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 Krisen und Kriege

Libysche Geschichtslektionen

Kurt Gritsch

Die alten Römer kannten einen sehr erfolgreichen Trick, um den eigenen Einfluss zu erweitern: An der Grenze ihres Reiches schürten sie unter verfeindeten Stämmen bestehende Konflikte, bis diese eskalierten. Mit der Begründung, der Krieg im Nachbarland gefährde die Sicherheit Roms, erreichten die Militärs, dass ihnen der Senat die notwendigen Mittel für ein Eingreifen bereitstellte. Anschließend griffen die Römer auf Seiten des Schwächeren in den Krieg ein, verhalfen diesem zum militärischen Durchbruch und besiegten ihn anschließend selbst. Am Ende hatten sie ihre Macht auf ein neues Gebiet ausgeweitet, das sie dem Römischen Reich einverleibten. Olle Kamellen?

Muammar Abu Minyar al-Gaddafi ist ein Diktator, der seine Bevölkerung mit Gewalt und Brutalität unterdrückt. Frankreich, Großbritannien oder die USA hingegen sind Demokratien, die den Menschen bürgerliche Freiheiten garantieren. Wenn also die NATO nun seit einigen Wochen Gaddafi bombardiert (in Wirklichkeit die Infrastruktur und die Menschen in Libyen), um den unterdrückten Libyern die Wahrung ihrer Menschenrechte zu garantieren, wer sollte da dagegen sein? Wer, so argumentieren die Befürworter, könne schon gegen die Verteidigung der Menschenrechte sein? Darum gehe es nicht, sondern um Macht und Öl, meinen hingegen die Kritiker. Was nun? Ein Blick in die Geschichte trägt zur Aufklärung bei:

Nüchtern betrachtet lässt sich festhalten: Nachdem in Libyen ein gewaltsamer Aufstand gegen die Regierung losbricht, bringt der UN-Sicherheitsrat unter der Stimmenthaltung von Russland, China und Deutschland eine Resolution zustande, die es Drittstaaten erlaubt, die Einhaltung eines Flugverbots über Libyen zu kontrollieren. "Wer Flugverbot sagt, sagt Krieg", kommentiert die ZEIT und weist auf den Umstand hin, dass die unpräzise Formulierung der UN-Resolution es erlaubt, die Einhaltung "mit allen notwendigen Mitteln" durchzusetzen. Seit Mitte März dauert nun der Krieg, der keiner sein soll, an. Eines ist sicher: Die Motive für das NATO-Eingreifen in Libyen sind vor allem wirtschaftlicher (die Kontrolle über die großen Ölreserven des Landes) und strategischer (Truppenstationierung in Nordafrika zur direkten Kontrolle der afrikanischen Flüchtlinge sowie für den Kampf gegen den Terrorismus) Natur, nicht jedoch humanitärer: Wer würde sonst wohl anstelle von Flüchtlingslagern, Wasseraufbereitungsanlagen und medizinischer Notversorgung Bomben werfen, auch auf zivile Einrichtungen?

Vor zwölf Jahren, am 24. März 1999, hatte ebenfalls ein militärischer Überfall stattgefunden, der sich als "humanitäre Intervention" (was wörtlich "menschenfreundliche Einmischung" bedeutet) verstanden wissen wollte. Damals bombardierte die NATO Jugoslawien 78 Tage lang. Damit sollte erreicht werden, dass die "schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Kosovo", welche der serbische "Diktator" Slobodan Milosevic angeblich an albanischen Zivilisten begehen ließ, gestoppt würden. Der vorangegangene Bürgerkrieg zwischen nationalistischen Terroristen namens UÇK und serbischen Sonderpolizeieinheiten hatte rund 400 Tote gefordert. Die Intervention der NATO zog mehr als 5.000 Tote nach sich.

In Wirklichkeit ging es um alles Mögliche, nur nicht um Humanität: die Stationierung von US-Truppen in der Region, die Rivalität EU - USA, die außenpolitische Zurückdrängung Russlands, die Herrschaft über ein bisher nicht kontrolliertes Land etc. Vor allem aber zählten wirtschaftliche Gründe: Serbische Staatsbetriebe wurden zerbombt und konkurrenzunfähig gemacht. Der Wiederaufbau brachte das Land durch westliche Kredite schließlich in völlige Abhängigkeit der internationalen Konzerne. Der Auto-Hersteller Zastawa z.B. wurde inzwischen von FIAT gekauft. Im Kosovo selbst setzte die UN-Verwaltung die Zwangsliberalisierung des Handels durch und versteigerte Provinzbetriebe sogar gegen den Willen der Albaner, zu deren Gunsten angeblich interveniert worden war. Und nicht zuletzt erreichte die NATO mit dem ohne UN-Mandat erfolgten Angriff auf Jugoslawien ihr Hauptziel: Sie wandelte sich vom Verteidigungs- zum Interventionsbündnis. Der "Kosovo-Krieg" wurde damit zum Türöffner für die folgenden Kriege - und führt somit direkt zur ebenfalls angeblich humanitär bedingten Intervention in Libyen.

Apropos Libyen: Der Kampf gelte, so die Rechtfertigungsstrategie der Aggressionsstaaten, dem "Diktator Gaddafi". Dieser herrscht tatsächlich seit 40 Jahren repressiv. Der Grund dafür liegt aber weniger in der Demokratieunfähigkeit der Libyer als in der Tatsache, dass das Land keine nationale Einheit ist. Wie Afghanistan oder der Irak und zahlreiche weitere Länder der Welt, deren Staatsgrenzen von den Kolonialmächten nach westlichen Interessen gezogen worden waren, wird Libyen von Stammesfürsten beherrscht. Eine nationale Politik, welche darauf abzielt, die reichen Ölressourcen gewinnbringend für das Land selbst zu nutzen, wie dies Gaddafi seit Jahrzehnten versucht hat (wobei er sich selbst und seinen Clan unverhältnismäßig stark am Reichtum beteiligte), konnte nur klappen, solange alle an einem Strang zogen. Dies hat Gaddafi gewaltsam gewährleistet - und sich damit bei den internationalen Ölkonzernen sowie deren Lobbyisten in den westlichen Regierungen wenig Freunde gemacht. Gleichzeitig gibt es im Land, wie in jeder Diktatur, eine Opposition - und auf solche setzen westliche Staaten für gewöhnlich. Wenn aber die finanzielle Unterstützung nicht den erhofften Regierungswechsel, verbunden mit besseren wirtschaftlichen Konditionen für transnationale Konzerne bei gleichzeitiger Benachteiligung der einheimischen Bevölkerung, herbeiführt, wählt man den Weg der militärischen Unterstützung. Damit wird ein Konflikt - anstatt ihn zu befrieden - angeheizt, wobei eine Seite militärisch aufgerüstet wird, die sich - man erinnere sich an die im anti-kommunistischen Kampf unterstützten Taliban - später auch gegen einen selbst wenden kann. Auch das ist eine Option in Libyen: Erste Berichte über eine Beteiligung radikal-fundamentalistischer muslimischer Gruppen an den durchwegs als "Rebellen" bezeichneten Gegnern Gaddafis sind bereits aufgetaucht.

Auch Saddam Hussein war ein Diktator, ein weit grausamerer als Gaddafi. So starben z.B. bei einem Giftgasangriff (das Gas stammte von einer US-amerikanischen Firma) auf ein kurdisches Dorf an einem einzigen Tag rund 5.000 Menschen. Es gab und gibt gute Gründe, gegen Milosevic zu sein, noch mehr sprechen gegen Gaddafi und am meisten gegen Hussein. Und dennoch waren auch die beiden Kriege gegen den Irak (1991 und 2003) keine Kriege, um einen Diktator abzusetzen und der Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen, wie behauptet wurde. US-Militärs, so konnte man 2002 im Internet nachlesen, rechneten bei einem Sturz Saddam Husseins mit einem Bürgerkrieg. Und Bürgerkrieg, das lehrt uns die Geschichte, ist im Normalfall immer blutiger als jede noch so zu bedauernde politische Unterdrückung. Die Hintergründe der Aggressionskriege gegen den Irak waren indes nicht ideologischer oder gar humanitärer Natur, sondern bestanden aus handfesten Wirtschaftsinteressen: Seit 2008 dürfen internationale Energiekonzerne erstmals seit mehreren Jahrzehnten wieder auf irakischem Boden selbst Öl fördern und somit die satten Gewinne, welche dem Land und seinen Bewohnern zustehen würden, selbst einstecken. Hier schließt sich der Kreis: Auch in Libyen war und ist die Förderung der Ölreserven ausschließlich dem Staat vorbehalten. Damit kein Stammesfürst "seine" Ölquelle dennoch an eine ausländische Firma verkauft, hat Gaddafi das Land mehr als 40 Jahre unterdrückt - in gewissem Sinne für die Bevölkerung, die zwar keine politischen Freiheiten, dafür aber einen gewissen Wohlstand erreicht hat.

Die internationale Intervention in den Bürgerkrieg hat keine humanitären Ziele. Es geht nicht, wie einzelne Befürworter des Angriffs geschrieben haben, darum, einen Diktator zu stürzen oder gar einen "neuen Hitler" zu bekämpfen. Schon Hussein war kein neuer Hitler, und schon gar nicht Slobodan Milosevic, so despotisch und brutal die beiden Regime auch waren. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass noch kein Krieg der Welt jemals aus humanitären Gründen geführt worden ist. Selbst die Anti-Hitler-Koalition hat sich in den Zweiten Weltkrieg aus wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gründen eingeschaltet - die UdSSR, Frankreich und Großbritannien führten einen Verteidigungskrieg, und die USA sahen ihre Vormachtstellung insbesondere im Pazifik gefährdet. Die Rettung der europäischen Juden vor der Vernichtung wurde nicht einmal dann in Angriff genommen, als es möglich gewesen wäre: Alleine die Bombardierung der Zufahrtsgleise zum größten Massenvernichtungslager Auschwitz-Birkenau hätte vielen Tausenden das Leben gerettet - doch die Royal Air Force wollte das Leben ihrer Piloten dafür nicht aufs Spiel setzen. Befreit wurden die Lager erst, als auch der Krieg gegen NS-Deutschland gewonnen war.

Wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann dies: Rechtfertigungen für einen aktuellen Krieg, die sich der Historie bedienen, sollten immer mit Skepsis betrachtet werden. Zugleich bietet uns die Geschichte aber auch die Chance, unsere Gegenwart besser zu verstehen, vor allem, wenn wir bereit sind, gewisse Konstanten anzuerkennen: Kriege mussten und müssen begründet und gerechtfertigt werden. Welcher westliche Bürger würde zustimmen, dass sein Land in Libyen interveniert, wenn er die Wahrheit erfahren würde? Dass der Krieg nämlich u.a. vom Zaun gebrochen wurde, um sich in den sich verändernden Herrschaftsverhältnissen in Libyen einen besseren Platz und mehr Einfluss zu sichern? Dass die Intervention mit Steuergeldern bezahlt wird, die in Sanität und Bildung fehlen werden, während die zukünftig in Libyen erzielten Gewinne hauptsächlich den transnationalen Konzernen zufallen werden? Dass die "humanitäre Intervention" Libyen ärmer machen und somit noch viel mehr Menschen zum Auswandern zwingen wird? Dass der "Hass auf den Westen" (Jean Ziegler) durch die "Humanität" unserer Regierungen noch wachsen wird?

Es ist Zeit, das Märchen von der "humanitären" Begründung für Kriege als solches zu entzaubern. Die Betroffenen wissen es am besten: Die Intervention zur "Stärkung der Demokratie" im Irak legte durch gezielte Bombardements zuerst einmal die Wasserversorgung Bagdads lahm. Und in Belgrad und in anderen jugoslawischen Städten wurden unter humanitärer Begründung Krankenhäuser, Kirchen und Schulen bombardiert. Militärische Interventionen dienen nie den Menschen, zu deren Gunsten angeblich interveniert wird, sondern dem Intervenierenden. Das wird allein schon durch die Wahl der Mittel (Luftangriffe) deutlich, wie die Geschichte der letzten Jahre zeigt. Es ist zu befürchten, dass sich das Beispiel Libyen in die Reihe der bisherigen Fälle einordnen wird.



Dr. Kurt Gritsch, Zeithistoriker, Meran - Südtirol - Italien. Von Kurt Gritsch ist zuletzt erschienen "Inszenierung eines gerechten Krieges? Intellektuelle, Medien und der "Kosovo-Krieg` 1999, Hildesheim 2010."



Kontakt: kurt.gritsch@gmail.com

E-Mail: kurt (Punkt) gritsch (at) gmail (Punkt) com
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