FriedensForum 2/97

Aufarbeitung der deutschen Jugoslawienpolitik
Clemens Ronnefeldt

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Auch wenn die Gründe für den Zerfall Jugoslawiens in erster Linie im Land selbst zu suchen sind, entläßt uns dies nicht aus der Mühe, kritisch aufzuarbeiten, wo die Bundesrepublik und ihre Organe mitschuldig geworden sind. Inzwischen scheint mir die "Beweislage" für eine erhebliche deutsche Mitschuld derart erdrückend, daß an der Korrektur der bisherigen Darstellung des deutschen Beitrages zu diesem Krieg für mich die Frage hängt, ob unsere Medien und unsere Demokratie noch die Kraft zur Selbstreinigung haben - oder nicht. Nach Paul Beaver, Mitarbeiter der renommierten 'Jane's Information Group' in London, lieferte Deutschland allein zwischen April 92 und April 94 - trotz Embargo - Waffen im Wert von 320 Mio. Dollar an Kroatien (Quelle: "DER SPIEGEL" 32/94).

Im August 1995 deckte die Monitorredaktion in einer TV-Sendung auf, daß in der kroatischen Luftwaffe zweifelsfrei MIG-Kampfflugzeuge aus ehemaligen DDR-NVA-Beständen fliegen. Ein Jahr später berichtete Monitor, "der deutsche EU-Beobachter mit dem Decknamen Ebenberg sei vom Referat 12D des Nachrichtendienstes eingesetzt worden. Der seit 1993 zur EU-Beobachtermission gehörende Ebenberg sei 1993 und 1994 an Waffenlieferungen in die Moslem-Enklave Tuzla beteiligt gewesen. Die Waffen seien in Hilfstransporten versteckt gewesen" (FR, 20.9.96). "Das Auswärtige Amt hat nun doch bestätigt, daß zu den deutschen Mitgliedern der Beobachterkommission ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) gehört" (FR, 21.9.96), folgte einen Tag später nach anfänglichem Dementi "wegen mangelnder Abstimmung" die Bestätigung des Auswärtigen Amtes.

Andreas Zumach, Journalist in Genf, analysierte bereits 1995: "Inzwischen liegen (...) zahlreiche Informationen vor, die auf eine längerfristige Strategie hindeuten. Danach hat der Bundesnachrichtendienst (BND) seit den 80er Jahren systematisch auf die Verschärfung der Konflikte zwischen Zagreb und Belgrad hingearbeitet. (...) Zudem gibt es Hinweise auf massive Waffenlieferungen in den 80er Jahren aus deutschen Quellen an Empfänger in Kroatien. (...)

Schließlich soll Genscher in Telefonaten mit Präsident Tudjman (die vom US-Geheimdienst abgehört wurden) diesen bereits ab Anfang 1991 mehrfach zur Erklärung der Unabhängigkeit Kroatiens gedrängt haben"(1). Der Versöhnungsbund hat in seinem Rundbrief 2/1996 (2) den Briefwechsel mit Hans-Dietrich Genscher um die Anerkennungsfrage erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht. Lord Carrington schrieb am 2.12.91 an den niederländischen Außenminister van den Broek: "Eine frühzeitige Anerkennung Kroatiens würde zweifellos den Abbruch der Konferenz (Anm. d.V.: in Genf) bedeutet, da ich nicht glaube, daß die Serben unter diesen Umständen bereit wären, weiterzumachen, noch wären die Kroaten und Slowenen an der Fortsetzung interessiert. (...) Milosevic hat angedeutet, daß dort (Anm. d. V.: in Bosnien-Herzegowina) militärische Aktionen stattfinden würden, falls Kroatien und Slowenien anerkannt würden. Dieses könnte der Funke sein, der Bosnien-Herzegowina in Brand setzt".

Am 10.12.91 schrieb Perez de Cuellar - mit der Bitte um Weitergabe auch an die übrigen 12 EU-Außenminister - an van den Broek: "Ich bin tief beunruhigt darüber. daß eine verfrühte, selektive Anerkennung den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation hervorrufen könnte, besonders in Bosnien-Herzegowina und auch in Mazedonien (...)". In seiner Reaktion vom 13.12.91 antwortete Genscher dem UN-Generalsekretär: "Die Verweigerung der Anerkennung jener Republiken, die ihre Unabhängigkeit wünschen, müßte zu weiterer Eskalation der Gewaltanwendung durch die Volksarmee fuhren, weil sie darin eine Bestätigung ihrer Eroberungspolitik sehen würde". De Cuellar ließ nicht locker und schrieb am 14.12.91 erneut an Genscher zurück: "Ich nehme auch an, daß Sie von der großen Sorge gehört haben, die die Präsidenten von Bosnien-Herzegowina und Mazedonien und viele andere geäußert haben, nämlich, daß verfrühte selektive Anerkennungen eine Erweiterung des Konfliktes in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würden. Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben und würde meine eigenen Bemühungen und diejenigen meines persönlichen Gesandten, die notwendigen Bedingungen für die Anwendung von friedenserhaltenden Maßnahmen in Jugoslawien zu sichern, ernstlich gefährden", Horst Grabert, von 1972-74 Chef des Bundeskanzleramtes, von 1979-84 deutscher Botschafter in Belgrad. gilt als einer der intimsten Kenner der Anerkennungsfrage. In einem äußerst lesenswerten Beitrag stellt er die Frage, "warum von Deutschland die Auflösung der SFRJ (Sozialistische Förderative Republik Jugoslawien) durch die Anerkennung der Sezessionsstaaten" betrieben wurde"(3). Nach seiner Analyse löste Helmut Kohl am 1.7.1991 die bis dato gemeinsame Haltung der EG wie auch der USA, am Gesamterhalt Jugoslawiens festzuhalten, auf: "Wer, wie die Deutschen, auf der Basis der Selbstbestimmung seine nationale Einheit erreicht hat, kann Slowenien und Kroatien das Selbstbestimmungsrecht nicht verweigern. Deutschland soll die EG zur Anerkennung der beiden Republiken veranlassen", zitiert Grabert den Kanzler nach einem Bericht in "The Guardian" vom 2.7.1991.

Grabert weiter: "Die politische Energie für diesen Meinungsumschwung kam nun nicht aus der Sorge, den Konflikt zu vermeiden, ganz im Gegenteil. Alte Ressentiments aus den Kreisen des alten Ustasa-Untergrundes, die seit fahren gute Beziehungen zu rechten Gruppen einiger demokratischer Parteien unterhielten, meldeten sich zu Wort und wollten den 1945 verlorenen Kampf in neuer Form wieder aufleben lassen. (...) Aus der Sezession Sloweniens und Kroatiens wurde die Auflösung der Föderation gemacht. Widerstand gegen diese Politik wurde zur Aggression erklärt, was publizistisch leicht zu vermitteln war, (...). Damit war dann auch der Aggressor gefunden. (...) Nachdem am 9./10.12.91 die Verhandlungen des Europäischen Rates zum EU-Vertrag in Maastricht abgeschlossen waren, (...) wollte Deutschland seine angeblich auf die Menschenrechte orientierte Führungsqualität demonstrieren. So wurde dem Rat der Außenminister am 16.12.91 schlicht mitgeteilt, daß Deutschland die Republiken Slowenien und Kroatien noch vor Weihnachten anerkennen würde. (...)Selbst der Versuch einer gesichtswahrenden Kommission wurde von Deutschland zerschlagen, denn Deutschland erkannte an, ohne den Bericht der (von der EU eingesetzten) 'Banditer-Kommission` abzuwarten. (...) Am l8.5.92 hatte Deutschland einen neuen Außenminister, der kurz nach seiner Amtsübernahme ,Serbien in die Knie zwingen` wollte, ansonsten aber hauptsächlich mit der Schadensbegrenzung beschäftigt war, wollten doch die EU-Partner die Erpressung zur Jahreswende nicht einfach vergessen". Soweit Horst Grabert, der seinem Beitrag die Klage voranstellt: "Selten ist ein Konflikt so oberflächlich und am gewünschten Ergebnis orientiert behandelt worden. wie der in Ex-Jugoslawien".

Der Kommentar des Friedensforschers Johan Galtung laßt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: "Ich sage, daß Deutschland hier ein Verbrechen begangen hat. Das Schlimmste ist nicht Genscher, sondern daß man das nicht diskutiert hat. Das Schlimmste hat eigentlich mit der Öffentlichkeit in Deutschland zu tun" (4).

Nach der Krajina-Rückeroherung mit der bis dato größten Vertreibung von ca. 160 000 Menschen im August 1995 "scheiterte sogar die beantragte Verurteilung im Sicherheitsrat an dem Widerstand der USA und Deutschlands"(5). Nach Aussage des griechischen Informationsministers von 1995 haben die USA und die Bundesrepublik den kroatischen Einmarsch in die Krajina ein Jahr lang generalstabsmäßig vorbereitet. Es wäre fatal, nach dem Motto "Was nicht sein darf, das nicht sein kann", diese Stimmen und Fakten zu leugnen. Was not tut, ist eine lückenlose Aufarbeitung eines der schwärzesten Kapitel deutscher Außenpolitik.

Anmerkungen: (1) Andreas Zumach, Die internationale Politik in Südosteuropa hat versagt, in: Frieden und Abrüstung 49/50, hg. von IFIAS, Bonn 1995;
(2) Versöhnung 2/1996, hg. vom Versöhnungsbund e.V., Uetersen 1996 (Kuhlenstr. 5a-7, 25436 Uetersen);
(3) Horst Grabert, Von der Anerkennung zum Bundeswehreinsatz. Deutsche Politik und der Jugoslawienkonflikt, in: Wissenschaft und Frieden 2/1996, hg. von Wissenschaft und Frieden e.V. (Reuterstr. 44, 53113 Bonn);
(4) Johan Galtung, Kein Zweifel: Gewaltlosigkeit funktioniert!, hg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden, Heidelberg-Freiburg 1995;
(5) Horst Grabert, a.a.O.


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Clemens Ronnefeldt ist Versöhnungsbund-Referent für Friedensfragen

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