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Erstellt:
04.08.1997


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FriedensForum 4/1997


Ganz ohne fremde Hilfe

Hein Möllers

Druck von außen und innen, Konfliktmüdigkeit, Versöhnungsbereitschaft: Viele Momente trugen dazu bei, in Südafrika eine einigermaßen friedliche Lösung eines Konflikts herbeizuführen, der über Jahrzehnte auf eine blutige Konfrontation hinzulaufen schien. Innerhalb von fünf Jahren zwischen dem Amtsantritt F.W. de Klerks im September 1989 und den ersten allgemeinen, freien und demokratischen Wahlen im April 1994 änderte sich Südafrika von Grund auf, von einer Rassendiktatur zur Regenbogennation, wie heute Staatspräsident Nelson Mandela sein Land nicht ohne Stolz nennt. In der Situation eines Patts einigte man sich auf Kompromisse und eine Politik des Konsens. Und das - wie der südafrikanische Journalist Allister Sparks anmerkt - ohne fremde Hilfe.

"Es ist wirklich erstaunlich: 26 Parteien, so auseinanderstrebend und gegensätzlich wie überall auf der Welt, haben es geschafft, Übereinkünfte zu erzielen, die das gesamte gesellschaftliche und politische Spektrum des Landes umfassen. Sie mußten nicht auf dem Rasen vor dem weißen Haus in Washington zusammengeführt werden. Da war keine Vermittlung durch die Vereinten Nationen. Sie haben sich ganz alleine zusammengerauft. Dazu fällt mir kein historischer Präzedenzfall ein."

Sicher, es haben auch internationale Entwicklungen und Ereignisse zur Veränderung in Südafrika beigetragen. Die Sanktionen - so bruchstückhaft sie waren - blieben nicht ohne Wirkung und störten das Eigeninteresse der Wirtschaft. Die politische Großwetterlage hatte sich Ende der 80er Jahre dramatisch verändert, und mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes verlor Südafrika für den Westen seine Bedeutung.

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Kein internationaler Einfluß war größer als der von Gorbatschows Reformen, die begannen, das kommunistische Weltreich aufzulösen. Denn sie milderten auch Pretorias Angst, der schwarze Kampf gegen die Apartheid sei ein von Moskau gesteuerter Komplott. In ähnlicher Weise wirkten auch die Verhandlungen, die das Nachbarland Namibia seit April 1989 in die Unabhängigkeit führten. Namibia zeigte den Südafrikanern, daß diese Art von Wandel nicht zwangsläufig zu katastrophalen Ergebnissen führen muß.

Im Lande selbst war mit hohem sicherheitspolitischem Aufwand ein Patt zwischen Regierung, Opposition und Widerstand erzwungen worden. Die Regierung konnte den schwarzen Widerstand zwar eindämmen, aber nicht brechen. Die Sicherheit forderte einen hohen Preis. Seit Anfang der 80er Jahre mußte sich auch die Nationalpartei schrittweise vergegenwärtigen, daß Apartheid nicht durchführbar war und geändert werden mußte.

Wie man heute weiß, begannen die ersten Geheimverhandlungen zwischen Regierung und Mandelas ANC bereits 1985. Ein Jahr später schon lag ein Verhandlungskonzept und Fahrplan vor, der dann erst 1990 umgesetzt werden konnte: Freilassung, Zulassung, Einstellung des bewaffneten Kampfes und Allparteiengespräche. Die Falken im Regierungslager und sicherheitspolitischem Establishment torpedierten damals mit Luftangriffen gegen mutmaßliche ANC-Lager in Sambia, Simbabwe und Botswana die Verhandlungen.

Der Weg wurde frei, als P.W. Botha nach einer Verfassungskrise als Staatspräsident und Regierungschef zurücktreten mußte und F.W. de Klerk seine Nachfolge antrat. Selbst ein Konservativer, dachte er, anders als Botha, stärker in rechtsstaatlichen Kategorien. Folgerichtig war einer seiner ersten Reformschritte der Abbau des Polizeistaates und erst als die Allmacht des Sicherheitsapparates gebrochen war, leitete er die Abschaffung der Apartheid ein.

Ein geschickter Zwischenschritt war die Entlassung von Walter Sisulu und sechs anderen ANC-Häftlingen im Oktober 1989. Sisulu lenkte die Aufmerksamkeit auf die kommenden Tage der Versöhnung. Auf die Frage, ob bald eine schwarze Regierung die Macht übernehmen würde, antwortete er: "Wir glauben, daß es noch zu unseren Lebzeiten eine Regierung geben wird, die schwarze einschließt. Aber wir beurteilen Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe. Wir sprechen von einem demokratischen System, in dem ein Schwarzer Präsident sein kann und ein Weißer Präsident sein kann."

In seiner berühmten Rede vom Februar 1990 verfügte de Klerk die Freilassung Mandelas und anderer politischer Gefangener und hob das Verbot von ANC und anderer politischer Parteien auf. Es folgte die Abschaffung wesentlicher Apartheidsgesetze.

Grundlage für die folgenden Schritte war ein unmittelbar vor Bothas Ausscheiden verfaßtes elfseitiges Memorandum Mandelas, in dem er auf ein Treffen zwischen dem ANC und der Regierung drängte. Dieses Treffen sollte der erste Schritt auf dem Weg zu einer Verhandlungslösung sein.

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Mandela argumentierte betont gradlinig. Der ANC werde seinen bewaffneten Kampf auf keinen Fall suspendieren, ehe die Regierung nicht die Bereitschaft zeige, ihr politisches Machtmonopol aufzugeben und direkt mit den wirklichen schwarzen Führern zu verhandeln. "Das weiße Südafrika muß einfach hinnehmen, daß es niemals Frieden und Stabilität in diesem Land geben wird, solange dieses Prinzip nicht vollständig akzeptiert wird", schrieb er. Und gleichzeitig gab er sich versöhnend: "Versöhnung kann nur erreicht werden, wenn beide Parteien gewillt sind, Kompromisse zu schließen."

Diese Kompromißfindung dauerte vier Jahre. Die Phase der Verhandlungen war bis zuletzt von Rückschlägen und der Gefahr des Scheiterns begleitet. Stichworte waren Codesa, der Konvent für ein demokratisches Südafrika, und die ihr folgende Verfassungskonferenz zunächst aller, dann aller wesentlichen Parteien in Kempton Park und die kurze Phase der Übergangsregierung, in der die Bedingungen für faire Wahlen verbessert wurden. Während zunächst Gespräche im großen Rahmen stattfanden, engte sich der Kreis immer stärker ein auf Kerngruppen und dann auf Einzelgespräche zwischen den Hauptpartnern, dem ANC und der Nationalpartei.

Diese Übergangsphase erlaubte drei Dinge: Der ANC konnte zuerst sich selber und dann auch seine Anhänger davon überzeugen, daß es zu Kompromissen kommen müsse, falls der Machtwechsel friedlich bleiben solle. Die Wandlung des ANC zu einer pragmatischen, sozialdemokratischen Bewegung in diesen Jahren machte den Machthabern den Machtverzicht leichter, zumal der ANC unter Mandelas überragender Führungsgestalt zu Entgegenkommen in Kernfragen, etwa der Zukunft der afrikaansen Sprache und Kultur bereit war. Und nicht zuletzt trug die lange Übergangszeit des gegenseitigen Kennenlernens und des Anpassens von Rechtsordnung und Konventionen dazu bei, die Furcht der Minderheiten zu verringern.

Das vorrangige Ziel der Verhandlungen war die Beendigung der weißen Minderheitsregierung, dergestalt, daß eine Rückkehr nicht möglich war. Südafrika hatte einige Vorteile. Einer ist, daß seine Institutionen stark sind, daß sie die Apartheid überlebten. Etwa die Kirchen, die Gewerkschaften, die Studentenorganisationen, Teile der Medien. Im kolonialen Afrika war die einzige institutionell mächtige Einrichtung die Befreiungspartei. Einmal an der Macht beherrschte sie Gewerkschaften und Medien. In Südafrika gibt es all diese starken zivilen Institutionen, und sie werden sich nie von einer einzigen Partei vereinnahmen lassen.

Die Gefahr eines regionalen Bürgerkrieges war noch im April 1994 real. Heute ist sie überwunden. Südafrika wurde trotz vieler Übergangsschwierigkeiten zum Modell friedlichen Zusammenlebens in einem Vielvölkerstaat.

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Über 12.000 Tote hat es während des Verhandlungsprozesses gegeben. Diese Gewalt macht einen Teil der tiefen Gräben in dieser Gesellschaft sichtbar.

Hein Möllers ist Mitarbeiter der informationsstelle südliches afrika (issa) und Redakteur der Zeitschrift "afrika süd".

E-Mail:   issa@oln.comlink.apc.org
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