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 Krisen und Kriege

Die Auswirkungen der Unabhängigkeitserklärung Kosovos auf die Stabilität in der GUS

Kosovo/GUS: Unabhängigkeit und Krieg

Bernhard Clasen

Lange galt es in friedensbewegten Kreisen chic, ein Selbstbestimmungsrecht der Völker zu fordern, wenn dies Befreiungsbewegungen in den betroffenen Regionen verlangten. Dass man dabei meistens mit einem anderen Wert in Konflikt kam, der Unverletzlichkeit der Grenzen, schien zunächst nicht zu stören. Beim Konflikt zwischen dem revolutionären Aufbegehren unterdrückter Völker und dem konservativen, ängstlichen Festhalten am Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen der Diplomaten war zunächst klar, auf wessen Seite man zu stehen hatte.

Doch inzwischen wird wohl kaum jemand in der Friedensbewegung über die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17.2.2008 jubeln. (Vgl. auch den Kommentar von Rudolf Walther in FF2-07 S. 14, d. Red.)

Dass sich andere Unabhängigkeitsbewegungen, vor allem in der GUS, am Kosovo ein Beispiel nehmen werden, zeigte sich ziemlich schnell. Der abchasische Präsident Sergei Bagapsch kündigte die Loslösung von Georgien an. Der Präsident Südossetiens erklärte, man werde es ebenso machen wie Abchasien. Tschetschenische Rebellen begrüßten auf ihrer Internetseite die Entwicklung.

Als Folge der Unabhängigkeit des Kosovo wird sich die Lage in den Regionen der ehemaligen Sowjetunion noch weiter destabilisieren. Dort hatten Anfang der 90er Jahre blutige Sezessionskriege Tausenden von Menschen das Leben gekostet.

Die neuen Freiheiten der Perestrojka- und Glasnost-Zeit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, wurden nicht nur von Menschenrechtlern, Umweltschützern und anderen genutzt. Auch nationale Unabhängigkeitsbestrebungen witterten ihre historische Chance. Präsident Jelzins Aufruf an die Völker der ehemaligen Sowjetunion, so viel Unabhängigkeit zu ergreifen, wie man vertragen könne, wurde an vielen Orten mit großer Begeisterung aufgenommen.



Nagornij Karabach

Als erste forderten die Karabach-Armenier in Massendemonstrationen eine Loslösung von Aserbaidschan. Wenig später floss das erste Blut. Auf armenischer und auf aserbaidschanischer Seite begannen Pogrome gegen die jeweilige Minderheit, zig-tausende von Armeniern flohen aus Aserbaidschan, zig tausende Aserbaidschaner aus Armenien und Nagornij Karabach. Es folgte ein Krieg, der seinen Höhepunkt Anfang der 90er Jahre hatte, und dem Tausende ArmenierInnen und AserbaidschanerInnen zum Opfer fielen. Letztendlich siegte die armenische Seite, die auch heute noch weite Teile Aserbaidschans besetzt hält. Doch Aserbaidschan will sich mit der Okkupation seiner Territorien nicht abfinden.



Georgien

Im benachbarten Georgien, der Heimat von Josef Stalin, hatten sich Abchasien und Süd-Ossetien von der georgischen Zentralmacht losgesagt. Nachdem sich Abchasien 1992 durch Parlamentsentscheid für unabhängig erklärt hatte, kam es zum Krieg mit der georgischen Zentralmacht. In der Folge dieses einjährigen Krieges wurden 250.000 Einwohner, 200.000 von ihnen Georgier, aus Abchasien vertrieben. Militärisch gewonnen hatten die Abchasen, die während des Krieges von den Russen militärisch unterstützt worden waren.
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Auch die Südosseten kämpften 1991 und 1992 gegen die georgische Zentralmacht. In diesen Krieg hatten sich auch im russischen Nordossetien stationierte russische Streitkräfte eingemischt, bis 1992 ein Waffenstillstand vereinbart wurde.

In den letzten zehn Jahren ist es in den ehemaligen Kriegsgebieten ruhig geworden. Doch die Waffenstillstandsvereinbarungen in Nagornij Karabach, Südossetien, Abchasien und Transnistrien (Moldawien) werden immer wieder gebrochen.

Bedingt durch die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und den geplanten NATO-Beitritt von Georgien, steigt die Spannung wieder, wachsen die Kriegsgefahren.

Am 14. April 2008 verkündete das georgische Verteidigungsministerium, dass man alle 150 georgischen Soldaten innerhalb einer Woche aus dem Kosovo abziehen werde. Die Führung der internationalen Friedenstruppen im Kosovo, so das georgische Verteidigungsministerium, sei bereits über diesen Schritt informiert.

Offiziell gibt das georgische Verteidigungsministerium keine Gründe für den Abzug seiner Soldaten aus dem Kosovo, wo georgische Truppen seit Oktober 1999 mit Soldaten anderer Länder den Waffenstillstand sichern sollen, an. Doch durch die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat sich auch das Mandat dieser Truppen automatisch geändert. Sie sind nun nicht mehr zur Aufrechterhaltung des Waffenstillstandes, sondern auch zur militärischen Sicherung des neuen Staates Kosovo vor Ort. Und an dieser Aufgabe will sich Georgien wohl nicht beteiligen.



Nagornij Karabach

Dieser Konflikt hatte Anfang der 90er Jahre zigtausende von Menschenleben gefordert. Seit dem 12. Mai 1994 herrscht ein Waffenstillstand.

Am 4.3.2008 flammten an der Waffenstillstandslinie schwere Kämpfe auf. 16 armenische und aserbaidschanische Soldaten verloren ihr Leben.

Vartan Oskanian, der Außenminister Armeniens, zeigte sich besorgt, hier habe man eine neue Qualität erreicht, die Kämpfe gingen weit über das hinaus, was man in den vergangenen Jahren an Waffenstillstandsverletzungen erlebt habe.

Das Internet-Portal "Gazeta.ru" berichtet, der aserbaidschanische Präsident Ilcham Aliew habe am gleichen Tag betont, Baku könne seine territoriale Integrität notfalls mit sehr harten Mitteln verteidigen. Diplomatische Bemühungen alleine reichten für die Regulierung des Konfliktes nicht aus, so Präsident Aliew in einer ungewöhnlich scharfen Rede. "Aserbaidschan lässt eine Abspaltung von Nagornij Karabach nicht zu. Je eher das die andere Seite begreift, um so besser" so Aliew.
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"Aserbaidschans Rüstungshaushalt liegt derzeit bei 1,3 Milliarden $, und er wird weiter wachsen", wird Aliew von der Agentur "Regnum.ru" zitiert.

Ebenfalls am gleichen Dienstag hatte das aserbaidschanische Parlament, die Milli Medschlis, mit einer Mehrheit von 87 gegen drei Stimmen einen Abzug der aserbaidschanischen Truppen aus dem Kosovo gefordert. Der Abzug der Truppen aus dem Kosovo ist ein klares Signal, dass man mit der Unabhängigkeit des Kosovo nicht einverstanden sei.



Georgien

Georgiens Wunsch nach einem NATO-Beitritt und die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo machen die Gräben zwischen der Zentralmacht in Tiflis und den traditionell an Russland orientierten separatistischen Republiken Abchasien und Südossetien tiefer denn je. In diesen Republiken stehen russische Kontingente, die Mehrheit der Bevölkerung von Abchasien und Südossetien hat bereits die russische Staatsbürgerschaft. Am 6. März 2008 hatten die Parlamente des in Russland gelegenen Nord-Ossetiens und des in Georgien gelegenen Süd-Ossetiens in einer gemeinsamen Sitzung Russland gebeten, die Unabhängigkeit von Süd-Ossetien anzuerkennen.
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"Vor dem Hintergrund der einseitigen Anerkennung des Kosovo prüfen wir die Frage der Unabhängigkeit der drei Republiken Abchasien, Südossetien und Transnistrien", hatte der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für GUS-Fragen, Alexej Ostrowskij, dem Internet-Portal Newsru.com gegenüber erklärt und damit deutlich gemacht, dass eine Anerkennung dieser Republiken auf die einseitige Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo zurückgehe.

Im Falle eines bewaffneten Überfalls auf die nicht anerkannten Republiken Abchasien und Südossetien bzw. des Nato-Beitritts Georgiens "muss Russland alles für den Schutz der Bürger der Russischen Föderation unternehmen", die auf dem Territorium dieser Republiken leben. Das geht aus dem Entwurf einer Staatsduma-Erklärung "Über die Politik Russlands in Bezug auf Abchasien, Südossetien und Transnistrien" hervor.

Der Graben zwischen den um Unabhängigkeit kämpfenden Republiken Georgiens und der Zentralmacht in Tbilisi ist inzwischen so groß, dass die abchasischen Separatisten sogar ein sehr weitreichendes Autonomieangebot des georgischen Präsidenten Saakaschwili abgelehnt hatten. Im Rahmen dieses Autonomie-Planes hätte Georgien zugestanden, dass ein Abchase Vize-Präsident des Landes sein könne.
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Ende März hatte der amtierende OSZE-Vorsitzende, der finnische Außenminister Ilkka Kanerva, die zunehmende Gewalt im georgisch-ossetischen Konflikt angeprangert. Er reagierte damit auf eine Reihe von Bombenanschlägen, denen drei Menschen zum Opfer gefallen waren. Weitere fünf Personen entkamen den Anschlägen schwer verletzt. "Es ist dringend erforderlich, dass beide Seiten bedingungslos wieder in Gespräche treten und auf sämtliche Handlungen und Statements verzichten, die die Situation weiter destabilisieren könnten.", so der finnische Außenminister.
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Moldawien

1992 eskalierte der Konflikt mit Transnistrien zu einem Krieg, der erst nach Vermittlung Russlands beendet wurde. Seit 1994 bildet Transnistrien einen international nicht anerkannten Staat, welcher die moldauischen Gebiete östlich des Dnestr umfasst und in dem russische Armeeeinheiten stationiert sind.
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Zwar werden auch hier die Rufe in Moskau immer lauter, Transnistrien anzuerkennen. Trotzdem zeigt sich Moskau in diesem Fall nachgiebig. Schließlich wolle die Republik Moldau auch nicht in die NATO. Und am 11. März 2008 berichtet "Kommersant.ru", Russland sei bereit, auf eine Anerkennung Transnistriens zu verzichten, wenn die Republik Moldowa im Gegenzug von einer Mitgliedschaft in der NATO absehe.
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Abschließend ist zu empfehlen, dass das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen wieder mehr in den Vordergrund der Außenpolitik rücken muss. Dabei bedeutet ein Festhalten an bestehenden Grenzen noch nicht, dass man diese für gerecht hält. Auch die Konferenz Afrikanischer Staaten OAU hat in den 1960-er Jahren die kolonialistischen Grenzen übernommen, diese bis heute nicht korrigiert. In Afrika hat man gelernt: Grenzen, und seien sie auf noch so ungerechte Weise entstanden, ändern zu wollen, ist in den meisten Fällen nur mit Blutvergießen umzusetzen.

Hier sollte die deutsche Außenpolitik lernen und sich vor vorschnellen Anerkennungen einseitig ausgerufener unabhängiger Staaten hüten.



Anmerkungen



1ðhttp://de.wikipedia.org/wiki/Abchasien



2ððhttp://www.gazeta.ru/politics/2008/03/04_a_2657501.shtml



3ðhttp://www.rosbaltsouth.ru/2008/03/06/463235.html



4ðhttp://www.vz.ru/politics/2008/3/29/155771.html



5ðhttp://www.osce.org/item/30447.html



6ðhttp://de.wikipedia.org/wiki/Moldawien



7ðhttp://www.kommersant.ru/doc.aspx?DocsID=865338




Bernhard Clasen ist von Beruf Übersetzer und Dolmetscher für russisch, veröffentlicht regelmäßig in "taz","Publik-Forum" und "Friedensforum" zu Frieden, Ökologie & Menschenrechte in der ehemaligen UdSSR.

E-Mail: bernhard (at) clasen (Punkt) net

Website: www.clasen.net/ff
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