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 Im Blickpunkt

Friedenslösung im israelisch-palästinensischen Konflikt - eine Illusion?

Andreas Buro

Am 2. September 2010 begannen in Washington die neuen direkten Friedensgespräche zwischen Israel und Palästina. Das Nahost-Quartett (USA, EU, Russland und die UNO) hatten hierzu eingeladen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sind nach Vorgesprächen der Einladung gefolgt. Alle Welt fragt sich: Kann bei diesen Gesprächen endlich der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst werden?

Die bisher veröffentlichten Antworten auf diese Frage sind vornehmlich pessimistisch. Auch von den Verhandlungspartnern geht kein Optimismus aus. Israel will auf keinen Fall den Baustopp für neue Siedlungen in der Westbank, der am 26.9.2010 ausläuft, verlängern. Vertrauen bildende Signale sind von keiner Seite zu erkennen. Die Hamas meldet sich zu Wort, indem sie pünktlich zum Auftakt der Verhandlungen vier Israelis in der Nähe von Hebron erschießt.

Die Elemente des Konflikts sind in früheren Verhandlungen immer wieder besprochen worden. Sie sind überschaubar: Grenzen, Jerusalem, Flüchtlinge, Anerkennung Israels und Sicherheit - um nur die Stichworte zu nennen. Dazu kommen noch Grenzfragen mit dem Libanon und die von Israel besetzten und annektierten syrischen Golan-Höhen. Ein überschaubarer Katalog von Problemen, der bei Bereitschaft zum Frieden und zur israelisch-palästinensischen Koexistenz in zwei Nachbarstaaten längst hätte gelöst werden können.

Dazu kommen zwei wichtige für Frieden förderliche Elemente. Der saudiarabische Kronprinz Abdullah hat 2002 ein Friedensangebot im Namen von 22 arabischen Staaten unterbreitet: Gegenseitige Anerkennung in Verbindung mit der Bildung eines Staates Palästina in den Grenzen von 1967. Dieses Angebot gilt heute noch und stellt nach wie vor eine große Chance für den Einstieg in einen Friedensprozess dar. Israel bräuchte sich also nicht von arabischer Seite bedroht zu fühlen, hat diesen Vorschlag allerdings nie ernsthaft aufgegriffen. Anders als in früheren Jahren, in denen der Feldzug der USA gegen den Irak Vorrang hatte, ist die US-Administration heute an einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts sehr interessiert. Sie will ihre Beziehungen zu den arabischen Staaten nicht gefährden, ja sogar gerne verbessern, ist doch dort viel Öl im Gegenzug für Waffenlieferungen zu holen. Die Rede von Präsident Obama in Kairo im Juni 2009 hat die Tendenz der US-Politik zur Annäherung an die muslimische Welt markiert. Inzwischen ist allerdings aus der ausgestreckten Hand vielfach wieder eine geballte Faust geworden.

Meine Hoffnung und Utopie: Eine Zwei-Staatenlösung würde zügig vereinbart und umgesetzt. Das Quartett würde über einen Marshall-Plan die wirtschaftliche Entwicklung des neuen Palästinenser-Staates fördern. Die Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel wären normalisiert. Könnten dann nicht leicht die Grenzfragen mit dem Libanon gelöst und die Rückgabe der Golan-Höhen mit einigen früher bereits erörterten Sicherheitsvorkehrungen zugunsten Israels vereinbart werden? Geschähe dies alles, so könnte das Feindbild Israel in der islamischen Welt nicht länger aufrechterhalten werden. Hamas und Hisbollah müssten sich auf grundlegend andere Konstellationen einstellen, und der Iran verlöre seinen Hauptfeind, der bis dahin alle Aufrüstung und Verteufelung im eigenen Lande legitimierte.

Aber auch in Israel würde die Legitimation für die militaristische Politik sinken. Bürgerlich-demokratische Kräfte könnten erstarken und zum Abbau von Feindbildern gegenüber Palästinensern und anderen Arabern wesentlich beitragen. Die Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren Osten würde drastisch abnehmen. Eine Dauerkonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, die nicht nur Fragen der atomaren Bewaffnung, sondern viele andere Themen gegenseitiger vorteilhafter Kooperation verhandelte, könnte diesen großräumigen Friedensprozess dauerhaft vertiefen.

Doch warum zweifele ich selbst an meiner friedlichen Utopie? Nach Angaben von Ellen Rohlfs (s. Friedensforum 3/2010, S.8) schlug 2003 Avigdor Lieberman vor, "alle Palästinenser in Busse zu packen und im Toten Meer zu ertränken". Der Mann ist heute israelischer Außenminister. Felicia Langer berichtet von einem israelischen Kinderlied: "Es kommt ein schöner Tag, wo alle Araber sterben werden". Indizien - neben der israelischen Apartheidspolitik im Westjordanland und der Geschichte der Vertreibung der Palästinenser aus ihren Lebensräumen - für die nach wie vor fehlende Bereitschaft Israels, sich auf eine Politik der Aussöhnung und der Kooperation einzulassen. Die Siedlungspolitik Israels im Westjordanland weist eindeutig auf das strategische Ziel hin, die israelische Expansionspolitik bis zum Jordan voranzutreiben. Das kann selbstverständlich so nicht öffentlich und offiziell verkündet werden. Wie anders aber sind die nunmehr 43 Jahre Besetzung des Westjordanlandes zu erklären? Diese Politik negierte mit US-Unterstützung UN-Beschlüsse und ließ westliche Friedensinitiativen ins Leere laufen. Auch die sogenannte `Genfer-Initiative`, bei der sich Israelis und Palästinenser in wichtigen Fragen auf einen Kompromiss einigen konnten, hatte vor diesem Hintergrund keine Chance auf Realisierung.

Wird auch jetzt wieder auf Zeit gespielt? Vielleicht wird der nächste US-Präsident ein Konservativer sein? Würde ein Krieg gegen den Iran die USA nicht fest an die Seite der Israelis zwingen, so dass sie weitere Expansionsschritte gegen die Palästinenser tolerieren würden? Kriegsgefahr und Flächenbrand, obwohl man ernsthaft nicht von einer iranischen Bedrohung Israels mit Nuklearwaffen ausgehen kann? Die Führung in Teheran besteht doch nicht aus Selbstmördern! Wie stark ist Washington? Dort sollen vor allem die nächsten Wahlen im Herbst gewonnen werden, und es gibt in den USA nach wie vor eine kräftige pro-israelische Lobby. Wollte Netanjahu ernsthaft Friedenspolitik betreiben, würde er dann nicht seine parlamentarische Mehrheit verlieren oder gar einen inner-israelischen Bürgerkrieg, angeführt von den Siedlern, zu erwarten haben? Wird er das riskieren?

Ist es verständlich, warum ich Zweifel an der Verwirklichung meiner Utopie einer friedlichen Lösung des Konflikts habe?





Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.

E-Mail: andreas (Punkt) buro (at) gmx (Punkt) de
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