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 Krisen und Kriege

Ein Kommentar zum türkisch-kurdischen Konflikt

Auf Messers Schneide

Andreas Buro

Die Repression gegen die kurdische "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) greift jetzt auch auf deren Parlamentsabgeordnete in der Großen Nationalversammlung der Türkei über. Die Situation erinnert an die Festnahme der DEP-Abgeordneten um Leyla Zana im Jahre 1994. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der DTP Selahattin Demirtas wird z. B. wegen einer Rede gerichtlich verfolgt, in der sie sagte: "In der Türkei sollen weder kurdische noch türkische Mütter mehr leiden müssen. Das Blutvergießen muss gestoppt werden, es muss ein Dialog mit Öcalan aufgebaut werden." Seit Wochen läuft eine massive Verhaftungswelle gegen DTP-Aktivisten.

Gleich nach den Kommunalwahlen, bei denen die DTP viele Stimmen gewann und die Regierungspartei AKP viele Stimmen verlor, setzen nicht nur neue Militäraktionen der türkischen Generalität gegen die kurdische Guerilla ein, es wurde auch das Startsignal für die Verfolgung der DTP gegeben. Mehr als 400 ihrer Aktivisten wurden bereits verhaftet.

Alles dies deutet nicht auf eine Bereitschaft zur Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts hin. Dazu kamen weitere furchtbare Ereignisse. So das Massaker an einer kurdischen Hochzeitsgesellschaft, in das anscheinend vom Staat eingesetzte Dorfschützer verwickelt waren. So das grausame Niederprügeln von Kindern, die auf einem freien Feld eine Versammlung spielten, durch türkische Polizeibeamte der Sondereinheiten. Den Kindern drohen jetzt viele Jahre Gefängnisstrafe. So eine schreckliche Explosion vor einer Nachhilfeeinrichtung in Diyarbakir, deren Urheber noch nicht bekannt sind.

Die Nummer 1 der PKK, Murat Karayilan, erinnert sich in einem Gespräch mit Hasan Cemal von der Zeitung Milliyet (6.5.2009): "1993 ist Özal (damaliger türkischer Staatspräsident, A.B.) gestorben, und die Gelegenheit zum Frieden wurde verspielt. Özal war jemand, der die Bedeutung der Kurdenfrage erkannte und Überlegungen zur Lösung des Problems anstrengte. 1993 starb Özal (unter höchst mysteriösen Bedingungen, A. B.) und 1994 war wirklich mörderisch. Erwartet uns wieder eine Offensive wie 1994? Wir spüren etwas, sind uns aber nicht sicher. Wird die Regierung Erdogan erneut dem Militär das Zepter in die Hand drücken und erleben wir erneut ein solches Blutbad?"



Frieden mit Hilfe des Iraks?

Diesem bedrohlichen Szenario steht eine ganz andere Entwicklung entgegen, die Hoffnung aufkommen lässt, es könne doch gelingen, den türkisch-kurdischen Konflikt endlich beizulegen. Der irakische Staatspräsident Dschalal Talabani hat die Türkei zu einer Amnestie für Kämpfer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK aufgerufen. Ein solcher Schritt könne Grundlage für eine Friedenslösung sein, sagte Talabani der türkischen Zeitung "Sabah" am 17. März. Bei einem internationalen Treffen im nordirakischen Erbil sollten alle wichtigen kurdischen Gruppen die PKK aufrufen, die Waffen unter Kontrolle der USA niederzulegen. Die Zeichen stünden auf Frieden. Bedeutsam war, dass die Amnestie-Forderung Talabanis in Istanbul, also im Herzen der Türkei, vorgetragen wurde. Für die türkische Elite ist sie damit unüberhörbar geworden. Dass die PKK ihre Waffen unter Kontrolle der USA niederlegen solle, signalisiert, dass hinter der Forderung nach Amnestie und Waffenniederlegung auch die USA stehen, die zu den Kurden im Nord-Irak eine ganz besondere und gute Beziehung unterhalten.

Immer wieder taucht die Frage auf, wer denn von kurdischer Seite Dialog-Partner beim Aushandeln einer Lösung seien könne. Murat Karayilan brachte dazu eine interessante Variante ins Spiel: Wenn die PKK, Öcalan und die DTP nicht akzeptabel seien, könne auch eine "Gruppe weiser Männer" als Vermittler dienen.

Einen starken Anstoß in Richtung Hoffnung hat die Erklärung des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül vom12. Mai 2009 gegeben: "Die Kurdenfrage ist das größte Problem der Türkei. Ob man es Terrorproblem nennt, oder Südostanatolisches Problem oder Kurdenproblem - es ist die wichtigste Frage der Türkei, und sie muss gelöst werden." Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdogan erklärten ferner gemeinsam, in diesem Jahre gäbe es eine Chance für einen Durchbruch im Kurden-Konflikt. Die türkische Zeitung Sabah berichtete, bei Diskussionen im gewichtigen Nationalen Sicherheitsrat sei ein "deutsches Modell" auf den Tisch gekommen. "Was wir für die Türken in Europa wollen, werden wir den Kurden geben." wurde kolportiert.

Die veränderte politische Konstellation und nicht zuletzt die Äußerungen des Staatspräsidenten haben inzwischen in der türkischen Öffentlichkeit eine breite Diskussion ausgelöst, die am Anfang des Jahrtausends so nicht vorstellbar war. Die Vorschläge aus der deutschen Friedensbewegung, dich sich nicht zuletzt in der Road Map des Dossiers zum türkisch-kurdischen Konflikt (Dossier II des Monitoring-Projekts) niedergeschlagen haben, sind übrigens fast durchgängig auch die Themen, die in der jetzigen Debatte in der Türkei auf der Tagesordnung stehen.



Der deutsche Dialog-Kreis mischt sich ein

Zur Erinnerung: Etwa einen Monat vor Weihnachten 2002 erhielt der Dialog-Kreis (s. den Beitrag von Memo Sahin in diesem Heft) die Nachricht, in Ankara wäre man an höchster Stelle bereit, eine Delegation zu empfangen und mit ihr die Menschenrechtslage in der Türkei zu erörtern. 2002 hatte es in der Türkei Wahlen gegeben, die zu einem Erdrutsch in der Parteienlandschaft geführt hatten. Die große Siegerin der Wahl war die AKP-Partei mit ihrem Vorsitzenden Recep Tayyip Erdogan. Im Westen zunächst als islamistisch diffamiert, proklamierte die AKP, dass ihr wichtigstes Ziel sei, möglichst schnell der EU beizutreten. Wir vermuteten, unser Besuch solle aus türkischer Sicht dazu dienen, die Gesprächsbereitschaft und Sensibilität Ankaras in dieser Frage zu demonstrieren. Dagegen war im Prinzip nichts einzuwenden. Nach unserer Einschätzung war die ungelöste "Kurdenfrage" der Angelpunkt, um die Menschenrechtssituation in der Türkei zu verbessern. Zu diesem Zwecke verfasste ich ein Memorandum "Menschenrechte und Versöhnungspolitik in der Türkei". Die Kernthese lautete:

"Die Verwirklichung der Menschenrechte wird in multi-ethnischen Gesellschaften häufig durch Vorherrschaftsansprüche von Ethnien über andere behindert. Versuche der Zwangsassimilierung und Benachteiligung von nicht dominanten Völkern führen zu einem Teufelskreis aus Repression und Rebellion. Wachsende Verfeindung, Eskalation der Gewaltanwendung in den Konflikten und gleichzeitig die Unterhöhlung des gesellschaftlichen Friedens und des friedlichen und rechtlich geregelten Konfliktaustrages sind die Folge. Die gesellschaftliche Produktion und die Entwicklung der Infrastruktur werden gemindert, während die Kosten für die Repression steigen. Eine solche Behinderung von Entwicklung ist mit schweren Verletzungen der Menschenrechte meist in der ganzen Gesellschaft verbunden.

Ein Ausweg aus diesem Teufelskreis ist durch eine Wende hin zu einer Versöhnungspolitik möglich. Durch sie können die nicht-dominanten Völker des Staates besser integriert werden, da sie sich nun als gleichberechtigt und respektiert angenommen fühlen. Separatistische Bestrebungen, die durch die Repression gestärkt wurden, können überwunden werden. Die Entfaltung der Menschenrechte erweist sich dann als ein wichtiges Moment der gesellschaftlichen Entwicklung und der Überwindung von Stagnation.

In der Türkei besteht im türkisch-kurdischen Konflikt eine solche Situation, die seit der Gründung des Nationalstaates die Entwicklung belastet hat. Wir halten eine Hinwendung zu einer Politik der Versöhnung über die Verwirklichung der Menschenrechte für dringend geboten und für möglich."


Tayyip Recep Erdogan empfing uns mit vielen Ministern und Mitarbeitern. Die Überraschung über unser Memorandum war groß. Trotzdem hatten wir ein sachliches einstündiges Gespräch. Erdogan sagte sinngemäß: "Ihr Interessengebiet ist auch unseres. Wir versuchen, fair zu jedem zu sein. Keine Doppelstandards."

Wir gingen mit dem Gefühl, uns gut verständlich gemacht zu haben. Am Abend musste ich noch vor Fernsehen, Radio und Presse über eine Stunde Rede und Antwort stehen.

Zurückgekehrt in Deutschland stellten wir mit Überraschung fest, dass die türkischen Medien unseren Besuch totgeschwiegen hatten. Anscheinend war die Kurdenfrage damals noch ein zu heißes Eisen.

Bei dem Besuch Erdogans im Herbst 2003 in Berlin sagte er vor einem Kreis von Vertretern von Menschenrechtsorganisationen - wir waren dazu nicht eingeladen worden - aber dann doch wieder: "Es gibt keine Kurdenfrage." Heute kann das in der Türkei wohl nicht mehr gesagt werden. So langsam geht der historische Fortschritt und man weiß nie, ob es sich nicht um eine Springprozession mit bitteren Rückschritten handelt.



Viel Wasser im Wein der Hoffnung

Inzwischen ist viel Wasser in den Wein der Hoffnung gegossen worden. Die von Talabani angekündigte Konferenz ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Da die PKK zur Teilnahme bereit war, muss man davon ausgehen, dass dies auf türkischen Einfluss hin geschehen ist.

Die kurdische Frage ist Bestandteil des Kampfes zwischen der AKP-Regierung und der Generalität. Die Regierung neigt sehr behutsam zu Reformschritten, die Generalität setzt auf Sieg. Der Konflikt zwischen beiden ist in den letzten Wochen dramatisch eskaliert. Die Zeitung "Taraf" veröffentlichte am 12. 6. 09 einen Geheimplan aus dem Generalstab zur Destabilisierung der AKP-Regierung unter der Überschrift "Aktionsplan zum Kampf gegen die (islamistische) Reaktion" mit Elementen wie Einschleusung von Agenten, Verteufelung der "Erzfeinde" Armenien und Griechenland zur Stärkung der Rechten in der Türkei, Entdeckung von vorher platzierten Waffen, Desinformationskampagnen usw. Ob der Geheimplan ein Gegenangriff ist wegen des öffentlichen Prozesses gegen die Ergenekon-Putschisten, die demMilitär nahe oder sogar sehr nahe stehen?

Der Kampf zwischen Regierung und Generalität macht die Zukunft des türkisch-kurdischen Konflikts ungewiss. Werden die sogenannten Reformschritte wieder zu kurz greifen? Gibt es endlich eine kräftige internationale Unterstützung? Steinmeier hat bisher nicht auf unsere Aufforderung, Deutschland möge sich für eine friedliche Lösung einsetzen, geantwortet. Wird das Zepter wirklich wieder an die Armee übergehen? Dazu die Aussage des früheren Generalstabschefs Yasar Büyükanit: "Wenn wir die gesamte türkische Armee auf den Kandil-Berg schickten, würde sie ihn nicht säubern können." Heute steht alles auf des Messers Schneide.



Andreas Buro (*1928 in Berlin) ist im Ruhestand lebender ehemaliger Professor der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt /Main für Politikwissenschaft/ Internationale Beziehungen. Er ist Mitbegründer der deutschen Ostermarschbewegung/Kampagne für Demokratie und Abrüstung und deren langjähriger Sprecher, des Sozialistischen Büros und des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Heute ist er u. a. friedenspolitischer Sprecher des Komitees, Koordinator des Dialog-Kreises "Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden" und des "Monitoring-Projekts: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention". 2008 hat er den Aachener Friedenspreis erhalten.



E-Mail: andreas (Punkt) buro (at) gmx (Punkt) de
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