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 Initiativen

Nach Strasbourg: Zum Umgang mit der Gewalt in den eigenen Reihen

Andreas Speck

"Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution ", schrieb Bart de Ligt bereits 1936 in "The Conquest of Violence". Folgt man dem, gab es in Strasbourg trotz aller Revolutionsromantik aus bestimmten Kreisen sehr wenig Revolution. Ich stelle dies vorweg, um klar zu machen, dass es hier um eine Kritik aus revolutionärer Perspektive geht, und nicht um eine grün- oder Linkspartei staatsreformistische, das staatliche Gewaltmonopol bejahende Kritik an Gewalt.

Es ist klar, dass es in Strasbourg massiv auch nicht-provozierte Gewalt von Seiten der Polizei gab: so wurde Tränengas auch ohne jede Vorwarnung gegen friedliche DemonstrantInnen eingesetzt, z. B. auch bei einigen der Blockaden von Block-NATO. Es ist auch klar, dass zahlreiche ProvokateurInnen im Einsatz waren. Es gibt mindestens zwei unabhängige Beobachtungen, die bezeugen, dass als "schwarzer Block" verkleidete Personen in Polizeiwannen saßen. Es ist ebenso klar, dass es im Zusammenhang mit dem Abbrennen des Ibis-Hotels und anderer Gebäude noch zahlreiche offene Fragen gibt. Doch trotz alledem ist unbestreitbar: Es gab in Strasbourg ein Problem mit Gewalt von Seiten der Bewegung, ein Problem, mit dem als Bewegung konstruktiv umzugehen ist. Und dies gilt nicht nur für den 4. April.



Problematische Aktions- und Umgangsformen im Camp

Als NATO-ZU - eine Koalition gewaltfreier Gruppen mit dem Ziel, den NATO-Gipfel gewaltfrei zu blockieren, die von der War Resisters` International mit initiiert wurde - hatten wir im Camp in der Rue de la Ganzau im Süden Strasbourgs unsere Basis. Das Camp selbst war von einer Koalition deutscher und französischer Gruppen organisiert worden, mit dem Ziel, eine gemeinsame Infrastruktur für Aktionen während des NATO-Gipfels bereitzustellen1. So weit, so gut. Problematisch waren jedoch einige der Aktionen, die vom Camp ausgingen, und der Umgang mit den Folgen dieser Aktionen im Camp. Ein Beispiel:

Am Freitag, den 3. April, kam es auf der Rue de la Ganzau zu einer Eskalation mit der Polizei, nachdem eine Gruppe der Clownarmee von der Polizei zur Personalienfeststellung länger festgehalten worden war. Es wurden auf der Rue de la Ganzau Barrikaden errichtet, und die erste Barrikade wurde angezündet. Versuche einzelner Clowns, von NATO-ZU und anderer Personen, die Menschen zur Rückkehr ins Camp zu bewegen, scheiterten. In diesem Falle kam es nicht zu einer weiteren Eskalation, da die Polizei daran kein Interesse hatte.

Problematisch war in diesem und anderen Fällen, dass hier von wenigen Menschen den CampteilnehmerInnen quasi eine militante "Verteidigung" des Camps aufgezwungen wurde. Auch jenseits der Grundsatzfrage der Gewalt war eine Auseinandersetzung darüber, ob diese Militanz zu dieser Zeit an diesem Ort taktisch Sinn machen würde, quasi nicht möglich. Ebenso problematisch war aber auch, dass großen Teilen des Camps dies egal zu sein schien, und die Menschen weiter in Ruhe beim Essen saßen, während die Situation um das Camp herum eskalierte. Nur wenige nahmen Verantwortung wahr für das, was im Camp und um das Camp herum geschah. Während nur wenige sich an der Eskalation selbst beteiligten, wurde diese aber oft durch die Anwesenheit Anderer, die faktisch eine stillte Unterstützung darstellte, unterstützt.



Gewalt als Folge struktureller Gewalt?

Ein häufiges Begründungsmuster für die Anwendung von Gewalt ist, dass strukturelle Gewalt in unserer Gesellschaft Gewalt quasi erzwingt. Es ist sicher richtig, dass Gewalt oft die ohnmächtige Antwort auf strukturelle Gewalt in unserer Gesellschaft darstellt. Die Gewalt in benachteiligten Stadtteilen ist dabei nur ein Beispiel. Die polizeiliche Antwort auf diese durch soziale Probleme produzierte Gewalt ist dabei Teil des Problems, und führt nur zu einer Eskalation der Gewalt, die sich dann auch zu anderen Anlässen entladen kann. Mit der Verschärfung der Krise des Kapitalismus wird sich dieses Problem in Zukunft eher verschärfen - auch bei Demonstrationen.

Im Zusammenhang mit den Ereignissen in Strasbourg sehe ich drei miteinander verbundene und sich gegenseitig verstärkende Problembereiche:



eine Strategie autonomer Gruppen, die auf Anonymität und auch auf militante Auseinandersetzungen setzt. Dabei werden andere AktivistInnen ungefragt und ungewollt als Schutz und Unterstützung bietende Masse genutzt;



die Gewalt der Vorstädte, die sich mit Aktionen autonomer Gruppen vermischen kann, aber wenig politisches Ziel oder Taktik beinhaltet;



der Einsatz von ProvokateurInnen durch die Staatsorgane, begünstigt durch die Anonymität und die oben beschriebene Gemengelage.


Unabhängig davon, wer denn nun im Detail für was verantwortlich war, drängt dies soziale Bewegungen - im Falle von Strasbourg die Antikriegs- und Friedensbewegung - in eine militante Auseinandersetzung mit der Polizei, eine Auseinandersetzung, die sie nur verlieren kann. Dabei geht es mir nicht um die von Wolfgang Kraushaar so bezeichnete "Militanzfalle", sondern um eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit Gewalt.



Gegen die Logik der revolutionären Gewalt

"Wir sprechen allen revolutionären Gewalthandlungen jede sittliche, sozialistische Würde entschieden ab. Die Gewalt, immer Attentat gegen den Menschen, steht im schärfsten Widerspruch zum Geist des sozialistischen Ideals. (...) Es liegt für die Gewalt auch darin keine Rechtfertigung, dass sie im Namen der Interessen und Leiden der Mehrheit der arbeitenden und bedrückten Menschheit angewandt wird," diese Äußerung des russischen Sozialrevolutionärs Isaak Steinberg (Gewalt und Terror in der Revolution. Berlin, 1931) ist auch für die Auseinandersetzung nach Strasbourg relevant.

Jede Bewertung politischer Aktionen und der angewendeten Mittel muss ihre Maßstäbe aus dem angestrebten Ziel nicht nur der einzelnen konkreten Aktion, sondern der politischen Utopie entwickeln - so sie denn vorhanden ist. Alles andere führt zu einer Beliebigkeit der Mittel, zu der Leerformel "Der Zweck heiligt die Mittel", mit der in der Geschichte von allen Seiten noch jede Grausamkeit gerechtfertigt wurde.

Auch wenn "wir ... weit davon entfernt [sind], aus der Gewaltfreiheit wieder ein Dogma zu machen" (Clara Wichmann), so kann es doch auch nicht darum gehen, Differenzen in der linken und revolutionären Bewegung zuzukleistern und durch Aussparung der Gewaltdiskussion letztendlich einem "Alles ist möglich" das Wort zu reden. Auch die "Toleranz der Aktionsformen" hat ihre Grenzen, und die sind nicht erst da erreicht, wo Menschenleben bedroht werden, sondern da, wo durch die Militanz einiger die gesamte Bewegung in eine aus meiner Sicht falsche militante Auseinandersetzung gedrängt wird.



Konsequenzen

Es ist zu hoffen, dass die Ereignisse von Strasbourg auch in der autonomen Szene zu einer Reflexion über Aktions- und Organisationsformen führen. Auch wenn ich schon jetzt den Spaltungsvorwurf höre, so gibt es für mich klare Bedingungen für eine zukünftige Zusammenarbeit. Und dem Spaltungsvorwurf entgegne ich, dass hier faktisch der spaltet, der Menschen und Gruppen durch die Nichtbeachtung ihrer Aktionsformen und -grenzen aus der Bewegung drängt. Es gab nach dem Samstag bei vielen TeilnehmerInnen an gewaltfreien Aktionen das Gefühl, sich in Zukunft lieber in einem eigenen Camp zu organisieren - und dies ist keine Spaltung, sondern eine Konsequenz der Eskalation um das Camp in der Rue de la Ganzau.

Folgende Bedingungen kann ich mir für eine zukünftige Zusammenarbeit vorstellen:



eine Selbstkritik aus autonomen Reihen zu den Ereignissen in Strasbourg;



klare Absprachen zu einem eventuellem gemeinsamen Camp, und zum Umgang mit Eskalationen und der Polizei, sowie die Bereitschaft, diese Absprachen auch gegenüber nicht an den Absprachen beteiligten Gruppen und Einzelpersonen mit durchzusetzen;



klare Absprachen, Demonstrationen nicht für eine Auseinandersetzung mit der Polizei zu nutzen.


Diese Liste ist mit Sicherheit nicht vollständig.

Unabhängig davon stellt sich aber auch für die OrganisatorInnen großer Demonstrationen die Frage, wie in Zukunft eine Eskalation vermieden werden kann. Es ist klar, dass es dabei nicht um eine Zusammenarbeit mit der Polizei gehen kann, oder um einen eigenen "Sicherheitsdienst". Das Demonstrationen inhärente Problem ist jedoch, dass sie als unorganisierte Masse in der Regel nicht handlungsfähig sind. Es wäre daher vielleicht über trainierte Bezugsgruppen nachzudenken, die schnell deeskalierend eingreifen können, ohne Menschen auszugrenzen oder gar der Polizei auszuliefern.

Für mich bleiben nach Strasbourg für die zukünftige spektrenübergreifende Arbeit in sozialen Bewegungen noch viele Fragen offen. Ich denke, dass sich viele der Probleme, die in Strasbourg auftraten, in Zukunft eher verschärfen werden. Eine konstruktive Debatte darüber ist dringend notwendig.





Andreas Speck ist Koordinator bei den War Resisters` International in London. Dies ist eine gekürzte Fassung eines Artikels, der in der Graswurzelrevolution Nr. 339, Mai 2009, erschienen ist.

E-Mail: mail (at) andreasspeck (Punkt) info

Website: www.andreasspeck.info
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