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 Friedensbewegung erfolgreich!

Vom Erfolg gewaltfreier Kampagnen

Theodor Ebert

Am Anfang stand die Erfahrung, dass der Macht, die aus Gewehrläufen kommt, mit nichtmilitärischen Methoden widerstanden werden konnte. In bemerkenswerten Fällen haben die zivilen Widerstand Leistenden ihre Ziele kurz-, mittel- oder langfristig ganz oder teilweise erreichen können. Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Schon die Verwendung der Bezeichnung "gewaltfrei" für das Vorgehen ist problematisch, weil sie nicht das Selbstverständnis aller Akteure trifft. Die einen "verzichten" auf gewaltsame Methoden in einer bestimmten Situation, während die anderen sie grundsätzlich aus ihrem Instrumentarium ausscheiden, sich also von ihnen "frei machen".

In Deutschland hat sich durchgesetzt, dass man Kampagnen, in deren Verlauf von den Widerstand Leistenden ganz bewusst und auf keinen Fall gewaltsame Mittel eingesetzt werden sollen, als "gewaltfrei" bezeichnet. Dabei bleibt offen, ob die solchermaßen Erfolgreichen in anderen Zusammenhängen polizeiliche oder militärische Gewalt einsetzen würden.

Eine der ersten eindrucksvollen Sammlungen der Erfahrungen mit gewaltfreien Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart stammte von der englischen Quäkerin A. Ruth Fry (1878-1962). Diese Sammlung von schließlich 76 Fällen erschien von 1937 bis 1957 in mehreren Auflagen unter dem Titel "Victories without Violence". Ruth Fry, deren Nachlass im Swarthmore College in den USA gesammelt wird und über das Internet zugänglich ist, forderte die systematische Erforschung der Erfolgsbedingungen des gewaltfreien Widerstands. Sie konnte am Ende ihres langen Lebens als engagierte Pazifistin noch auf erste systematische Versuche, die den Erfahrungsschatz der Schriften M. K. Gandhis auswerteten, verweisen. Sie hob insbesondere "Die Macht der Gewaltlosigkeit" von Richard B. Gregg hervor.

Seit ihrem Tod im Jahre 1962 hat die Zahl der Untersuchungen, sowohl der Fallstudien wie auch der systematischen Abhandlungen, sprunghaft zugenommen. Sie füllen mittlerweile Bibliotheken. April Carter, die beste Kennerin dieser Arbeiten und Mitbegründerin des Direct Action Committees against Nuclear War im Jahre 1957, hat einen Überblick in dem von Adam Roberts und Timothy Garton Ash herausgegebenen Sammelband "Civil Resistance and Power Politics" (New York: Oxford University Press, 2009) unter dem Titel "People Power and Protest: The Literature on Civil Resistance in Historical Context, S. 25-42) versucht.

Es wird mittlerweile kaum mehr bestritten, dass Massenbewegungen, aber auch Einzelkämpfer und entschlossene gewaltfreie Bezugsgruppen, die ihre Anliegen zu dramatisieren wissen, einen Machtfaktor darstellen - innen- wie auch außenpolitisch.

Zwischen der Quäker-Aktivistin Ruth Fry und der Zusammenstellung und Untersuchung gewaltfreier Aktionen durch die Cr
me de la Crme der Professoren von Oxford und Harvard liegen nur ein Menschenalter, aber eben auch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, Guerillakriege in Südostasien, in Nordirland und im Kosovo, die Bürgerrechts- und die Ökologiebewegungen in den USA und in Westeuropa und das Ende der Einparteiendiktaturen in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten.



Ein vielseitiges Instrument

Ein Indiz für die wachsende Bedeutung der gewaltfreien Aktion ist auch der Umstand, dass einige Forscher auf dem Gebiet der gewaltfreien Aktion in den Verdacht geraten sind, mit staatlichen Geheimdiensten beim Versuch zusammenzuarbeiten, missliebige auswärtige Regierungen ohne den Einsatz von Waffengewalt durch das Manipulieren von Volksaufständen zu stürzen. Auch wenn dieser Verdacht sich nicht erhärten ließ, so ist er doch ein Zeichen dafür, dass die gewaltfreien Aufstände den naiven Charme von Quäkeraktionen eingebüßt haben. Die Oxforder Politologen Adam Roberts und Timothy Garton Ash sind sich darin einig, dass die gewaltfreie Aktion ein vielseitiges Instrument ist, das sich unter Berücksichtigung der jeweiligen historischen und aktuellen Bedingungen mit Aussicht auf Erfolg einsetzen lässt. Das Ziel dieser Forscher ist es, diese Erfolgsbedingungen zu erkunden. Es lohnt sich, die Fälle aufzuzählen, an Hand derer sie und ihre namhaften Kollegen dies getan haben:



1.Gandhi und der zivile Widerstand in Indien, 1917-1947



2.Die Bürgerrechtsbewegung in den USA 1945-1970



3.Die Wechselwirkung zwischen gewaltloser und gewaltsamer Aktion in Nordirland 1967-1972



4.Der Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft in Osteuropa 1968-1991



5.Selbstbeschränkung im revolutionären Prozess in Polen 1970-1989



6.Die Nelken-Revolution in Portugal 1974-1975



7.Massenproteste in der iranischen Revolution 1977-1979



8.Der gewaltfreie Aufstand auf den Philippinen 1983-1986



9.Massenmobilisierung gegen die Diktatur General Pinochets in Chile 1983-1988



10.Die Bewegung gegen das Apartheid-Regime in Südafrika 1983-1994



11.Die Unabhängigkeitsbewegungen in den baltischen Staaten 1987-1991



12.Die Demonstrationen auf dem Tienanmen Platz in Peking 1989



13.Der gewaltfreien Demonstrationen in der DDR 1989



14.Zivile und bewaffnete Aktionen im Kosovo 1990-1998



15.Ziviler Widerstand gegen das Regime von Slobodan Milosevic in Serbien, 1991-2000



16.Die "Revolution der Rosen` in Georgien 2003



17.Die Massenproteste gegen Wahlfälschungen in der Ukraine 2004



18.Der Aufstand der Mönche in Burma 2007.


An dieser Liste fällt auf, dass mit Ausnahme der Bürgerrechtsbewegung in den USA immer nur aktuelle und potenzielle Regime-Wechsel untersucht wurden. Im besten Falle ist es den Aufständischen gelungen, demokratische Institutionen zu etablieren und mit deren Hilfe die Gesellschaften umzugestalten. Aber häufig reagierten an den Protesten Beteiligte auch enttäuscht auf die Geringfügigkeit der tatsächlichen Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse und die Kontinuität der Herrschaftsstrukturen. Besonders auffällig ist, dass in keinem der untersuchten Fälle das Militär als Institution abgeschafft oder auch nur in Frage gestellt wurde.



Gewaltfreie Bewegung in Deutschland

Wenn man also aus der Sicht der Friedensbewegung über den mittel- und langfristigen Erfolg von gewaltfreien Aufständen nachdenkt, dann empfiehlt es sich, auch die innenpolitischen gewaltfreien Bewegungen in etablierten Demokratien ins Auge zu fassen. Zu denken ist hier im Blick auf die Bundesrepublik Deutschland in erster Linie an die Studentenbewegung in den Jahren 1967 und 1968, ihre Vorbereitung durch die Ostermarschbewegung und ihre Nachwirkung in der Frauenbewegung und der Ökologiebewegung. Solche Massenbewegungen in den etablierten Demokratien unterscheiden sich von den oben genannten Regimewechseln vor allem durch den Umstand, dass dezentral eine wirklich große Zahl von gewaltfreien Bezugsgruppen am Prozess des Erlernens demokratischer Beteiligung und des Einübens mannigfaltiger Protestmethoden beteiligt ist.

Ihren sprachlichen Ausdruck haben diese Beteiligungsformen in dem Begriff der "Graswurzelrevolution" gefunden. Das Revolutionäre ist, dass im Zuge des gewaltfreien Widerstands bei den Beteiligten die tradierten autoritären Charakterstrukturen allmählich überwunden werden. Dieser Prozess wird in der Regel mit einem Generationswechsel einhergehen.

Wer die Nachhaltigkeit einer so genannten "gewaltfreien Revolution" beurteilen will, tut gut daran, auf die Zahl der Beteiligten und die Dauer ihrer Beteiligung und der damit (im weitesten Sinne) verbundenen Lernprozesse zu achten. Gandhi hätte sich einen längeren Kampf um die Unabhängigkeit Indiens gewünscht, weil er dann die Möglichkeit gesehen hätte, eine weit größere Zahl von Inderinnen und Indern in die gewaltfreien Methoden einzuüben. Sein Ziel war ein Netzwerk von gewaltfreien Aktionsgruppen in ganz Indien. Dieses Netzwerk sollte basisdemokratisch in der Lage sein, die Interessen der indischen Massen zu vertreten. Er sah in einem solchen Netzwerk auch die Alternative zur militärischen Verteidigung und zu einer schwer bewaffneten Polizei.

Obwohl Gandhi die Unzulänglichkeit der Vorbereitung auf "Hind Swaraj", also die gewaltfreie Selbstbestimmung Indiens sah, konnte er aber verstehen, dass die indischen Politiker die sich bietende Möglichkeit der Unabhängigkeit ergriffen und ein Staatswesen nicht anarchistischen, sondern konservativen, parteienstaatlichen Zuschnitts mit einem Militär- und Polizeiapparat, wie ihn die Engländer hinterlassen hatten, gründeten. Er war darüber nicht glücklich und er nahm an den Unabhängigkeitsfeiern auch nicht teil, aber seine Erfahrung hat sich bei vielen Regimewechseln, die durch gewaltlose Massenaktionen befördert worden waren, wiederholt. Diese Wiederholung ist aber nicht zwangsläufig. Es ist vorstellbar, dass gewaltfreie Bewegungen auch die Abschaffung des Militärs und sein Ersetzen durch einen umfangreichen, trainierten zivilen Friedensdienst zum politischen Ziel erklären und den Zeitraum bis zur Übernahme politischer Verantwortung nutzen, um mit einem bereits entwickelten Netzwerk gewaltfreier Aktionsgruppen in einer echten gewaltfreien Graswurzelrevolution ein neues Kapitel der Friedensgeschichte mit globaler Auswirkung zu schreiben.



Theodor Ebert, geb. 1937 in Stuttgart, war bis 2002 Friedensforscher an der Freien Universität Berlin. Er ist Autor von "Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg" (1968) und "Ziviler Friedensdienst. Alternative zum Militär" (Münster 1997).



E-Mail: theodorebert (at) web (Punkt) de
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