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 Im Blickpunkt

Neue "Pazifismusdebatte"?

Libyen: Fataler Präzendenzfall für interessengeleitete Intervention

Mani Stenner

Der Krieg der "Koalition der Willigen" gegen das Gaddafi-Regime zeigte schon kurz nach Beginn der Bombardements die Eskalationsgefahren, vor denen viele Stimmen nicht nur aus der Friedensbewegung gewarnt haben. Nach Übernahme der Mission zum "Schutz der Zivilbevölkerung" nach Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates betont selbst NATO-Generalsekretär Rasmussen, dass eine militärische Lösung nicht möglich sei. Die Aufständischen sowie die vorangespreschten Regierungen von Frankreich und Großbritannien fordern derweil von der NATO mehr Bombardements gegen die Gaddafi-Truppen und auch US-Außenministerin Clinton macht kein Hehl daraus, dass das Ziel der Intervention ein Regierungswechsel in Tripolis ist.

Unter Inkaufnahme zahlreicher ziviler Opfer in der libyschen Bevölkerung - durch die eigenen Bomben und die Reaktionen des Regimes - wandelte die Kriegskoalition den Bürgerkrieg zu einer militärischen Intervention westlicher Staaten mit ungewissen Folgen für die Menschen Libyen und der Gesamtregion. Der Krieg wird im Bündnis mit Autokraten aus der arabischen Liga geführt, die daheim brutal die eigene Bevölkerung unterdrücken - Brüder im Geiste Gaddafis. Auch die Kriegsherren auf westlicher Seite haben Gaddafi bis vor kurzem hofiert. Zu Recht wird vor Ort gemutmaßt, dass ihre Motive wenig mit humanitärer Hilfe und sehr viel mit Öl und der Abwehr von Wirtschaftsflüchtlingen zu tun haben - auch wenn Präsident Sarkozy wegen der ersten Bombardements gegen die Angreifer vor Bengasi bei den Aufständischen im Osten noch der Held ist.

Weitere Eskalation und mehr Opfer liegen in der Logik des Krieges. Die westlichen "Helfer" werden schon bald als Invasoren angesehen werden und die libyschen Aufständischen als von ihnen gesteuert. Schon kurz nach Beginn der Kampfhandlungen gab es berechtigte Kritik z.B. aus der arabischen Liga, Russland und China. Die Afrikanische Union wirbt bei Gadaffi und den Auständischen inzwischen für einen Friedensplan.

Die Rolle der Bundesregierung ist mehr als zwiespältig. Nach der Enthaltung im Sicherheitsrat, die vom Außenminister zum Teil mit Argumenten begründet wurde, die von der Friedensbewegung abgekupfert schienen, folgt aus bündnispolitischen Gründen ein Eiertanz der Kanzlerin um indirekte Kriegsbeteiligung durch Entlastung der NATO in Afghanistan (AWACS), Nutzung der deutschen Stützpunkte für die Kriegsführung und der Bereitschaft, humanitäre Einsätze der UN mit EU-Battle-Groups durchzusetzen. Das allerdings will die UN vernünftigerweise gar nicht. Die (zu wenigen) humanitären Missionen auch zur umkämpften Küstenstadt Misrata werden noch mit Einverständnis des Gadaffi-Regimes durchgeführt.



Bei Rot/Grün wäre Deutschland dabei

Innenpolitisch ist anscheinend eine Art "Pazifismusdebatte" gegenüber und innerhalb der schwarzgelben Koalition entbrannt. Durchaus laute Stimmen aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen und auch der Presse fordern eigenes kriegerisches Eingreifen auf Seiten der Aufständischen. Die Kriegsbefürworter folgen dabei dem Duktus der UN-Resolution, die ein verhängnisvoller Präzedenzfall für künftige militärische Interventionen werden könnte.

Anders als noch 1990 nach dem Einmarsch des Irak in Kuweit lag in Libyen keine Agression gegen einen anderen Staat vor. Nach diesem Beispiel könnte man jetzt also auch gegen Despoten in Bahrein, Syrien, Jemen, Saudi-Arabien und viele andere vorgehen. In der Elfenbeinküste wurde es parallel vorgeführt - dort haben mit Unterstützung von UN-Blauhelmen und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich auch die Truppen des halbe/halbe-Wahlsiegers Quattara Massaker begangen.

Nunmehr scheinen also Kriege gegen beliebige Regierungen möglich, wenn die Mehrheitsverhältnisse im UN-Sicherheitsrat demnach sind und als "humanitäre Intervention" begründet werden können.

Praktisch greifen die bekannten Doppelstandards, die sich aus wirtschaftlichen Interessen und innenpolitischer Meinungsmache ergeben.

Eine Sympathie für das Regime Gaddafis kann es nicht geben. In Libyen ging es den Aufständischen wie zuvor in Tunesien und Ägypten um die Beseitigung eines Despoten, um mehr Gerechtigkeit und Freiheit, um die Respektierung ihrer Menschenrechte und eine Entwicklungsperspektive für sich und ihre Region.

Richtig ist: Ohne das Eingreifen der französischen Luftwaffe vor Bengasi wäre der bewaffnete Aufstand niedergeschlagen worden. Dann wäre rasches ziviles Eingreifen, Evakuierung und Aufnahme der vielen Flüchtlinge und Gestrandeten, sowie die internationale Isolation des Regimes erforderlich gewesen, jetzt droht ein langer Krieg mit vielen Opfern.



Manfred Stenner ist Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative.

E-Mail: fforum (at) aol (Punkt) com
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