FF1/2006


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FF2006-1

 

Konflikt und gender(1)

Barbara Müller

Wenn die Analyse Conrad Schetters in Bezug auf Afghanistan stimmt, dann wird es dort keinen Frieden und keine Entwicklung geben, solange sich die Vorstellungen von männlicher Ehre und von der Frau als Teil des männlichen Besitzes nicht verändern. Schetter führt den Konflikt zwischen Modernisierern und Traditionalisten in Afghanistan, der letztlich zu einer völligen Auflösung des Staates führte, vor allem auf die Brisanz der gender-Frage zurück, die "zum symbolischen Schlachtfeld vieler Konfliktlinien" geworden sei (Schetter 2004: 28).

Ein entscheidender Ansatzpunkt zur Friedensbildung wären dann Themen, die m.W. von Peacebuilding-Programmen in Afghanistan nicht vordringlich - wenn überhaupt - adressiert werden: Wie können die Vorstellungen von Männlichkeit und Mannsein bzw. von Weiblichkeit und Frausein sich so wandeln, dass sie gelebt werden können, ohne als Mann von der Verfügung über weibliche Ressourcen und der Unterordnung von weiblichen Werten unter dominante männliche Werte abhängig zu sein? Was kann Männer dazu bereit machen, Frauen ihren gleichberechtigten Anteil an Selbstbestimmung, Beteiligung, Entscheidungsprozessen und Verfügung über Ressourcen zuzugestehen? Was muss sich dafür bei Frauen ändern? Das Beispiel beleuchtet die Friedensrelevanz von gender: Das bisherige Engagement zur Stabilisierung und Demokratisierung des Landes wäre zum Scheitern verurteilt.

Eine Konfliktbearbeitung, die diesen zentralen Wirkungszusammenhang ignorierte, wäre nicht Teil einer Lösung sondern fester Bestandteil des Problems. Dies wäre eine große Ohrfeige für alle, die bislang konzeptionell und praktisch zur Konfliktbearbeitung gender-blind arbeiten, und dazu gehört auch die Autorin. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Ansätze, gender-sensitiv vorzugehen, zunehmen. Sie stecken konzeptionell und in der Praxis oft vor erheblichen Problemen (Reimann 2004: 93f.).

Was macht es so schwer, gender wirklich in die Analyse zu integrieren, und seine relevanten Aspekte für die Konfliktbearbeitung zu identifizieren? Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema ist wie der Versuch, sich selber von außen zu sehen. Wir alle sind entweder Männer oder Frauen und das macht uns zu einem Teil des Problems, in dem es keine "Dritte Partei" gibt. Die Reduzierung von gender auf "Frauenfragen" (Calließ 2004: 6) oder Frauenförderprogramme (Fischer 2004: 79f.) mag ein weiterer Grund sein, der dazu führt, es als ein Randthema zu betrachten, eines, das jetzt "zusätzlich" auch noch mit berücksichtigt werden muss und das man pflichtschuldigst abarbeitet, um sich dann wieder den "wirklichen" Konfliktfaktoren widmen zu können. Das Thema ist in vielen Ländern nach wie vor ein tabuisiertes, das auf Abwehr in der Gesellschaft stößt (Reimann 2004: 106).

Ein weiterer Aspekt ist seine Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit. Man kann eben nicht sagen: gender-sensibles Handeln ist immer konfliktminimierend. Im Gegenteil! Der Kampf um gleiche Anteile an der Macht ist, ebenso wie der um Gleichwertigkeit und Anerkennung, hochgradig konfliktfördernd! An bestimmten Stellen ergibt sich für Konfliktbearbeitung - sowohl interner als auch externer Akteure - ein Zielkonflikt. Und zwar dann, wenn genau die traditionellen Rollen von Männern (wie Ältestenräte in Somalia) und Frauen (Müttervereinigungen in Nordost-Indien) geeignet erscheinen, um die Gewalt in einem Konflikt unter Kontrolle zu bringen, also Rollen, die überwunden werden sollen, wenn die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit verändert und neue Rollen möglich werden sollen.

Im folgenden soll nun versucht werden, den sich wandelnden Aspekten von gender im Konfliktverlauf genauer auf die Spur zu kommen. Dabei werden drei Aspekte betrachtet: 1. zentrale Dimensionen von gender, 2. verschiedene Phasen von Konflikt und 3. das übliche Herangehen von Konfliktbearbeitung. Dies kann hier nur ganz skizzenhaft, holzschnittartig und verkürzt geschehen. Was hier formuliert wird sind Thesen, keine Erkenntnisse.

Unter gender wird hier ein Set von Qualitäten und Verhaltensweisen verstanden, die Gesellschaften von Männern und Frauen erwarten und die als jeweils "natürliche" Rollen und Charakteristika von Männern und Frauen verstanden werden. Auf die gesellschaftliche Konstruktion dieser Sets kann hier nicht weiter eingegangen werden, klar ist, dass sie gesellschaftlichem Wandel zugänglich sind (Funk 2005:17). Aus den Normen, wie Männer und Frauen zu sein haben und was ihnen zusteht, resultieren die Hierarchie zwischen den Geschlechtern und spezifische Machtverteilungen und Glaubenssysteme. Gender als Beziehungsgeflecht zwischen den Geschlechtern durchzieht daher alle Themen, die in sozialen Konflikten Gegenstand der Auseinandersetzung sind. Es bildet eine eigene Konfliktlinie, die der Bearbeitung oft nicht direkt oder nur schwer zugänglich ist, aber ein hohes Eskalationspotenzial in gewaltsamen Konfliktverläufen aufweist.

Dieses komplexe Geflecht resultiert in einer weltweit verbreiteten Gewaltanwendung gegen Frauen, die in allen Gesellschaften vorkommt. Schätzungen gehen davon aus, dass von drei Frauen eine im Laufe ihres Lebens Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wird (Funk 2005:13). Die Dynamik der Beziehung zwischen den Geschlechtern ist - so gesehen - hochgradig gewalthaltig, und das selbst in `Friedenszeiten`.

Mit diesem Warnsignal im Sinn, soll nun betrachtet werden, wie sich dieses Verhältnis entwickelt, wenn sich in einer Gesellschaft ein sozialer Konflikt größeren Ausmaßes entfaltet. Das soll hier entlang von `nur` zwei Dimensionen von gender unternommen werden. Zum einen interessiert, welche Auswirkung die `Symbolik` von Männlichkeit und Weiblichkeit hat, und wie sich die Zuschreibung von spezifischen gesellschaftlichen Räumen, von Aufgaben, aber auch die Ab- und Aufwertungen durch einen dominanten gesellschaftlichen Diskurs verändern. Aus der gegebenen Symbolik aber auch aus ihren Veränderungen ergeben sich unterschiedliche, wechselnde Chancen und Risiken für Männer und Frauen, je weiter ein Konflikt voran schreitet.

Der zweite Strang ist die asymmetrische Verteilung von Macht zwischen den Geschlechtern. Der Grad der Asymmetrie differiert, aber augenfällig ist die Ungleichverteilung des Rechtes auf Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit, auf Mitsprache in kollektiven Entscheidungsprozessen und auf Partizipation im politischen Prozess und der Zugänge zu Ressourcen. `Gender equality`, sprich eine ausgewogenere Machtverteilung zwischen den Geschlechtern, wird als ein Lösungsweg gesehen, um Gewalt gegen Frauen abzubauen (Funk 2005: 21). Das aber ist ein hochgradig konfliktives Unterfangen - denn wer gibt schon freiwillig Macht ab?

Sozialer Konflikt wird verstanden als öffentlich ausgetragener Konflikt, der durch zunehmende Polarisierung und Militanz der Konfliktaustragung zwischen verschiedenen, erkennbaren Konfliktparteien gekennzeichnet ist. Die Intensität des Konfliktaustrages unterscheidet ihn in verschiedene Phasen der Latenz, der krisenhaften Zuspitzung, der gewaltsamen oder/und kriegerischen Austragung, der Kriegsbeendigung und der Rekonstruktionsphase.

Von der "öffentlichen Arena" abzugrenzen ist die "private Arena". Schwierigkeiten der Abgrenzung bestehen sowohl bei den einzelnen Phasen wie auch bei den unterschiedlichen Arenen. Der soziale Konflikt auf der Ebene des zentralstaatlichen politischen Systems mag bereits gewaltsam eskaliert sein, aber in einem regionalen Subsystem (noch) nicht angekommen sein oder hier durch andere Akteure mit anderen Handlungsstrategien repräsentiert werden. Es sind auch Phasen relativer Ruhe oder eines eingefrorenen Konfliktes möglich, in denen die Eskalation nicht sichtbar ist oder scheinbar gestoppt ist. Eine Einordnung von Beispielen sollte möglichst nahe am betrachteten Fall vorgenommen werden.

Phase 1: Konfliktlatenz

Die Kennzeichen dieser Phase sind, dass es verbreitet Disparitäten und Ungerechtigkeiten gibt, aber kein Akteur auf der politischen Bühne, der die Anliegen aufgreift und zum Thema macht. Es herrscht ein "normaler" politischer Prozess vor, der den verfassten formellen und informellen Spielregen folgt und die hergekommene und aktuell gültige Machtverteilung zwischen und innerhalb der verschiedenen Identitätsgruppen widerspiegelt.

Das oberflächlich ruhige Bild kann jedoch täuschen. Gewalt im Nahbereich kann eine alltägliche Erfahrung sein, für Frauen (Sieber 2004 Marokko), aber auch für junge Männer, die in bestehende Gewaltkulturen sozialisiert werden. Hier spielt der Symbolismus von Männlichkeit insofern eine Rolle, als dass er Männern Leistungen abverlangt, die sie nicht (mehr) erbringen können: Als Versorger der Familie, als Hüter ihrer Ehre.

Konfliktbearbeitung ist in dieser Phase konfliktfördernd - soweit sie sich als parteiliche, solidarische Unterstützung von Unterdrückten versteht. Gewaltfreie Strategien, die an der Bewußtseinsarbeit ansetzen, suchen jedoch frühzeitig den "Dialog mit den Mächtigen", die von der ungerechten Situation profitieren, was jeweils Männer wie Frauen sein können (Goss-Mayr 1981). Konfliktbearbeitung, soweit sie sich als neutrale Instanz versteht, ist in dieser Phase weitgehend absent oder konzentriert sich auf das Monitoring von Ländersituationen.

Der Vorteil in dieser Phase ist, dass es eine gewisse Offenheit gibt für Veränderung, und dass sozialer Wandel stattfinden kann. Frauen können offensiver ihre Rechte einfordern und alte Rollenmuster infrage stellen, ebenfalls Männer (Sieber 2004 für Kosovo mit einer Kampagne zur Reduzierung häuslicher Gewalt mit Männern als Zielgruppe und einem Projekt, das die dominante Rolle der Schwiegermutter in der albanischen Großfamilie hinterfragt). Auch Entwicklungsarbeit findet hier den Raum, um den "kreativen Konflikt" (Kirleis) für bessere Lebenschancen zu wagen.

Phase 2: offener Konflikt

Die Latenzphase ist beendet, sobald sich zu einem Thema Akteure im politischen Raum formieren, die in der Lage sind, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.

In dieser Phase zeigt sich die Qualität des Krisenmanagements im politischen Prozess und der Belastbarkeit der politischen Strukturen und Institutionen. Kann so ein schweres Thema wie die Separation eines Bevölkerungsteil innerhalb dieser Regelungsmechanismen durchgestanden und einer konstruktiven Lösung zugeführt werden? Ja, belegt das Beispiel der Tschechoslowakei. Nein, belegt das Beispiel des ehemaligen Jugoslawien. Am Zuge sind die Eliten, die die vorherrschende Struktur der gender-Beziehungen widerspiegeln.

Wenn die Macht im Staate zwischen den dominanten Gruppen und Personenkreisen konflikthaft ausgehandelt wird, beginnt der Spielraum für Veränderungen zu schwinden. Für Akteure, die sich die Veränderung der Machtbalance zwischen den Geschlechtern zum Ziel gesetzt haben, kann es sogar zu widersinnigen Kombinationen kommen. Der mobilisierende Impetus kann gut für die Zwecke derer genutzt werden, die innerhalb der dominanten Elite die Machtbalance verändern wollen. Wenn diese sich durchsetzen, ist vielleicht die Führungselite ausgetauscht, aber an den Machtbeziehungen der Geschlechter hat sich nichts geändert.

In der privaten Arena zieht sich weiterhin Gewalt durch den Alltag. Das betrifft im wesentlichen Frauen und Kinder, aber auch Männer, für die es noch schwieriger ist, sich als Opfer zu erkennen zu geben.

Konfliktbearbeitung setzt an zwei Enden an: auf der prozesshaften Seite versucht sie durch entsprechende Initiativen, die (dominanten) Akteure vor einer gewaltsamen Eskalation abzuhalten und ihnen Unterstützung bei der Konfliktlösung zu geben (Vermittlungsinitiativen, gute Dienste). Strukturell versucht sie, die Problemlösekapazität der Institutionen zu stärken oder zu erhalten. Inhaltlich ist sie vielleicht daran beteiligt, Formeln von Machtteilung mit zu entwickeln. Dies alles geschieht aber mit den Akteuren des dominanten Diskurses und des etablierten Systems.

In dem Maße, in dem für Konfliktbearbeitung ein gender-sensibles Vorgehen eingefordert wird, geraten die Akteure der Konfliktbearbeitung in Schwierigkeiten (Reimann 2004: 93f.). Sie müssen widersprüchliche Strategien verfolgen: Einerseits mit den dominanten Trägern der Macht kooperieren, andererseits von ihnen substantielle Zugeständnisse verlangen (Beteiligungsrechte, Zugänge usw.). Diese Gefahr kann zumindest teilweise abgemildert werden, wenn sich die Forderungen darauf beschränken lassen, die Quote von Frauen in Verhandlungen zu erhöhen und damit zumindest formal Anforderungen nach Geschlechterdemokratie zu erfüllen.

Die Akteure, die auf Machtänderungen zwischen den Geschlechtern abzielen, müssen ihr Thema entweder an eine Partei des dominanten Diskurses anhängen oder laufen Gefahr, dass sich der öffentliche Raum für ihr Anliegen wieder schließt. Die Zeit für grundlegende Emanzipation ist - so die These - in der Krise des Staates vorbei.

Symbolismus als Eskalationsverstärker

In dieser Phase der offenen Konfrontation beginnen die negativen Eskalationsfaktoren des sozialen Konfliktes ihr unseliges Wirken. Sie sorgen dafür, dass die Positionen verhärten, die Bilder von einander immer negativer und stereotyper werden, und die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, kreative Lösungen anzugehen, in der Polarisierung und sozialen Mobilisierung untergeht (Glasl 2004). Das ist der Prozess, in dem nach und nach diejenigen Kompetenzen abgewertet werden, die für Problemlösen zentral sind: Empathie wird zur Verweichlichung, Zweifel am eigenen Kurs werden nur von "Memmen" geäußert oder von "Weicheiern", was besonders ärgerlich ist, wenn nun "Härte" angesagt ist. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich die Symbolik von Männlichkeit und Weiblichkeit in einer dramatischen und den Konflikt eskalierenden Weise mit den anderen Eskalationsfaktoren verknüpft.

Die wachsende Gefahr eines Umschlages der - noch gewaltlosen - sozialen Auseinandersetzung in einen bewaffneten Kampf spüren Frauen zuerst an der Zunahme von gewaltsamen Übergriffen (Kirleis: Bangladesh).

3. Phase: Gewaltsame Konfliktaustragung und Krieg

Rollenverengung als Eskalationsverstärker

In dieser Phase wird das Konfliktverhalten zur treibenden Kraft des Konfliktes. Dieses wird nun entscheidend mitgesteuert von den überhöhten Selbst- und verteufelten Fremdbildern. Das ist auch bedeutsam für die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit. Diese verengen sich und schränken den Raum für abweichendes Verhalten vor allem für Männer ein. Männer werden zu Kriegern, und wer kein Krieger werden kann oder will, hat keinen Platz mehr, fällt der Verachtung, der sexuellen Demütigung und Gewalt anheim, wird ausgestoßen oder umgebracht. Das betrifft vor allem die Gruppen der Kriegsdienstverweigerer und der Deserteure. Sie werden mit der Anforderung konfrontiert, als Mann mehr denn je bereit zur Gewalt zu sein und diese auch einzusetzen (Kirleis: 10).

Diejenigen Männer, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, zählen als Nicht-Kombattanten jetzt nicht mehr wirklich. Ihre Spielräume sind beengt, und sie werden eher misstrauisch beäugt. Gleichwohl können gerade sie Brücken zum Feind schlagen, über die später der Faden zum Dialog wieder aufgenommen werden kann.

Symbolismus als Gefahr für Frauen

Die gender-Symbolik wirkt sich für Frauen dramatisch aus. Sie werden zur Verkörperung der zu verteidigenden eigenen Kultur und Tradition gegen den Feind. Sie werden ad personam zur Hüterin der Nation, die der Mann als Krieger schützen muss.

Dadurch werden Frauen in gefährlicher Weise zu Objekten des Kampfes der Männer um die Ehre seiner Nation. Durch systematische Schändung von Frauen des Feindes wird dieser in seiner Ehre getroffen - der Mann trifft den Mann durch die Frau! Frauen sind in dieser Phase durch diese Dynamik in besonderem Maße sexualisierter Gewalt ausgesetzt. (Kirleis: 11-13). Das Thematisieren ihres Leidens wird zur weiteren Eskalation des Konfliktes missbraucht. So warnten Frauen aus Belgrad, als im Jahr 1993 die Schlagzeilen von Massenvergewaltigungen bosnischer Frauen um die Welt gingen, dass es nicht um den "Schutz der Rechte und das Wohlbefinden der Frauen ginge", sondern betonten die "Funktionalisierung für Zwecke der Kriegspropaganda und der Intensivierung ethnischen und nationalen Hasses" (Birckenbach 2004: 13). Frauen werden zu strategischen Zielen, wie es Schetter für die Gewaltökonomie Afghanistans beschreibt: "Ihr Schutz (der der Frau. BM) gilt als wichtigster Ausdruck von Sicherheit, ihre Verletzung gilt als wesentliche Strategie zur Aufrechterhaltung von Unsicherheit, der treibenden Kraft der Gewaltökonomie" (Schetter 2004: 30).

Das macht sie aber nicht nur zu Opfern der Gewalt der Feinde. In dem Maße, wie Männer der Gewalt, die sie umgibt, nichts entgegensetzen können oder wie zivile Rollen nicht ausreichen, um die Anforderungen des Männlichkeits-Bildes zu erfüllen, ist das Ventil für die erlebte Demütigung die Gewaltausübung im eigenen Hause. Steigt die Gewalt im übergeordneten Konflikt, steigt sie auch im Nahbereich. "Ich bin so gestresst durch den Krieg. Es ist unvermeidbar, dass ich meine Frau schlage." (Interviewter aus Mazedonien, nach Seifert 2004: 122).

Rollenverbreiterung für Frauen

Die Konflikteskalation in die offene Gewalt bringt auch Frauen dazu, ihre angestammte passive Rolle zu verlassen und aktiv als Kombattantin an der Auseinandersetzung teilzunehmen. Dies bedeutet durchaus teilweise eine Befreiung auf der individuellen Ebene. In den kämpfenden Verbänden treffen die Frauen jedoch in der Regel auf dieselbe Abwertung und Rollenzuteilung wie in der dominanten Gesellschaft.

Dadurch, dass die Männer zunehmend vom Kriegs- und Gewaltgeschehen absorbiert werden, wachsen Frauen weitere Rollen zu, die ihnen zusätzliche Verantwortung für den Fortbestand von Familie und sozialer Gemeinschaft zuweisen. Frauen versuchen dies auszufüllen und erwerben dadurch neue Kompetenzen und erschließen sich den öffentlichen Raum. Dies geschieht aber z.T. eher zwangsweise, wenn den Männern der Zugang zu Ressourcen verwehrt wird (Sieber 2004: Palästina, Kirleis 14).

Wirkungsräume für Frauen und Nichtkämpfer aufgrund des Symbolismus

Da Frauen (noch) nicht als Kriegerinnen zählen - vielleicht ändert sich das mit dem wachsenden Anteil in regulären Armeen und irregulären Verbänden - werden sie nicht als Bedrohung angesehen. Man kann ihnen ohne Gesichtsverlust begegnen (Kirleis: 9). Den Frauen bleiben die informellen Räume vorbehalten, und sie nutzen diese, um in Zeiten von offener Gewalt und Krieg Initiativen für einen zukünftigen Frieden zu entfalten. Hierüber gibt es zahlreiche Beispiele (Kirleis: Südasien). Dabei nutzen Frauen nicht nur die traditionellen Räume zur "Küchenpolitik" (Kirleis:7), sondern auch die mächtigen traditionellen Rollen als Mutter und Lebensbewahrerin und setzen gezielt gender-Stereotypen ein, um sich Respekt zu verschaffen (Reimann 2004: 108).

Konfliktbearbeitung in dieser Phase nimmt, was sie bekommen kann, auch wenn es ein Dilemma darstellt. Traditionelle männliche und weibliche Rollen können genutzt werden, um vom Krieg zum Waffenstillstand zu kommen. Gleichzeitig rekurrieren sie auf überkommene Symbolismen von gender und verfestigen diese.

4. Phase: Der Weg zum Friedensschluss

Das ist die Phase, in der einerseits Kampfhandlungen noch weitergehen, aber dann irgendeine Übereinkunft über einen Waffenstillstand von Dauer ist. Oft sind an solchen Ergebnissen externe Interventen als Vermittler mit moralischer oder mächtiger Überzeugungskraft beteiligt. Immer werden die Führungseliten der kämpfenden Verbände angesprochen und versucht, sie für den Frieden zu gewinnen, und nur selten gelingt es den nicht-mächtigen Akteuren, organisierten Frauen genauso wie Männern aus der Zivilgesellschaft (Kirleis: 9f.), einen Platz am Verhandlungstisch zu erkämpfen.

Insoweit, als im Vorfeld solcher Gespräche zivilgesellschaftliche Initiativen eine Rolle spielten, dienen sie als Brücke für die Krieger zum Verhandlungstisch. In der Regel erreichen sie selbst diesen nicht und haben damit keine Stimme, wenn es um die Zukunft geht.

5. Die Rekonstruktionsphase

In dieser Phase kommt nun die durch den Krieg nicht veränderte Struktur der Geschlechterbeziehungen wieder zum Tragen. Der Verhandlungsrahmen von Dayton, spiegelte, so Reimann, "die gesamtgesellschaftlichen politischen Gender- und Machtverhältnisse vor und nach dem Konflikt wider" (Reimann 2004: 101). Programme von Wiederaufbau, Demobilisierung, Reintegration, Versöhnung, Traumaarbeit setzen, so die Hypothese, am Gewesenen an und rekonstruieren hier im wahrsten Sinne die Gesellschaft in ihrer Geschlechterbeziehung. Allenfalls gewähren sie formal größere Mitbestimmungsrechte für Frauen (Sieber 2004: Bosnien-Herzegowina).

Frauen, die im Krieg neue Rollen übernommen haben, geben diese wieder auf, sobald Männer wieder da sind, die diese einnehmen, oder werden aktiv verdrängt (Sieber 2004: Bosnien-Herzegowina). Die Veränderung der Rollen bedeutete immer noch einen Zuwachs an Verantwortung und Arbeitsbelastung. Der Rückzug ist daher nicht immer ein erzwungener.

Zwei Fragen zum Schluss

Es ist sicher noch zu früh für Schlussfolgerungen, doch zwei Aspekte sollen zum Schluss hervor gehoben werden.

Auffällig ist, dass sich die Konfliktlinie der asymmetrischen Machtverteilung zwischen den Geschlechtern nur in der ersten Phase als Thema greifen ließ. Später überdecken andere Dynamiken und andere Gruppenloyalitäten dieses Thema. Heißt das, dass ein relativ hohes Maß an innerem Frieden die Voraussetzung für das Aufwerfen der Machtfrage zwischen den Geschlechtern ist? Dass Konflikt und Krieg nicht Veränderungsmöglichkeiten vergrößern sondern verschließen?

Die Symbolik von gender ist dagegen mit unterschiedlichen Facetten in allen Konfliktphasen wirksam, und dies in der Regel als Antreiber der Eskalation in enger Verknüpfung zur Gewaltanwendung. Heißt das, dass die Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Wandel des Konfliktes ein zentraler Anknüpfungspunkt für Konfliktbearbeitung wären - mit Männern und Frauen als Zielgruppen und sich wandelnden Zielsetzungen im Konfliktverlauf? Welche Bilder gilt es jeweils zu erkennen und zu verändern? Der Diskurs um die "Feindbilder", der die Endzeit des Kalten Krieges begleitete, könnte vielleicht ein Ansatzpunkt sein, um sich diesem Phänomen in konfliktbearbeitender Absicht zu nähern.

Literatur:

Birckenbach, Hanne-Margret. 2004. "Mehr als political correctness? Gender- und friedenstheoretische Überlegungen zur Betrachtung, Erforschung und Bearbeitung von Gewaltkonflikten." Calließ, Jörg (Hg.). Geschlechterverhältnisse in der Überwindung von Gewaltkonflikten. Loccumer Protokolle 27/03. Rehburg-Loccum: 9-17.

Calließ, Jörg. 2004. "Vorwort." Calließ, Jörg (Hg.). Geschlechterverhältnisse in der Überwindung von Gewaltkonflikten. Loccumer Protokolle 27/03. Rehburg-Loccum: 5-8.

Eifler, Christine. 2004. "Genderpolitik und Genderregime beim Peacekeeping." Calließ, Jörg (Hg.). Geschlechterverhältnisse in der Überwindung von Gewaltkonflikten. Loccumer Protokolle 27/03. Rehburg-Loccum: 121-130.

Fischer, Martina. 2004. "Einflussnahme auf die gender-Situation als Teil der Konfliktbearbeitung." Calließ, Jörg (Hg.). Geschlechterverhältnisse in der Überwindung von Gewaltkonflikten. Loccumer Protokolle 27/03. Rehburg-Loccum: 75-92.

Funk, Anette, mit James Land und Juliane Osterhaus. 2005. "Ending Violence against Women and Girls - Protecting Human Rights. Good Practices for Development Cooperation." Eschborn: GTZ.

Glasl, Friedrich. 2004. Konfliktmanagement. 8. Auflage. Bern, Stuttgart, Wien.

Goss-Mayr, Hildegard. 1981. Der Mensch vor dem Unrecht. Spiritualität und Praxis gewaltloser Befreiung. 4. überarbeitete Auflage. Wien, München, Zürich.

Kirleis, Edda. Im Erscheinen. "Rethinking Gender, Violent Conflict and Development from Local Perspectives: Reclaiming Political Agency in South Asia". Zarkov. D. (Hg.). Gender, Violent Conflict, Development: Challenges of Practice. Delhi: Zubaan.

Reimann, Cordula. 2004. "Unterstützung von Friedensallianzen. Wer unterstützt wen und wie? Vorüberlegungen aus gender-sensitiver Perspektive". Calließ, Jörg (Hg.). Geschlechterverhältnisse in der Überwindung von Gewaltkonflikten. Loccumer Protokolle 27/03. Rehburg-Loccum: 93-120.

Schetter, Conrad. 2004. "Die Realität der Gewaltökonomien in Afghanistan und ihre Konsequenzen für Genderverhältnisse". Calließ, Jörg (Hg.). Geschlechterverhältnisse in der Überwindung von Gewaltkonflikten. Loccumer Protokolle 27/03. Rehburg-Loccum: 21-31.

Sieber, Anja. 2004. "Eine transversale Studie zu Empowerment. cfd-Empowermentprojekte in Palästina, Israel, Bosnien-Herzegowina, Kosovo/a, Marokko und der Schweiz" cfd-Arbeitspapiere. Bern: cfd.

Anmerkung



1Hierzu ist ein ausführliches Arbeitspapier der Autorin in Vorbereitung, das als Arbeitspapier beim IFGK (Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung e.V.) erscheinen wird. Ankündigung dann bei www.ifgk.de.




Barbara Müller, Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung e.V. (IFGK).

E-Mail: bmuellerifgk@aol.com

Website: www.ifgk.de
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