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Buchbesprechung:

Ernstfall Angriffskrieg

Martin Singe

Das 2009 im Ossietzky-Verlag erschienene hochaktuelle Buch "Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?" von Jürgen Rose kann allen Friedensbewegten dringend zur Lektüre empfohlen werden. Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr und Mitglied im Darmstädter Signal, verfolgt mit diesem Buch das Ziel, der politischen Ächtung des Angriffskrieges im umfassenden Sinne näher zu kommen. Mit hoher Sachkenntnis und mit internem Einblick in militärische Hintergrundzusammenhänge schildert Rose die Verwicklung der Bundesregierung und der Bundeswehr in die letzten völkerrechtswidrigen Kriege (1999 Jugoslawien, 2001 Afghanistan, 2003 Irak). Rose zieht dabei die Spannbreite der Verantwortlichkeit von den regierungsamtlich Handelnden bis zu den einzelnen SoldatInnen. So nimmt die Möglichkeit der Gehorsamsverweigerung gegenüber völkerrechtswidrigen Befehlen einen breiten Raum ein.

Ausgangspunkt der Schilderungen ist die Funktion des Krieges im Kontext der Globalisierung, "kriegerischer Interventionismus im Zeichen von Geopolitik und Geoökonomie". "Verteidigung" ist längst nicht mehr der Auftrag der Bundeswehr, bzw. der Begriff wird nur noch als Mythos hochgehalten. Da das Handeln der Regierenden weiterhin auf angriffskriegerischen Interventionismus ausgerichtet bleibt, kommt dem Soldaten heute eine besondere Verpflichtung zu. Im zentralen Kapitel "Die Angriffskriegsverweigerer: Widerständigkeit und Rechtstreue in den Reihen der Bundeswehr und anderswo" wird das Primat des Gewissens eingefordert. Rose stellt hier u.a. die Verweigerungsbegründungen von Major Pfaff (Irak-Krieg) und seine eigene Verweigerung gegen den Afghanistan-Krieg (Nutzung der Tornados für den OEF-Krieg) dar. Auch konkrete internationale Beispiele von Verweigerern und Deserteuren werden hervorgehoben, insbesondere zwei hochinteressante Fälle aus den USA und Großbritannien, die hierzulande noch eher unbekannt sind (Kapitel "Der amerikanische Leutnant" und "Der britische Doktor"). Auffällig sind die Parallelen, wie regierungsoffiziell und gerichtlich mit Deserteuren und Verweigerern aus den Armeen umgegangen wird. Ihnen wird die Verantwortlichkeit abzusprechen versucht. Statt gerichtlich die Völkerrechtswidrigkeit der Kriege zu untersuchen, wimmeln die Gerichte bzw. die Staatsanwaltschaften oder bei uns die Generalbundesanwaltschaft generell ab. Recht und Völkerrecht bleiben auf der Strecke, werden verbogen oder gar offen missachtet. Rühmliche Ausnahme bildet das Bundesverwaltungsgerichtsurteil im Fall Pfaff, das den Irak-Krieg als völkerrechtswidrig verurteilt und Pfaff rehabilitiert hat. Allerdings hat die Bundeswehr die Inhalte des Urteils in einer Dienstanweisung für die Ausbilder wieder inhaltlich umgedreht und auf den Kopf gestellt, indem es die Verantwortlichkeit der "einfachen" Soldaten aufzuheben versucht. SOLDAT aber - so Rose - sei gerade nicht das Akronym, das ausbuchstabiert bedeute "Soll Ohne Langes Denken Alles Tun". Schon 1994 hat die KSZE einen Verhaltenskodex beschlossen, der scheinbar in Vergessenheit geraten ist: Alle Teilnehmerstaaten sind verpflichtet, ihre Soldaten mit den völkerrechtlichen Übereinkommen für bewaffnete Konflikte vertraut zu machen und ihnen ihre individuelle Verantwortlichkeit bewusst zu machen.

Zentral in Roses Werk für die Ächtung des Angriffskrieges ist die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit dem Grundgesetzartikel 26 (Verbot des Angriffskrieges) und dem korrespondierenden Strafgesetzbuch-Paragraphen 80 (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges). Während Art. 26 GG ausdrücklich fordert, den Angriffskrieg unter Strafe zu stellen, wurde dieser Grundgesetzauftrag bis heute nicht eingelöst. § 80 StGB ist eine geschrumpfte Umsetzung, die sich bewusst nur auf die Vorbereitung des Angriffskrieges bezieht. Deshalb konnte die Generalbundesanwaltschaft bislang immer die absurde Argumentation vortragen, dass die Führung des Angriffskrieges selbst ja nicht unter Strafe stehe, nur die Vorbereitung desselben. Auch hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht das Nötige vorgetragen, politisch aber (noch) keine rechtliche Änderung bewirkt. Die Forderung von Rose im Kapitel "Die Stärke des Rechts gegen die Gewalt des Angriffskriegs", eine Neuformulierung von § 80 StGB politisch durchzusetzen, sollte sich die Friedensbewegung zu eigen machen. Der konkrete Formulierungsvorschlag von Rose für eine Neufassung (S. 252f) ist völkerrechtlich umfassend und bestens geeignet. Es wäre ein Kampf, mit dem die herrschende Kriegspolitik einer völkerrechtlichen Revision unterzogen werden könnte und mit dem öffentlichkeitswirksam die scheinheilige Politik der "Angriffskrieger" als völkerrechtswidrig entlarvt werden könnte.

Ein mutiges Buch von einem mutigen Autor, der selbst für seine offene Meinung und seine eigene Verweigerung immense Nachteile und Beschuldigungen bis hin zu offenen Drohungen in Kauf nimmt. (Ein KSK-Hauptmann: "Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht."). Ein leidenschaftliches, kämpferisches, mit Herzblut geschriebenes Buch, wie es schon aus der Widmung hervorgeht: "Gewidmet all jenen Männern, Frauen und Kindern, die in den Globalisierungskriegen der Reichen gegen die Armen von Bomben und Granaten zerfetzt und verstümmelt, von Napalm und weißem Phosphor verbrannt, von "Depleted Uranium` verstrahlt und vergiftet, von Kugeln durchsiebt, an Körper und Seele verwundet, vergewaltigt, die Fratze des Terrors erblickten und diese nie wieder vergessen können."



Jürgen Rose, Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt? Verlag Ossietzky, Hannover 2009, 268 Seiten, 20,- EUR.





Martin Singe arbeitet beim Komitee für Grundrechte und Demokratie und ist Redakteur des FriedensForums.

E-Mail: martinsinge (at) grundrechtekomitee (Punkt) de
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