagen für die nationale Ideologisierung des Militärwesens gelegt waren.

Einlullende Militärrituale

Die Parole für das Spektakel 2005 am Reichstag lautet: "50 Jahre Bundeswehr - 50 Jahre Parlamentsarmee". Klingt gut, vor allem, wenn man schon wieder vergessen hat (oder nie hat zur Kenntnis nehmen wollen), dass der Bundestag sich erst am 3. Dezember vergangenen Jahres durch den Beschluss des "Parlamentsbeteiligungsgesetzes"
(5) die eigenen Einflussmöglichkeiten weitgehend beschnitten hat.(6) Das Gesetz ist am 24. März 2005 in Kraft getreten und regelt die Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten des Bundestages gegenüber der Exekutive (Regierung, Minister) neu.

Zentral ist das sog. Vereinfachte Zustimmungsverfahren aus § 4: Ist ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite, sind nur wenige Soldaten beteiligt und handelt es sich nicht um einen Krieg, dann setzt die Regierung das Parlament einfach nur von ihrem Vorhaben in Kenntnis und dieses gilt als genehmigt, wenn nicht binnen einer Woche eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten eine Plenarberatung fordern. Dieses Verfahren wird auch bei der Verlängerung bereits einmal gebilligter Auslandseinsätze angewandt. Ottfried Nassauer hebt auf die erleichterte Kriegsvorbereitung durch das neue Gesetz ab - dadurch, "dass künftig nur der »konkrete militärische Einsatz« der Parlamentszustimmung bedarf, nicht aber Auslandseinsätze, die nur der Vorbereitung oder Planung solcher Einsätze dienen. (...) Zu jenen Auslandsverwendungen deutscher Soldaten, die keiner Zustimmung des Bundestages bedürfen, soll deren Einsatz in ständigen multinationalen Stäben der NATO, der EU oder anderer Organisationen kollektiver Sicherheit gehören. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, zustimmungspflichtig sollen lediglich Verwendungen in extra für einen Einsatz zusammengestellten Stäben sein. Auch dies soll Regierung und Verwaltung unliebsame, öffentliche Debatten ersparen. Sowohl die NATO als auch die EU werden künftig im Wesentlichen ihre im Aufbau befindlichen ständigen mobilen Hauptquartiere einsetzen."
(7)

Zweite dramatische Neuerung ist die "Gefahr im Verzug"-Regelung aus § 5: Wenn die Exekutive "Gefahr im Verzug" erkennt, dann darf sie direkt losschlagen und muss das Parlament nur noch im Nachhinein abstimmen lassen. Dabei geht es um Einsätze, die "keinen Aufschub dulden oder Einsätze zur Rettung von Menschen aus Gefahrenlagen, bei denen eine öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der betroffenen Menschen gefährden könnte". Die Formulierungen sind so unbestimmt, dass sich z.B. Einsätze von Spezialkommandos wie des KSK darunter fassen lassen.

Es handelt sich also im ganzen um ein Parlamentsentmündigungsgesetz, das ganz schön hilfreich ist bei der neo-imperialen Transformation und Militarisierung der BRD-Außenpolitik (jüngstes Beispiel: der Wettlauf um den Einfluss auf die Rohstoffgebiete im Südsudan). Bei der Kriegsvorbereitung in den Stäben und durch Militärberater in den sog. Krisengebieten muss das Parlament nicht mehr (in)formiert werden, mit öffentlichen Debatten muss man sich kaum noch aufhalten.

Und wenn Militäreinsatz, Kampf, Krieg (vielleicht sogar) erst mal richtig losgehen, dann liegt das Kind bereits im Brunnen bzw. lässt sich die Karte der nationalen Verantwortung umso verpflichtender spielen. Aber bis es soweit ist, lässt man es sich bei Militärkonzert und Fackelschein wohlig sein ums Herz.

Weiterführende Literatur zu Militärritualen und Zapfenstreich:

Euskirchen, Markus (2005): Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln: Papyrossa.

Steuten, Ulrich (1999): Der große Zapfenstreich: Eine soziologische Analyse eines umstrittenen Rituals. Duisburger Beiträge zur soziologischen Forschung, 1999,2

Anmerkungen



1Beim Kirchentag 2003 entstanden bei Massenveranstaltungen auf dem Rasen vor dem Reichstag Schäden von über 250.000 .



2Vgl. zum Konzept des "gerechten Krieges" einen der prominenteren Fürsprecher: Walzer, Michael (1982): Gibt es den gerechten Krieg?, Stuttgart: Klett-Cotta, und kritisch: Steinweg, Reiner (Hg.) (1980): Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus. Friedensanalysen Bd. 12, Frankfurt/M.: Suhrkamp.



3Brenner, Helmut (1992): Musik als Waffe? Theorie und Praxis der politischen Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938-1945, Graz: Weishaupt: S. 31



4Vgl. Euskirchen, Markus (2005): Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln: Papyrossa; Steuten, Ulrich (1999): Der große Zapfenstreich: Eine soziologische Analyse eines umstrittenen Rituals. Duisburger Beiträge zur soziologischen Forschung, 1999,2.



5Den Gesetzestext und affirmative Abhandlungen dazu bietet, http://www.deutsches-wehrrecht.de/WR-Parlamentsbeteiligungsg
esetz.html
.



6Eine kritische verfassungsrechtliche Bewertung von Martin Kutscha, VDJ (http://www.vdj.de/Bundesseiten/2003-11-29_buwe-entsenden.htm
l
).



7Eine ausführliche Darstellung des Gesetzes mit kritischer Kommentierung kommt von Ottfried Nassauer, BITS (http://www.bits.de/public/ndrinfo/sunds120604.htm).




E-Mail: m@euse.de
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