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 Im Blickpunkt

Kriegsgefahr im Länderdreieck Türkei, Irak, Iran

Andreas Buro

Gefährliche Eskalation

Die Zeitungen melden, über 100 000 Soldaten habe die Türkei an der südöstlichen Grenze zum Irak zusammengezogen. Von Luftangriffen und Granatbeschuss auf Dörfer und vermeintliche Stützpunkte der PKK wird berichtet. Erfolgsmeldungen über getötete Guerilleros folgen. Irakische Kurden aus den Grenzgebieten fliehen und versuchen wenigstens etwas von ihrer kümmerlichen Habe zu retten.


Die PKK erschießt 13 türkische Soldaten und nimmt 8 gefangen, die sie inzwischen wieder freigelassen hat. Sie erklärt zwar, sie verteidige sich nur oder räche sich für die Angriffe der türkischen Armee, aber genauso laufen eben Eskalationsspiralen, die dann ständig von Empörung und Wut auf der einen und der anderen Seite vorangetrieben werden. Viele der Kämpfer auf beiden Seiten glauben an ihre "Heilige Mission", den Terror zu besiegen oder die Sache der kurdischen Emanzipation zu fördern. Wer denkt da schon - statt an Ehre - an Vertrauensbildung, Dialog und Aussöhnung?! Gegenüber der einfachen Gläubigkeit der Kämpfer ist das Spiel der Mächte, die dort agieren, viel komplexer, als die Akteure verkünden.



Nationalistische Empörung der Türken wächst und drängt auf Rache

Zur Mobilisierung der Heimatfront werden in der Türkei große Demonstrationen veranstaltet, in denen alle Übel dieser Welt auf die PKK, aber auch auf die Kurden und sogar auf die gewählten kurdischen Abgeordneten herab gewünscht werden. Diese Demonstrationen werden vor allem von der alten kemalistischen Partei CHP und der sehr rechten Partei MHP vorangetrieben. Die Generale begleiten diese mit Wohlwollen, gerät doch so die Regierung Erdogan unter populistischen Druck, sich nicht länger einer massiven Militärintervention zu verschließen. Erdogan muss sich so entschlussfähig gegen den "Terrorismus" zeigen und will anscheinend doch vermeiden, in einen Guerilla-Krieg mit ungewissem Ausgang zu geraten.

An der türkisch-irakischen Grenze sind mittlerweile erhebliche Kontingente der kurdisch-irakischen Peschmerga aufmarschiert, die große Erfahrungen im Guerilla-Krieg aus ihrem Kampf gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein haben. Sie befürchten, wohl nicht zu Unrecht, die Türken würden weitergehende Ziele haben als nur die Ausschaltung der PKK, was allein schon wegen des gebirgigen Geländes schon schwer genug sein dürfte. Die Stichworte lauten: Selbstständiger Kurdenstaat, der separatistische Bestrebungen in der Türkei fördern könnte, und die Ölvorräte bei Kirkuk.



Die widersprüchliche Rolle der USA in diesem Konflikt

Die USA und ihre Interventionstruppen sind im Irak in einer äußerst schwierigen, wenn nicht gar in einer verzweifelten Situation. Nur in Irakisch Kurdistan herrscht mehr oder weniger Ruhe. Die Kurden erinnern sich noch gut daran, dass die USA während der Zeit des UN-Embargos ihre schützende Hand über sie gehalten haben, so dass der Diktator in Bagdad sie nicht mit massiven Angriffen, vor allem auch aus der Luft, überziehen konnte. Heute liegt den USA sehr daran, dass dort kein Krieg ausbricht und die Region destabilisiert. Befürchtet wird auch, dass Iran in einem solchen Fall sich einmischen könnte, das selbst in ständigem Konflikt mit "seinen Kurden" steht. Das Delikate dieser Situation besteht nun darin, dass die USA die iranisch-kurdische Organisation PJAK benutzt, um der Regierung in Teheran möglichst viele Schwierigkeiten zu bereiten. Waffenlieferungen an sie laufen anscheinend sogar über die "Terrororganisation" PKK, die so etwas wie der große Bruder ist. Laut Pressemeldungen wird die PJAK, eine Schwesterorganisation der PKK, von den Amerikanern mit Waffen ausgestattet. Jüngst gab es sogar einen Zwischenfall, in dem vermutlich US-Geheimdienste durch die PKK iranische Waffenlieferungen für die Hisbollah im Libanon auf ihrem Weg durch die Türkei auffliegen ließ.

Die USA kommen so in eine zwielichtige Position. Einerseits verkünden sie lauthals den weltweiten Krieg gegen den Terror, während sie selbst den "Terrorkrieg" gegen Iran fördern. Andererseits versuchen sie seit geraumer Zeit die Türkei davon abzuhalten, einen vermutlich unabsehbaren Krieg in diesem hochexplosiven Länderdreieck zu beginnen. Ankara hat nun mit der Vollmacht durch die Große Nationalversammlung für die AKP-Regierung, jederzeit Krieg führen zu dürfen, versucht, seinen Druck auf Washington zu verstärken. Es hätte auch die Möglichkeit, die Luftwaffenbasis Incirlik, über die der größte Teil des US-Nachschubs für deren Interventionstruppen in Irak und Afghanistan läuft, für das US-Militär zu sperren. Doch das wäre ein sehr großer Schritt unter NATO-Partnern und würde die ohnehin nicht guten Beziehungen zu den USA auf den Nullpunkt bringen.

Bei dem jüngsten Besuch Erdogans am 5. November bei Bush hat man anscheinend noch einen Kompromiss gefunden. Die USA liefern Geheimdienstinformationen über die PKK, versichern erneut, dass sie die PKK für eine terroristische Organisation halten und gewähren in unbekanntem Maße militärische Unterstützung. Die Türkei wird im Gegenzug keine erhebliche Bodeninvasion starten, sondern sich auf Bomben und Granaten beschränken. Wie weit ein solcher Kompromiss trägt, bleibt abzuwarten und dürfte sehr vom Verhalten der PKK abhängen.



Die türkisch-iranische militärische Zusammenarbeit bei der PKK-Bekämpfung

Die Nachbarländer mit einer kurdischen Bevölkerung haben traditionellerweise stets ähnliche Probleme mit den Kurden und versuchten früher, sie als Manipulationsmasse jeweils gegenüber dem anderen Nachbarstaat einzusetzen. Heute hat sich die Konstellation verändert. Die Türkei wie auch der Iran verabredeten eine militärische Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der PKK bzw. der eng verbundenen iranischen PJAK im Länderdreieck. Dies verstärkt das Bedrohungsgefühl der irakischen Kurden. Die USA befürchten dagegen eine Ausweitung der Infiltrationsmöglichkeiten in den Irak durch iranische Kräfte.



Die türkische Invasionsdrohung richtet sich nicht nur gegen die PKK

Obwohl öffentlich meist nur über die Bedrohung durch die PKK gesprochen wird, so hat Ankara auch das Ziel, einen eigenständigen kurdischen Staat zu verhindern. Dieser würde voraussichtlich bei einem Auseinanderbrechen des Irak ausgerufen werden. Ankara - und wohl auch der Iran - fürchten, dies könne separatistische kurdische Tendenzen fördern. In diesem Zusammenhang versucht die Türkei schon heute, die laut irakischer Verfassung erforderliche Volksabstimmung über die Zugehörigkeit von Kirkuk mit ihren großen Ölgebieten zu verhindern und wirft selbst ein Auge auf die reichen Ölgebiete irakisch Kurdistans.

Freilich werden auch die Gefahren einer Invasion für die Türkei gesehen, sind doch die von der PKK besetzten Bergregionen sehr schwer zugänglich. Man spricht bereits von einem möglichen Vietnam für die Türkei. Eine türkische Invasion auf weitere Teile Irakisch-Kurdistans würde zweifellos einen Einsatz der 100 000 kurdisch-irakischen Peschmergas bewirken - alle versierte Guerilla-Kämpfer.

Auch die politischen Kosten für die Türkei wären erheblich. Man kann sich kaum vorstellen, dass die EU-Verhandlungen unter den Bedingungen eines solchen Krieges fortgeführt werden würden. Erste Politiker äußerten sich bereits in diesem Sinne.



Der Konflikt zwischen Erdogan und den Generälen

Was gegenwärtig als außenpolitischer Konflikt dargestellt wird, hat auch eine wichtige innenpolitische Komponente. Die AKP-Reformpolitik und ihr Streben nach einem EU-Beitritt hat die sehr starke Stellung der türkischen Generalität gegenüber der Regierung geschwächt. Das Militär muss fürchten, dass auch mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung ihre de facto Position als eine Art "Überregierung" mit dem institutionellen Mittel des "Nationalen Sicherheitsrates" weiter geschwächt werden würde. Dies soll verhindert werden. Unter dem Schleier der Verdächtigung der AKP-Regierung, sie wolle eine islamistische Türkei schaffen, führt sie eine konsequente Kampagne gegen die AKP-Regierung und mobilisiert dabei nationalistischen und rassistischen Chauvinismus. Eine Intervention in den Irak unter nationalen Vorzeichen gäbe ihr die Möglichkeit, unter dem Motto der Kriegsnotwendigkeiten ihre Position zu verstärken und die Regierung ihren Anforderungen zu unterwerfen. Dies wurde bereits im Vorfeld der jetzigen Eskalation deutlich: Erdogan musste seine vorsichtige Politik der Öffnung gegenüber den kurdischen Forderungen nach mehr kultureller Freiheit und wirtschaftlich-sozialer Förderung aufgeben. Nicht auszuschließen ist, dass demnächst versucht wird, die kurdische DTP und ihre Abgeordneten in der Großen Nationalversammlung mit Verbots- und Auschlussanträgen zu überziehen.



Ankara war bisher nicht zu einer politischen Lösung bereit

Dieser innertürkische Konflikt erhellt auch, warum Ankara bisher nie zu einer politischen Lösung des Konflikts bereit war. Die PKK hat seit 1999 einseitige Waffenstillstände nicht nur vorgeschlagen, sondern auch weitgehend praktiziert. Selbst beim Rückzug ihrer Guerilla aus der Türkei wurden ihre Kämpfer von türkischen Truppen angegriffen und erlitten schwere Verluste von über 500 Kämpfern. Sie hat vergebens immer wieder einen politischen Dialog über die Lösung des "Kurdenproblems" im Rahmen der Türkei angeboten und Vorschläge hierfür gemacht. Es könnte sein, dass mit einer türkischen Intervention in Irak, sich dieses historische "Fenster der Möglichkeit zum Frieden" schließt und die PKK sich vollends auf die militärische Auseinandersetzung konzentriert. Gibt es dort Kräfte, die auf einen großen türkisch-kurdischen Krieg spekulieren? Ihre jüngsten Anschläge auf türkische Posten und die Gefangennahme von Soldaten, die sich in der Gesellschaft der Türkei so negativ für sie auswirken, weisen in diese Richtung. Ihre Forderung nach einer friedenspolitischen Lösung verliert dadurch an Glaubwürdigkeit. Dies ist auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit der kurdischen Bevölkerung zu sehen. Bei den jüngsten Wahlen konnte die AKP in den kurdischen Gebieten große Stimmengewinne erzielen, während die kurdische DTP herbe Verluste einstecken musste.



Die Zukunft ein Albtraum?

Ist ein Krieg im Länderdreieck Türkei-Irak-Iran noch zu vermeiden? Wie unkontrollierbar würde ein Krieg werden, wenn die kurdischen Peschmerga in Irakisch-Kurdistan in Kämpfe mit türkischen Interventionstruppen verwickelt werden würden?

Was geschieht, sollte der Irak zusammenbrechen und die USA sich zurückziehen? Werden dann nicht Tür und Tor offen sein, für einen türkischen Expansionskrieg zu den Ölquellen? Oder was wird geschehen, wenn die USA und Israel den Iran angreifen und damit die ganze Region in Flammen setzen? Unvorstellbare Katastrophen werden über die Menschen hereinbrechen. Deshalb muss jetzt noch alles nur Mögliche getan werden, um eine Wende zu einer politischen Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt zu erreichen.



Eine friedliche politische Lösung ist möglich.

Jeweils ein großer Schritt auf jeder Seite kann den Anfang zur Umkehr bilden:

Die PKK müsste jegliche Kampfhandlungen unterlassen, ihre Bereitschaft erklären, ihre Kämpfer unter internationaler Beobachtung aus der Türkei zurückzuziehen und eine Entwaffnung ihrer Guerilla-Verbände unter der Aufsicht der Vereinten Nationen vorzunehmen.

Die Regierung der Türkei müsste endlich eine generelle Amnestie für alle am türkisch-kurdischen Konflikt Beteiligten erlassen und sich zu einem Dialog über die Lösung der "kurdischen Frage" im Rahmen der Türkei bereit erklären. Damit wäre die Kriegsgefahr gebannt. Einen ausführlichen Fahrplan für eine zivile Bearbeitung des Konflikts wurde im Rahmen des Monitoring-Projekts der "Kooperation für den Frieden" ausgearbeitet.

Ein Land wie die Türkei, das sich um eine Aufnahme in die multi-ethnische, multi-kulturelle und multi-religiöse Europäische Union bemüht, muss auch im eigenen Lande diese Pluralität akzeptieren. Das überwindet die Gefahr des Separatismus und dient der Aussöhnung und der Verwirklichung der Menschenrechte.

Die EU und ihre Staaten haben allen Grund, sich für eine politische Lösung in diesem Konflikt einzusetzen. Sie können es tun, indem sie die kurdische Guerilla nicht länger als Terroristen behandeln, wodurch sie sich selbst friedenspolitisch handlungsunfähig machen. Wer Frieden schaffen will, muss mit allen Konfliktseiten sprechen können.



Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie.

E-Mail: andreas (Punkt) buro (at) gmx (Punkt) de
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