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 No to NATO - No to War!

Nukleare Teilhabe der BRD und der Widerstand dagegen

Hans-Peter Richter

Deutschland ist keine atomwaffenfreie Zone: Im rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel in der Eifel (in der Nähe von Cochem/Mosel) halten die USA auch zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges in unterirdischen Bunkern noch rund 20 taktische Atombomben der Typen B-61-3 und B 61-4 einsatzbereit. Die Bomben haben eine variable Sprengkraft von 45 bis 170 Kilotonnen und damit die bis zu 13-fache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe. Die US-Luftwaffenbasis Ramstein und der Fliegerhorst Nörvenich sind dagegen inzwischen atomwaffenfrei.



Eingesetzt werden die Atombomben, wenn der amerikanische Präsident den Einsatz befiehlt und wenn auf einem gesonderten Befehlsweg der Freigabecode für die Sicherheitssysteme eingegangen ist. Die USA nehmen für sich das Recht in Anspruch, ihre auf dem alten Kontinent gelagerten Atomwaffen zur Unterstützung des für den Nahen und Mittleren Osten zuständigen regionalen Oberkommandos "Genicom" - außerhalb des Nato-Gebietes - einzusetzen. Fachleute schätzen, dass die USA in Europa über 450 Atombomben dieses Typs verfügen (siehe Grafik). Auf dem Fliegerhorst Büchel wacht eine kleine US-Spezialeinheit, etwa 50 Mann stark, über die atomaren Sprengköpfe. Diese würde auf Befehl aus Washington die Waffen scharfmachen und sie an die von deutschen Piloten geflogenen Tornado-Jets klinken, die die Bomben in die vorgegebenen Ziele fliegen müssten.

Dass für deutsche Jagdbomber des 33. Luftwaffengeschwaders nach wie vor Atombomben bereit gehalten werden, macht keinen Sinn, denn gegen wen könnten sie eingesetzt werden? Der Einsatzradius eines Tornados beträgt 1853 km. In diesem Gebiet gibt es nur befreundete oder NATO-Länder.

Die Bundesregierung hat immer wieder, zuletzt durch Regierungssprecher Kossendy am 25.6.2008, am Verbleib der Atomwaffen in Deutschland festgehalten. Wer den Abzug verlange, stelle einen "Kernbestand der Atlantischen Allianz in Frage", raube der Bundesrepublik das "Recht auf Mitsprache" und wolle "letztendlich die Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa dauerhaft schwächen" (DER SPIEGEL 27/2008).

Doch die Ausrede, wer in der nuklearen Planungsgruppe mitreden wolle, müsse "auch werfen können", sticht nicht. So hat das Verteidigungsministerium in einem Schreiben an den SPD-Abgeordneten Hans-Peter Bartels eingeräumt, dass "an nuklearen Planungsprozessen" des Bündnisses "alle NATO-Mitgliedsstaaten" teilnehmen - also auch jene, auf deren Boden keine US-Atombomben lagern. Kanada, Griechenland und die Türkei gaben die "nukleare Teilhabe" schon vor Jahren auf und können trotzdem gleichberechtigt mitreden.



Die Rechtsgrundlagen

Der NATO-Vertrag von 1949 regelt die Stationierung von Atomwaffen. Diese "nukleare Teilhabe" aber ist völkerrechtswidrig. Der Nichtverbreitungsvertrag, besser bekannt als Atomwaffensperrvertrag, verbietet gleich im Artikel 1, dass Staaten, die über Atomwaffen verfügen, die Kontrolle über diese Waffen an nichtnukleare Staaten wie Deutschland abgeben. Das gilt - so haben die Vertragsstaaten es festgelegt - zu jeder Zeit und unter allen Umständen, also auch im Krieg. Außerdem sind Atombomben nach den strengeren Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts geächtet. Danach sind Waffen geächtet, die unterschiedslos SoldatInnen und Unbeteiligte töten. Das humanitäre Kriegsvölkerrechts ist über Artikel 25 Grundgesetz in Deutschland geltendes Recht. Die USA hat sich dem aber nicht unterworfen!

Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat eine Neufassung der "Druckschrift Einsatz Nr. 03 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten" herausgebracht. In der Anweisung für SoldatInnen der Bundeswehr aus dem Juni 2008 heißt es auf Seite fünf ganz klar: "Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen Soldaten bzw. Soldatinnen in bewaffneten Konflikten verboten: Antipersonenminen, atomare Waffen, biologische Waffen und chemische Waffen".

Die Taschenkarte, eine Kurzfassung der Zentralen Dienstvorschrift 15/2, beschreibt die Rechtslage gemäß der von Deutschland ratifizierten völkerrechtlichen Verträge. Erstmals erklärt das Verteidigungsministerium ohne Wenn und Aber, dass Bundeswehr-SoldatInnen keine Nuklearwaffen einsetzen dürfen. Bislang gab es immer einen Vorbehalt, der eine Hintertür eröffnete: Beachtet werden sollten die völkerrechtlichen Regeln "soweit praktisch möglich". Dieser Vorbehalt ist nun entfallen.

Unklar ist, ob das Verteidigungsministerium nun auch seine Grundhaltung revidiert, um zu garantieren, dass das Völkerrecht ohne Einschränkung eingehalten wird. Bislang durften Bundeswehrpiloten nach Auffassung des Ministeriums im Rahmen eines NATO-Einsatzes Nuklearwaffen abwerfen.

Die Piloten stehen jetzt vor einem Dilemma. Sie üben im Frieden, was ihnen im Krieg verboten wäre: Den Einsatz atomarer Waffen. Dass sie es nicht dürfen, sagt mittlerweile auch ihr Dienstherr, das Verteidigungsministerium. Käme ein atomarer Einsatzbefehl der NATO, so müssten sie selbst entscheiden, ob sie diesem Folge leisten oder nicht. Was wäre schlimmer: Völkerrechtsbruch oder Befehlsverweigerung? Deshalb erregt sich der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei: "Die Bundesregierung wäscht vorab ihre Hände in völkerrechtlicher Unschuld und macht den Atomwaffeneinsatz im Krieg zum Privatproblem der Piloten".

Viele Friedensbewegte erhoffen sich vom neuen US-Präsidenten, dass die nukleare Teilhabe beendet wird. Doch das ist keineswegs sicher. Eine Expertengruppe hat im Auftrag des Pentagon und unter Leitung von James R. Schlesinger am 9.1.2009 ihren Bericht vorgelegt, in dem sie sich Gedanken über die US-Atomwaffen macht. Der englische Bericht steht online unter
http://www.defenselink.mil/pubs/pdfs/PhaseIIReportFinal.pdf. Der Schlüsselsatz lautet:

"Solange NATO-Mitglieder sich auf die Abschreckung durch US-Atomwaffen verlassen - und solange sie als Teil dieser Abschreckung ihre eigenen doppelt-nutzbaren [gemeint ist: mit Atomwaffen bestückbaren] Flugzeuge vorhalten - sollten ohne einen gründlichen und gezielten Beratungsprozess keine Maßnahmen zu ihrem Abzug ergriffen werden."



Wie lange wird die BRD atomwaffenfähige Flugzeuge bereithalten?

Viele Friedensbewegte erhofften, dass mit der Einführung des Eurofighters bis zum Jahre 2017 die nukleare Teilhabe beendet ist, weil der Eurofighter keine Abwurfvorrichtung für ungelenkte Bomben hat. Doch die Bundeswehr hat vorgesorgt. Im "Konzept für die Nutzung der Luft/Boden-Schießplätze in der Bundesrepublik Deutschland (L/BSchPl Konz 2008)" vom Führungsstab der Luftwaffe vom 28.8.2008 lesen wir es schwarz auf weiß: Die Bundeswehr will auch über 2017 hinaus 85 Tornados behalten. Allerdings werden nicht die Tornados in Büchel bleiben, sondern ECR-Tornados in Lechfeld, IDS-Tornados in Lechfeld, Kaufbeuren und Holloman (USA) und RECCE-Tornados in Jagel. ECR-Tornados und RECCE-Tornados sind mit besonderer Technik zur Luftaufklärung ausgestattet, ECR-Tornados hatten im Jugoslawienkrieg die Rolle, mit computergelenkten HARM-Raketen die jugoslawische Luftabwehr auszuschalten. Diese speziell ausgestatteten Tornados können aber genau wie die einfacheren IDS-Tornados mit ungelenkter Munition und damit auch mit Atombomben bestückt werden. Auf Seite 9 des vorliegenden Konzepts heißt es: "Alle Luftfahrzeugbesatzungen (LFB) TORNADO sind zum Einsatz ungelenkter Abwurfmunition gem. ACO FORCES STANDARDS Volume VI (SHAPE Tactical Evaluation Manual- TACEVAL (AIR) ) zu befähigen." Allerdings liegen sowohl Jagel (Schleswig-Holstein), Kaufbeuren (Bayern) und Lechfeld (Bayern) weit weg sowohl von Büchel, wo derzeit die Atombomben liegen, als auch von Ramstein, wo Kapazitäten für ihre Lagerung vorhanden wären.

Wie die Bundeswehr das organisieren will, ist unklar. Dass sie die nukleare Teilhabe fortsetzen will, steht dagegen außer Frage. Dazu heißt es auf Seite 10 des Konzeptes: "Der Bedarf an Einsätzen im Rahmen der Nuklearen Teilhabe leitet sich aus den ACO FORCES STANDARDS Volume VI ab." Dabei handelt es sich um das "SHAPE Tactical Evaluation Manual (TACEVAL (AIR)", das zur Ausbildung von NATO-Luftwaffenoffizieren benutzt wird. Damit ist das Verfahren der Luftwaffe bei der Umsetzung der "nukleare Teilhabe" geregelt.

Für den Abwurf der taktischen Atombomben vom Typ B-61 ist eine besondere Flugfigur zu üben, die die Gefährdung für das eigene Flugzeug ausschließen soll, der Schulterwurf, oder auch LOFT-Verfahren genannt. Das LOFT-Verfahren wurde bisher in Siegenburg (Bayern) und Nordhorn (Niedersachsen) und in den USA geübt. Bekäme man den Luft/Boden Schießplatz Wittstock in der Kyritz-Ruppiner-Heide (Brandenburg), würde es dort geübt werden. Seit 16 Jahren konnten die Bürgerinitiativen vor Ort die Inbetriebnahme dieses Schießplatzes verhindern. Seit Jahren gibt es dort die größten Ostermärsche. Am 1.1.2009 fand dort gerade die 111. Protestwanderung der Bürgerinitiative FREIen HEIDe statt.



Der Widerstand gegen die Atombomben

Die Geschichte des Widerstandes gegen die Atombomben beginnt spätestens mit dem Abwurf der ersten Atombomben in Hiroshima und Nagasaki am 6.8.1945 bzw. 9.8.1945. In den 50-er-Jahren begann deshalb die Ostermarsch-Bewegung, zunächst in Großbritannien und dann auch bei uns. Sie dauert bis heute an. Besonders stark wurde der Widerstand, als nach dem NATO-Doppelbeschluss vom 12.12.1979 die Stationierung von Atomraketen des Typs Pershing II und der Cruise Missiles 1983 begann. Als aber diese Atomraketen 1987 abgezogen wurden und dann auch noch 1989 die Berliner Mauer fiel, ging der Widerstand gegen die Atombomben in Deutschland rapide zurück. Viele vergaßen, dass immer noch Atombomben in der BRD stationiert waren.

Es gab unzählige Initiativen gegen die Atomwaffen. Diese Geschichte hier zu schildern, würde meinen Beitrag sprengen. Deshalb will ich mich auf den aktuellen Widerstand beschränken. Seit 1999 gibt es das internationale Netzwerk zur Abschaffung der Atomwaffen (abolition caucus), das eine sehr fundierte Arbeit macht. Im oben erwähnten Atomwaffensperrvertrag sind Überprüfungskonferenzen vorgesehen. Die nächste findet 2010 bei der UNO in New York statt. Viele Organisationen bereiten sich darauf vor, insbesondere die Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges (IPPNW), die International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und das International Network of Engineers And Scientists Against Proliferation (INESAP).



Mayors for Peace

Im Jahre 1982 riefen die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki die Bürgermeister der Welt auf, sich zu einem Städtebündnis zur Abschaffung aller Atombomben zu vereinigen. Sie hatten sich zu diesem Schritt entschlossen, nachdem es auf staatlicher Ebene zu keiner atomaren Abrüstung gekommen war. Seit 2003 nennt sich dieses Bündnis "Mayors for Peace". Am 1.12.2008 waren 2.536 Städte aus 133 Ländern Mitglied. Ziel ist es, bis 2010 eine Atomwaffenkonvention zu vereinbaren und dann bis 2020 atomwaffenfrei zu werden.



Aktionen zivilen Ungehorsams

Schon viele Jahre lang finden Aktionen gegen das Atomwaffenlager und den Fliegerhorst in Büchel statt. Das Jahr 2008 sah eine der größten Aktionen dieser Art. Neben einem Aktionscamp und einer Demonstration, einer großen Kundgebung (mit Nina-Hagen-Konzert) fanden auch Aktionen zivilen Ungehorsam statt. Wie auch in den Jahren zuvor überwanden AktivistInnen den Zaun und drangen direkt auf den "Fliegerhorst" vor. Sie ließen sich festnehmen. Ihrer Überzeugung nach ist diese Ordnungswidrigkeit gering gegen den Verstoß gegen das Völkerrecht (vgl. zu der Aktion: FriedensForum 5/2008, Seite 5ff).

Auch 2009 wird es im August wieder ein Aktionscamp in Büchel geben.



Kampagne "Unsere Zukunft atomwaffenfrei"

In dieser Kampagne, die aus dem Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen" hervorgegangen ist, haben sich rund 50 Organisationen zusammengeschlossen, um endlich die Atomwaffen aus Deutschland (und möglichst weltweit) zu vertreiben. In der Kampagne wird die Lobbyarbeit mit Parlamentariern und die praktische Arbeit der Friedensgruppen koordiniert. (siehe
http://www.atomwaffenfrei.de)

Wir können nur hoffen, dass die Regierung Obama über das Thema anders denkt als das oben erwähnte Expertengremium des Pentagon. Der Kampf gegen die Atombomben ist noch lange nicht beendet; dazu braucht es unser aller Aktivitäten und Aktionen!



Hans-Peter Richter ist im Vorstand des Deutschen Friedensrates, Mitglied des Kampagnenrates "unsere Zukunft atomwaffenfrei", aktiv in der Sichelschmiede - Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner-Heide, im Netzwerk gegen Militärstandorte und deren Auswirkungen (NEMA) und im weltweiten Netzwerk gegen fremde Militärstützpunkte.



E-Mail: a-hpr (at) t-online (Punkt) de

Website: www.djf-ev.de
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