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 Im Blickpunkt

Friedenskongress 2012: Wege zum Frieden in Afghanistan

Philipp Ingenleuf

Am 13. und 14. Oktober 2012 fand in Bonn der Friedenskongress "Stoppt den Krieg, Wege zum Frieden in Afghanistan" statt. Zum ersten Mal traten Organisationen der deutschen Friedensbewegung und afghanische Organisationen der Zivilgesellschaft in einen Dialog, um gemeinsam über die Zukunft Afghanistans zu diskutieren. Veranstaltet wurde der Kongress von der Kooperation für den Frieden in Zusammenarbeit mit rund 20 afghanischen Organisationen und Gruppen. An dem Kongress nahmen rund 250 Personen teil, von denen circa die Hälfte AfghanInnen waren. Im Mittelpunkt des Kongresses stand, eine afghanische Perspektive der Situation in Afghanistan zu vermitteln und gemeinsam mit Menschen aus dem Land über Afghanistan zu diskutieren.

Neben den zahlreichen afghanischen Gästen durfte der Kongress viele nationale und internationale Referierende begrüßen, die über die aktuelle Situation, aber auch über die Zukunft Afghanistans berichteten und diskutierten.

Eingeladen, um über die Situation der Frauen in Afghanistan zu berichten, war die Staatsanwältin und Frauenrechtlerin Shukria Haideri aus Herat. Ihr wurde jedoch die Einreise nicht gestattet. Obwohl wie verlangt und nach Vorschrift alle notwendigen Unterlagen eingereicht worden waren, verweigerte man ihr das Visum, trotz einer eidesstattlichen Erklärung ihrerseits, dass sie kein Asyl in Deutschland beantragen und nach Afghanistan zurückkehren werde. Als Protest gegen dieses empörende Vorgehen verfasste der Workshop "Frauenrechte" bei dem Kongress einen Protestbrief an das Auswärtige Amt. Der Protestbrief, sowie die Forderung an Dirk Niebel und sein Ministerium, die Entwicklungs- und Aufbauhilfe zu 50% Frauen zu Gute kommen zu lassen, sind unter www.afghanistanprotest.de nachzulesen.

Teilnehmen konnte hingegen unter anderem der afghanische Stammesführer Naqibullah Shorish und der unabhängige afghanische Politiker Ramazan Bashardost. Naqibullah Shorish ist Stammesführer der Kharoti, einem der größten Volksgruppen Afghanistans. Er wird von allen Parteien in Afghanistan als neutraler Vermittler akzeptiert. Sein Friedensplan (auch Shorish-Plan genannt) wurde auf dem Kongress tiefgreifend diskutiert und ist einer der wenigen Ansätze für einen Frieden in Afghanistan, der hoffen lässt. (Wir haben den Plan im Friedensforum 5/2012 dokumentiert.)

Der unabhängige Politiker und Präsidentschaftskandidat von 2009, Ramazan Bashardost, berichtete über die aktuelle Lage in Afghanistan aus erster Hand. Er hob in seinem Vortrag hervor, dass man in Afghanistan nicht von Demokratie, sondern von einer "Dollarkratie" sprechen müsse, da man nötige Stimmen bei Wahlen einfach kaufen könne. Ramazan Bashardost wurde 2004 Minister für Planung unter Karsai, trat jedoch aus Protest gegen die Regierung zurück, da sie nicht im Sinne des Volkes handele. Seitdem setzt er sich insbesondere gegen Korruption und für Menschenrechte ein. Er gilt als hoffnungsvoller Politiker für eine friedlichere Zukunft Afghanistans.



Verbesserte Zusammenarbeit

Ein großer Erfolg des Kongresses war der vertiefte Dialog zwischen deutscher Friedensbewegung und der afghanischen Exilgemeinschaft. Auf dem Kongress wurde zum ersten mal gemeinsam mit AfghanInnen über die Zukunft Afghanistans gesprochen und eine neue Ära des Dialoges eingeleitet.

Darüber hinaus trug der Kongress auch zu einer Annäherung der verschiedenen afghanischen Organisationen und Gruppen untereinander bei, die teilweise seit Jahren aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen nicht in Kontakt getreten waren. Aus dieser Annäherung ergab sich ein weiteres sehr bedeutsames Ereignis. Als Ergebnis der zweitägigen Diskussionen und Gespräche wurde der Beschluss gefasst, einen Dachverband zu gründen, in dem die verschiedenen afghanischen Organisationen, aber auch Organisationen der Friedensbewegung, zusammenkommen sollen, um sich so gemeinsam mit einer starken Stimme für ein friedlicheres Afghanistan einsetzen zu können. Dazu wird es nun in naher Zukunft weitere Treffen geben, um weitere Aktionen und Veranstaltungen zu planen und zu organisieren, wie beispielsweise zur Bundeswehr-Mandatsverlängerung. Man darf also sehr gespannt sein über die weitere Entwicklung.



Erklärung der VeranstalterInnen

Die Lage in Afghanistan ist auch weiterhin dramatisch, so die VeranstalterInnen in ihrer Erklärung zum Kongress. Laut Transparency International belegt Afghanistan Platz 180 (von 184) des Korruptionswahrnehmungsindexes. 2009 wurden die Präsidentschaftswahlen von der Karsai-Regierung manipuliert. Täglich werden Frauen- und Menschenrechte missachtet. Die Sterblichkeit von Kindern unter 5 Jahren gehört zu einer der höchsten weltweit, ebenso wie die Muttersterblichkeit. Krieg, Unterdrückung und Gesetzlosigkeit sind an der Tagesordnung.

Dieser Realität wollen die verschiedenen Organisationen aus der Friedensbewegung und der afghanischen Zivilgesellschaft eine Vision von einem Lebens in Frieden und Freiheit gegenüber stellen.

Daher fordern die VeranstalterInnen des Kongresses das Ende des Krieges und die Beendigung der internationalen Okkupation des Landes, sowie eine sofortige Waffenruhe und Verhandlungen unter Beteiligung aller Konfliktparteien. Eine Verhandlungslösung erfordert eine neutrale Übergangsregierung in Afghanistan, die den notwendigen Gesprächsprozess moderiert, die Partizipation von Frauen gewährleistet, die Ausarbeitung einer auf Konsens beruhenden Verfassung ermöglicht und freie Wahlen vorbereitet, an denen auch die bisherigen Aufständischen als politische Parteien teilnehmen können. Die Afghanen und Afghaninnen müssen endlich selbst über die Zukunft ihres Landes entscheiden können und eine Friedenslösung finden. Hilfe für Afghanistan kann und darf nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.

Die Vision eines gerechten Afghanistans hat viele Facetten, die durch eine demokratische, soziale und ökologische Entwicklung des Landes konkretisiert werden. Laut der Erklärung der Veranstalter gehören dazu:



Ein umfassender, lang angelegter Versöhnungsprozess nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg.



Eine gleichberechtigte Partizipation von Frauen auf allen Ebenen und ein System der Absicherung der Frauen- und Menschenrechte.



Ein umfassendes Bildungs- und Ausbildungssystem für jede und jeden.



Ein dezentrales Gesundheitssystem, zu dem alle Zugang haben.



Die umfassende Förderung einer nachhaltigen, dezentralen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die in der Lage ist, das Land selbst zu versorgen und den BäuerInnen ein Leben in Sicherheit und "kleinem" Wohlstand ermöglicht.



Eine ökonomische Entwicklung entsprechend der Kultur, der Umwelt und den Bedürfnissen des Landes.


Hilfe von außen tut Not. Die deutlich werdende Flucht aus der Verantwortung der NATO-Länder muss zugunsten eines von den Afghaninnen und Afghanen entwickelten und abgesicherten "Aufbauplanes" verändert werden. Dabei ist die internationale Friedens- und Entwicklungsbewegung besonders gefordert, so die VeranstalterInnen. Die Erklärung ist in voller Länge unter www.afghanistanprotest.de nachzulesen.



Afghanistan ist und bleibt ein wichtiges Thema

Auch wenn das Thema Afghanistan in den Mainstream-Medien kaum noch Erwähnung findet und als Thema mit zu geringem Nachrichtenwert gesehen wird, hat der Kongress das Gegenteil bewiesen. Die Zivilgesellschaft interessiert sich sehr wohl für das Schicksal Afghanistans, dies hat die rege Beteiligung an dem Kongress unterstrichen. Leider besteht in der Politik Desinteresse: Die Regierungsparteien CDU und FDP hielten es nicht für nötig, an der Parlamentarierrunde teilzunehmen, zu der alle Bundestagsparteien sowie die Piraten-Partei eingeladen waren.

Die Friedensbewegung und die afghanische Zivilgesellschaft wurden durch den Kongress gestärkt. Es wurden neue Kontakte geknüpft und eine engere Zusammenarbeit eingeleitet. Das Vorhaben, einen für afghanische und andere friedensbewegte Organisationen Dachverband zu gründen, lässt darauf hoffen, dass das Thema Afghanistan nun mit einer stärkeren Stimme mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangt. Aktivitäten der Friedensbewegung zu Afghanistan können nun besser mit der afghanischen Exilgemeinschaft abgesprochen werden und so eine größere Reichweite und Wirkung erzielen.

All dies bringt uns einem Frieden in Afghanistan ein Stück näher und weckt Hoffnungen auf eine bessere Zukunft.






  Alle Infos

Dokumentation Friedenskongress 2012

Eine ausführliche Dokumentation des Kongresses ist unter
http://www.afghanistanprotest.de zu finden. Dort gibt es:

Fotos des Kongresses

Audiomitschnitte






Grußwort Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch



Vortrag Claudia Haydt "Deutschland im Krieg"



Vortrag Andreas Zumach "Afghanistan und Imperiale Strategien"



Vortrag Karim Popal "Frieden ist möglich"



Jens-Peter Steffen "Abschlusserklärung der Veranstalter"


alle wichtigen Dokumente als PDF






Tagungsmappe



Abschlusserklärung



Texte Workshop Frauenrechte und weitere


Videos






verschiedene Stimmen zum Kongress



ein Konzertausschnitt des afghanischen Sängers Dilagha Surood







Philipp Ingenleuf ist Mitarbeiter im Netzwerk Friedenskooperative.

E-Mail: p (Punkt) ingenleuf (at) friedenskooperative (Punkt) de
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