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 Bewegungen: Stärke durch Vielfalt?

Die historischen Etappen der Friedensbewegung

Andreas Buro

Die Herstellung und Sicherung von Frieden nach außen und innen ist ein Menschheitsanliegen aller Zeiten. In den gängigen historischen Darstellungen haben diese Bemühungen allerdings nur einen kleinen Stellenwert. Historische Vorläufer für die heutigen Friedensbewegungen stammen insbesondere aus der zweiten Hälfte des 19. und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Begriff des Pazifismus wird umgangssprachlich häufig sehr unspezifisch verwendet, und zwar auch für Zusammenhänge, die mit Pazifismus im eigentlichen Sinne wenig gemein haben. Zwei große sozialgeschichtliche Traditionslinien werden unterschieden: der bürgerliche Pazifismus und der Antimilitarismus der Arbeiterbewegung. In der Gegenwart verbindet sich der Begriff des Pazifismus mit dem der Gewaltfreiheit bei der Lösung von Konflikten. Pazifisten fordern deshalb grundsätzlich Abrüstung und nicht nur Maßnahmen der Rüstungskontrolle. Der Antimilitarismus schloss dagegen militärische und revolutionäre Gewalt zur Durchsetzung von Befreiung von Kolonialherrschaft und Unterdrückung nicht aus. Implizit bestand in dieser Tradition die Vorstellung, dass ein gerechter militärischer Kampf zur Erreichung von Frieden führen könne.

In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg konnte die Friedensbewegung erstmals für einige Jahre eine Massenanhängerschaft finden. "Nie wieder Krieg!", lautete ihre wichtigste Parole.

Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurde öffentliche Friedensarbeit weitgehend unterdrückt. Pazifistische und antimilitaristische Positionen wurden als antinational und als defätistisch gebrandmarkt, als seien sie Hochverrat am "deutschen Vaterland".



Der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung

Nach dem NATO-Beitritt der BRD 1954 endete die "Ohne-mich-Bewegung" gegen die Wiederaufrüstung. Sie hatte von 1949 bis 1955 anti-militaristische Argumente vertreten, und reichte vom konservativen, über den liberalen und religiösen Teil der Gesellschaft bis zur Linken. Der Bundesinnenminister berichtete 1952 von 175 Organisationen, Arbeitskreisen usw. Die Motivationsstrukturen waren äußerst heterogen und reichten vom gekränkten Nationalstolz, dem Wunsch nach einer neutralistischen Lösung bis zu anti-miltaristischen Positionen. Pazifistische Überzeugungen wurden vermutlich nur von einer recht kleinen Minderheit vertreten.

Diese Phase verläuft in vier Teilschritten: Der "Ohne-mich-Bewegung", der Volksbefragungsaktionen, der Neutralitätsbestrebungen und der Paulskirchen-Bewegung. Die dominierenden Akteure waren politische Parteien und große Organisationen wie der DGB und die Kirchen, unter deren Dach sich Aktionsgruppen organisierten. Davon unabhängige Akteure fanden sich vor allem unter der Thematik "Neutralitätsbestrebungen". Eigenständige Friedensgruppierungen waren in dieser Phase noch weit davon entfernt, die Auseinandersetzungen zu bestimmen.



Die Kampagne "Kampf dem Atomtod"

Der Protest gegen die Atomwaffen wurde in der zweiten Hälfte der 50er Jahre von SPD, Gewerkschaften, evangelischer Kirche und einzelnen Persönlichkeiten in der Kampagne "Kampf dem Atomtod" organisiert. Die großen Organisationen hatten dabei das Sagen. Diese Phase war fast von denselben Akteuren wie die vorhergehende bestimmt. Man konzentrierte sich auf die atomare Bedrohung und erreichte dort eine erhebliche Breite der Auseinandersetzung. Die Großorganisationen, allen voran die SPD, bestimmten weitgehend politisch, finanziell und organisatorisch die Kampagne. Allerdings gab es auch davon unabhängige Neutralitäts- und Friedensgruppen. 1959 machte die SPD mit ihrem auf dem Parteitag in Bad Godesberg beschlossenen Grundsatzprogramm einen großen Schwenk in Richtung auf eine sich zur Mitte öffnende Volkspartei, die zu einer großen Koalition bereit war. "Kampf dem Atomtod" passte nicht mehr in diese neue Strategie und wurde kurzerhand von SPD und DGB organisatorisch und finanziell abgewürgt.



Die Ostermarsch-Bewegung / Kampagne für Demokratie und Abrüstung

Pazifistische Gruppen in Norddeutschland veranstalteten 1960 den ersten Oster-Sternmarsch von Hamburg, Bremen, Hannover und Braunschweig zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne, woraus sich die bundesweite, unabhängige, außerparlamentarische Opposition entwickelte. Zunächst firmierte sie unter dem Namen "Ostermarsch der Atomwaffengegner gegen Atomwaffen in Ost und West" und nannte sich in den späten 1960er Jahren, damit einen sozialen Lernprozess anzeigend, "Kampagne für Demokratie und Abrüstung". Seit Mitte der 1960er Jahre spielte das Thema Vietnam bei den öffentlichen Protesten der Ostermarsch-Bewegung eine zunehmende Rolle. Es wurde von der Studentenbewegung verstärkt aufgegriffen und bis zum Abzug der USA aus Vietnam 1973 intensiv verfolgt.

1968 marschierten Ostblock-Staaten in die CSSR ein, was die Zusammenarbeit der heterogenen Teile der Kampagne außerordentlich belastete. Ende der 1960er Jahre war die Kampagne derart politisiert - auch die StudentInnenbewegung hatte dazu beigetragen - dass sie sich zugunsten vieler Reformprojekte in fast allen gesellschaftlichen Bereichen auflöste. Es war die Zeit der Entspannungspolitik während der Kanzlerschaft von Willy Brandt. Ökologische, soziale, entwicklungspolitische und frauenpolitische Probleme beschäftigten die Menschen damals mehr als die vermeintlich entschärfte Bedrohung durch Atomwaffen und Krieg. Die Friedensbewegung versank so nach Beendigung des Vietnam-Krieges in einen Dornröschen-Schlaf zugunsten anderer Aktivitäten. (Siehe auch den Beitrag des Autors im Friedensforum 1/2008.)



Die Kampagne gegen den NATO-Doppelbeschluss

In den 70er Jahren hatten sich an Reformen orientierte soziale Bewegungen und BürgerInnen-Initiativen gebildet, während das Friedensthema angesichts der neuen Ostpolitik und der damit verbundenen Hoffnungen weitgehend in den Hintergrund getreten war. Als jedoch 1979 die NATO ihren Doppelbeschluss zur Stationierung von Mittelstreckenraketen mit minimaler Vorwarnzeit fasste, änderte sich diese Situation schnell. Menschen aus den vielfältigen sozialen Bewegungen bildeten Friedensgruppen im ganzen Land, und es entstand die größte Friedensmobilisierung, die es bis dahin jemals in Deutschland gegeben hatte. Ziviler Ungehorsam und gewaltfreie Aktionsformen gewannen große Verbreitung. Es entwickelte sich in dieser Phase ferner eine intensive Diskussion über Alternativen und auch über militärische Defensivkonzepte, die zu einem Ende der Abschreckungspolitik und zu Abrüstung führen sollten. Gorbatschows Entspannungs- und Abrüstungspolitik läutete bis zum Ende der 1980er Jahre eine neue Ebbe der Friedensbewegung ein.



Das Ende des Ost-West-Konflikts

Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums veränderte die sicherheits- und friedenspolitische Landschaft auch für die Friedensbewegung grundlegend (Buro: 1997). Man war nicht mehr bedroht. Damit wurde neben dem Kampf für Abrüstung das zweite große Thema der Friedenbewegung auf die Tagesordnung gesetzt: Der Grundgedanke, dass Frieden in Europa nicht auf Waffen, sondern auf Verständigung über die Formen des Zusammenlebens im "Gemeinsamen Haus" gegründet sein müsse (Senghaas 1992). Dementsprechend gälte es, Aussöhnungsarbeit zwischen der Bundesrepublik oder besser deren Gesellschaft und den osteuropäischen und den ehemals sowjetischen Gesellschaften zu leisten. Die Bedingungen für eine gemeinsame gesamteuropäische, friedliche Zukunft waren zu entwickeln. In der schon 1987 begonnenen Diskussion ging es um die Begriffe und eine entsprechende Politik des "positiven Friedens" für Europa und einer "gesamteuropäischen Friedensordnung". Mit dieser Neuorientierung war die weit verbreitete Hoffnung verbunden, es träte nun eine Ära der gleichberechtigten Kooperation zwischen Ost und West ein, in der die erwartete Friedensdividende Frieden stiftend und Entwicklung fördernd eingesetzt werden würde.



Die Kriege am Golf (1991) und auf dem Balkan

Der Krieg am Golf 1991 und die Kriege im ehemaligen Jugoslawien richteten den Blick verstärkt auf Konflikte und Kriege in anderen Ländern. Die neue Ära nach dem Ost-West-Konflikt stellte auch in Bezug auf die Handlungsformen der Friedensbewegung ganz neue Anforderungen. Konnte angesichts des Golf-Krieges schwergewichtig noch mit Demonstrationen und Großveranstaltungen in Deutschland unter dem provokativen Motto "Kein Blut für Öl" reagiert werden, so war dies bei den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien nicht mehr möglich. Dort war Grenzen überschreitende Friedensarbeit gefordert, für die kaum Erfahrungen vorlagen. Zudem boten die traditionellen Strukturen der Friedensbewegung, sowie ihre finanzielle Ausstattung und ihre organisatorischen Kapazitäten hierfür nur geringe Voraussetzungen. Trotzdem wurde von der internationalen, wie auch der deutschen Friedenbewegung diese neue Herausforderung angenommen. Es wurde eine große und vielfältige Arbeit im Sinne des neu aufkommenden Begriffs der "Zivilen Konfliktbearbeitung" (ZKB) geleistet. Sie wurde durch die Medien jedoch kaum wahrgenommen, da diese noch immer auf die alten Demonstrationsformen fixiert waren.



Die interventionistische Orientierung der NATO-Staaten und Deutschlands

Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen weit bis zum 91er-Golf-Krieg und bis zur NATO-Osterweiterung zurück. Die USA stützten ihre Außenpolitik weitgehend auf ihre militärischen Potentiale. Rüstungskontrollpolitik wurde von ihnen zunehmend als lästige Beschränkung gewertet, die nicht nur durch die Aufkündigung des Anti-Ballistic-Missile-Vertrags beschädigt wurde. Die Militärorganisation NATO übernahm die Funktion einer interventionistischen "Ordnungsmacht" und die europäischen NATO-Staaten - mit ihnen Deutschland - ordneten sich diesem Modell kooperativ/kompetitiv zu. Diese Etappe ist für Deutschland durch die Beteiligung am NATO-Jugoslawien-Krieg 1999 gekennzeichnet, der ohne UN-Mandat geführt wurde.

Die EU versuchte zunehmend ein eigenständiges militärisches Interventionspotential aufzubauen und dazu auch die europäische Rüstungsindustrie zu konzentrieren. Um dies zu rechtfertigen und die Bevölkerung für diese Politik zu gewinnen, wurden Legitimationsideologien von der "humanitären, militärischen Intervention" und vom "gerechten Krieg" bemüht, die die Friedensbewegung als einen gefährlichen Kampf um Hirne und Herzen der Bevölkerung begriff. Sie arbeitete und kämpfte mindestens in drei Bereichen: der Kritik der militärgestützten Politik, der Entfaltung von Alternativen der zivilen Konfliktbearbeitung und Prävention und der Kritik der Legitimationsideologien.



Imperiale Kriege und Aufrüstung im Zeichen des Kampfes gegen Selbstmord-Terrorismus

Die letzte zu nennende Etappe ist noch nicht abgeschlossen. Obwohl es viele Vorläufer gab, begann sie im öffentlichen Bewusstsein mit dem Angriff von Selbstmordattentätern in gekaperten Zivilflugzeugen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. 9. 2001. Die USA erfuhren aus vielen Ländern Bekundungen großer Solidarität. Sie begannen einen Krieg gegen Afghanistan, um die dortigen Ausbildungslager und Strukturen für diesen Selbstmord-Terrorismus zu vernichten. An diesem Krieg und den folgenden Versuchen der staatlichen und gesellschaftlichen Konsolidierung beteiligten sich auch viele europäische Staaten, wenngleich die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats keine explizite Ermächtigung zum Angriff auf Afghanistan erteilten (Paech 2001). Die Bundesrepublik ist mit dem Einsatz von Militär und politischer wie wirtschaftlicher Unterstützung beteiligt.

Die Bush-Administration der USA erklärte den weltweiten Kampf gegen das Böse. Sie nahm für sich als einziger Miltärsupermacht das Recht in Anspruch, überall auf der Welt auch vorbeugend Krieg zu führen und sogar Atomwaffen gegen Staaten einzusetzen, die keine solchen Waffen besitzen. Internationales Recht und die Charta der Vereinten Nationen wurden dadurch schwer beschädigt. Für die riesige US-Aufrüstung wurden hemmende Rüstungskontrollverträge aufgegeben und strategische Militärstützpunkte in den wichtigsten Teilen der Welt gebaut.

Der Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak 2003 erfolgte ohne UN-Mandat und gegen den Willen vieler Staaten der EU und der anderer Kontinente. Er konnte nicht mehr als Kampf gegen Selbstmord-Terrorismus legitimiert werden. Die rot-grüne Regierung verweigerte jegliche direkte militärische Beteiligung.

Der erfolgreichen Kriegsführung in Afghanistan und Irak folgten enorme Schwierigkeiten in der Friedenssicherung. Die Kriegswarnungen der Friedensbewegung zeigten ihre volle Berechtigung. Viele Argumente der USA für den Irak-Krieg erwiesen sich als Fälschungen oder Lügen. Der immer wieder eskalierende israelisch-palästinensische Konflikt belastete die Situation in der Region schwer.

Die unilaterale Vorgehensweise und die hohe militärische Überlegenheit der USA verstärkten in der EU die Tendenz zur gemeinschaftlichen Aufrüstung. Die 2004 vom Rat der EU gebilligte, aber bislang nicht ratifizierte Verfassung sieht sogar eine Verpflichtung zur militärischen Aufrüstung vor, die sich eindeutig auf militärische Interventionen richten soll. Die Vereinheitlichung der europäischen Rüstungsindustrie ist ein weiteres Ziel. (Komitee für Grundrechte und Demokratie 2004)

Die Friedensbewegung wendete sich in dieser Etappe gegen den Afghanistan Feldzug, konnte dafür jedoch keine Massenmobilisierung erreichen. Eine Massenmobilisierung größten Ausmaßes gelang erst 2003 bei dem Angriffskrieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak. Die langen Verhandlungen im Sicherheitsrat der UN, die lügenhaften Begründungen für einen Angriffskrieg und vor allem, die Weigerung der Bundesregierung, Frankreichs und anderer EU-Staaten, sich militärisch an der Intervention zu beteiligen, erzeugten eine große Protestmotivation in der Bevölkerung. Dazu kam die enorme internationale Mobilisierung des Protestes in vielen Teilen der Welt. Die New York Times sprach von der gegen den Krieg mobilisierten öffentlichen Meinung als zweiter großer Weltmacht.

Jenseits der Irak-Problematik konzentrierte sich die Friedensbewegung auf die Kritik der EU-Aufrüstung und der EU-Verfassung, sowie auf die Alternative der zivilen Konfliktbearbeitung und der Kriegsprävention. Daneben wurden viele einzelne Themen bearbeitet und Kampagnen voran getrieben. Es entwickelte sich eine zunehmend dichtere Zusammenarbeit mit globalisierungskritischen Gruppen.



Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Artikel, den der Autor 2005 für das "Handbuch Soziale Bewegungen" verfasste.

Andreas Buro (1928), Dr. habil., ist Mitbegründer der deutschen Ostermarschbewegung/Kampagne für Demokratie und Abrüstung und deren langjähriger Sprecher, des Sozialistischen Büros und des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Er ist heute friedenspolitischer Sprecher des Komitees, Koordinator des Dialog-Kreises "Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden" und Koordinator des "Monitoring-Projekts: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention".



E-Mail: andreas (Punkt) buro (at) gmx (Punkt) de
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