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 Afrika im Fadenkreuz d. Geopolitik

Somaliland

Das vergessene Land neben Somalia

Bianca Percic

Somaliland und seine Geschichte sind nur wenigen Afrika-KennerInnen und WissenschaftlerInnen als erfolgreiches und einzigartiges Bespiel bekannt, wie die politische Entwicklung eines Landes und die Beendigung eines Bürgerkrieges nicht nur ohne internationale Beteiligung funktionieren konnte, sondern sogar durch diese fehlende Einmischung begünstigt wurde.(1)

Einzigartig auch deswegen, weil sich das Land ohne den Druck zur Bildung einer Demokratie nach europäischem Vorbild durch die internationale Gemeinschaft für eine hybride Staatsform entschied, welche ein westliches Staatskonzept mit einem adaptierten traditionellen Ordnungssystem verbindet. Somaliland erklärte sich 1991 unabhängig von Somalia und konnte den Bürgerkrieg endgültig 1996 beenden. Doch die Erklärung seiner Unabhängigkeit wird bis heute international nicht anerkannt, weswegen die Regierung Somalilands keine internationalen oder bilateralen Wiederaufbauhilfen oder offizielle politische Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erhält.
(2) Zusätzlich sieht sich die Regierung bedroht durch das weitere Festhalten der UN an einer politischen Lösung des somalischen Bürgerkrieges durch die Etablierung einer Zentralregierung für Somalia - inklusive Somalilands.(3)

Diese mangelnde Unterstützung in Verbindung mit der relativ stabilen Konsolidierung Somalilands bildet einen krassen Gegensatz zum Bürgerkriegsverlauf in Somalia und des dortigen starken finanziellen und politischen Engagements durch die internationale Gemeinschaft und regionaler Organisationen (der EU,UN, OAU, IGAD). Die in der Geschichte der UN teuersten, aber gescheiterten UNOSOM I und II - Missionen (1992 - 1995) konnten den Bürgerkrieg nicht beenden, sondern gossen auf verschiedene Weise Öl ins Feuer des Bürgerkrieges.
(4)



Die Beilegung des Bürgerkriegs

Die unterschiedliche Entwicklung der beiden Länder ist auch insofern beachtlich, als dass Somalia und Somaliland gleichermaßen mehrheitlich (zu 90 Prozent) von ethnischen Somali bewohnt werden, welche sich auf die gleichen soziopolitischen Ordnungsstrukturen und traditionellen Institutionen zur Konfliktbearbeitung berufen.

Zurückgeführt auf einen gemeinsamen mythischen Urvater, werden die zwei fiktiven Hauptabstammungslinien der Samale und der Sab abgeleitet, welche sich in sechs Klan-Familien aufspalten. Dieses segmentäre Verwandtschaftssystem bildet mit der Institution Xeer bis heute die konstituierenden Elemente der somalischen Bevölkerung.

In meiner unveröffentlichten Magisterarbeit zeichne ich den regional unterschiedlichen Wandel der traditionellen Institution Xeer nach. Begünstigende Faktoren hierfür können in den klimatischen und geologischen Bedingungen und damit auch in unterschiedlichen Subsistenzwirtschaftsformen gesehen werden. Die Klans der Samale, überwiegend Pastoral-Nomaden, und deren Institutionen konnten sich durchgängig der Beeinflussung durch neue Ordnungssysteme (wie Kolonialverwaltung und Militärdiktatur) besser entziehen als die Ackerbauern im Süden, wodurch die Institution Xeer generell sowie hinsichtlich ihres Konfliktbearbeitungspotentials im Norden nach dem Staatskollaps 1991 wieder wirksam werden konnte .

Im Norden formierte sich die dortige Bevölkerungsmehrheit der pastoralnomadischen Isaaq in der bewaffneten Oppositionspartei SNM (Somali National Movement) gegen die massiven Repressionen des somalischen Diktators Siyad Barre und seine klientelistische Verteilung von staatlichen Ressourcen und internationalen Hilfsgeldern.
(5) Die traditionellen Ältesten der Issaq involvierten sich auf unterschiedliche Weise in den Widerstand der SNM und konnten somit Einfluss auf den bewaffneten Kampf und die Kombattanten nehmen.

Der Süden Somalias mit seiner heterogenen Klanzusammensetzung beherbergte viele unterschiedliche bewaffnete Oppositionsgruppen. Die traditionellen Ältesten nahmen hier keinen nennenswerten Einfluss auf die Organisation des Widerstandes.
(6) Die SNM bekannte sich schon im Februar 1991, direkt nach dem Staatskollaps und der Flucht des Diktators Barres und seiner Regierung, zur traditionellen Konfliktbearbeitung mit Hilfe der Ältesten.

Von dieser Initiative ausgehend, belebten auch andere Klans und Klansegmente in ganz Somaliland die Position der lokalen Ältesten neu.
(7) So wurden auf lokaler und regionaler Ebene Versöhnungsgespräche im Rahmen traditioneller Ältestenräte (shir) geführt. Diese konzentrierten sich zunächst auf die Konflikte vor Ort sowie auf die regionale Stabilisierung der Sicherheit. Daraufhin folgten neuartige nationale Friedenskonferenzen nach traditionellem Modell, aber in adaptierter Form: so wurde der Kreis der Beteiligten erweitert durch Geschäftleute und Anführer bewaffneter Gruppen, und modernes Equipment eingesetzt.

Die Beendigung des Bürgerkrieges wurde aber maßgeblich durch parallele Bemühungen auf allen segmentären Ebenen erzielt. Diese beeinflussten sich reziprok positiv, indem sich die unterschiedlichen Abkommen gegenseitig stabilisierten. Im Rahmen dessen wurden die unterschiedlichen Brandherde im ganzen Land unter die soziale Kontrolle der lokalen Familien und deren Ältesten gelegt, so zum Beispiel die Entwaffnung von Kombattanten und die Versöhnung von Nachbargruppen. Verbrechen, die vor dem Waffenstillstand 1991 begangen worden waren, wurden annulliert.
(8) Organisation, Durchführung und Finanzierung der meisten Friedenskonferenzen wurden von einer Vielzahl lokalen Gruppen und Geschäftsleuten übernommen.

Nur vereinzelt steuerten internationale Organisationen geringe finanzielle Mittel bei.
(9) Dies erhöhte das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit der Konferenzergebnisse. Am erfolgreichsten verliefen die Konferenzen, die von lokalen Ältesten initiiert wurden.(10) Dieser von innen gewachsene und gestützte Friedensprozess hatte zweierlei Effekte: Erstens eine bis heute rege Diskussion und Beteiligung über die Zukunft des Landes und die Entstehung eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls.

Zweitens hatten die Menschen in Somaliland einen größeren Spielraum bei der Etablierung eines Staates, der den gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst ist.



Misstrauen gegen internationale Hilfe

Nachdem sich die Regierung Somalilands konstituiert hatte, wurde die geringe finanzielle und logistische Unterstützung internationaler Organisationen als versuchte Beeinflussung gewertet.
(11) Dieses Misstrauen bezüglich des möglichen Missbrauchs von Hilfsgeldern durch staatliche Organe liegt in der Geschichte begründet: In Folge des somalischen Krieges mit Äthiopien 1977 bis 1978 flossen erhebliche militärische und finanzielle Hilfen an das Regime Siyad Barres, deren Verteilung den Wechsel zu einem Patronage-Netzwerk begünstigte und den Krieg gegen die eigenen Bevölkerung fütterte. Das Bedrohungsszenario eines "räuberischen Zentralstaates" begünstigte eine föderale politische Struktur auf Regional-, Distrikt- und Nationalebene in Somaliland.(12)

Die Hilfsgelder, die nach Somaliland kommen, werden mehrheitlich in die Hände von NGOs und internationalen Hilfsagenturen gegeben.
(13) Die Regierung Somalilands verzeichnet seit Mitte der 1990er Jahre eine stetig wachsende Anzahl auf nunmehr circa 1.800 lokale NGOs. Aktuell arbeiten ca. 104 internationale NGOs und 21 UN-Agenturen in Somaliland. Mehrheitlich betätigen sich alle in den Bereichen Entwicklung, Bildung, Gesundheit und Existenzerhaltung: 2009 mit einem geschätzten Budget in Höhe von ca. 83 Millionen US-Dollar.(14) Dieses Engagement wird zwar von der Regierung angesichts ihrer eigenen begrenzten Investitionsmittel begrüßt, aber auch wegen der mangelhaften Anpassung zwischen Hilfsprogrammen und nationalen Prioritäten, der geringen Unterstützung von Programmen für die Produktion, Infrastruktur und Umwelt und der fehlenden Transparenzkritisiert . Das Somaliland Centre for Peace and Development beklagt, dass die lokalen NGOs oft nicht über die nötige Projekterfahrung verfügen sowie eine klanbasierte Verteilung propagieren.(15)

Demgegenüber steht ein geschätztes Bruttoinlandsprodukt für 2002 zwischen 1,05 und 2,1 Milliarden US-Dollar, wogegen die Höhe der einfließenden Hilfsgelder sehr gering erscheint und eine mögliche Zweckentfremdung anderer lukrativerer Einkommenszweige durch Regierungsinstitutionen wahrscheinlicher erscheinen lässt, wie die Korruptionsvorwürfe bei den Präsidentschaftswahlen 2010 nahelegen.
(16) Damit kommt der Bevölkerung und den Geschäftsleuten in Somaliland eine besondere Bedeutung bei der Staatsfinanzierung zu. Der Export von Kamelen nach Saudi-Arabien macht ca. 65 % der Staatseinnahmen aus. Den zweitgrößten Posten stellen die Geldüberweisungen von Exil- Somaliländern dar, welche auf jährlich ca. 500 Millionen US-Dollar geschätzt werden und damit eine existenzsichernde Funktion haben für viele Familien und Institutionen wie Krankenhäuser und Schulen.(17) Zudem hat sich ein staatliches Zoll- und Steuersystem etabliert, welches vor allem durch Geschäftsleute getragen wird. Grundlagen für die stärkende Funktion der Geschäftsleute und der Diaspora für Stabilität und Frieden in Somaliland wurden schon zu Beginn des Bürgerkrieges gelegt: Die Benachteiligung des Nordens und die frühen und verstärkten Angriffe durch Siyad Barres Armee und seiner Verbündeten bewirkten die Flucht vieler Nordsomali ins Ausland.

Hieraus entwickelte sich im Norden in den 1980er Jahren eine "Schattenwirtschaft".
(18) Sie basierte auf Vertrauensverhältnissen, weswegen traditionelle Klanbeziehungen eine unbedingt notwendige Komponente dieses Systems darstellten.(19) Bis heute sind internationale Verwandtschaftsnetzwerke für Finanztransaktionen ins Ausland eine wichtige Grundlage, wodurch Somaliland trotz international fehlender Anerkennung Anschluss an globale Wirtschaftsströme gefunden hat.(20)

Schlussfolgernd ist zu sagen, dass die Regierung durch fehlende externe Finanzgeber abhängig ist von seiner Bevölkerung, was eine innere konstruktive Auseinandersetzung bei Konflikten und Problemen sowohl zwischen Regierung und Bevölkerung als auch zwischen oppositionellen Gruppen begünstigt. Die bisherigen Errungenschaften und die Gewährleistung von Stabilität und Frieden für die Bevölkerung sind trotz vieler Probleme sehr beachtlich. Aber vielleicht entscheidet längerfristig Somalilands geostrategische Position am Golf von Aden über seine internationale Anerkennung und nicht seine Errungenschaften.



Anmerkungen



1Eubank, Nicholas (2010) Peace-Building without External Assistance: Lessons from Somaliland (Center for Global Development, Working Paper January 2010).



2Bradbury, Mark, Adan Yusuf Abokor & Haroon Ahmed Yusuf (2003) Somaliland: choosing politics over violence, Review of African Political Economy, 30:97, S. 455 - 478.



3www.somalilandtimes.net, Issue 592, 7th June, 2013.



4Debiel, Tobias (2003) UN-Friedensoperationen in Afrika. Weltinnenpolitik und die Realität von Bürgerkriegen. (Sonderband der Stiftung Entwicklung und Frieden), Bonn: Dietz.



5Die Organisation auf dieser Verwandtschaftsebene war seit der Kolonialzeit durch die sukzessive Politisierung von Klanfamilien ermöglicht worden.



6Höhne, Markus Virgil (2006) Traditional Authorities in Northern Somalia: Transformation of Positions and Powers. (Working Paper, Nr. 82), Halle: Max Planck Institute for Social Anthropology.



7Für dies und das folgende siehe: Farah, Ahmed Yusuf & I. M. Lewis (1994) Somalia: Wurzeln der Versöhnung. Friedensvermittlungsbemühungen zeitgenössischer Ältester - Eine Untersuchung von Friedenskonferenzen an der "Graswurzel" in "Somaliland". (epd-Entwicklungspolitik-Materialien: IV/94), Frankfurt a. M.: epd-Entwicklungspolitik.



8Damit wurden auch die Grenzen der möglichen institutionellen Konfliktbearbeitung erkannt (Farah 1994: 57).



9Menkhaus, Ken (2000) Traditional Conflict Management in contemporary Somalia. In: Zartman, I. William (Hg.), Traditional Cures for modern Conflicts: African Conflict "Medicine". Boulder: Lynne Rienner Publishers, S. 183 - 200, hier: S. 189.



10WSP International (2005) Rebuilding Somaliland: Issues and Possibilities. Lawrenceville u. a.: The Red Sea Press.



11WSP International 2005: 80.



12Siehe Bradbury a.a.O., S. 474f ; Eubank a.a.O., S. 19 f; und Reno, William (2003) Somalia and survival in the shadow of the global economy (QEH Working Paper Series No.100), S. 18ff.



13Huliaras, Asteris (2002) The Viability of Somaliland: Internal Constraints and Regional Geopolitics, Journal of Contemporary African Studies, 20:2, 157 - 182.



14Republic of Somaliland: Ministry of National Planning and Development (2011) National Development Plan 2012 - 2016, S. 238ff.



15Eubank a.a.O, S.21f.



16Forti, Daniel R. (2011) A pocket of stability, understanding Somaliland. African Centre for the Constructive Resolution of Disputes, Issue 2, 2011 (Durban), S. 23f



17Republic of Somaliland a.a.O., S. 97.



18Sie bediente sich des informellen "francovaluta"-Systems: Händler erhielten die ausländischen Devisen der Exil-Somali, kauften hierfür Importgüter und schleusten diese am Staat vorbei ins Land und veräußerte sie. Das hieraus erwirtschaftete Geld wurde dann den Familien der Exil-Somali zugeführt (Brons, Maria H. [1993] Somaliland: Zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung. Arbeiten aus dem Institut für Afrika-Kunde, 89, Hamburg, S. 192).



19Bongartz, Maria (1991) Somalia im Bürgerkrieg: Ursachen und Perspektiven des innenpolitischen Konflikts. (Arbeiten aus dem Institut für Afrika-Kunde, 74, Hamburg, S. 36.



20Siehe Reno a.a.O; Bradbury a.a.O. S. 41.


Bianca Percic, geb. 1975, Studium Gebärdensprache und Ethnologie in Hamburg und Magisterarbeit zum Wandel der traditionellen konfliktverregelnden Institution Xeer im Vergleich Somalia und Somaliland. Tätig im Bereich Anti-Rassismus, Friedens- und Protestforschung.



E-Mail: biancapercic (at) hotmail (Punkt) com
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