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 Krisen und Kriege

Kommentar: Beginn eines neuen Abschnitts in der Geschichte Irans

Reform durch Revolution

Mohssen Massarrat

"Wenn die da unten nicht mehr wollen und die da oben nicht mehr können, dann entsteht eine revolutionäre Situation." Diese auf Lenin zurückgehende Beschreibung der revolutionären Situation ist jetzt in der Islamischen Republik Iran eingetreten. Der in Gang gekommene, bisher glücklicherweise gewaltfreie Aufruhr ist nicht mehr zu stoppen.

Die Gegner der theokratischen Diktatur haben keine Angst vor den Schlägertrupps der Basidji-Milizen, der paramilitärischen Verteidiger des Systems. Diese werden vielmehr in die Flucht geschlagen. Die um ihre Stimme Betrogenen und Gedemütigten befreien sich von ihrer Lethargie. Sie fühlen sich zu Hunderttausenden auf den Straßen von Teheran als eine geballte Kraft, die stark genug ist, um sich gegen die Beleidigungen eines populistischen Machthabers zu wehren, der sich seiner mit Geldgeschenken gekauften Macht und der Legitimation eines uneinsichtigen geistlichen Staatsoberhaupts sicher wähnte. Heute steht Iran in derselben Situation wie vor 30 Jahren im Februar 1979. Damals ging es darum, die Monarchie zu beenden und das System zu stürzen, heute geht es vielmehr darum, die islamische Theokratie durch eine friedliche Revolution zu überwinden und die Barrieren für eine echte Demokratisierung freizulegen.

Mir Hussein Mussawi wagte als erster in der Geschichte der Islamischen Republik, dem geistlichen Staatsoberhaupt zu widersprechen. Er ignorierte schlicht dessen Votum, das Wahlergebnis zu akzeptieren und sich hinter den angeblich gewählten Präsidenten zu stellen. Die sonst übliche Masche "Dem Feind sollte durch innere Einheit eine Absage erteilt werden", hat diesmal nicht gezogen. Offensichtlich hatte Ayatollah Khamenei mit dem Mut und der Risikobereitschaft von Mussawi nicht gerechnet. Durch seine Entschlossenheit, für die Durchsetzung des Volkswillens zu kämpfen, ermutigte Mussawi seine Wähler zu einem Aufbruch. Auch die Wähler widersetzten sich fest entschlossen und ohne Angst vor der Staatsgewalt dem Demonstrationsverbot und ermutigten so ihrerseits Mussawi, nicht nachzugeben. Diese sich wechselseitig verstärkende soziale Energie mündete binnen zwei Tagen in eine Art revolutionäre Situation.

Der kalte Putsch durch die offensichtliche Fälschung der Wahlergebnisse ist gescheitert. Mit seiner unmissverständlichen Entscheidung für Ahmadinedschad und der Rechtfertigung des offiziellen Wahlergebnisses verpasste Ayatollah Khamenei die Chance eines historischen Kompromisses für eine Reform des politischen Systems der Islamischen Republik. Mit der gewaltsamen Niederschlagung der friedlichen Revolution, delegitimierte das geistliche Oberhaupt der Islamischen Republik sich selbst und zwar auf der ganzen Linie. Von den 24 Großayatollahs, dem moralischen Rückgrat der Islamischen Republik, steht ein einziger hinter Khamenei. Dieser und Ahmadinedschad können sich nur noch auf die Macht der Revolutionswächter, der Bassidjis und auf eine soziale Schicht stützen, die allesamt Profiteure des rentierstaatlich-klientelistischen Systems sind. Gerade Ahmadinedschad bediente sich, wie kein anderer Präsident der islamischen Republik vor ihm, auch nicht der Schah vor der Revolution, so schamlos des klientelistischen Systems. Er plünderte die Staatskasse - über 300 Mrd. US-Dollar Öleinnahmen - während der letzten vier Jahre am Parlament vorbei, willkürlich und offensichtlich mit dem einzigen Ziel, die eigene Machtbasis sozial und militärisch zu zementieren.

Demgegenüber steht die überwältigende Mehrheit der Iraner, die offensichtlich nicht länger gewillt ist, die Ausgrenzung, die Erniedrigung durch alltägliche Lügen, die Korruption, das Missmanagement sowie die Gesetzlosigkeit hinzunehmen, die die soziale und politische Spaltung der Gesellschaft vertiefte, hohe Inflation, Massenarbeitslosigkeit und Verarmung breiter Bevölkerungsschichten hervorgerufen hat. Die grüne Volksbewegung eint die berechtigte Forderung nach Neuwahlen, sie umfasst reiche wie arme Schichten, Fromme wie Laizisten, Studierende wie Arbeiter, Männer und vor allem Frauen aus traditionellen wie westlich orientierten Bevölkerungsschichten.

Beide Lager trennt die Verteidigung oder Überwindung der islamischen Theokratie und die Demokratisierung der islamischen Republik. Alle Indizien belegen, dass die friedlich begonnene Revolution trotz Repression und Gewalt weiter geht. Khamenei und Ahmadinedschad stehen vor der Alternative, sich rechtzeitig auf Neuwahlen zu verständigen oder aber mit dem flächendeckenden Gewalteinsatz einen Bürgerkrieg zu riskieren. Es ist nämlich völlig offen, ob in diesem Falle alle Revolutionswächter Khameneis Befehl Folge leisten. Diese sind selbst einerseits in allen sozialen Schichten verwurzelt. Andererseits fühlen sich viele von ihnen immer noch den moralischen Idealen der islamischen Revolution verpflichtet, von der Khamenei und Ahmadinedschad, denen es nur noch um Machterhalt und rückwärtsgewandte Ideologie geht, längst entfernt haben.

Das Ende der Theokratie würde allerdings noch lange nicht ein Ende der Islamischen Republik implizieren. Denn die Reformbewegung in ihren nicht zu vernachlässigenden Bestandteilen (Mussawi selbst, Khatami, Karrubi und zahlreiche andere Führungspersönlichkeiten mit sozialer Basis) identifiziert sich weiterhin mit einer Republik Iran, die ein islamisches Gesicht hat.

Die Islamische Republik spaltete von Anfang an die Gesellschaft in zwei Teile, in den systemtragenden und den systemkritischen Teil. Dank des aktiven Einmischens des systemkritischen Teils gewann 1997 und 2001 der Reformer Mohammad Khatami mit überwältigender Mehrheit die Wahl zum Staatspräsidenten. Durch Khatamis mangelnden Mut und fehlende Risikobereitschaft, die moralische Kraft des Volkswillen für echte politische und soziale Reformen zu nutzen, zog sich der systemkritische Teil der Gesellschaft resigniert zurück. Dadurch konnte 2005 der Populist Ahmadinedschad die Wahlen überhaupt erst gewinnen. Im Juni 2009 entdeckte der systemkritische Teil der Gesellschaft ziemlich am Ende des Wahlkampfes erneut seine Chance und beschloss, den Fehler von 2005 nicht zu wiederholen. Alle Oppositionsgruppen, die mit dem Argument, "das System des Gottesstaates nicht legitimieren zu wollen" zum Wahlboykott aufriefen, wurden durch den spontan artikulierten Volkswillen eines Besseren belehrt. Die Wahlboykotteure übersahen den zweiteiligen Charakter der iranischen Gesellschaft und damit die Möglichkeit, dass der Gottesstaat gerade durch Wahlen auch delegitimiert werden kann.

Die Grundlagen einer durch revolutionäre Reformen in Gang gebrachten Abschaffung des Gottesstaates sind in der Verfassung eben dieses Staates selbst angelegt, die Gesellschaft de facto in einen das System tragenden und einen durch das System ausgegrenzten Teil zu spalten - ähnlich wie damals der südafrikanische Apartheid-Staat, der ein jähes Ende gefunden hat. Wie in Südafrika muss auch im Iran die theokratische Apartheid friedlich und durch eine kluge Strategie des Machtwechsels überwunden werden, die schon jetzt auf innergesellschaftliche Versöhnung zielt. Die Führer der Reformbewegung hätten die historische Chance, mit der Ankündigung einer umfassenden Versöhnung nach dem Machtwechsel die Revolutionswächter auf die Seite der Demokratiebewegung zu ziehen und die theokratischen Hardliner zu einem friedlichen Rückzug zu zwingen.





Mohssen Massarrat ist gebürtiger Iraner. Er ist Professor (i. R.) für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück.

E-Mail: ag3welt (at) uni-osnabrueck (Punkt) de

Website: www.sozialwiss.uni-osnabrueck.de/inst/ag3w/index.html
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