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FF2012-1

 Krisen und Kriege

Menschenrechte in Usbekistan

Humanitäre Organisationen fordern

Brot für die Welt, Eurasian Transition Group, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), INKOTA-netzwerk, terre des hommes Deutschland, Uzbek-German Forum for Human Rights (UGF)

Anlässlich des Tages der Menschenrechte am 10. Dezember 2011 haben sich fünf Menschenrechts- und humanitäre Organisationen mit einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt. Wir dokumentieren hier das Schreiben, das in Kopie auch an den Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle und den Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt Markus Löning ging. Es ist auch im neuen Jahr weiterhin aktuell.


Bakhodir Pardaev, ein 13-jähriger usbekischer Junge, liegt seit September diesen Jahres im Koma. Anstatt die Schule zu besuchen, hatten er und seine Mitschüler den ganzen Tag auf den Feldern gearbeitet, wo sie, wie jedes Jahr, zur Baumwollernte gezwungen wurden, um die von der Regierung gesetzten Quoten zu erfüllen. Auf dem Nachhauseweg, der die Kinder zu Fuß an einer Autobahn entlangführt, wurde Pardaev von einem Auto überfahren. Zwischen 1,5 bis 2 Millionen usbekische Kinder und ihre Lehrer werden jeden Herbst vom Staat in die Baumwollfelder geschickt, wo sie wochenlang unter prekären Bedingungen Baumwolle pflücken. Hierin liegt ein Verstoß gegen die UN-Konvention über die Rechte des Kindes und die Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Im Hinblick darauf, dass Usbekistan weltweit der drittgrößte Exporteur von Baumwolle ist, ist davon auszugehen, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung Kleidung aus Baumwolle trägt, die unter dem Einsatz von Kinderzwangsarbeit in Usbekistan geerntet wurde. Baumwolle erbringt dem Land jährlich über eine Milliarde US Dollar. Dies stellt etwa 20% des usbekischen Bruttoinlandproduktes dar. Der größte Teil dieses Einkommens verbleibt jedoch in den Händen der Eliten rund um die usbekische Regierung, die ein Monopol auf den gesamten Baumwollhandel hält. Mit anderen Worten trägt Baumwolle zur Finanzierung des autoritären Regimes von Präsident Karimov bei.



Folter - ein gängiges Instrument

Im vergangenen Oktober schickten die Eltern von Dilshod Shohidov, der in Usbekistan eine achtjährige Haftstrafe wegen Verbreitung extremistischer Literatur und Diebstahl verbüßt, einen öffentlichen Appell an die Behörden. Bei ihrem letzten Besuch waren ihnen Folterspuren an seinem Körper - an Rücken, Armen und Beinen - aufgefallen. Auch sein Mund hatte schwere Verletzungen aufgewiesen, nachdem er von Strafvollzugsbehörden zwangsernährt worden war, um seinen Hungerstreik zu beenden. Seine Eltern schreiben: "Es ist kein Geheimnis mehr, dass von Zeit zu Zeit Häftlinge in Gefängnissen und Untersuchungshaft an den Folgen von Folter und ähnlichen Misshandlungen sterben. Wir haben Angst, dass unserem Sohn ein ähnliches Schicksal widerfährt." Folter in Usbekistan wurde von Organen der Vereinten Nationen als systematisch und weit verbreitet eingestuft, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt entschieden, dass es gegen das Folterverbot verstößt, Häftlinge nach Usbekistan abzuschieben. Den in der UN-Konvention gegen Folter enthaltenen Verboten wird in Usbekistan in der Tat nur wenig Bedeutung beigemessen. So wurden beispielsweise nach unabhängigen Berichten Feinde von Präsident Karimow in kochendes Wasser geworfen und so zu Tode gefoltert. Mindestens ein Dutzend Menschenrechtler sind derzeit wegen ihrer Arbeit inhaftiert. .

Die usbekische Regierung verletzt regelmäßig nahezu alle die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthaltenen Rechte, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Die Menschenrechtssituation in Usbekistan hat sich am 13. Mai 2005 dramatisch zugespitzt, als Kräfte der usbekischen Regierung Hunderte von meist unbewaffneten Zivilisten in der Stadt Andischan erschossen. Seit diesen als Andischan-Massaker bekannt gewordenen Ereignissen und dem sich daran anschließenden brutalen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, wurden sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch Medienunternehmen und verschiedene UN-Organisationen des Landes verwiesen. Trotz wiederholter Aufforderungen gelang es weder Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen noch der IAO, Zugang in das Land zu erhalten. Heute ist Usbekistan eines der weltweit repressivsten Regime. Dennoch ist das Land nicht für alle geschlossen. Im Hinblick auf internationale Baumwollhändler, aber auch für NATO-Verbündete, die ein strategisches Interesse an der usbekischen Grenze zu Afghanistan sehen, ist die usbekische Regierung zu der Überzeugung gekommen, dass sie die notwendige Verhandlungsmacht besitzt, weiter gegen internationale Menschenrechte verstoßen zu können, ohne befürchten zu müssen, zur Verantwortung gezogen zu werden. Das usbekische Regime kann darauf vertrauen, dass es von der internationalen Gemeinschaft das erhält, was es benötigt. Diese Überzeugung ist nach der Aufhebung der EU-Sanktionen, die infolge des Andischan-Massakers von Mai 2005 verhängt worden waren, noch gestärkt worden. Bezeichnenderweise hat sich die Menschenrechtssituation seit der Aufhebung der Sanktionen nicht im Geringsten verbessert.

Die Annahme, dass eine stille Diplomatie die effizienteste Vorgehensweise sei, um die Menschenrechtssituation in Usbekistan zu verbessern, hat sich nicht bestätigt. Die Nutzung des usbekischen Stützpunkts Termez nahe der afghanischen Grenze darf die Regierung nicht daran hindern, die grausame Bilanz des usbekischen Regimes in Sachen Menschenrechte öffentlich zu verurteilen und eine proaktive Agenda der Menschenrechte in Usbekistan zu verfolgen. Dies nicht zu tun, wäre in der Tat schwer mit den Zielen Deutschlands in Einklang zu bringen, die Demokratie in Afghanistan, Usbekistans Nachbar im Süden des Landes, zu stärken. Wie der arabische Frühling uns erneut in Erinnerung gerufen hat, werden Diktatoren, die die Menschenrechte ihrer Bürger missachten, früher oder später aus der Macht gedrängt. Wir, die Vertreter von in Deutschland ansässigen gemeinnützigen Organisationen, fordern Sie anlässlich des bevorstehenden Tages der Menschenrechte auf, Deutschlands Einsatz für die Förderung und den Schutz von Menschen- und Kinderrechten, insbesondere in Bezug auf Usbekistan, zu bestätigen. Die Bundesregierung sollte:



zu jeder bilateralen und internationalen Gelegenheit eine aktive menschenrechtsbezogene und offene Diplomatie in Bezug auf Usbekistan verfolgen,



Usbekistan auffordern, innerhalb eines von der Europäischen Union verabschiedeten Zeitrahmens, die Kriterien, die der Rat der Europäischen Union in seinen Schlussfolgerungen zu Usbekistan vom 25. Oktober 2010 festgelegt hat, zu erfüllen


Dementsprechend müssen die usbekischen Behörden:



alle inhaftierten Menschenrechtsverteidiger und politischen Gefangenen freilassen;



den ungehinderten Betrieb von Nichtregierungsorganisationen im Land gewährleisten;



uneingeschränkt mit allen relevanten UN-Sonderberichterstattern kooperieren;



Meinungsäußerungsfreiheit und Freiheit der Medien gewährleisten;



die praktische Umsetzung der IAO-Konventionen gegen Kinderarbeit vorantreiben und



das Wahlsystem in vollem Umfang internationalen Standards anpassen.


Für den Fall, dass diese Kriterien in dem festzusetzenden Zeitrahmen nicht erfüllt werden, müssen politische Maßnahmen und gezielte Sanktionen in Betracht gezogen werden.

Die Bundesregierung sollte weiterhin:



auf die IAO einwirken, eine Untersuchungskommission (Mission of Inquiry) nach Artikel 26 der IAO-Verfassung einzuleiten, um im nächsten Jahr die Baumwollernte zu überwachen und die wirksame Umsetzung der IAO-Konvention 182 über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu überprüfen;



die Europäische Kommission auffordern, zu prüfen, ob die Einbeziehung Usbekistans in das Allgemeine Präferenzsystem (APS) in Anbetracht der schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen zurückgezogen werden sollte. Die Handelspräferenzen für Usbekistan stehen in direktem Widerspruch zu der von der Europäischen Union eingegangenen Verpflichtungen auf die Menschenrechte in Bezug auf APS;



verlangen, dass die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch unverzüglich eine neue Zulassung für ihr Büro in Tashkent erhält, sowie Ausgabe von Visa und Arbeitserlaubnissen für ihre internationalen Mitarbeiter und Gewährleistung eines ungestörten Betriebs. Der Oberste Gerichtshof Usbekistans "liquidierte" im Juni letzten Jahres die Zulassung und ordnete die Schließung der letzten unabhängigen internationalen Menschenrechtorganisation in Usbekistan an.




E-Mail: inkota (at) inkota (Punkt) de

Website: www.inkota.de
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