FF6/13 GEW-NRW: Kooperation mit BW kündigen!


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FF2014-1

 Hintergrund

Zivilklauseln

Weder frei noch zivil - Militärforschung an deutschen Hochschulen

Lucas Wirl

Die Süddeutsche Zeitung und der NDR haben die Kooperation von 22 deutschen Hochschulen und mehreren wissenschaftlichen Einrichtungen mit dem US Department of Defense oder dessen Unterorganisationen offen gelegt. Vier der Universitäten haben Zivilklauseln. Eine breite gesellschaftliche Debatte über die Rolle von Forschung und Lehre an Hochschulen und öffentlichen wissenschaftlichen Einrichtungen sowie über Verifikationsmöglichkeiten von Zivilklauseln ist dringend notwendig.

Die Zahlen, die SZ und NDR zusammengestellt haben, können als Beleg für eine neue Qualität der Militarisierung von deutschen Hochschulen angesehen werden. Nicht nur das deutsche Verteidigungsministerium und Rüstungsfirmen lassen Rüstungsforschung an deutschen Hochschulen betreiben, auch das Pentagon öffnet die Türen zu Hochschulen über die Vergabe von Drittmitteln: Circa 7 Millionen USD wurden in den letzten Jahren an Forschungsprojekte deutscher Universitäten gegeben.

In den USA tritt das Pentagon als eine Art allgemeine Forschungsförderungseinrichtung auf. 2010 hat es 80 Milliarden USD für Forschung und Entwicklung (FuE) bereitgestellt (Gesamthaushalt der USA für FuE betrug 150 Milliarden USD). 2005 hat das Pentagon über 1,4 Milliarden USD für Grundlagenforschung an USUniversitäten ausgegeben und über 70 % aller Forschung im Bereich des elektrischen und mechanischen Ingenieurswesens finanziert. Die Forschung einer der namhaftesten Universitäten der USA, das MIT (Massachusetts Institute of Technology), wurde 2009 mit 719 Millionen USD vom Pentagon gesponsert (bei einem Gesamtforschungsbudget von knapp 1,4 Milliarden USD). Hier ist genau jene Abhängigkeit gewachsen, vor der Eisenhower in seiner Rede zum militärischindustriellen Komplex 1961 gewarnt hat. Eine ähnliche Abhängigkeit ist in Deutschland nicht zu erkennen. Nichts desto trotz werden, auch durch Projektgelder des Pentagon, Brücken vom Militär zur Wissenschaft gebaut, eine Verstetigung der Kooperation zwischen Hochschulen und Militär erreicht und letztendlich eine Militarisierung der Wissenschaft und eine Verwissenschaftlichung des Krieges vorangetrieben.

Die vom Pentagon in Deutschland geförderten Projekte umfassen zum großen Teil sogenannte Grundlagenforschung oder "dual-use"-Forschung. Letztere bezeichnet Forschung, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke anwendbar ist. Im Allgemeinen wird Forschung in Grundlagen- und angewandte Forschung unterteilt. Grundlagenforschung ist Forschung, die das Elementarwissen für weitergehende Forschung schafft, während angewandte Forschung sehr stark praxisbezogen ist. Zur Bestimmung von Forschung als zivil oder militärisch könnte man also argumentieren, dass Grundlagenforschung nicht als zivil oder militärisch bestimmbar wäre, während dies bei angewandter Forschung möglich sei. Für Edward Teller, Physiker und Vater der Wasserstoffbombe, "bestehen keine Grenzen zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung". Wie und für was Forschung betrieben wird, komme auf den Auftraggeber an. Der Fluss des Geldes lässt Aussagen zu, ob es sich um zivile oder militärische Forschung handelt. Ein Verteidigungsministerium hat militärisches Interesse an Forschungserkenntnissen.



Forschen für den Krieg ist ethisch nicht verantwortbar.

Ein regelrechter Skandal sind die Kooperationen des Pentagons mit vier Universitäten mit Zivilklauseln, also mit Hochschulen, die eine Bindung der Forschung und Lehre an friedliche und zivile Zwecke festgeschrieben haben. Es handelt sich um die TU Darmstadt, die TU Ilmenau, die Universität Bremen und die Universität Frankfurt am Main. Diese Kooperationen müssen umgehend eingestellt und die Projekte offen gelegt werden. Ein alle universitäre Kräfte einbeziehender Prozess zur Klärung eines Verstoßes gegen die Zivilklauseln sollte eingeleitet werden.

Auch Verfahren über die Einhaltung und Beachtung von Zivilklauseln sind dringend notwendig. Zivilklauseln als Instrument zur Ausrichtung auf friedliche und zivile Forschung und Lehre reichen nicht aus, Verifikationsmechanismen müssen entwickelt werden. Diese sind oftmals nicht gewünscht: Der Senat der Universität Kassel beschloss Anfang Dezember die Einführung einer Zivilklausel, stimmte jedoch gegen die Einrichtung einer Ethikkommission zum Diskurs über die Einhaltung der Ausrichtung der Forschung und Lehre auf friedliche und zivile Zwecke. Es liegt die Vermutung nahe, dass eine universitäre Debatte um die Ausrichtung der Hochschulen durch ein Lippenbekenntnis zur Zivilklausel verhindert oder zumindest abgebremst werden soll.

Debatten um die Ziele und Zwecke der öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind jedoch dringend geboten. Die Wissenschaft darf sich dabei nicht in ihrem Elfenbeinturm und hinter Schlagwörtern wie "Grundlagenforschung", "dual-use" oder "Freiheit der Wissenschaft" verstecken. Ein Diskurs zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik um die Ausrichtung von Forschung und Lehre an öffentlichen Hochschulen findet bisher leider nicht statt, ist aber dringend notwendig.



Lucas Wirl ist Geschäftsführer der NaturwissenschaftlerInnen für den Frieden und ist in der Intitiative "Hochschulen für den Frieden - Nein zur Rüstungsforschung, Ja zur Zivilklausel" aktiv.

E-Mail: geschaeftsfuehrung (at) natwiss (Punkt) de

Website: www.natwiss.de
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