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 Hintergrund

Grundrechte für Soldaten? - Der Maulkorb als Herausforderung

Helmut Kramer

(red/ms) In FF 2/07 berichteten wir im Artikel "Bundeswehr bekämpft den Rechtsstaat" (S. 17) über den skandalösen Umgang der Bundeswehr mit dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil zur Gewissensfreiheit von Soldaten. In diesem Kontext hatte Oberstleutnant Rose in der Zeitschrift "Ossietzky" der Bundeswehrführung einen Mangel an Moral und Ehrgefühl vorgeworfen, weil sie dem Völkerrechtsbruch im Irak-Krieg willig Folge geleistet hat. Rose wurde disziplinarisch gemaßregelt und legte dagegen Verfassungsbeschwerde ein. Über den Ausgang dieser Beschwerde berichtet im Folgenden Richter am OLG a.D. Helmut Kramer. Zwar hat das Verfassungsgericht bestätigt, dass ein Soldat solche scharfen Meinungsäußerungen wegen Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr nicht tätigen dürfe. Allerdings kann (und sollte, die Red.) der Bürger und die Bürgerin ohne Uniform weiterhin öffentlich sagen: Die deutsche Generalität hat im Kontext des Irak-Krieges einen Akt politischer Kriminalität begangen und sich als militärischer Handlanger des Völkerrechtsverbrechens betätigt.

Kriege werden rasch vom Zaun gebrochen, leider auch in der modernen Demokratie, meist ohne gründliche vorherige Debatte in der Volksvertretung, fast immer unter Akklamation willfähriger Medien. Wenn aber ein Krieg nicht verhindert werden konnte, müssen seine Entstehung und sein Verlauf möglichst bald analysiert werden, spätestens nach dem Ende der Kampfhandlungen. Aufklärung ist den Opfern geschuldet, soll aber vor allem auch dazu beitragen, den nächsten Krieg zu verhindern. Nach vielem ist zu fragen: Sind die verlautbarten Kriegsziele erreicht worden? Waren sie vielleicht nur vorgeschoben? Ermittelt werden muss auch die Anzahl der Opfer, nicht zuletzt die bisher immer vernachlässigte Anzahl der Opfer auf der anderen Seite, vor allem der unbeteiligten Zivilisten. Gefragt werden muss zudem nach den vielfältigen wirtschaftlichen und sozialen, politischen und kulturellen, direkten und indirekten Auswirkungen des Krieges. Weil eine solche Bilanzierung die Sinnlosigkeit, ja das Verbrecherische vieler Kriege offensichtlich machen würde, fürchten kriegslüsterne Politiker sie allerdings wie der Teufel das Weihwasser. Die Skepsis der Bürger gegenüber neuen kriegerischen Abenteuern würde sich erhöhen.

Was liegt da näher, als dass diejenigen, die über professionellen Sachverstand verfügen, sich um eine solche Aufarbeitung bemühen. Nichts anderes hat Oberstleutnant Jürgen Rose getan, als er in dem Artikel in Ossietzky 11/2006 den Bundeswehrgeneralen, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Irak unterstützen, Opportunismus, Feigheit und Skrupellosigkeit vorwarf. Er wurde deshalb mit einer Geldbuße von 750 Euro gemaßregelt. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht Jürgen Roses Verfassungsbeschwerde nicht angenommen (s. Ossietzky 11/2007).

Dass das Bundesverfassungsgericht damit zum wiederholten Mal Soldaten - bekanntlich "Bürgern in Uniform" - weniger Meinungsfreiheit zubilligt als jedem anderen Bürger, ist ebenso bedauerlich wie die Tatsache, dass das Gericht überhaupt immer dann, wenn es folgenreiche Militäreinsätze verfassungsrechtlich zu überprüfen hat, völkerrechtswidrige Aggression absegnet, ganz im Unterschied zu seiner oftmals grundgesetzfreundlichen Entscheidungspraxis in anderen Rechtsbereichen.

Dennoch lohnt sich eine Beschäftigung mit der relativ ausführlichen Begründung des Nichtannahmebeschlusses vom 28. April 2007. Während nämlich das Truppendienstgericht in Roses Äußerungen noch eine Verletzung der Menschenwürde der Generale zu sehen meinte, befand das Bundesverfassungsgericht, Rose sei es nicht um Schmähkritik, sondern um Kritik in der Sache, nämlich am fehlenden Wertebewusstsein der Generalität im Umgang mit dem Irak-Krieg, gegangen. Das Bundesverfassungsgericht ließ das Grundrecht der freien Meinungsäußerung allein deshalb zurücktreten, weil bei solch scharfen Äußerungen die Autorität von Vorgesetzten geschwächt, die "Moral" und "Disziplin" der Bundeswehr untergraben und damit die "Funktionsfähigkeit" der Bundeswehr beeinträchtigt werden könnte.

Die Aufwertung des Militärischen zum hochrangigen Verfassungsrechtsgut verdient - vor allem weil gerade Insiderkritik unentbehrlich ist - gründlichen Widerspruch, der an dieser Stelle nicht mit wenigen Worten geleistet werden kann. Auch sonst nimmt bei den Karlsruher Richtern die Neigung zu, Grundrechte an der "Funktionsfähigkeit" staatlicher Institutionen abprallen zu lassen. Dieser Gefahr ist entgegenzutreten.

Ist es nun aber erlaubt oder nicht, Generalen, welche Karriere und Opportunität über die Achtung des Völkerrechts mit seinem Verbot des Angriffskrieges stellen, des Opportunismus, der Feigheit und Skrupellosigkeit zu bezichtigen? Darf man ihnen einen "Akt politischer Kriminalität" vorwerfen, sie als "militärische Handlanger des Völkerrechtsverbrechens" bezeichnen und sie beschuldigen, ohne "einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewusstsein" zu handeln? Man darf. Jeder Bürger, wenn nicht gerade der Bundeswehr zugehörig, darf das. Zum einen, weil die von Rose vorgenommene charakterliche Qualifizierung die moralische Niedrigkeit jener Generale zutreffend kennzeichnet. Zum anderen, weil das Bundesverfassungsgericht der disziplinarischen Maßregelung die Spitze genommen und allein auf die Soldateneigenschaft Jürgen Roses abgehoben hat, nicht jedoch darauf, dass dessen Kritik etwa in beleidigender Weise überzogen gewesen wäre.

Der Maulkorb für die "Bürger in Uniform" muss von Zivilisten als Herausforderung verstanden werden, von ihrer Meinungsfreiheit um so stärker Gebrauch zu machen; möglichst viele sollten sich Jürgen Roses Kritik anschließen. Gerade wenn sich staatliche Institutionen unter Berufung auf die "Disziplin" vor Insiderkritik abschotten möchten, sind wir auf den Einspruch aller anderen Bürger angewiesen, die die Unterwürfigkeit staatlicher Funktionsträger, ob Beamte, Richter oder Generale, vernehmlich, notfalls auch drastisch beim Namen nennen. Weil dieses Recht durch den Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens gegen Jürgen Rose letztlich bestätigt worden ist, schulden wir zwar nicht dem Bundesverfassungsgericht, wohl aber Jürgen Rose Dank, der die Klarstellung erst durch seinen mutigen Schritt erzwungen hat.

Zuerst veröffentlicht in: Ossietzky 12/2007, S. 454 ff





Helmut Kramer ist Richter am OLG a.D und Vorsitzender des Forum Justizgeschichte e.V..

E-Mail: espoo (at) t-online (Punkt) de

Website: sopos.org/ossietzky
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