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 Kolonien im 21. Jahrhundert

"Sonderfall" Kosovo?

Howard Clark

Kosovos Schicksal scheint es, ein "Sonderfall" zu sein. Selbst seine Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 machte seine Anerkennung eher zu einem Sonderfall als zu einem Präzedenzfall. Mit einem Territorium kleiner als Schleswig-Holstein und einer Bevölkerung von rund 2 Millionen, wurde Kosovo der erste casus belli der NATO und ist seitdem der Welt pro Kopf gerechnete teuerste "Friedensoperation".

Vor einem Jahr erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit, aber - trotz der Anerkennung durch 60 Länder - bleibt er unter "internationaler Aufsicht". Der wichtigste zivile Aufpasser ist die Europäische Union - die einen Speziellen Repräsentanten sowie eine `Rule of Law` Mission (EULEX) hat, deren Rolle es ist, sicherzustellen, dass das Land, besonders in Bezug auf Fairness gegenüber den ethnischen Minderheiten, korrekt verwaltet wird. UNMIK wurde heruntergeschraubt und besteht praktisch nur aus dem Speziellen Repräsentanten des UN-Generalsekretärs, während KFOR mit 14.000 internationalen Truppen weiter an Ort und Stelle bleibt.

Die Regierung Serbiens hat den Internationalen Gerichtshof angerufen, um eine Stellungnahme zu der Legitimität von Kosovos Unabhängigkeitserklärung zu erhalten, und sowohl Serbien wie Kosovo haben ihre Positionen dargelegt. Eine Entscheidung wird kommendes Jahr erwartet.

Viele Menschen in den Friedensbewegungen der NATO-Länder haben die außergewöhnliche Behandlung des Kosovo bemerkt, sehen die Rolle der Militärintervention in den Kosovo bei der Legitimierung der nachfolgenden interventionistischen NATO- (und EU-) Strategien, und kommentieren den Bau von Camp Bondsteel im Kosovo, der ersten einer neuen Generation von US-Basen in Europa. Das reicht, um einige FriedensaktivistInnen davon zu überzeugen, dass die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo nichts als ein weiteres Beispiel von NATO- und speziell US- Manipulation sei. Die Geschichte ist jedoch komplexer.



1. Kosovos Forderung nach Unabhängigkeit entstand nicht bei den NATO-Mächten

Tatsächlich war bis 1998 die konstante Position westlicher Diplomaten: "Vergesst Unabhängigkeit, gebt Euch mit der Wiederherstellung der Autonomie zufrieden" - das hätte geheißen, sich zufriedengeben mit den konstitutionellen und Selbstverwaltungsorganen,von Milosevic. Westliche Diplomaten drückten Sorge über die Menschenrechte im Kosovo aus, doch boten sie keine praktische Unterstützung für den gewaltfreien Kampf des Kosovo und argumentierten fortwährend, dass die Kosovo-Albaner, indem sie ihr eigenes schlecht ausgestattetes paralles Erziehungssystem beibehielten, "Generationen von Kindern für ein unerreichbares Ziel opferten". Sie sahen nicht, dass die Föderation Jugoslawien, in der Kosovo eine autonome föderale Einheit war, nicht mehr existierte und dass sie vom Kosovo verlangten, sich Serbien in einer Föderation unterzuordnen, wo sie nicht länger Unterstützung von Slowenien, Kroatien oder Bosnien erwarten konnten.



2. Was die westliche Haltung 1998 und 1999 veränderte, waren die serbischen Aktionen

Dies gilt besonders, wenn es durch die Linse früherer Kontakte mit Milosevic und den nationalistischen serbischen Führern gesehen wird. Einige BeobachterInnen beschreiben die Ereignisse so, dass das Erscheinen der Kosova Befreiungsarmee (UÇK) eine vorhersagbare Überreaktion der serbischen Polizei auslöste, einschließlich der Drenica Massaker von Februar und März 1998. Andere AutorInnen meinen, dass Milosevic Anfang 1997 beschloss, einen Plan für eine militärische Kampagne im Kosovo umzusetzen und dass die UCK dafür nicht Auslöser sondern nur ein Vorwand war.

Was auch immer die Motivation für die Offensive 1998 gewesen sein mag, ihre Folgen veränderten das ganze Bild. Plötzlich hatte die UCK anstelle von ein paar hundert festen Mitgliedern 20.000 nicht ausgebildete Rekruten. Zur gleichen Zeit fing sie an, nachdem sie zuvor von US-Offiziellen als terroristische Gruppe bezeichnet worden war, strategische und Ausbildungshilfe von den USA zu erhalten. Und letztlich entschieden die westlichen Politiker, dass hier in Europa ein Tyrann daran gehindert werden müsse, eine Bevölkerung zu verfolgen, die er behauptete zu regieren. Die Zeit für die NATO, die ihren 50. Geburtstag feierte, war gekommen, wirklichen Krieg zu führen - augenscheinlich für internationales Recht, aber inoffiziell in Bündnis mit einer Macht auf dem Boden, die die Unabhängigkeit des Kosovo zum Ziel hatte. Auch wenn die meisten Kosovo-Albaner dies als Befreiung ansahen, erkannte die UN Sicherheitsratsresolution 1244, die den Krieg beendete und UNMIK etablierte, die Herrschaft Serbiens über den Kosovo im Prinzip an, obwohl sie sie in der Praxis aussetzte.



3. Die Militäroperation der NATO verlangte Erfolge

Die Militäroperation, die keine Vorgänger hatte, verlangte eine Art der rückwirkenden Rechtfertigung. Kofi Annan, Clinton und Blair predigten idealistisch über die Herstellung einer multiethnischen Demokratie im Kosovo, ohne Kenntnis des Ausmaßes an ethnischer Teilung, die die serbisch-albanische Koexistenz im 20. Jahrhundert geprägt hatte. Es war klar, dass, sobald die serbischen Truppen aus dem Kosovo herausgeworfen wurden, die Kosovo-Albaner ihre Rückkehr nicht akzeptieren und Unabhängigkeit fordern würden, was die UN-Resolution 1244 zu einem Unsinn machte.

1999 hatten die Kosovo-Albaner starke Argumente für Unabhängigkeit, neben der geschichtlichen Begründung die Jahre der Unterdrückung, die der Annullierung der Autonomie 1889-90 folgten und dann die Operationen der Sicherheitskräfte 1998-99, die demonstrierten, dass Serbien ungeeignet war, ein Territorium zu regieren, dessen große Mehrheit (vielleicht 90%) ethnische Albaner waren.

Doch was nach dem Krieg gesschah, schwächte diese Argumente, inbesondere die Situation der Serben im Kosovo. Viele flohen vor dem Einmarsch der NATO-Truppen, aber andere, die sich entschieden, in ihren Häusern zu bleiben, wurden belästigt oder Schlimmeres. Nach kurzer Zeit waren die meisten SerbInnen in Enklaven konzentriert und von internationalen Streitkräften oder im Falle Mitrovicas ihren eigenen Paramilitärs beschützt. Auch wenn diese Trennung das Maß an Gewalt minderte, so machten die albanischen Angriffe auf serbische Gemeinden im März 2004 das Fehlen an Fortschritt hin zu friedlicher Koexistenz sehr deutlich. Konnte der kosovo-albanischen Elite, die scheinbar von Korruption und Einschüchterung bestimmt wurde, der Schutz der Minderheitenrechte im Kosovo anvertraut werden?

Gleichzeitig trug die Unsicherheit über den Status des Kosovo selbst zu dem Konflikt bei und verzögerte die Notwendigkeit, sich mit Fragen der Koexistenz zu befassen. Es passt Belgrad gut, vertriebene Kosovo-Albaner in Sammelzentren in Serbien zu halten, ein dauerhaftes Zeugnis der Gewalt der Kosovo-Albaner. Gleichzeitig errichtete Belgrad innerhalb Kosovos parallele Strukturen als eine Basis des Widerstandes. Und dies wiederum zerstörte für bei den Kosovo-Albanern jedes Gefühl für eine gemeinsame Verantwortung angesichts antiserbischer Übergriffe und schuf sogar eine oberflächlichen Grund, Serben zum Verlassen des Kosovo zu zwingen ("Jeder Serbe, der geht, ist ein Schritt häher zur Unabhängigkeit").



Die serbische Kampagne

Der Ahtisaari-Plan von 2007 beschrieb einen Weg für "beaufsichtigte Unabhängigkeit", doch er machte gleichzeitig wesentliche Konzessionen an die serbische Sichtweise. Er benutzte den Begriff "Dezentralisierung" für eine Art von Programm, das in den 90er Jahren von verschiedenen Serben als die "Kantonisierung" des Kosovos vorgeschlagen worden war. Im Kern geht es dabei darum, sicherzustellen, dass Serben die Orte, in denen sie leben, auch kontrollieren. Ahtisaari stellt sich die Bildung einer Assoziation von Gemeinden mit serbischer Mehrheit vor, die vier, die schon bestehen plus zwei neuen, und deren fortgesetzteKooperation mit Belgrad. Für Kosovo-Albaner ist das ein Rezept für Teilung.

Die gegenwärtige Situation ist die, dass Belgrad weiterhin die Löhne von ca. 5.600 LehrerInnen, 4.300 Angehörigen des Gesundheitswesens und 2.900 Verwaltungsleuten in den parallelen serbischen Strukturen bezahlt. ÄrztInnen und LehrerInnen erhalten deutlich mehr als was sie in Serbien selbst verdienen würden, und rund viermal so viel als ihre albanischen KollegInnen bekommen. UNMIK stimmte dem zu, und in der Tat einige Jahre lang zahlte zusätzlich Gehälter, die dem Personal aus Töpfen des Kosovo zustand - die Logik war, dass ohne LehrerInnen und ÄrztInnen die serbischen Gemeinden nicht lebensfähig sein wrden und damit die Vision eines multiethnischen Kosovo tot sein würde. Offiziell wurde diese Praxis inzwischen eingestellt, auch wenn es noch Ausnahmen gibt.

Dies alles ist ein ziemlicher Kontrast zu der Einrichtung der kosovo-albanischen Strukturen während des gewaltfreien Kampfes. Diese begannen als ehrenamtlicheArbeit und erst, als ein freiwilliges Besteuerungssystem eingeführt worden war, erhielten die LehrerInnen Bezahlung. Ein anderer Kontrast ist, das mehr als 3.000 Angehörige der serbischen Polizei bei der Erklärung der Unabhängigkeit ihre Arbeit niederlegten. Sie erhielten 15 Monate lang weiter ihre vollen Bezüge und müssen jetzt bis zum 30. Juni entscheiden, ob sie an die Arbeit zurückkehren oder entlassen werden wollen.

Eine von UNMIKs "benchmarks" für die Errichtung einer multiethnischen Demokratie war die Rückkehr von Vertriebenen der Minderheitengemeinden. Vor fünf Jahren produzierte die UNMIK-zuständige Einheit ein Handbuch über die Rückkehr, das Grund für Neid für Hilfswerke in anderen Teilen der Welt sein muss, und extrem großzügige finanzielle Mittel wurden bereitgestellt, um die Rückkehr zu fördern. Trotzdem sind seit 1999 nur 16.500 nicht-albanische Personen in den Kosovo zurückgekehrt (582 letztes Jahr, 1.816 in 2007 und 1.669 in 2006).

Tatsache ist, dass es nicht viele SerbInnen gibt, die im Kosovo leben wollen - dies ist der Fall seit 1912. Wiederholt hat Belgrad Anreize für eine Ansiedlung im Kosovo bereitgestellt - in den 20er, den 30er und dem Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Eine Studie der serbischen Emigration aus dem Kosovo aus den 70er und 80er Jahre kam zu der Folgerung, dass wenn die Prozentzahl serbischer Bevölkerung unter eine Schwelle von 20-30% in einer Gemeinde fiel, die Wahrscheinlichkeit groß war, dass sie alle gehen würden.

Und so kommen wir zu dem Kern des Problems. Es gibt SerbInnen, die den Kosovo als ihre Heimat betrachten oder die ihn als die Wiege der serbisch-orthodoxen Kirche ansehen und deshalb auch als Minderheit leben wollen. Doch ihre Zahl ist klein. Die Hauptsorge serbischer PolitikerInnen ist, zu vermeiden, für den Verlust des Kosovo verantwortlich gemacht zu werden.

Vielleicht ist es an der Zeit, eine skeptische Position gegenüber Serbiens Interesse am Kosovo einzunehmen. Vielleicht stellt die Klage vor dem Internationalen Gerichtshof ein Finale dar. Serbien hat sich bereits verpflichtet, den Spruch des Gerichtshofes anzuerkennen - was Kosovo-Albaner nicht haben und auch nicht würden. Die letzte Institution, die sich mit Verfassungsfragen bezüglich der Abspaltung von Jugoslawien befasste, die Badinter Commission der Europäischen Union 1991 hatte erklärt, dass der Kosovo nur eine Provinz, keine föderative Einheit sei. Achtzehn Jahre späte erkennen alle Republiken, die sich damals abspalteten (mit der Ausnahme Bosniens, wo die serbische Einheit ein Vetorecht hat), die Unabhängigkeit des Kosovo an. Zeigt das nicht deutlich, dass Badinter Unrecht hatte?





Howard Clark ist Vorsitzender der War Resisters International und u.a. Autor des Buches "Civil Resistance in Kosovo" (2000, London: Pluto-Press).

E-Mail: howard (at) civilresistance (Punkt) info
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