FF1/2006


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FF2006-1

 

Weibliche Soldaten:

Die Grenzen des Geschlechts und die Grenzen der Nation

Ruth Seifert

Als die amerikanische Armee Ende der 70er Jahre für Frauen geöffnet wurde, erklärte General Westmoreland: "Kein vernünftiger Mann will, dass eine Frau in den Kriegen der Nation kämpft". Zehn Jahre später erklärte General Schwarzkopf, amerikanischer Kommandeur im Golfkrieg, vor dem amerikanischen Kongress:

"Ich glaube unsere Fähigkeit, die Nation zu verteidigen, würde leiden, wenn wir von Frauen verlangen würden, dass sie da unten in den Schützengräben mit Bayonetten liegen und Auge in Auge mit dem Feind kämpfen" (zit. in Webster, 1991).


In Deutschland erklärte im Februar 2000 der Rechtsprofessor Löwer anlässlich eines Expertenhearings, der weibliche Soldat sei ein Romantizismus, der nicht zu unseren zivilisatorischen Normen gehöre und die Einsatzfähigkeit der Armee schwer schädigen würde (Taz 25.2.2000).

Diese Aussprüche stehen stellvertretend für viele ähnlicher Art und charakterisieren eine für moderne Gesellschaften ungewöhnliche Situation: Obwohl sich in den letzten Jahrzehnten die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern in den westlichen Ländern gravierend verändert haben und die Verweigerung gleicher Positionen für Männer und Frauen in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen hochgradig legitimationsbedürftig ist, ist das Militär eigentümlich unberührt von diesen Gleichstellungstendenzen geblieben.

Im deutschsprachigen Raum erfuhr die militärische Geschlechtertrennung lange Zeit keine besondere Aufmerksamkeit. In den Debatten, die über "Geschlecht und Profession" in Politik und Wissenschaft geführt wurden, kam das Militär kaum vor. Wenn über das Thema "Frauen und Militär" überhaupt geredet wurde, dann unter dem Schlagwort: Das Militär ist kein Ort, an dem Gleichberechtigung oder Emanzipation möglich ist oder angestrebt werden sollte. Darüber, dass eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen nicht wünschenswert sei, bestand auch ohne eingehende Diskussion Einigkeit nahezu im gesamten politischen Lager von Konservativen bis zu Sozialdemokraten und Grünen. An der Tabuisierung des Themas hat sich auch mit der Öffnung der Bundeswehr für Frauen nicht viel geändert. Die Bundeswehr wurde Anfang 2000 vom Europäischen Gerichtshof dazu gezwungen, ihre bisherige Praxis des Ausschlusses von Frauen aus weiten Teilen der Armee zu revidieren, da sie gegen Gleichstellungsrichtlinien der EU verstießen, genauer: gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Zugang zu Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg. D.h. die Streitkräfte wurden primär als Arbeitgeber definiert, der sich den gemeinschaftsrechtlichen Gleichstellungsrichtlinien wie jeder andere Arbeitgeber zu beugen habe. Eine nennenswerte Debatte darüber wurde aber auch jetzt im deutschsprachigen Raum weder in der Politik noch in den Medien geführt. Das Pendel scheint von einer moralisch-politisch begründeten Ablehnung von Frauen im Militär ins Gegenteil ausgeschlagen zu sein: Jetzt wird das Thema amoralisch und apolitisch als Beseitigung eines Berufsverbotes eingeordnet.

Im folgenden soll gezeigt werden, dass das Militär aufgrund seiner politischen und symbolischen Bedeutung in unseren Gesellschaften kein "Job wie jeder andere" ist, sondern Charakteristika aufweist und kulturelle Funktionen erfüllt, die diese Profession von anderen abhebt. Ein Zugang zur symbolischen Bedeutung des Militärs im Rahmen der Geschlechterverhältnisse lässt sich durch eine Analyse jener Diskurse finden, die von Befürwortern des Militärs gegen die Integration von Frauen ins Feld geführt werden. Denn hier finden sich Deutungsmuster, die zweierlei zeigen,

1) dass das Militär die Grenzen der Nation und

2) die Grenzen des Geschlechts in modernen Gesellschaften markiert. Darüber hinaus ist eine Analyse dieser Diskurse geeignet, uns die Konstruktionsmechanismen von Geschlecht im Rahmen der internationalen Beziehungen näher zu bringen.

Man kann die gängigen Argumentationen, die gegen eine weibliche Militärbeteiligung angeführt werden, folgendermaßen gruppieren: Erstens, Argumentationen, die um die Frage des geschlechtsspezifischen Arbeitsvermögens kreisen. Zweitens, das sog. "Schutzargument" und drittens die These von der militärischen Unvereinbarkeit von Männern und Frauen.

Die These vom geschlechtsspezifischen Arbeitsvermögen

Die Argumentation vom geschlechtsspezifischen Arbeitsvermögen ist nicht spezifisch für das Militär, sondern ist aus allen Berufen bekannt, die als "männlich" kategorisiert wurden. Sie besagt, dass die physische und psychische Ausstattung von Männern und Frauen eine Disposition für bestimmte Arbeitsbereiche mit sich führt und sich auf dieser Grundlage im historischen Verlauf männliche und weibliche Berufe herausgebildet hätten. In der geschlechtsspezifischen Berufs- und Professionsforschung wurde diese These lange diskutiert und beforscht und kann mittlerweile als ad acta gelegt betrachtet werden. Das Fazit lautet in Kürze: Es gibt kein geschlechtsspezifisches Arbeitsvermögen. Berufe haben sich nicht aufgrund bestimmter Fähigkeiten und Talente als "männliche" und "weibliche" entwickelt, sondern umgekehrt: Indem bestimmte Bereiche Männern und Frauen zugewiesen wurden entstand die Idee einer besonderen, geschlechtsspezifischen Eignung für bestimmte Tätigkeiten (vgl. insbesondere Wetterer 1992; 1995).

Die Grenzen der Nation: Das Schutzargument

Eine Besonderheit militärischer Organisationen ist das "Schutzargument", das in allen westlichen Ländern und Israel für die Geschlechterpolitik des Militärs in der einen oder anderen Form zentral ist. Es lautet, dass es ein - wahlweise - kultureller oder biologischer Imperativ sei, Frauen vor den Unbilden kriegerischer Gewaltanwendung zu schützen. Dieses Argument geht in der Regel einher mit der Postulierung eines sog. "männlichen Schutzinstinktes". Dieses Argument hat auch in der bundesrepublikanischen Debatte eine lange Geschichte und aktuelle Bedeutung. Anlässlich der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 wurde einerseits verfügt, dass Frauen im Kriegsfall eingezogen werden können; allerdings wurde gleichzeitig festgelegt, dass sie aus Schutzgründen nur in ortsfesten Lazaretten "hinter den Linien" und möglichst ohne "Feindberührung" eingesetzt werden dürften. Eine Debatte über den Realitätsgrad dieses Kriegsbildes fand nicht statt. Auch als Mitte der 70er Jahre weibliche Sanitätsoffiziere in die Bundeswehr aufgenommen wurden, wurde betont, dass die Frauen gemäß den Intentionen des Grundgesetzes nicht in Funktionen eingesetzt werden dürfen, die eine unmittelbare Gefährdung durch feindliche Waffeneinwirkung mit sich bringen. Zwar meldeten sich jetzt vereinzelte Gegenstimmen aus dem Apparat selbst zu Wort. So erklärte ein General der Bundeswehr, er halte es für unzumutbar, Frauen den Soldatenstatus zu geben, ohne sie nach innerstaatlichem Verfassungsrecht zur Teilnahme an Kampfhandlungen zu ermächtigen, da das gerade bedeuten würde, sie gegenüber dem Angriff von Feindkräften wehrlos zu machen. Insgesamt aber behielt der Schutztops seine Gültigkeit und wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bis in jüngster Zeit immer wieder bestätigt.

Eine weiterer Streitpunkt im Rahmen der Schutzargumentation betrifft die Frage, ob Tod und Verwundung von weiblichen Soldaten möglicherweise zur Demoralisierung nicht nur der männlichen Soldaten, sondern der Gesamtgesellschaft führen und auf diese Weise außenpolitische Entscheidungen und Vorgehensweisen präjudizieren würde. In diesen Kontext passt sich auch eine im Juli 2001 von einem Mitglied des House Armed Services Committee ausgesprochene Aufforderung an Präsident Bush ein, Frauen im Militär in keinerlei Funktionen einzusetzen, in denen sie in Gefangenschaft geraten könnten, da sie ansonsten aufgrund des Vergewaltigungsrisikos zum "nationalen Sicherheitsrisiko" würden.

Diese Aussage erschließt den symbolischen Hintergrund des Schutzargumentes. Zentral dabei ist nicht der Schutz der individuellen Frau. Zentral ist vielmehr der symbolische Zusammenhang von Gender und Nation. Wenn Nationen miteinander in Konflikt geraten, wird Gender/Weiblichkeit regelmäßig politisiert und in Beziehung zur politischen Identität der Gruppe gesetzt. Typisch für die Konstruktion der Nation ist, wie mittlerweile in einer Vielzahl von Arbeiten belegt, die Imagination von Frauen bzw. Frauenkörpern als Symbol und Zeichen der Gemeinschaft. Übergriffe auf Frauen einer Gemeinschaft oder Nation werden auch als symbolische Vergewaltigung des Volkskörpers betrachtet. Worum es bei den Debatten um den "Schutz der Frauen" geht, ist folglich die Unversehrtheit des weiblichen Körper der als "nationaler" Körper perzipiert wird und als Symbol für die Stärke und Unversehrtheit der Nation steht. Diese symbolischen Konstruktionen machen den weiblichen Körper gewissermaßen zu einer strategischen Größe im Kriegskalkül.

Die symbolischen Zusammenhänge zwischen Frau und Nation beeinflussen auch die Perzeption des weiblichen Soldaten und führen, wenn man so will, zu kognitiven Dissonanzen. Frauen sind Marker für die Grenzen die Nation. Soldaten sind die Verteidiger dieser Grenzen. Die verletzte Soldatin steht im Fadenkreuz von zwei Symbolsystemen: Als verletzte Frau ist sie "Schutzobjekt" und symbolisiert die Schwäche und Verletzbarkeit der Nation; als Soldat symbolisiert sie eine Beschützerfunktion und stellt eine symbolische Verlängerung des Staates dar.. Übergriffe - insbesondere sexuelle Übergriffe - auf weibliche Soldaten evozieren einen Mechanismus auf der Gender-Ebene, so dass die Soldatin, wie im obigen Zitat deutlich wurde, als besonderes "Sicherheitsrisiko" erscheint. Die Problematik, die sich im Schutzargument erschließt, handelt von den Grenzen der Nation, die mithilfe von Gender markiert werden. Sie wird für Armeen und Gesellschaften die Frauen integrieren, im Einsatzfall offenbar zum verhandlungsbedürftigen Problem.

Die Grenzen des Geschlechts: Das Unvereinbarkeitsargument

Ein weiterer Argumentationsstrang bezieht sich darauf, dass Männer unter Bedingungen von Krieg und Konflikt die Anwesenheit von Frauen auf gleicher Ebene nicht tolerieren könnten, bzw. dass die sozialen Auswirkungen des Geschlechtsunterschiedes die Effizienz der Streitkräfte nachhaltig beeinträchtigen würde. Im Militär, so diese Argumentation, ist Kameradschaft - im Englischen sinnfällig "male bonding" genannt - eine zentrale Kategorie, die das Funktionieren der Gruppe ermöglicht. Die Anwesenheit von Frauen wirke sich destruktiv auf das männliche Zusammengehörigkeitsgefühl aus, das im Falle von Organisationen, die mit der Anwendung von Gewalt zu tun haben, also in der Polizei und im Militär, aber von besonderer Bedeutung sei.

Das gelte in besonderem Maße für die sog. Kampfeinheiten. In seinem Buch "Women in the Military: Flirting with Disaster" erklärt der amerikanische Ex-Major Brian Mitchell unter Zuhilfenahme von Argumentationsmustern, die man als Vulgär-Biologismus bezeichnen könnte, dass die Integration von Frauen ins Militär unweigerlich zum Zusammenbruch der Disziplin und der Moral, zu sexuellem Chaos und der völligen Schwächung der Armee führen müssten. Sexuelle Beziehungen zwischen weiblichen und männlichen Soldaten sind seiner Ansicht nach prinzipiell nicht vermeidbar und kommen darüber hinaus im Einsatzfall vermehrt vor, weil die männliche körperliche und psychische Überlegenheit unter Extrembedingungen besonders klar hervortrete und dazu führe, dass Männer diesen Vorteil nutzen um sich Frauen sexuell gefügig zu machen, während sich die natürliche Schwäche der weiblichen Soldaten andererseits unter denselben Extrembedingungen dahingehend auswirkt, dass Frauen sich einen männlichen Beschützer suchen, der sie sowohl vor den männlichen Kameraden als auch vor den Unbilden des Einsatzes bewahrt. Der Krieg, so Mitchell, ist kein Spielplatz für Gleichberechtigungspolitik. Frauen, so sein Fazit, beschädigen die Einsatzfähigkeit der Armee in erheblichen Maße und führen damit die Nation an den Rand der Katastrophe. Insgesamt, so Mitchell, "zerstören sie den Körper und die Seele des Militärs". Er artikuliert damit in nuce die Meinung weiter konservativer Kreise in den USA.

Lag der Schwerpunkt des "Schutzargumentes" auf den Grenzen der Nation, so liegt der Schwerpunkt des Unvereinbarkeitsargumentes auf den Grenzen des Geschlechts, die mithilfe des Militärs markiert werden. Überschreitungen dieser Grenze führen zu Unordnung im Gendersystem und zu kulturellem Verhandlungsdruck. In der Folge entstehen u.U. psychologische Problemen bei den involvierten Individuen, die Coping-Strategien entwickeln, um die Widersprüchlichkeiten in Einklang zu bringen.

Armeen, so ist zu schlussfolgern, sind wichtige Orte kultureller Identitätspolitik und somit identitätspolitisch besonders stark umkämpfte Terrains. Das zeigt sich auch an der Geschlechterpolitik von Armeen. Mit der Integration von Frauen wird die Frage zentral, wo in Armeen sie eingesetzt werden sollen. Der Einsatz von Frauen in Armeen folgt bisher weitgehend genderpolitischen Linien. Armeen halten zunächst die Anzahl der weiblichen Soldaten und ihre Verwendungsbereiche unter strikter Kontrolle. Bisher haben sich die Integrationszahlen von Frauen in keinem westlichen Land der 20%-Marke angenähert. Den höchsten Integrationsgrund in westlichen Ländern halten die USA, die für das Jahr 2001 einen Frauenanteil von etwas über 14% angeben. Die Bundeswehr meldet auf ihrer Internet-Seite 1,3% Frauen und liegt damit im unteren Bereich. Israel hält die genaue Zahl seiner Berufssoldatinnen unter Verschluss - Schätzungen von ExpertInnen gehen aber dahin, dass sie nicht höher als 25% bis höchstens 30% liegt. Darüber hinaus ist die Arbeitsorganisation im Inneren der Streitkräfte durch eine klare geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gekennzeichnet. - Unterstützungseinheiten, Sanitätsdienst - Ausbildung. Israel: Bereichen, die in Deutschland von Zivilistinnen ausgefüllt werden.

Sowohl das Unvereinbarkeitsargument als auch das Schutzargument machen deutlich, dass militärische Gewaltsysteme und Geschlechterordnung in enger Beziehung zueinander stehen. Diese Beziehung lässt sich nur verstehen, wenn man den Blick weitet auf die symbolische Geschlechterordnung und den Stellenwert des Militärs innerhalb dieser Ordnung. Das Militär ist in anderer Weise als andere Professionen ein Ausdruck des Kollektivs und steht in einem spezifischen Verhältnis zu Staat, Gesellschaft und symbolischer Ordnung. Es ist offensichtlich nicht nur "ein Job wie jeder andere". Was im Militär geschieht, wie "Gender" verhandelt wird und welche Geschlechterbeziehungen in diesem Bereich konstruiert werden, hat symbolische und reale Bedeutung für die Stellung von Männern und Frauen zum Staat und für ihre Position in der Gesellschaft. Darüber hinaus ist diese Beziehung nicht fix und unwandelbar und sie fügt sich keinen klaren binären Kategorien wie "emanzipatorisch versus repressiv" oder "friedensfördernd versus kriegstreibend". Welche Folgen die Integration von Frauen in die Streitkräfte hat, kann nicht unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen gesehen werden, innerhalb derer sie stattfindet. Wie sich die Streitkräfte entwickeln und welchen Stellenwert in Zukunft Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in ihr haben, ob die Integration von Frauen zu einer bloßen Subsumierung unter militärische Imperative führt oder weitergehende politische Wirkung hat, hängt in starkem Ausmaß davon ab, welche Bedeutung genderpolitische Überlegungen in einem Land haben, wer sich am politischen Integrationsdiskurs beteiligt und welche politische Durchsetzungskraft diese Kräfte haben.



Ruth Seifert ist Soziologin und hat vielfach über die Rolle von Frauen im Militär publiziert.

E-Mail: seifert.zimmermann@planet-interkom.de
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