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 Im Blickpunkt

Nordkoreas Nuklearpoker

Herbert Wulf

Das Regime in Pjöngjang testete im Mai seine zweite Atombombe und untermauerte seine militärischen Absichten seither mit regelmäßigen Raketentests - Raketen, die in Zukunft vielleicht als Trägersystem für Atomsprengköpfe dienen können. Die Welt fühlt sich provoziert. Die aktuelle Krise um Nordkoreas Atomprogramm ist ein neuer negativer Höhepunkt im Auf und Ab der Rüstungskontrolldiplomatie, mit der über Jahrzehnte versucht wurde, Nordkorea von seinem Nuklearprogramm abzubringen und gleichzeitig die Beziehungen zu diesem isolierten Land zu normalisieren.



Das Auf und Ab der Krisendiplomatie

Es gab bereits früher kritische Phasen: Anfang der 1980er Jahre bemühten sich die USA in Kooperation mit der damaligen Sowjetunion, Nordkorea dazu zu bewegen, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten und Inspektionen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) zu gestatten - mit Erfolg. Die Bemühungen nord- und südkoreanischer Diplomatie mündeten im Dezember 1991 in ein bilaterales Abkommen über die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. 1994 schlossen dann die USA und Nordkorea ein Rahmenabkommen über den Abbau der Atomanlagen. Diesen Fortschritten waren jeweils schwieriges diplomatisches Tauziehen und gegenseitige Drohungen vorausgegangen. Wirtschaftliche Hilfe und internationaler Druck veranlassten Nordkoreas Regierung zu Zugeständnissen.

Während der beiden Amtsperioden der Clinton-Regierung machten die Verhandlungen - mit hochrangigen gegenseitigen Besuchen - zwischen den USA und Nordkorea erhebliche Fortschritte. Dennoch gelang es nicht, das nordkoreanische Atomprogramm wirklich zu stoppen. Gegenseitig warf man sich vor, das Abkommen von 1994 nicht umzusetzen. Nachdem die Bush-Regierung Nordkorea im Oktober 2002 mit Informationen über ein geheimes nordkoreanisches Programm zur Anreicherung von Uran konfrontiert hatte, eskalierte der verbale Schlagabtausch und das Rahmenabkommen von 1994 wurde von beiden Seiten als gescheitert erklärt.
(1) Die Regierung Kim Jong Il kündigte dann als Reaktion am 10. Januar 2003 die Mitgliedschaft im Atomwaffensperrvertrag. Bereits 10 Jahre zuvor hatte sie mit Kündigung gedroht, konnte dann aber davon abgehalten werden. Heute ist Nordkorea das einzige Land, das seine Mitgliedschaft tatsächlich aufgab.

Seither hat sich die chinesische Regierung als Moderator der Sechsparteiengespräche in Peking (unter Beteiligung von Nord- und Südkorea, USA, Russland und Japan) um eine Verhandlungslösung bemüht. Die Erwartungen zum Stopp des Atomprogramms schwankten immer zwischen Zuversicht und Enttäuschung. Die Überraschung war groß, als Nordkorea 2007 zu einem Abkommen bereit war, das die Schließung und Versiegelung aller Atomanlagen im Atomzentrum Yongbyong vorsah. Man fragte sich, ob Staatschef Kim Jong Il endlich zur Kenntnis genommen habe, dass nicht nur die USA und ihre westlichen Verbündeten, sondern der gesamte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, einschließlich Russlands und Chinas, Atomwaffen in Nordkorea für völlig inakzeptabel halten. Zwischenzeitlich meldeten die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde, fünf Atomanlagen seien stillgelegt worden. Südkorea lieferte daraufhin das zugesagte Schweröl, um Nordkoreas darniederliegende Energieversorgung zu stärken. Doch auch in der Folgezeit konnten sich die Vertragsparteien nie auf einen verbindlichen Fahrplan zum Stopp des Atomprogramms verständigen.



Nordkoreanische Politik am Rande des Abgrunds

Die nordkoreanische Regierung verfolgt mit ihrer Atompolitik verschiedene Interessen:

Erstens fühlt sich Nordkorea bedroht. Es versucht sich mit eigenen militärischen Mitteln zu verteidigen. Der amerikanische Krieg im Irak war ein Ereignis, das die Regierung in Pjöngjang in anhaltende Alarmbereitschaft versetzt hat. Amerikanische Politik, vor allem deren Nuklearstrategie, wird von Nordkorea als Provokation eingestuft und zur Begründung für den Aufbau einer eigenen Nuklearabschreckung angeführt.
(2)

Zweitens bleibt Nordkorea seiner langjährigen Politik treu und benutzt sein Atomprogramm als Trumpfkarte, um im diplomatischen Poker möglichst große politische und wirtschaftliche Zugeständnisse zu erzielen.

Drittens könnte das Atomprogramm und die damit einhergehende Propaganda zu einer inneren Stabilisierung beitragen; denn die politische, militärische und ingenieurwissenschaftliche Elite des Landes steht geschlossen hinter diesem Programm. Der erste Atomwaffentest vom Oktober 2006 wird in Pjöngjang "in den Analen der 5000-jährigen Geschichte der nordkoreanischen Nation festgehalten."
(3)

Viertens möchte Nordkorea auf Augenhöhe mit den USA verhandeln, um endlich einen Friedensvertrag abzuschließen
(4) und durch die USA eine völkerrechtlich verbindliche Sicherheitsgarantie zu erhalten.



Unterschiedliche Interessen

Die US-Politik war spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer von der Vorstellung geprägt, dass das Regime Kim in Kürze implodiert. Bislang haben die USA keine Strategie, die man als aussichtsreiche Nordkoreapolitik bezeichnen könnte. US-Präsident Obama verurteilte den Atomtest als Provokation und sprach vage davon, dass man sich "sehr, sehr genau ansehen" wolle, "wie wir künftig mit so etwas umgehen" werden.

Die chinesische Regierung dagegen befürchtet bei einem Zusammenbruch der Regierung Kim, dass Millionen Flüchtlinge über die Grenze nach China einströmen und der US-Einfluss bei einem Kollaps des Nordens stärker wird. Peking will zwar das nordkoreanische Nuklearprogramm verhindern, weil nordkoreanische Atombomben die strategische Balance in der Region erschüttern könnten, unterstützt die Regierung Kim aber weiter mit Nahrungsmittel- und Energielieferungen. Die chinesische Führung versucht, Nordkorea Wirtschaftsreformen á la China schmackhaft zu machen.

Die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea haben sich seit der Wahl des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-Bak im Februar 2008 verhärtet. Der neue südkoreanische Präsident hält nichts von der Sonnenscheinpolitik seiner beiden Vorgänger und versucht, eine Politik der Leistung und Gegenleistung durchzusetzen. Südkorea will sich von den jüngsten Ereignissen nicht einschüchtern lassen und keine Kompromisse eingehen. Bereits einen Tag nach dem Atomtest kündigte die Regierung an, sich an der US-geführten Proliferation Security Initiative (PSI) zu beteiligen.
(5) Mit dieser bis heute gültigen Politikinitiative versuchte der ehemalige US-Präsident Bush, den Transfer von Nukleartechnologie zu unterbinden; die Initiative sieht auch vor, verdächtige nordkoreanische Schiffe zu durchsuchen. Vor einem solchen Schritt wiederum warnt die nordkoreanische Regierung und droht mit Krieg.



Optionen

Prinzipiell existieren verschiedene Möglichkeiten, auf die nordkoreanische Politik zu reagieren:

Erstens abwarten: Diese Strategie kann kaum erfolgreich sein, da Nordkorea Zeit und Gelegenheit geboten wird, sein Nuklearprogramm auszubauen.

Zweitens militärische Maßnahmen: Diese Option hatte schon die Clinton-Regierung vor 1994 durchgespielt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ein Krieg sowohl Nord- als auch Südkorea zerstören würde.

Drittens Isolation: Das Land kann kaum weiter isoliert werden. Nur wenn China die Grenzen zu Nordkorea schließt, würden die Warenströme versiegen; für die nordkoreanische Bevölkerung würden die Überlebensbedingungen noch härter als sie heute schon sind. Aber die Regierung Kim hat sich auch in der Vergangenheit durch Druck von außen, durch Sanktionen und Boykotte kaum beeindrucken lassen.

Viertens von außen forcierter Regimewechsel: Diese Politik hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten als (amerikanisches) Wunschdenken erwiesen. Wie dies funktionieren könnte, ist nie expliziert worden.

Schließlich Kooperation: Will man das Atomprogramm stoppen oder gar revidieren, bleibt keine andere Wahl, als mit der Regierung Nordkoreas (und sei sie auch noch so verhasst) in einen Dialog einzutreten. Der Preis für den Stopp des nordkoreanischen Atomprogramms ist Atomwaffenfreiheit auf der gesamten koreanischen Halbinsel, Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Hilfe für Nordkorea und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Nordkoreas mit den USA und Japan. Offen aber bleibt, ob Nordkorea bereit ist, die bereits vorhandenen Atomsprengköpfe zu vernichten. Wird Pjöngjang wieder dem Atomwaffensperrvertrag beitreten? Oder wird das Regime an seinem Status als Atommacht festhalten, quasi als Faustpfand und Rückversicherung? Zahlt sich damit Nordkoreas fintenreicher und gefährlicher Nuklearpoker aus? Andere Regierungen könnten sich daran ein Beispiel nehmen.



Anmerkungen:



1Die Vorwürfe der US-Regierung, die bis heute nicht geklärt sind und von Nordkorea zurückgewiesen werden, basierten auf einem CIA-Bericht. Dort heißt es: "The United States has been suspicious that North Korea has been working on uranium enrichment for several years. However, we did not obtain clear evidence indicating the North had begun constructing a centrifuge facility until recently. We assess that North Korea embarked on the effort to develop a centrifuge-based uranium enrichment program about two years ago." (http://www.fas.org/nuke/guide/dprk/nuke/cia111902.html).



2Bei meinen Gesprächen im nordkoreanischen Außenministerium in den Jahren 2005 und 2006 kam man immer wieder darauf zu sprechen, dass Nordkorea von Nuklearmächten eingekreist sei: China und Russland als Nachbarländer und die USA über ihre Verbündeten Südkorea und Japan.



3Pyongyang Times, 11. Nov. Juche 95 (2006). Die Zeitung ist ein Sprachrohr der Regierung.



4Nach wie vor ist der Koreakrieg der 1950er Jahre nur durch einen Waffenstillstand beendet. In Nordkorea betont die Regierung immer wieder, juristisch betrachtet befinde man sich noch im Kriegszustand.



5http://www.korea.net/






Herbert Wulf war 1991 und 2002 bis 2007 Berater des United Nations Development Programme für Abrüstungsfragen in Nordkorea.
eMail: wulf.herbert@web.de; www.wulf-herbert.de


E-Mail: wulf (Punkt) herbert (at) t-online (Punkt) de
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