FF2009-3


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 Initiativen

Erfahrungen am Aktionstag in Strasbourg und Thesen zur Weiterarbeit

Pacefahne oder Hasskappe - wir müssen uns entscheiden!

Renate Wanie

Anfang April feierte die NATO ihren 60. Geburtstag in Strasbourg. Das sind 60 Jahre zu viel. Und Anlass genug, gewaltfrei Widerstand zu leisten und das Jahrestreffen der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden nach Strasbourg zu verlegen. Über mehrere Monate haben WerkstattmitarbeiterInnen in verschiedenen Vorbereitungsgremien mitgewirkt, als KoordinatorIn von NATO-ZU und als TrainerInnen für die gewaltfreie Blockade mitgearbeitet. Ein Bericht mit anschließenden Thesen.

Bis Mitternacht hatten wir unbehelligt getagt und uns auf den kommenden Großaktionstag vorbereitet - östlich von Strasbourgs Altstadt und in direkter Nachbarschaft von französischer Polizeibereitschaft. Wir, das waren etwa 30 AktivistInnen aus der Werkstatt für Gewaltfreien Aktion, Baden. Der nächste Tag versprach aufregend zu werden. Sehr früh am Morgen packten wir unsere Rucksäcke, um zu dem nahe gelegenen Blockadepunkt an der Kreuzung der Avenue Pierre MendŠs France zu fahren. Die ganze Nacht über hatten Helikopter über uns gedröhnt, pausenlos waren Polizeisirenen in der Ferne zu hören. Wie würden die Blockaden ablaufen, wann würde die Demo wirklich beginnen? Was war bisher im Camp gelaufen? Wie hat sich die französische Polizei aufgestellt?

Wie immer waren die Informationen bei solchen Aktionen bruchstückhaft. Das änderte sich erst als zwei VertreterInnen der Werkstatt aus dem Camp zu uns stießen und uns von den intensiven Vorbereitungen aus dem Camp berichteten. Bezugsgruppenbildung, mehrsprachige Blockadetrainings, Konsensrunden, Diskussionen über Gewaltfreiheit und Zivilen Ungehorsam und immer wieder die Frage: Wie kommen wir ungestört an die Blockadeorte? Für den kommenden Tag war für unsere Gruppe klar, dass ein Teil sich an den Blockaden und alle an der Großdemonstration beteiligen würden und ein weiterer Teil autonome Aktionen, wie z.B. ein Die-In, durchführen würde und soweit wie möglich in die Innenstadt gelangen wollte. Die Stimmung am Morgen war angespannt, als wir uns teilten und in Autos zum vereinbarten Blockadepunkt von NATO-ZU, einem Bündnis gewaltfreier Gruppen, im Norden von Strasbourg fuhren.



Die Blockaden

Dort wurden wir freundlich begrüßt und nach und nach kamen immer mehr TeilnehmerInnen hinzu. Im Verlauf des Vormittags nahmen zwischen 200 und 250 überwiegend junge Menschen aus mehreren Ländern an der Aktion teil. Alles war in Bezugsgruppen organisiert, SprecherInnen versuchten, wenn auch ohne Erfolg, Kontakt mit der 200 m entfernten französischen Polizei aufzunehmen, die Kontakte zu der anwesenden Presse liefen koordiniert, BeobachterInnen waren eingesetzt. SprecherInnenräte wurden durchgeführt, wenn eigene Aktivitäten oder Informationen der anderen Blockaden im Bündnis von Block-NATO zu diskutieren waren. Die sorgfältige Vorbereitung der Blockade war nicht zu verkennen. Drei Blockadepunkte, strategisch positioniert und abgesprochen, wurden zur gleichen Zeit eingerichtet, sie trugen dazu bei, dass mit dem Auto anreisende Gipfelteilnehmer und -zulieferer Schwierigkeiten hatten, zum Tagungsort zu gelangen. Strasbourg war in eine schwer bewaffnete Festung verwandelt und militärisch abgeriegelt. Sind in dieser Belagerungssituation Blockaden überhaupt sinnvoll? Und welche Öffentlichkeit erreichen dann die Demonstrierenden mit ihrer Kritik an der NATO-Politik?

Offen war, wie lange unsere Blockaden von der französischen Polizei geduldet werden würden. In einem der seltenen Gespräche mit einem Polizeisprecher erfuhren wir von den Anweisungen Sarkozys, jegliche Demonstrationen mit allen Mitteln zu verhindern. Die Tage zuvor fanden auf dem Camp im Süden von Strasbourg immer wieder gewaltvolle Ausschreitungen statt und die Polizei ging mit großer Härte gegen Barrikadenbauer vor. Ein Bild der Zerstörung bot sich in diesem Stadtteil: zerschlagene Bushaltestellen und Reste von verkohlten Barrikaden zeugten von einer Vielzahl von Auseinandersetzungen. Viele der CampteilnehmerInnen hatten sich schon nachts aufgemacht, um in die Nähe der Blockadepunkte zu kommen und einer möglichen Umzingelung oder Räumung des Camps zuvor zu kommen.

Die Blockaden von Block-NATO (mit NATO-ZU) konnten alle bis 12 Uhr durchgehalten werden. Insgesamt haben rund 1000 Menschen teilgenommen. Zwei Blockaden von Block-NATO wurden anfänglich ohne Vorwarnung massiv mit Tränengas angegriffen, anschließend aber von den TeilnehmerInnen unbeirrt fortgesetzt und dann weitgehend von der Polizei in Ruhe gelassen. Es zeigte sich, dass es in solch einer eskalierten Situation möglich war, gewaltfrei zu blockieren und den Gipfel mit Aktionen Zivilen Ungehorsams zu stören.



Die Demonstration

Nach der Aufhebung der Blockaden galt die Devise, sich in kleinen Gruppen in Richtung Demonstration und Kundgebungsplatz zu bewegen - vorbei an strategisch wichtigen Brücken, abgesperrt von martialisch aussehenden Polizisten (CRS),bewaffnet mit Tränengaspatronen und Wasserwerfern. Auf der deutschen Seite, so wurde unterwegs berichtet, waren der Sonderzug aus NRW und über 60 Busse in Kehl eingetroffen. Der Kundgebungsplatz war nicht gerade der Demonstrationsort unserer Wahl. Nach langem Ringen um das Recht, in der Innenstadt zu demonstrieren, hatte die Präfektur den französischen und deutschen OrganisatorInnen einzig diesen Platz zugewiesen - abgelegen auf eine Insel verbannt, zwischen Rhein und einem Schifffahrtskanal am Rande der Stadt in einem Hafenviertel - weit weg von der Innenstadt Strasbourgs, ohne Öffentlichkeit, mit nur zwei Zugängen und wenig Schatten.

Nahe beim Kundgebungsplatz schlug die Stimmung zunehmend in Spannung und Aggression um. Immer mehr schwarz Vermummte tauchten auf, immer radikalere Parolen, immer aggressivere Stimmung lag in der Luft. Während sich die Menschen auf dem großen Platz vor der Bühne sammelten, stieg die erste schwarze Rauchwolke auf. Das Zollhäuschen brannte, bald auch das fast leer stehende Ibis-Hotel und weitere Gebäude in der Nähe des Kundgebungsplatzes. Tränengasschwaden wehten auf den Platz. Die demonstrierenden Menschen fühlten sich wie in einer Falle und entschieden rasch, die Kundgebung zu verlassen, um nicht in einen Polizeikessel zu geraten. Wo blieb die warnende Ansage der Demoleitung? Wo waren OrdnerInnen, die möglicherweise hätten informieren können?

Plötzlich formierte sich ein Demozug auf der einzigen freien Straße entlang des Kanals. Steine sammelnde, sich anonym vermummende Gruppen, aggressive Musik und eine aufgeladene Stimmung machte sich breit. Wieder war das Knallen von Gasgranaten zu hören, schwarzer Rauch stieg immer dichter werdend von den zahlreicher werdenden Brandherden auf. Polizei-Provokateure oder/und KämpferInnen des Schwarzen Blocks? Lange, sehr lange war keine Feuerwehr zu sehen. Niemand löschte, niemand versuchte zu deeskalieren, ganz im Gegenteil: Die Kundgebung auf französischer Seite war längst aufgelöst, die etwa 15.000 DemonstrantInnen auf deutscher Seite saßen in Kehl fest (mit ihnen die über hundert OrdnerInnen). Die deutsche Polizei versperrte den Weg über die Europabrücke - als "Antikonflikt-Team" geschult versteht sich. Auf der französischen Seite hingegen suchten die einen die Konfrontation mit der Polizei, die anderen suchten möglichst weit weg von der unkalkulierbaren Randale zu kommen.

So hatten wir uns den Tag nicht vorgestellt. Monatelange gemeinsame Vorbereitungen und Absprachen, inhaltliche Diskussionen, Verhandlungen mit Behörden und Polizei in beiden Ländern, strategische Planungen für den Zivilen Ungehorsam, aufwändige Vorbereitung des internationalen Aktionscamps unter schwierigen Bedingungen und ein hochrangig besetzter internationaler Kongress zu inhaltlichen Positionierung der Friedensbewegung. All dies löste sich nun auf im Rauch der Brände und der Tränengasgranaten, unter Gummigeschossen und Steinwürfen. Die Medien hatten ihre Bilder und Sarkozy hatte sich mit eiserner Faust weitestgehend durchgesetzt, die Demonstranten/innen vom NATO-Gipfel fernzuhalten. Mit den inhaltlichen Anliegen der Friedensbewegung musste sich angesichts der Rauchsäulen niemand mehr befassen. Sie verschwanden von der (Medien-)Bildfläche.



Neun Thesen für die Weiterarbeit nach Strasbourg



1.Die Zeit der Formelkompromisse ist nach Strasbourg vorbei. Die Friedensbewegung ist gewaltfrei oder sie ist nicht. Ziviler Ungehorsam ist eine gewaltfreie Strategie und kein Slogan, hinter dem sich Randalierer verbergen können.



2.Randale ist keine Politik, Randale ist Randale. Gesellschaftliche Veränderungen in Richtung Emanzipation und Freiheit werden in hochentwickelten Gesellschaften nicht über Gewalteskalationen herbeigeführt



3.Gewaltfreiheit greift den staatlichen Gegner nicht dort an, wo er am stärksten ist: beim Monopol der Gewalt. Sondern dort, wo er am schwächsten ist: bei der Legitimation seiner kriegerischen Aktivitäten.



4.Gewaltrituale wie in Strasbourg seitens der Polizei und seitens der Randalierer sind Ausdruck eines männlich-chauvinistischen Handelns. Die Friedens- und Antikriegsbewegung muss diese patriarchal-militaristischen Handlungen überwinden und offen kritisieren.



5.Die Kritik an Randalierern aus Demonstrationen heraus spaltet die FB nicht. Steine werfen spaltet die Friedens- und Antikriegsbewegung. Wer Gewalt zulässt, zerstört die Glaubwürdigkeit der Bewegung und erleichtert Provokateuren der Polizei ihr friedloses Handwerk zu betreiben.



6.Die Friedensbewegung wird nicht erfolgreich durch Gewalt, sondern durch kreative und beharrliche Kritik an Gewalt und Gewaltorganisationen wie der NATO.



7.Heiligendamm hat neue gewaltfreie Aktionsformen auf der grünen Wiese hervorgebracht. Nach Strasbourg ist über neue kreative gewaltfreie Aktionsformen innerhalb von Städten nachzudenken, die auch über Blockaden hinausgehen.



8.Gewaltfreie Aktionen wie auch Großdemonstrationen brauchen Vorbereitung. Dort, wo gewaltfreie Aktionen vorbereitet wurden, wie z.B. für "Heiligendamm" oder im Bündnis NATO-ZU für Strasbourg, haben sie funktioniert und zu Teilerfolgen beigetragen. Wir brauchen mehr und verbindlichere Vorbereitungen.



9.Mobilisierungen für große internationale Events zeigen ihren Erfolg immer auch darin, Menschen für den Montag danach zu gewinnen. Die Qualität von großen Events bemisst sich darin, wie viel mehr Menschen in den nächsten Monaten aktiv werden. Hier war Strasbourg ein Rückschlag.




Fünf Ziele zur strategisch-politischen Weiterarbeit

"Der Protest gegen die NATO ist legitim, gerechtfertigt und notwendig. Er muss ausgeweitet und fortgesetzt werden - national und international." So Reiner Braun und Monty Schädel in einem Papier kurz nach Strasbourg. Doch wie wollen wir politisch und strategisch weiterarbeiten? Die Friedensbewegung will Einfluss nehmen, in Prozesse eingreifen. Ihr Handeln ist auf Veränderung ausgerichtet.

Fünf Ziele sollten die Weiterarbeit "nach Strasbourg" zur Überwindung der NATO bestimmen: die
Delegitimierung von militärischer Gewalt als Mittel der Politik, die Behinderung bzw. Beeinflussung aktueller militär-politischer Entscheidungen (z.B. weiterer Truppenentsendungen nach Afghanistan), Aufklärung über die Kriegspolitik der NATO und den Mythos des Verteidigungsbündnisses, Blockierung von Rüstungsprojekten und -exporten und Eintreten für zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) durch systematische Öffentlichkeitsarbeit und den Aufbau von Strukturen für ZKB. Forderungen wie "Schluss mit ..." oder "Raus aus ..." reichen nicht aus, um politische Alternativen zur militärgestützten Politik zu vermitteln. Die ZKB ist für die Friedensbewegung ein zentrales Paradigma mit einer langfristigen Handlungsperspektive.





Renate Wanie ist hauptamtliche Mitarbeiterin in der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden (Büro Heidelberg) und Mitwirkende in der Kooperation für den Frieden.
Die Werkstatt bietet u.a. Aktionstrainings an.


E-Mail: buero (Punkt) heidelberg (at) wfga (Punkt) de
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