FF2006-3


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Unterdrückung und Widerstand in West-Papua

Volker Böge

Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung elementarer demokratischer Rechte - so lässt sich die Lage im indonesisch besetzten (West-)Papua stichwortartig kennzeichnen. Der dortigen indigenen Bevölkerung wird das Recht auf Selbstbestimmung und eigenständige Entwicklung vorenthalten. Von den immensen natürlichen Reichtümern des Landes - Gold, Kupfer, Erdgas, Tropenholz - profitieren indonesische und multinationale Konzerne. Die Menschen vor Ort dagegen müssen mit den zerstörerischen sozialen und ökologischen Folgen fremdbestimmter Modernisierung leben. Jegliche auch gewaltfreie Opposition wird von den indonesischen Sicherheitskräften brutal unterdrückt. Die internationale Politik und Öffentlichkeit aber nimmt vom Schicksal der Papua kaum Notiz.



Vorenthaltene Selbstbestimmung

Neuguinea, die zweitgrößte Insel der Welt, ist heute politisch durch eine auf die Kolonialzeit zurückgehende Grenze in zwei Hälften geteilt. Der Ostteil wurde 1975 als neuer Staat Papua-Neuguinea (PNG) unabhängig. Der Westteil war einst holländische Kolonie. Als Holländisch-Ostindien 1949 zur unabhängigen Republik Indonesien wurde, blieb West-Neuguinea zunächst bei den Niederlanden.

Die dort lebenden Papua haben keinerlei gemeinsame Geschichte und kulturelle Gemeinsamkeiten mit den malaiischen Bewohnern Ostindiens/Indonesiens. Vielmehr gehört das westliche Neuguinea geographisch, kulturell und ethnisch zu Melanesien, dem westlichen Südpazifik. Seine Bewohner sind Melanesier wie die Menschen in den unabhängigen Staaten PNG, Salomonen und Vanuatu.

Die neuen Herren Indonesiens aber leiteten aus der gemeinsamen Kolonialgeschichte unter den Holländern den Anspruch ab, dass auch das westliche Neuguinea Teil Indonesiens werden sollte. Sie wollten auf dieses an Bodenschätzen reiche Land nicht verzichten. Mit Unterstützung der USA übten sie massiven Druck auf die Niederländer aus, die ursprünglich gewillt waren, den Papua einen eigenständigen Weg in die Unabhängigkeit zuzugestehen. Schließlich mussten die Niederlande 1962 dem indonesisch-US-amerikanischen Druck nachgeben. Sie stimmten einer Verwaltung West-Neuguineas durch die Vereinten Nationen zu. Indonesien nahm das allerdings lediglich zum Anlass, um vollendete Tatsachen zu schaffen: Indonesische Truppen besetzten 1963 West-Neuguinea, die Holländer zogen sich vollends zurück. Die Proklamation der Unabhängigkeit Westpapuas durch Repräsentanten der papuanischen Bevölkerung am 1. Dezember 1961 war von Indonesien, den Niederlanden und der gesamten internationalen Staatengemeinschaft ignoriert worden. Die indonesischen Okkupanten gestanden gegenüber den Vereinten Nationen aber zu, innerhalb von sechs Jahren eine Abstimmung zuzulassen, in der die einheimische Papua-Bevölkerung über den Verbleib bei Indonesien entscheiden sollte.

Dieser "Act of Free Choice" kam 1969 tatsächlich zustande, allerdings nicht als ein demokratisches Referendum der Bevölkerung. Vielmehr durften nur 1.025 handverlesene "Repräsentanten" der Papua abstimmen. Mit Bestechung einerseits, brutaler Gewalt andererseits brachten die indonesischen Behörden die "Delegierten" dazu, einstimmig für den Verbleib bei Indonesien zu votieren. Diese Abstimmungsfarce wurde von den Vereinten Nationen zustimmend zur Kenntnis genommen, sie übergaben das Land unter US-amerikanischem Druck an Indonesien. So wurde das westliche Neuguinea eine indonesische Provinz, die 1973 den offiziellen Namen Irian Jaya erhielt. Sie ist die flächenmäßig größte Provinz Indonesiens.

Besatzungsregime

Die große Mehrheit der Papua hat den "Act of Free Choice" seinerzeit nicht anerkannt und erkennt ihn bis heute nicht an. Die Papua fordern eine Annullierung der damaligen UN-Entscheidung und die Durchführung eines tatsächlich demokratischen Referendums.

Seit Beginn der indonesischen Besatzung kämpft eine bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung, die OPM (Organisasi Papua Merdeka - Organisation Freies Papua) gegen die indonesischen Sicherheitskräfte. Bei der OPM handelt es sich damit um die älteste heute bestehende Guerilla-Organisation. Auch wenn sie auf Grund ihrer schlechten Bewaffnung und geringen militärischen Schlagkraft nie in der Lage war, die indonesischen Sicherheitskräfte ernsthaft zu gefährden, so konnten diese andererseits doch die OPM auch nie militärisch besiegen.

Dem brutalen indonesischen Besatzungsregime sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen im Laufe der letzten Jahrzehnte mindestens 200.000 Menschen zum Opfer gefallen. Insbesondere zu Zeiten der Suharto-Diktatur konnten Militär und Polizei völlig willkürlich schalten und walten: Morde an (vermeintlichen) Oppositionellen, "Verschwindenlassen" von Menschen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Verhaftungen, Niederbrennen von Dörfern und Vertreibung ihrer Bewohner waren an der Tagesordnung. Immer wieder mussten Abertausende von Menschen sich vor der indonesischen Soldateska in den Dschungel flüchten; viele gingen auch als Flüchtlinge über die Grenze ins benachbarte PNG. Insbesondere viele Studenten, Lehrer, Intellektuelle und politische Führer des Widerstands sahen sich gezwungen, ins Ausland zu emigrieren - nach Australien, PNG, Holland und in andere Länder.

Gleichzeitig betrieb die indonesische Regierung eine gezielte Siedlungspolitik, mit der die Papua zur Minderheit im eigenen Land gemacht werden sollten. Hunderttausende IndonesierInnen von den überbevölkerten Inseln des indonesischen Archipels (vor allem Java) wurden nach Westpapua umgesiedelt. Sie ließen sich in den Städten nieder oder wurden in eigens geschaffenen Umsiedlungsdörfern angesiedelt. Die Zugewanderten beherrschen Wirtschaft und Handel, besetzen die Posten in Verwaltung und Politik. Sie sehen auf die "primitiven" Papua herab; Verbindungen zwischen - großteils moslemischen - Zugewanderten und - ganz überwiegend christlichen - Einheimischen gibt es kaum. So leben mittlerweile zwei nahezu gleich große Bevölkerungsgruppen (jeweils gut 1,2 Millionen Menschen) in einem Zustand permanenter Spannung und gegenseitigen Misstrauens nebeneinander her.

Konfliktursache Ressourcenreichtum

In dieser Atmosphäre von Angst und Terror lassen sich gute Geschäfte machen - mit Gold und Kupfer, Erdgas und Tropenholz. Indonesische, malaysische und andere Holzkonzerne betreiben - in enger geschäftlicher Partnerschaft mit dem indonesischen Militär, den TNI - großflächig Raubbau an den wertvollen tropischen Regenwäldern des Landes. Der schlimmste Umweltzerstörer aber ist die Freeport-Mine im Hochland, die größte Tagebau-Gold- und Kupfermine der Welt. Sie wird seit Ende der 60er Jahre vom US-Konzern Freeport McMoRan über die Tochtergesellschaft Freeport Indonesia, an der auch der indonesische Staat (zu 20%) beteiligt ist, betrieben. Der lokalen indigenen Bevölkerung wurde das Land genommen, ihre materielle und spirituelle Lebensgrundlage wurde zerstört. Von den mit dem Minenbetrieb einhergehenden Umweltschäden sind nicht nur die Menschen im unmittelbaren Minengebiet betroffen. Denn Freeport leitet den Abraum und die kontaminierten Erzabfälle der Mine - täglich (!) rund 115.000 Tonnen - einfach in die Flüsse. Verschlammung der fruchtbaren Flussufer, Zerstörung der Fischbestände und Vergiftung des Trinkwassers sowie Absterben der Wälder sind die Folge. Die Profite aus dem Minenbetrieb streichen der US-Konzern und die indonesische Regierung ein. Freeport ist der größte einzelne Steuerzahler Indonesiens. Allein seit 1992 zahlte Freeport über 1,8 Milliarden US-Dollar an Steuern und Abgaben an den Staat. Kein Wunder also, dass die TNI die Mine mit allen Mitteln gegen "Störungen" durch die örtliche Bevölkerung schützen. Diesen Schutz lassen sich die Militärs vor Ort (ca. 2300 Mann) mit Millionen von Dollars jährlich extra von Freeport bezahlen. Am 27. Dezember letzten Jahres brachte die New York Times einen großen Artikel hierüber. Danach hat Freeport allein zwischen 1998 und 2004 rund 20 Mio US-Dollar an die örtlichen Armeeeinheiten und insbesondere deren Offiziere gezahlt.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das von Freeport geförderte Kupfererz auch nach Deutschland verschifft wird und in Hamburg bei der Norddeutschen Affinerie, der größten Kupferhütte Europas, weiter verarbeitet wird.

Kurzer papuanischer Frühling - und erneute Repression

Seit Ende der Suharto-Diktatur 1998 hatten sich die Rahmenbedingungen für politische Aktivitäten in Papua zunächst mäßig verbessert. Nichtmilitärische gewaltfreie Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und Basisinitiativen entstanden, die im Vergleich zum bewaffneten Widerstand der OPM deutlich an Bedeutung gewonnen haben.

Insbesondere der Präsident Abdurraham Wahid bemühte sich während seiner kurzen Amtszeit um den Dialog mit den politischen Führern der Papua. Es kam zu einer Reihe von informellen Treffen zwischen der indonesischen Regierung und Vertretern der Papua. Im Mai/Juni 2000 war es sogar möglich, in der Provinzhauptstadt Jayapura einen großen Papua-Kongress zu veranstalten, bei dem rund 3000 Repräsentanten aus ganz Papua sowie Vertreter der Emigration zusammenkamen, um über das künftige politische Vorgehen zu beraten. Dieser Kongress bekräftigte das papuanische Streben nach Selbstbestimmung, welches auf friedlichem Wege mittels Verhandlungen mit der indonesischen Regierung realisiert werden sollte. Der Kongress wählte aus seiner Mitte einen Präsidiumsrat, der beauftragt wurde, sich für die Belange der Papua einzusetzen.

Die neue Präsidentin Megawati Sukarnoputri, die Wahid 2001 ablöste, suchte wieder verstärkt den Schulterschluss mit dem indonesischen Militär, so dass die Repression wieder verschärft wurde. Prominentestes Opfer dieses Kurses wurde Theys Eluay, der charismatische Vorsitzende des Präsidiumsrats. Er wurde im November 2001 von indonesischen Militärs entführt und ermordet. Am 1. Januar 2002 trat für Westpapua ein spezielles Autonomiegesetz in Kraft, welches unter anderem eine Namensänderung der Provinz in Papua festlegte und einige andere Zugeständnisse enthielt. Doch wurde die sog. spezielle Autonomie bisher nicht in die Realität umgesetzt. Die Mehrheit der Papua und auch der Präsidiumsrat lehnen die Autonomieregelung mittlerweile als unzureichend ab. Sie sind enttäuscht von immer neuen Winkelzügen der indonesischen Politik. So erließ Megawati im Januar 2003 eine "Instruktion", nach der Papua in drei Provinzen aufzuteilen ist. Damit soll die Bevölkerung gespalten und der Einfluss des Militärs gestärkt werden: drei Provinzen bedeutet drei Militärkommandos mit entsprechender Aufstockung der Truppenstärke (gegenwärtig rund 50.000 Mann). Es ist völlig unklar, wie diese Dreiteilung mit der Autonomieregelung vereinbart werden soll. Sie wird von der papuanischen Bevölkerung abgelehnt. Gleichwohl gibt es mittlerweile offiziell zwei Provinzen in West-Papua.

In den ersten Monaten des Jahres 2006 ist die Repression in Papua massiv verstärkt worden.

Bei mehreren Demonstrationen gegen die Freeport-Mine im März kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, einige indonesische Polizisten und Soldaten sowie Papuas wurden getötet. In der Folge machten die indonesischen Sicherheitskräfte Jagd auf papuanische Studenten, von denen Dutzende in den Dschungel flohen. Bei dem Versuch, die Grenze nach PNG zu überwinden, wurden wiederum Studenten von Militär ermordet. Wenigen gelang es, sich bis nach Australien durchzuschlagen. Sie wurden allerdings von den australischen Behörden nach PNG abgeschoben. Australien nämlich will eine Verschlechterung der Beziehungen zu Indonesien um jeden Preis vermeiden.

Zu einer solchen Verschlechterung war es seit Januar gekommen, nachdem 43 Flüchtlinge aus West-Papua per Boot an die Nordküste Australiens gelangt waren, politisches Asyl beantragt und (befristet) gewährt bekommen hatten. Die indonesische Regierung zog daraufhin ihren Botschafter aus Australien ab und forderte "ihre" Staatsbürger zurück. Seither ist die australische Regierung um Schadensbegrenzung im Verhältnis zu Indonesien bemüht. Ihr sind die Flüchtlinge ein Ärgernis. Australien erkennt die indonesische Herrschaft über West-Papua an und ist an guten Beziehungen zu Indonesien sehr interessiert. Noch in diesem Jahr will man mit dem nördlichen Nachbarn einen Pakt über sicherheitspolitische Zusammenarbeit abschließen. Und so hat man, um sich dem indonesischen Regime erkenntlich zu zeigen, im April eine Verschärfung der Asylbestimmungen beschlossen, die sich faktisch gegen eine erwartete Flüchtlingswelle aus West-Papua richtet. Deren erste Opfer wurden die abgeschobenen papuanischen Studenten.



E-Mail: voboege@gmx.de

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