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FF2014-1

 1914-2014: Krieg u. Friedensbeweg.

Angriff auf die Kriegskultur

Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland vor 1914

Wolfram Wette

Als Utopisten, als Friedensheulsusen, gar als Friedenshetzer hat man sie diffamiert, als Träumer und unmännliche Naivlinge, die von der wirklichen Welt der Lebenskämpfe und Kriege keine Ahnung hätten. Man begegnete ihnen jedoch nicht nur mit Spott, sondern auch mit bösartigen Anfeindungen, weil man sie für politisch gefährlich hielt. Weshalb, so fragte schon der Historiker Dieter Riesenberger in seiner "Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland" (1985), führte im deutschen Kaiserreich die bloße Existenz einer organisierten Friedensbewegung zu Reaktionen, "die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung der Friedensgesellschaft standen"? Es ist das Anliegen des Beitrages, eine plausible Antwort auf diese Frage zu finden.

Tatsächlich waren die bürgerlichen PazifistInnen am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhundert keine bombenden Terroristen, vor denen sich der Staat fürchten musste, auch keine revolutionären Kämpfer, die den Militärstaat aushebeln wollten. Vielmehr handelte es sich um bürgerliche Honoratioren, deren Anliegen fraglos hochpolitisch war, die aber, so die bis heute weit verbreitete Meinung, innenpolitisch mehr oder minder als harmlos galten, weil sie sich in innenpolitische Belange nicht einmischten. Sie hatten sich, in der Tradition des Linksliberalismus stehend, meist aus humanistisch-ethischen Motiven heraus der Idee des Friedens verschrieben. Im Hinblick auf ihr Ziel der Kriegsverhütung setzten sie allerdings nicht nur auf die Vernunft der herrschenden Eliten, sondern sahen in einer zunehmend wirtschaftlich zusammenwachsenden Welt einen natürlichen Partner, der den Friedensfreunden in die Hände arbeite. Darüber hinaus wollten sie die Öffentlichkeit insgesamt aufklären.

Wenn es also nicht die Methoden gewesen sind, die den giftigen Hass der Anhänger des militärischen Machtstaates hervorriefen, so ist weiter zu fragen, ob die politischen Ziele der bürgerlichen Friedensbewegung Anlass zu solchen Reaktionen gaben? Auch das wäre - zumindest auf den ersten Blick - kaum plausibel; denn deren Vorschläge und Bestrebungen waren aus heutiger Sicht eher gemäßigt. Sie basierten auf der weitgehenden Anerkennung der machtpolitischen Verhältnisse im Innern und konzentrierten sich auf das Feld der Außenpolitik, genauer gesagt, auf das Feld der internationalen Beziehungen.

Fraglos richtete der organisierte Pazifismus sein Hauptaugenmerk auf das Thema "Krieg oder Frieden". Kriegerische Konflikte sollten zukünftig vermieden werden durch den Ausbau des Völkerrechts, durch die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit, durch den Abbau von nationalen Feindbildern und die Entwicklung von Vertrauen zwischen den konkurrierenden Nationen, durch die Bereitschaft zur Versöhnung und zur internationalen Kooperation auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet, schließlich durch die Eindämmung des Wettrüstens. Forderungen nach sozialen und politischen Veränderungen im Innern, wie sie von der Sozialdemokratie vertreten wurden, hatten in der Vorstellungswelt des bürgerlichen Pazifismus vor 1914 einen eher geringen Stellenwert. Die Einsicht in den Zusammenhang von Innen und Außen kam erst im Verlaufe des Weltkrieges dazu, womit die spätere Annäherung zwischen SozialdemokratInnen und linksbürgerlichen PazifistInnen eingeleitet wurde.

Alles andere als revolutionär war auch die Positionierung der bürgerlichen Friedensfreunde in der Militärpolitik. Sie bejahten die Landesverteidigung, kritisierten aber den Militarismus. Noch heute empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang Ludwig Quiddes - im Jahre 1893 anonym erschienene - Streitschrift "Der Militarismus im heutigen deutschen Reich". Die Schweizer Historikerin Veridiana Grossi hat diese - in der europäischen Friedensbewegung insgesamt zu beobachtende - Einstellung punktgenau mit dem Begriff "patriotischer Pazifismus" eingefangen. Wegen ihrer Militarismuskritik boten die VertreterInnen der bürgerlichen Friedensbewegung also schon eher einen Anlass zu emotionalen Aufwallungen seitens der militärgläubigen herrschenden Eliten. Was den innenpolitischen und innergesellschaftlichen Einfluss der bürgerlichen Friedensbewegung in Deutschland vor 1914 angeht, so sind sich alle Fachleute in dem Urteil einig, dass er von randständiger Bedeutung war. Zu keinem Zeitpunkt stellte der organisierte Pazifismus einen politisch relevanten Faktor dar. Damit unterschied er sich beträchtlich von den Schwesterorganisationen in Frankreich, England, den USA, den skandinavischen Staaten, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien, wo PazifistInnen als Teil der politischen Kultur akzeptiert wurden und wo einige von ihnen sogar in den Regierungen und den Parlamenten vertreten waren.

In Deutschland, Österreich-Ungarn und in Russland konnten Friedensvereinigungen dagegen nur schwer oder gar nicht Fuß fassen. In Deutschland gelang es erst im Jahre 1892, eine nationale Friedensorganisation zu gründen, die sich den Namen "Deutsche Friedensgesellschaft (DFG)" gab. HauptinitiatorInnen waren pikanter Weise zwei ÖsterreicherInnen, nämlich Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried. Die Gründung fiel in die Zeit der imperialistischen deutschen Politik, die durch ihren Weltmachtanspruch den Status quo in Frage stellte und auf dem Rüstungssektor eine für die Nachbarn beängstigende Dynamik entfachte. Die Mitglieder der schwachen Deutschen Friedensgesellschaft vermochten diesen Bestrebungen nichts entgegen zu setzen, was die Machtstaatseliten hätte beeindrucken können.

Allerdings schienen in den Vorkriegsjahren etliche Entwicklungen in Europa im Sinne der Friedenserhaltung zu wirken. Bürgerliche PazifistInnen in England, Frankreich und Deutschland pflegten auf persönlicher Basis internationale Kontakte. In den Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) wurde die Einrichtung eines Internationalen Schiedsgerichtshofs beschlossen, der 1913 in Den Haag in den "Friedenspalast" einzog und seine Arbeit begann. Die Länder Europas arbeiteten auch wirtschaftlich eng zusammen. Darüber hinaus gab es eine rege Kommunikation und einen zunehmenden Kulturaustausch zwischen den Nationen. Das alles ließ die damaligen Kriegsgegner hoffen, der Frieden ließe sich politisch, wirtschaftlich und völkerrechtlich organisieren, und kein anderer als der Pazifist Alfred Hermann Fried hat seine Theorie von der internationalen Organisation der Friedenssicherung auf die Beobachtung der internationalen Vernetzung gestützt. Seine Prognose einer quasi naturnotwendigen Zukunftsentwicklung zum Frieden hin fand gewiss nicht die Zustimmung der Militärs und Machtstaatspolitiker. Aber diese Entwicklung irritierte sie doch, wie sich exemplarisch an den Klagen des Generals und Militärschriftstellers Friedrich von Bernhardi über den "Pazifismus" seiner Landsleute ablesen lässt, die er in seinem kriegshetzerischen Buch "Deutschland und der nächste Krieg" (1912) vortrug.

Bei Kriegsbeginn 1914 verfügte die DFG über knapp 10.000 Mitglieder, die sich in 98 Städten und Gemeinden des Reiches zusammengeschlossen hatten. Sie finanzierte sich aus Mitgliedsbeiträgen. Auf staatliche Unterstützung konnte sie nicht zurückgreifen. Demgegenüber verfügten ihre großen Gegenspieler, die militaristisch orientierten Verbände, nämlich der Kyffhäuserbund als Dachverband der deutschen Kriegervereine, der Deutsche Flottenverein, der Deutsche Wehrverein, der Alldeutsche Verband, der Bund Jungdeutschland und die Deutsche Kolonialgesellschaft über mindestens dreieinhalb Millionen Mitglieder. Außerdem wurden diese Verbände kontinuierlich durch staatliche Unterstützung gefördert. Angesichts dieser asymmetrischen Kräfteverhältnisse drängt sich einmal mehr die Frage auf: Weshalb tolerierten die Vertreter des preußisch-deutschen Militärstaates die wenigen pazifistischen Honoratioren nicht einfach mit dem erprobten Mittel der herablassenden Nichtbeachtung? Den Schlüssel für die Klärung dieser Fragen bietet die kriegerische Kultur Preußen-Deutschlands vor 1914, auch Militarismus genannt. Hier beherrschte der Glaube an die schöpferische Kraft militärischer Gewalt das Denken der staatstragenden Eliten, der Generäle ebenso wie der zivilen Politiker. Die geradezu klassische Ausformung der zeitgenössischen konservativ-militaristischen Kriegsmetaphysik hatte der preußische Generalfeldmarschall Hellmuth Graf von Moltke d. Ä. (1800 - 1891) geliefert, der siegreiche militärische Führer im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Dem Völkerrechtsprofessor Johann Kaspar Bluntschli, der sich für Kriegsverhütung durch den Ausbau des internationalen Rechts einsetzte, hatte er im Jahre 1880 das bellizistische Credo entgegen gehalten: "Der Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. [.] Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen." Solch zugleich heroische wie auch fatalistische Vorstellung wurde nicht nur im Kaiserreich tausendfach nachgebetet, sondern auch noch von den Wehrmacht- Generälen der NS-Zeit, und nicht nur in deutschen Kasernen, sondern auch in Schulen und Universitäten.

Als "Schwertglauben" hat der bekannte Pädagoge und Pazifist Friedrich Wilhelm Förster diese metaphysische Vorstellungswelt bezeichnet. Er assoziierte mit ihr den "preußischen Gewaltgeist", den "militaristischen und nationalistischen Wahn", die "militaristische Denkweise" und die in Deutschland verbreitete "allgemeine Machtvergötterung", die er für eine nationale Krankheit hielt, an der auch und gerade das deutsche Bildungsbürgertum litt.

Damit sind wir an der Quelle des Hasses, der den frühen deutschen PazifistInnen entgegenschlug. Sie waren der Überzeugung, dass der Frieden möglich und machbar sei. An das quasi-religiöse Gerede vom Krieg als einem "Glied in Gottes Weltordnung" glaubten sie dagegen nicht. Sie durchschauten es als Rechtfertigungsideologie für kriegerische Gewaltpolitik.

Angesichts der Erkenntnisse über das Zerstörungspotential eines Zukunftskrieges, der ein industrialisierter Volkskrieg mit Millionen von Toten sein würde, hielten die PazifistInnen es für menschenverachtenden Zynismus, den Frieden als einen hässlichen Traum zu denunzieren. Mit anderen Worten: Die Anhänger des Schwertglaubens begriffen allein schon die Propagierung der Idee des Friedens als einen Generalangriff auf das eigene Weltbild. Sie drohte das Fundament des nationalen Machtstaats, also des Militärs, und der "kriegerischen Kultur" insgesamt zu erschüttern. Bleibt zu erwähnen, dass die antipazifistische Propaganda der Zeit vor 1914 auch bereits das antisemitisch akzentuierte Feindbild bereit hielt, beim Pazifismus handle es sich um ein "undeutsches Importprodukt". Ein Vorbote auf das Jahr 1918, in dem die deutschen Nationalisten die Demokraten, Juden und Pazifisten als "Novemberverbrecher" diffamierten und behaupteten, diese trügen die Schuld an der deutschen Niederlage.

Wolfram Wette, geb. 1940, Prof. Dr. phil., Historiker, freier Autor und Mitbegründer der Historischen Friedensforschung, Historisches Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, davor (1971-1995) Militärgeschichtliches Forschungsamt Freiburg, Ehrenprofessor der russischen Universität Lipezk.



E-Mail: wolfram (Punkt) wette (at) t-online (Punkt) de
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