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 Innerges. Konfliktbearbeitung

Schalker Fan-Initiative e.V.:

Arbeit gegen Gewalt, Rassismus und Diskriminierung auf Schalke

Sven Schneider

Spätestens seit der Heysel-Katastrophe gehört "Gewalt" zur Konnotation des Begriffs "Fußball". Gewalt im Fußball ist auch heute noch allgegenwärtig, vor allem in den unteren Ligen und im Ausland: In Süd-, noch mehr in Osteuropa. Wer jedoch nur diese offensichtliche und physische Gewalt wahrnimmt, wird dem Fußball und insbesondere der Fan-Kultur nicht gerecht.

Wer sich hier über Konzepte und Strategien informieren möchte, ist bei den zumeist öffentlich finanzierten Fan-Projekten mit ihren ausgebildeten Sozialarbeitern sowie der Polizei sicher besser aufgehoben. Insofern wunderten wir uns etwas über die Anfrage des FriedensForums. Aber nur kurz, denn Gewalt im und um den Fußball stellt sich tatsächlich sehr viel vielschichtiger und komplexer dar, als so mancher Außenstehender glaubt.



Gewalt, Repression und Kommerzialisierung - "Konsumenten" ohne Lobby

Was in der Öffentlichkeit z.B. kaum zur Kenntnis genommen wird, ist die Gewalt gegen Fußballfans durch Polizei und Ordnungskräfte. Ob Einkesselungen, willkürliche Zwangsmaßnahmen, herablassende Ansprachen, Drohungen oder gar physische Gewalt - gerade Fußballfans auf Auswärtsfahrten wissen davon zur Genüge zu berichten. Neben vereinzelten Beschwerden und Klagen betroffener Fans wehrt sich das bundesweite "Bündnis aktiver Fußballfans" (BAFF) durch die alljährliche Verleihung des "Goldenen Schlagstocks". Im vergangenen Jahr wurden die Freiburger Ordnungskräfte für "besonders willkürliche oder brutale Behandlung friedlicher Fußball-Fans" "ausgezeichnet". Denn dass auch Fußballfans Menschen mit gleichen Rechten sind, hat sich offenbar noch nicht überall herumgesprochen. Auch die Schalker Fan-Initiative, einst BAFF-Gründungsmitglied, versteht sich als Anwalt von Fan-Interessen.



Schalke vor: Kein Fußball den Rassisten!

Diese Schalker Fan-Initiative wurde 1992 - damals noch als "Schalker gegen Rassismus" - von Fans des FC Gelsenkirchen-Schalke 04 gegründet. Es war - wenn man so möchte - der Aufstand der Genervten. Genervt von den eigenen Fans, die völlig unreflektiert und ohne jedes Unrechtsbewusstsein in einem mehrtausendstimmigen Chor ausländische und insbesondere farbige Spieler beschimpften: "Husch, husch, husch - Neger in den Busch" oder das unsägliche "Asylanten, Asylanten"-Gegröhle. Der Schiedsrichter - bekanntlich immer der Sündenbock im Stadion - wurde zur "Judensau". Das war noch Anfang der 90er Jahre Alltag in deutschen Bundesligastadien - ganz gewiss nicht nur auf Schalke.

Die "Genervten" verbündeten sich, gewannen Spieler der eigenen Mannschaft für ihre Zwecke und verteilten Flugblätter im Stadion - anfangs noch zum Missfallen der Schalker Vereinsführung. Diese ersten Aktionen zeigten Wirkung. Unser Vorteil: Wir kamen selbst aus der Mitte der Fans und waren in der Kurve fest verankert. Wir waren also glaubwürdig und nahmen den Mitläufern bzw . -singern ihre Unschuld und holten sie aus der Anonymität: Von den "Hardlinern" abgesehen, möchte sich ja kaum jemand als "Rassist" bezeichnen lassen. Die Schalker gegen Rassismus fordern von den Fans Zivilcourage, nämlich nicht mehr mitzugröhlen und in einem zweiten Schritt vom Stadionnachbarn das Gleiche zu verlangen - mit Hilfe des "Argumentationsfutters", das wir ihnen an die Hand gegeben haben.



Kontinuierliche Aufklärungsarbeit

Doch um nachhaltig erfolgreich zu sein, so wurde uns klar, muss man mehr tun. Die Mitgliedschaft zu überzeugen, einen Antirassismus-Paragraphen in die Vereinssatzung aufzunehmen, war ein wichtiger Schritt. Noch wichtiger war allerdings die kontinuierliche Bildungs- bzw. Aufklärungsarbeit. Die leistet die Schalker Fan-Ini nicht nur durch Kulturveranstaltungen, Theateraufführungen oder Konzerte, sondern v.a. durch ihr Fan-Magazin SCHALKE UNSER. Wer einen Blick hineinwirft, wird schnell feststellen, dass auch komplexe und politische Themen mit einer gesunden Portion Sarkasmus und Ironie aufbereitet werden. Und dass Schalke 04 bei uns der Ankerpunkt für alles ist. Denn sonst hätte es nie das auflagenstärkste Fanzine der Republik werden können. Selbst der Nahostkonflikt wurde zuletzt wieder thematisiert: anhand einer "heimatlosen" palästinensischen Fußball-Nationalmannschaft.

Vor genau 10 Jahren konnten wir dann mit einigem Stolz vermelden, mit dem "Fan-Laden" in Gelsenkirchen als erste und bislang einzige Initiative dieser Art über einen eigenen Begegnungsraum zu verfügen. Mittlerweile unterstützte uns auch der Verein logistisch und finanziell.

Zwischenfazit: Aus dem Stadion sind rassistische Untertöne mittlerweile verschwunden. Allerdings: Auswärts oder in den Straßenbahnen erklingt - wenn auch selten - heute noch das widerliche "U-Bahn-Lied": "Wir bauen eine U-Bahn von XY bis nach Auschwitz!" Einsatz und Zivilcourage sind nach wie vor gefragt.



FARE: Mit guten Freunden in ganz Europa gegen Diskriminierung

Um in Zeiten der Globalisierung Aufmerksamkeit für Gewalt - hier insbesondere wieder rassistische - auch europaweit herzustellen, haben sich einige nationale antirassistische "Grass-root"-Organisationen im europäischen Netzwerk FARE (Football against Racism in Europe) zusammengetan, zu dessen Gründungsmitgliedern auch die Schalker Fan-Initiative gehört.

FARE veranstaltet jedes Jahr eine Aktionswoche gegen Rassismus, an der im letzten Jahr 600 verschiedene Organisationen aus 35 Ländern teilnahmen. In diesem Jahr sollen besonders ethnische Minderheiten und Migranten, sowie Frauen und Mädchen einbezogen werden. Ein besonderes Augenmerk legt FARE in diesem Jahr auf Aktionen gegen Homophobie im Fußball. Außerdem: Während der EM in Portugal und der WM in Deutschland wurden Spiele bzgl. rassistischer Ausfälle beobachtet und mehrsprachige Fanzines produziert, die kostenlos verteilt wurden. Im Rahmen von Streetkick-Veranstaltungen wurden gegnerische Fans zum freundschaftlichen Kick zusammengebracht. FARE hat sowohl die UEFA, die das Netzwerk mittlerweile unterstützt, als auch die FIFA zur Verabschiedung eines Disziplinarcodes gebracht, der die Sanktionierung von Vereinen und Verbänden hinsichtlich diskriminierender Vorkommnisse erlaubt.



Osteuropa: Austausch statt Gewalt

Besonders viel zu tun gibt es noch im Osten Europas. Rassismus und insbesondere offener Antisemitismus, Hass auf "Zigeuner" und der immer noch vorhandene, z.T. extrem gewalttätige Hooliganismus stellen nach wie vor ein Problem dar. Die Schalker Fan-Ini ist schon seit einigen Jahren besonders in Polen engagiert - hatten doch einige der Schalker Meisterspieler aus den 30ern polnische bzw. masurische Vorfahren. So gab es mehrere Austauschprojekte mit Fans von Lech Posen. Im letzten Jahr organisierte die Schalker Fan-Ini einen Austausch von Gelsenkirchener und Krakauer Schüler/innen, wobei der Besuch in Auschwitz und das Gespräch mit einem Überlebenden niemanden unberührt gelassen hat. Und wenn die polnischen und deutschen Jugendlichen dann trotzdem oder gerade deswegen so ausgelassen und unbefangen miteinander feiern und reden, ist das der schönste Lohn für die Organisatoren.



Dem Ball is`es egal, aber wir gehen jetzt in die Schulen!

Gewaltprävention durch Bildung und Aufklärung ist immer noch das probateste Mittel. Vor einigen Jahren gründete die Schalker Fan-Initiative zu diesem Zweck das Projekt "Dem Ball is egal wer ihn tritt" und ging damit in die Schulen. Kernstück des Projekts stellt eine CD-ROM dar, die seinerzeit an alle weiterführenden Schulen in NRW versandt und nun auch während der WM kostenlos verteilt wurde. Der Ansatz: Kinder und Jugendliche durch den Fußball für das Thema Antirassismus zu gewinnen. Und: Die Arbeit mit der interaktiven CD-ROM, die an die Bedürfnisse der "VIVA-Generation" angepasst ist, funktioniert. Mittlerweile ist aus dem ehemaligen Projekt ein eigener Verein geworden.



Auch auf Schalke gibt`s immer noch viel zu tun

Die Aktiven der Schalker Fan-Ini haben stets viel zu tun, auch wenn die Kapazitäten für ehrenamtliches Engagement knapp bemessen sind: Kurz vor der WM galt es noch, eine Gegenaktion zur angemeldeten NPD-Demo in der WM-Stadt Gelsenkirchen zu organisieren. Ferner nimmt die Ini am Gelsenkirchener Projekt der "Erinnerungsorte" teil: Eine Schulklasse soll die Geschichte von Sally Meyer und Julie Lichtmann aufarbeiten, deren Geschäft in der Nazi-Zeit "arisiert" wurde. Während die beiden jüdischen Gelsenkirchener deportiert und ermordet wurden, erwarb die Schalker Fußballlegende Fritz Szepan das Geschäft zu einem Spottpreis. Eine große Hilfe wird den Schüler/innen das Buch "Zwischen Blau und Weiß liegt Grau" sein, in dem im Auftrag des Vereins die Geschichte des FC Gelsenkirchen-Schalke in der Nazi-Zeit aufgearbeitet wurde.

Soweit zum Ansatz der Schalker Fan-Initiative. Doch eines sollte man nie vergessen, wenn man mit uns zu tun hat: Wir sind in erster Linie Schalke-Fans. Und wenn es um einen verbalen Schlagabtausch mit unseren schwarz-gelben "Freunden" oder den Bayern geht, sind wir nicht zimperlich. Ein allumfassender "Frieden" im Stadion, der jedes ansonsten brisante Derby entwertet, ist sicher nicht unser Ziel. Und Selbstironie ist uns nicht fremd. Das ist der Kompromiss, auf den man sich mit uns einlassen muss, und auf den wir uns gerne einlassen, um Spaß zu haben und dabei glaubwürdig zu bleiben.



Sven Schneider ist im Vorstand der Schalker Fan-Initiative.

E-Mail: svenschneider (at) aol (Punkt) com
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